Publizistik (2012) 57:259–269 DOI 10.1007/s11616-012-0153-x E s s ay
Netzfreiheit und Online-Werbung Wie Unternehmen der Regulierung vorauseilen – eine Chance für die Kommunikationswissenschaft Christoph Klimmt · Florian Hirt · Felix Keldenich · Konrad Mischok · Ina von Salzen · Julia Sponer · Maike Engelmann
Dass das Netz grenzenlos ist und nationale Versuche, Online-Kommunikation zu regulieren, zumeist zum Scheitern verurteilt sind, gehört zu den konsensfähigen Einsichten in der Kommunikationswissenschaft wie in der Medienpolitik. Dass man gewissenlose Server-Betreiber auf einem Südsee-Atoll weder medienpädagogisch nachschulen noch medienrechtlich belangen kann, trifft gewiss ebenfalls zu. Gleichwohl findet ein erheblicher Teil der von Unternehmen und Organisationen betriebenen Online-Kommunikation sehr wohl in einem nationalen Rahmen statt. Deutsche Firmen bewerben ihre Produkte bei deutschen Kunden in deutscher Sprache. Sender und Empfänger von Online-Botschaften befinden sich oftmals in demselben Land, selbst wenn die zugehörigen Datenpakete ihren Weg über ein Tiefseekabel im Atlantik gesucht haben. Aus diesem Grund lohnt es sich auch im Zeitalter von Globalisierung und grenzenloser Netzkommunikation, über neue Erscheinungsformen kommerzieller Kommunikation und ihre Regulierung nachzudenken. Unser Beitrag thematisiert die immer neuen normativen Herausforderungen, die mit der ständigen Innovation werblicher Kommunikation im Netz entstehen. Sie erfordern regelmäßig Reflexionen darüber, was erlaubt sein sollte und was nicht. Denn der Geist der Werberegulierung aus den guten alten Zeiten der Massenkommunikation lässt sich im Zeitalter moderner Online-Werbung nur mit Mühe am Leben erhalten (vgl. Faber et al. 2004). Freilich begrüßen die einen diesen Umstand als lange vermisste unternehmerische (Netz-)Freiheit. Die anderen hadern damit, dass der gezielten Verbreitung ethikund sinnfreier Werbung kaum noch etwas entgegengesetzt werden könne – gerade mit Blick auf den besonderen Schutzbedarf von Kindern und Jugendlichen ergeben sich hier
Online publiziert: 06.07.2012 © VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012 Prof. Dr. C. Klimmt () · F. Hirt · F. Keldenich · K. Mischok · I. von Salzen · J. Sponer · M. Engelmann Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, EXPO Plaza 12, 30539 Hannover, Deutschland E-Mail:
[email protected]
260
C. Klimmt et al.
neuartige Spannungsfelder, mit denen sich auch die Kommunikationswissenschaft näher befassen muss, will sie einen Beitrag zum vernünftigen gesellschaftlichen Umgang mit der Werbung der Zukunft leisten. 1 Entgrenzung der Werbekommunikation: die Online-Welten von Kinder-Marken Konventionelle Werbung durchläuft von ihrer Kreation bis zur Veröffentlichung ein komplexes Geflecht aus Auftraggebern, Mittlern (z. B. Agenturen) und Medien. Bei jeder einzelnen der zahlreichen Instanzen besteht die Chance, dass geprüft wird, ob eine Anzeige oder ein Werbespot den gesetzlichen Vorschriften und Vorgaben entspricht und die geschriebenen oder ungeschriebenen Selbstverpflichtungen der Werbeindustrie erfüllt. Inzwischen haben freiwillige Selbstverpflichtungen der Werbebranche wie die Verhaltensregeln des Deutschen Werberats für die Werbung mit und vor Kindern (Deutscher Werberat 1998) sogar einen ebenso hohen Stellenwert wie die Vorgaben des Gesetzgebers: Um einer allzu harten Regulierung des Gesetzgebers vorzubeugen, regulieren sich die Werber lieber selbst. Nur selten werden die von ihnen erarbeiteten Regeln vom Gesetzgeber noch weitergehend geprüft oder verschärft. Der selbst aufgestellte Kodex bleibt somit häufig der einzige. Dank der Komplexität der Werbewirtschaft sind jedoch immerhin viele Köpfe am Werbeprozess beteiligt. Jeder von ihnen trägt neben wirtschaftlichen Interessen auch seine eigenen ethischen und moralischen Vorstellungen an die Werbung heran. Jeder von ihnen kann so auch als Kontrollinstanz verstanden werden. Werbende Unternehmen, die im Internet selbst als direkte Kommunikatoren mit eigenen Internetseiten oder Plattformen auftreten, entziehen sich jedoch weitestgehend dem „Viel-Augen-Prinzip“. Wenn Markenartikler ihre eigene Internetseite betreiben, werden viele Mittler in der Werbebranche nicht mehr gebraucht. Und dank technischer Entwicklungen sowie aufblühender sozialer Netzwerke gelingt es vielen Firmen, interessierte Besucher direkt auf ihre Seiten zu leiten. Dort bieten die Unternehmen selbst (mehr oder weniger) redaktionelle Inhalte an, die ausschließlich auf ihre Kommunikations- und Markenstrategien optimiert sind. Bei den Besuchern dieser Websites handelt es sich um ein wesentlich spezifischeres Publikum als jenes, das eine Anzeige oder Fernsehwerbung rezipiert. Um auf die Seite eines Markenherstellers zu gelangen, sind bewusste Entscheidungen notwendig – wie das Eintippen einer URL in den Browser, eines Keywords in eine Suchmaschine oder der Klick auf einen Werbebanner. Die klassischen Streuverluste halten sich so in Grenzen. Und damit entfällt auch eine wichtige Kontrollinstanz: Typischerweise nehmen am ehesten Personen, die als Streuverluste gelten, Anstoß an einem werblichen Inhalt und schieben ein Beschwerdeverfahren an. Auf die Zielgruppe hingegen wurde die Werbemaßnahme kommunikativ abgestimmt – von ihrer Seite ist mit zumeist weit weniger Widerstand zu rechnen. Besonders schwerwiegend ist dieser Umstand, wenn es sich dabei um Kinder und Jugendliche handelt. Ihre noch nicht voll entwickelte Medienkompetenz sollte – so der Geist des konventionellen Jugendmedienschutzes – durch institutionalisierte Kontrolle ausgeglichen werden, um den Einfluss der Werbekommunikation zu begrenzen. Doch anders als beim gemeinsamen Familien-Fernsehabend nutzen die Kinder und Jugendlichen den Rechner meist allein. Es bedarf besonders aufmerksamer
Netzfreiheit und Online-Werbung
261
Eltern und Pädagogen, um einen Blick in die Online-Welten von Kindern zu erhaschen, die zudem oftmals ihre volle Funktionsvielfalt erst mit einer passwortbewehrten Anmeldung freigeben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kinder sich nicht selten besser im Internet zurechtfinden als ihre Eltern und Lehrer. Firmen, deren Produkte in erster Linie an Kinder und Jugendliche verkauft werden, setzen häufig gezielt auf aufwendige Internetauftritte. Dabei sind vor allem zwei Vorgehensweisen zu beobachten: Zum einen wird die Werbebotschaft in mehrwertversprechende redaktionelle Inhalte eingewoben. Zum anderen bilden Spielmöglichkeiten einen essenziellen Bestandteil dieser Seiten. Highscore-Listen und Community-Mitgliedschaften sollen Kinder oder Jugendliche dazu veranlassen, die Seiten immer wieder aufzurufen. Die beiden genannten Vorgehensweisen werden im Folgenden anhand von Beispielen aus dem vergangenen Jahr näher beleuchtet. Eine Online-Kampagne der Tampon-Marke „o. b.“ verdeutlicht, wie die Grenzen zwischen redaktionellen Serviceinhalten und Werbung verschwimmen. Kernelement der o. b.-Kampagne, die Probleme und Fragestellungen pubertierender Mädchen aufgreift, ist die Internetseite VomErwachsenWerden.de. Auf diese Website gelangen interessierte Mädchen zum Beispiel über das „Dr. Sommer: o. b.-Special!“ in Kooperation mit dem Jugendmagazin Bravo. Auf bravo.de findet sich die Dr.-Sommer-Rubrik, der bekannte Bravo-Ratgeber für Jungen und Mädchen, die sich den heiklen Fragen der Pubertät stellen wollen. Themen sind beispielsweise: „Sind Tampons was für Dich? Find’s raus!“ oder „Was ist der Unterschied zwischen Tampons und Binden?“ Zur Nutzung von o. b.-Produkten wird stets auch in den scheinbar redaktionellen Teilen ausdrücklich aufgerufen: „Kann ich o. b. Tampons bedenkenlos verwenden? Ja, absolut! Seit sechs Jahrzehnten verwenden Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt o. b. Tampons.“ Alternative Marken werden im Bravo-„Special“ nicht genannt. Die Verwendung von o. b.-Produkten wird fortwährend als einzige Lösung für die neuen Probleme und Situationen präsentiert, denen sich Mädchen zu Beginn ihrer Pubertät stellen müssen. Die Leserin wird auf der Seite bravo.de nicht deutlich darauf hingewiesen, dass es sich lediglich um eine Werbekooperation mit dem Unternehmen Johnson & Johnson handelt und keineswegs um einen unabhängigen Ratgeber. Nur die klassischen „Rectangle“-Werbebanner um den Text herum weisen den Texthinweis „supported by“ auf. Unter den Texten erscheinen weiterführende Informationen: „Noch mehr Facts über Tampons“ mit Links zu einer „o. b.-Website für Teens“ und weiterhin zur Seite VomErwachsenWerden.de, die ebenso wie o. b. vom Unternehmen Johnson & Johnson betrieben wird. Diese Seite bietet Informationen und klärt in altersgerechter Weise über die körperliche Entwicklung Jugendlicher, der Geschlechtsorgane, den weiblichen Zyklus und die Verwendung von Tampons sowie Binden auf. Fester Bestandteil der Seite und immer präsent ist dabei die Möglichkeit, kostenlose Tampon-Proben anzufordern. Über einen Link gelangen Leser/-innen auf myobtampons.de, wo sich Mädchen auch mit weiteren o. b.-Produkten ausstatten können. Das Ausmaß der wünschenswerten Werberegulierung hängt in diesem Fall im Wesentlichen vom Bild der Verbraucherin und ihrer Schutzbedürftigkeit ab. Hier sollte man eher davon ausgehen, dass die Urteilsfähigkeit jugendlicher Mädchen noch nicht ausgeprägt ist. Die starke Marke „o. b.“ – fast ein Deonym (wie „Tempo“ bei Papiertaschentüchern) – wird als alternativlos suggeriert. Hier wird es für eine unerfahrene Verbraucherin schwierig, sich bewusst für oder gegen das beworbene Produkt zu entscheiden. Insgesamt
262
C. Klimmt et al.
schmückt sich Johnson & Johnson durch seine Website mit den hehren Bemühungen der Corporate Social Responsibility und führt zum einen junge Mädchen an das Erwachsensein sowie zum anderen ganz nebenbei eine junge Kundengruppe an seine Produktwelt heran. Das Beispiel zeigt damit die enge Verquickung von Chancen und Problemen der Entgrenzung von Online-Werbekommunikation, in diesem Fall der Entgrenzung der Werbung hin zum Service-Journalismus. Die Internetseite capri-sonne.de veranschaulicht, wie die Grenzen zwischen unterhaltsamen Spiele-Inhalten und Werbung verschwimmen („Advergames“). Die Kinder werden dazu eingeladen, mit einem Lenkdrachen die „Capri-Sonne-Welt“ zu entdecken. Dabei müssen sie darauf achten, ihr „Getränkelevel“ aufrechtzuerhalten, indem sie an „Capri-Sonne-Bars“ virtuell eine Tüte Capri-Sonne austrinken. Sobald eine weitere Station besucht oder ein Spiel gespielt wurde, sinkt das Getränkelevel, das die Kinder wiederum mit Capri-Sonne auffüllen müssen. An anderen Stationen werden ähnliche Spiele und Tipps für die Freizeitgestaltung mit Capri-Sonne angeboten. Capri-Sonne nutzt mit der Seite die Lieblingsaktivität von Kindern im Internet aus: das Spielen (vgl. Feil et al. 2004, S. 114). Nicht wenige Lebensmittelhersteller wie Nesquik, Kellogg’s oder Ferrero setzen ebenfalls auf dieses Konzept. Die Mediennutzung von Kindern ist wie Spielhandlungen auch von Wiederholungen gekennzeichnet (vgl. Oerter 1995, S. 251). Sie kommen oft mit einigen wenigen Websites aus, die sie regelmäßig ansteuern. Gehört Capri-Sonne erst einmal dazu, lässt sich auf diesem Wege eine besondere Markenbindung erzielen. Im Kinderfernsehen muss Werbung von den redaktionellen Inhalten getrennt werden und ist auf zwölf Minuten pro Stunde beschränkt (vgl. Feil et al. 2004, S. 43). Die Capri-Sonne-Welt kennt hingegen keine Sperrstunde – noch dazu sind die Kinder im Spiel involviert und aktiv bei der Sache. Selbst wenn sie diese Spiele als Werbeform registrieren, muss damit nicht zwingend ein kritisch-reflektierter Umgang einhergehen. Der regelmäßige Onlinebesuch und das wiederholte Spielen machen die Kinder mit der Marke vertraut und lassen sie diese mit etwas Positivem verbinden: Wer aktiv ist – physisch oder virtuell –, muss viel Capri-Sonne trinken, um fit und gesund zu bleiben. Diese Werbebotschaft ist freilich irreführend und unwahr. Verschiedene Verbraucherorganisationen warnen, dass es sich bei Capri-Sonne um alles andere als ein gesundes Getränk handele (z. B. foodwatch e. V. 2011). Zugleich entzieht sich die Übermittlung der Werbebotschaft den bestehenden Werberegularien: Moderne Online-Werbung entgrenzt sich hin zum Medium Videospiel und zur interaktiven Netz-Unterhaltung. 2 Tarnen und Täuschen 2.0: verdeckte Werbung im Netz Neben der Entgrenzung von Werbekommunikation durch journalistische oder unterhaltende Zusatzinhalte finden sich unter den neueren Online-Werbeformen auch solche, die das Verschleiern der werblichen Qualität einer Botschaft zum Kern ihrer Taktik machen. Die bei Online-Werbung teils drastischen Manifestationen des „Tarnens und Täuschens“ illustrieren wir an einem interaktiven Pop-Up-Fenster auf der Trägerseite Funnygames. de. Dort werden Minispiele verschiedener Genres angeboten. Die Palette reicht von
Netzfreiheit und Online-Werbung
263
Action- und Casinospielen bis hin zu Spielen für Kinder. Die Trägerseite erscheint als ein attraktives Umfeld für Werbung, die sich an Kinder und Jugendliche richtet. Pop-Ups stellen gewiss keine neue oder sonderlich innovative Werbeform dar. Jeder Internetnutzer kennt sie als besonders lästige Werbeform, die den Lesefluss oder das Surfen ausbremst, indem sich ein Werbefenster über die angesteuerte Website legt. Neuere Pop-Ups sind anders als die ungeliebten Originale interaktiv gestaltet. Im vorliegenden Beispiel werden dem Nutzer im Pop-Up-Fenster verschiedene Aufgaben gestellt. Erst nach drei Klicks auf der Pop-Up-Fläche gelangen die Nutzer auf eine externe Website; zudem fehlt ein Button, mit dem das Pop-Up geschlossen werden kann. Nach der Interaktion mit dem Pop-Up gelangt der User auf die Website iq-mania. de, ein Angebot der „Guerilla Mobile Berlin GmbH“. Die Gestaltung dieser Seite ist in ihrem Aufbau und den verwendeten Farben den sozialen Netzwerken studiVZ sowie schülerVZ nachempfunden. Offenbar geschieht dies bewusst zur Täuschung und Vermittlung von Seriosität. Der Nutzer soll auf dieser Seite einige Wissensfragen beantworten. Wird die erste Frage falsch beantwortet, erscheint die Aufforderung: „Beweise jetzt, dass du nicht total verblödet bist und beantworte die 5 Zusatzfragen. Die Ergebnisse kommen am Ende.“ Derjenige, der tatsächlich beweisen will, dass er „nicht total verblödet“ ist, und darauf hofft, am Ende der fünf Fragen eine Auswertung zu erhalten, wird enttäuscht. Es erscheint schließlich die Aufforderung: „Gib deine Handynummer innerhalb von 10 s. ein und erhalte dein Ergebnis.“ Wer sich hier durch den bunt blinkenden und abwärtszählenden Countdown ablenken lässt, übersieht leicht den in dezentem Grau verfassten Hinweis auf einen Abonnement-Abschluss, der mit dem Angebot verbunden ist. Tappen die Nutzer in die getarnte Abofalle, so kostet der virtuelle Idiotentest den Nutzer 4,99 € im Monat. Das Beispiel zeigt, wie Werber die Netzfreiheit für eine geradezu aggressive Täuschungsstrategie misbrauchen können. Im vorliegenden Fall geht die Täuschung der Verbraucher sogar über die Verschleierung einer werblichen Absicht hinaus bis zum getarnten Abschluss einer Transaktion. Nach Paragraph 6 des Telemediengesetzes („Besondere Informationspflichten bei kommerziellen Kommunikationen“) muss Werbung indes klar gekennzeichnet sein. Dies findet in unserem Beispiel nicht statt. Das Pop-Up trägt weder die Hinweise „Anzeige“ oder „Reklame“, noch ist zu erkennen, welcher Anbieter sich dahinter verbirgt. Allerdings markiert unser Beispiel einen eher seltenen Extremfall – die Strategien des Tarnens und Täuschens bei moderner Online-Werbung sind längst nicht immer so eindeutig als verbotswidrig zu erkennen. Zudem liegt hier aufgrund der wenig aufwendigen technischen Implementierung der täuschenden Werbemaßnahme ein typischer Fall für die bestehenden Vollzugsdefizite vor: Würde man die beschriebene Werbung rechtskräftig verbieten, würde an anderer Stelle eine ähnlich gestaltete Maßnahme geradezu blitzartig nachfolgen. Eine der Praxis hinterherhinkende Rechtsordnung erscheint nicht in der Lage, auch nur einen Bruchteil der fragwürdigen Angebote in der Weite des Internets zu kontrollieren. Während dieses Pop-Up möglicherweise verboten wird, werden unzählige andere übersehen und nicht geahndet. Trotz der besonders perfiden Art des genannten Beispiels sollte den meisten Internetnutzern prinzipiell bewusst sein, dass es sich bei Pop-Ups zumeist um unseriöse Werbeformen handelt. Die Mehrheit der Internetznutzer sollte auch wissen, dass damit
264
C. Klimmt et al.
kommerzielle Absichten verbunden sind. Bei einer jungen Zielgruppe kann man solches Wissen jedoch nicht voraussetzen; auf diesem Prinzip beruht die Philosophie der konventionellen Offline-Werberegulierung. Im vorliegenden Fall ist es gewiss nicht leicht vorherzusehen, dass spielerisch-interaktive Elemente und Ablenkungsmanöver bis zur Eingabe der Handynummer zu einem Abo führen. Zweifelsohne machen sich die Anbieter die navigatorische und geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen zunutze. 3 Advertainment mit High-Tech: Staunen und Lachen als Einfallstore der Werbung Nicht immer muss sich innovative Werbung im Internet der oben beschriebenen Täuschungsmanöver bedienen. Manchmal gelingt es ihr auch, den User dazu zu motivieren, sich freiwillig und sehr gründlich ihren Inhalten zuzuwenden und sie zudem an Freunde und Bekannte weiterzuleiten. Dieses Prinzip des viralen Marketings ist hinlänglich bekannt (z. B. Phelps et al. 2004). Neuartige Online-Technologien ermöglichen indes High-Tech-Werbeformen mit einem bis dato nicht gekannten Unterhaltungsfaktor, der sowohl die kognitive Elaboration der Werbebotschaft als auch die Weiterleitungsbereitschaft erheblich steigern könnte. Für Kinder und Jugendliche geht von Werbeformen, die mit technologischen Neuerungen experimentieren, oftmals eine besondere Anziehungskraft aus. Klingler und Groebel (1994) stellen fest, dass die aufmerksamkeitssteigernde Werbegestaltung eine größere Wirkung auf Kinder als auf Erwachsene hat. Auch wenn sich diese Aussage auf die Verwendung von lauten Geräuschen, Action und bekannten Comicfiguren in TV-Werbung bezieht, bleibt als Werberegel festzuhalten, dass man die Faszination und Aufmerksamkeit von Kindern gewinnt, indem man sie überrascht und zum Lachen bringt. Nach solchen Überraschungsmomenten streben einige der neuesten Online-Werbeformen. So ermöglicht der Anbieter „Wonderlandmovies“ seinen Klienten die Produktion von Videoclips, in denen der Endnutzer selbst als Protagonist innerhalb des Bewegtbildinhalts auftreten kann. Durch einfaches Hochladen eines Fotos bzw. der Aufnahme per Webcam oder durch Zugriff auf bestehende Facebook-Fotos wird das Gesicht des Nutzers in die Kurzfilme integriert. Wer sich an der Spielerei beteiligt und den personalisierten Kurzfilm online betrachtet, sieht sich also selbst im Film auftreten. An Referenzen mangelt es Wonderlandmovies nicht: Internetnutzer können ihr Konterfei als Hauptrolle in einem breiten Spektrum von Videos erscheinen lassen, vom angeblichen neuen Stürmer des 1. FC Köln, über den die ganze Stadt spricht, über den Hip-Hop-Star auf MTV, der im Videoclip mit sich lasziv räkelnden Schönheiten posiert, bis hin zur großen Liebschaft eines Playboy-Bunnies, das wort- und gestenreich an die letzte gemeinsame Nacht in einem Premium-Kleinwagen erinnert. Ohne Frage gelingt es mit derartig personalisierten Botschaften, Aufmerksamkeit, Interesse und Erstaunen beim Publikum zu erzeugen – gelingt auch die Verquickung mit der zu bewerbenden Marke, sind weitreichende Werbeeffekte zu erwarten, unter anderem eine hohe Bereitschaft des Publikums, die Botschaft nicht nur intensiv und mehrfach zu rezipieren, sondern die eigene Faszination auch mit dem persönlichen Umfeld zu teilen.
Netzfreiheit und Online-Werbung
265
Oftmals sind solche viralen Effekte dieser High-Tech-Werbung beabsichtigt. In der Regel geschieht dies über soziale Netzwerke. Vor allem für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ist diese Form der Selbstdarstellung im Lebensabschnitt der Selbstfindung und sozialen Positionierung von großem Interesse. Umso attraktiver wird für diese Zielgruppe also ein Werbeangebot, das sie persönlich buchstäblich in den Mittelpunkt stellt und als Individuum inszeniert. Dass man sich mit einem personalisierten HighTech-Video in überraschender und sogar origineller Form präsentieren kann, kommt sowohl direkten Werbewirkungen als auch der „Sharing“-Wahrscheinlichkeit zugute. Die Filme werden häufig in einem Umfeld dargeboten, das den eigentlichen Zweck des Clips zunächst nicht erkennen lässt. Im Playboy-Beispiel von Wonderlandmovies erscheint das Umfeld des Spots als persönlicher Blog des Models, in dem neben vielsagenden Bildern eben auch jener Aufruf nach der verflossenen Liebe zu sehen ist.1 Im Clip fehlt jegliche explizite Kennzeichnung von Werbung; offenkundig strebt der Anbieter eine Täuschung über den Zweck des Angebots an. Im Nachhinein können halbwegs medienkompetente Endnutzer zwar erahnen, dass es sich um eine nicht ernst zu nehmende Botschaft handelt. Trotzdem sind diese Rückschlüsse bei besonders unerfahrenen und jungen Internetnutzern nicht zwingend zu erwarten. Darüber hinaus erweist sich die Möglichkeit, ein eigenes Video zu erstellen, ebenfalls als problematisch. Zwar wird in den Geschäftsbedingungen darauf hingewiesen, dass die bereitgestellten Bilder zu Werbezwecken genutzt werden; allerdings ist von jungen Internetnutzern mit wenig Werbekompetenz nicht zu erwarten, dass sie dies verstehen und vollständig einordnen können – sofern sie die „AGB“ überhaupt lesen. Ein Hinweis auf Rücksprache mit Eltern oder Erziehungsberechtigten erfolgt jedenfalls nicht, bevor ein neues Video mit dem Gesicht eines zum Beispiel sehr jungen Nutzers an der Seite von Playboy-Model Bernadette im Netz seine Runden drehen kann. Entscheidet sich der Nutzer außerdem dafür, ein Foto aus seinen Facebook-Alben zu verwenden, und gestattet Wonderlandmovies und seinen Partnern den Zugriff hierauf, erteilt er ihm zusätzlich und unnötigerweise ebenfalls laut AGB die Berechtigung, auf Name, Profilbild, Geschlecht, Netzwerke, Nutzerkennnummer, Freundesliste und weitere Informationen zugreifen zu können. Für den personalisierten (und damit überraschendinteressanten) Werbecontent zahlen die Nutzer/innen auch noch einen hohen Preis, so dass hier eine Verbindung zwischen High-Tech-Werbung und der vieldebattierten Privatsphären-Thematik besteht. Zuletzt sei vor dem Hintergrund von Cybermobbing und Persönlichkeitsverletzungen auf die Gefahr hingewiesen, die mit dem Missbrauch solcher Angebote einhergehen. Hinweise auf die Unzulässigkeit von fremdem oder unangebrachtem Bild- und Textmaterial finden sich zwar ebenfalls in den AGB, schützen allerdings nicht vor deren Verwendung, da der Anbieter explizit sämtliche Prüfung und Haftung von sich weist. Damit wird die Verantwortung, wie mit den vom Anbieter geschaffenen Diensten umgegangen wird, in die Hände derer gelegt, die nach bisherigem Verständnis vor den Gefahren der Kommunikationsform Werbung geschützt werden sollten. Niemand würde also einschreiten, wenn beispielsweise Schüler mit eigenartigem Humor ein Video mit dem Gesicht des Klassenlehrers an der Seite von Bernadette in den Netzumlauf bringen würden. 1 http://www.wonderlandmovies.de/templates/bernadette/?s=iwx25Sdkdh.
266
C. Klimmt et al.
Das Beispiel zeigt, wie interaktive Online-Werbung durch innovative Technologien (nicht nur) Kinder und Jugendliche begeistern und aktivieren kann. Diese Art der Kommunikation, die den Werbeempfänger aufgrund ihrer Neuartigkeit dazu bringt, durch eigene Aktivität eine besondere Beziehung zu einem Inhalt herzustellen, zeigt eine weitere Facette der neuen Herausforderungen. So wird die Komplexität deutlich, der eine Regulierung Herr werden muss, da nicht nur das reine Senden von Botschaften berücksichtigt werden muss, sondern darüber hinaus auch der individuelle interaktive Umgang mit den Botschaften. 4 „Gib hier Deine E-Mail-Adresse ein“: Beziehungsmarketing unter Umgehung der Eltern Mehr über einzelne Kunden zu erfahren, um sie gezielt anzusprechen und an das eigene Unternehmen zu binden, hat sich unter dem Schlagwort „Beziehungsmarketing“ zu einer vielgenutzten Strategie entwickelt. Im Kinder- und Jugendmarkt sind mit dem Beziehungsmarketing indes einige Besonderheiten verbunden. Zum einen müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden: Laut dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag darf „Werbung, die sich auch an Kinder und Jugendliche richtet […], nicht den Interessen von Kindern oder Jugendlichen schaden oder deren Unerfahrenheit ausnutzen“ (Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten 2003). Zum anderen ist die besondere Rolle der Eltern zu beachten, die aus der Interaktion zwischen einem Unternehmen und einem Kind oder einem Jugendlichen eine „Dreiecksbeziehung“ macht (vgl. Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten 2003, S. 31). Die Eltern nehmen hierbei eine Art Gatekeeperfunktion ein, da sie Einfluss darauf nehmen, was ihre Kinder rezipieren dürfen, und Rechtsgeschäften erst zustimmen müssen. Dies macht eine zweigleisige Kommunikation nötig, die allerdings wesentlich aufwendiger ist und gegebenenfalls dazu führt, dass sich der Kreis der jungen Kunden schmälert. Denn wenn die Eltern darüber informiert sind, dass ihre Kinder direkt beworben werden, ist es wahrscheinlicher, dass sie die Interaktion des Kindes mit dem Unternehmen unterbinden oder der persuasiven Kommunikation entgegenarbeiten. Werbenden Unternehmen kommt es daher entgegen, dass die direkte Ansprache der Kinder im digitalen Zeitalter durch die oben beschriebenen Online-Welten von Kindermarken und entsprechenden Communities immer einfacher wird. Außerdem schenken Eltern Werbung auf Websites zumeist wenig Beachtung und haben auch kaum Bedenken bei Firmen- und Promotionswebsites (vgl. Feil et al. 2004, S. 108–110). Betrachten wir zur Veranschaulichung dieser Problematik Haribos fröhliche OnlineWelt Haribo City2, die sich gezielt an Kinder richtet. Auf der Startseite wird der Besucher vom Haribo-Goldbären begrüßt und dazu aufgefordert, sich der Kategorie „Bewohner“ oder „Neuling“ zuzuordnen. Als Bewohner der City darf der User mithilfe seines „Login Tickets“ den direkten Weg nehmen, als Neuling hingegen ist zunächst ein Umweg über den „Haribo City Metronetzplan“ nötig, um die Stadt zu besuchen.
2 http://city.haribo.com.
Netzfreiheit und Online-Werbung
267
Um ein vollwertiger Bürger der Stadt zu werden, darf der Neuling zunächst seinen Avatar – natürlich ein Gummibärchen – frei gestalten. Sobald dieser Aufforderung nachgekommen wurde, wird er plötzlich vor die Wahl gestellt: Entweder er speichert sein gerade liebevoll gestaltetes Bärchen und darf zur Belohnung alle Funktionen in der Haribo City nutzen, oder er wandelt nur als Gast umher, verliert seinen Avatar nach dem Besuch und nimmt in Kauf, dass viele Funktionen nicht nutzbar sind. Entscheidet sich der Neuling, sein individuell gestaltetes Goldbärchen nicht im Stich zu lassen, folgt die Anmeldung. Hierfür sind plötzlich erstaunlich viele Informationen für eine Einbürgerung in die Haribo City gefordert. So wird zunächst die Eingabe von Land, Geschlecht, Nickname, Passwort und E-Mail-Adresse verlangt. Des Weiteren ist die Angabe von Vor- und Nachnamen nötig sowie der vollständigen Adresse und des Geburtstags. Dabei ist es nicht möglich, eines der Felder unausgefüllt zu lassen, da sofort darauf hingewiesen wird, dass es sich bei allen Feldern um Pflichtfelder handelt. Zum Schluss muss den Nutzungsbedingungen zugestimmt werden. Direkt darüber befindet sich das Kästchen für die Zustimmung zum Erhalt des Haribo-Newsletters, das aus Versehen leicht mit angeklickt werden kann. Einen Hinweis auf Werbung oder den nötigen Einbezug der Eltern sucht man vergebens. Aus diesem Beispiel wird deutlich, wie leicht werbende Unternehmen in Kontakt mit Kindern und Jugendlichen treten und eine langfristige Beziehung aufbauen können – ohne dass die Eltern erst um Erlaubnis gebeten werden oder auch nur von dieser Interaktion erfahren müssen. Im Fall der Haribo City erhält das Unternehmen schon bei der Anmeldung außergewöhnlich viele wertvolle Informationen über junge Zielpersonen. Wozu sie genau genutzt werden, wird nicht erklärt. Die operativen Werbeziele bleiben im Dunkeln. Wohlgemerkt handelt es sich hier nicht um einen drittklassigen Billiganbieter von RamschSpielzeug, sondern um den Netzauftritt einer deutschen Premium-Süßwarenmarke. Die Maßgabe, wonach die Unerfahrenheit von Kindern nicht ausgenutzt werden darf, wird in unserem Beispiel offensichtlich verletzt. Darüber hinaus fehlt ein Verweis für Minderjährige auf die Notwendigkeit, die Eltern einzubeziehen. Paragraph 4a des Bundesdatenschutzgesetzes besagt hierzu, dass zur Verarbeitung persönlicher Daten zunächst die Einwilligung des Betroffenen nötig ist. Dabei wird allerdings nicht weiter definiert, ob Minderjährige diese Einwilligung eigenständig erteilen dürfen. Generell ist dies davon abhängig, ob der Vorgang Geschäftsfähigkeit voraussetzt und damit unter die Bedingungen der §§ 105 ff fällt. Demnach sind Kinder unter sieben Jahren geschäftsunfähig. Minderjährige, die das siebente Lebensjahr vollendet haben, sind hingegen beschränkt geschäftsfähig. Sie können Verträge abschließen, benötigen dazu jedoch die Einwilligung der Eltern oder eines anderen gesetzlichen Vertreters. Mit der Anmeldung für die Haribo City erteilen Kinder und Jugendliche automatisch die Zustimmung zur Verarbeitung ihrer Daten. Auf Basis der vorhandenen rechtlichen Rahmenbedingungen ist allerdings nicht eindeutig zu klären, ob für diesen Vorgang Geschäftsfähigkeit nötig ist. Laut Schotthöfer (2000, S. 63) besteht in der Literatur zu dieser Frage die überwiegende Meinung, dass die „Einsichtsfähigkeit“ der Zielperson zur eigenständigen Einwilligung in die Verarbeitung der Daten und damit laut § 1 Abs. 2 JGG ein Alter von 14 Jahren genügt. Da sich die Haribo City in ihrer Gestaltung und ihren Unterhaltungsangeboten vor allem an Kinder und nur bedingt an Jugendliche richtet, wäre demnach bei der Anmeldung unbedingt ein Hinweis auf das nötige Einverständnis der Eltern zu verlangen.
268
C. Klimmt et al.
5 Schlussbetrachtung: Unternehmerische Netzfreiheit – grenzenlos? Der kleine Rundgang durch aktuelle Beispiele von Online-Werbeformen der neuen Generation sollte verdeutlichen, an welchen normativen Grenzen das Werbebusiness rüttelt. Sie alle sind Manifestationen der Tatsache, dass kommerzielle Kommunikation in verschärfter Weise in den Medienalltag gerade der online-affinen jungen Generationen einsickert. Und wie so oft stellen uns neue Kommunikationstechnologien vor Herausforderungen in der Formulierung von öffentlichen Bewältigungsstrategien. Wie sollte eine nationale oder gar internationale Regulierung effektive Vorkehrungen enthalten können, die Überrumpelungsstrategien wie die dreiste Tarnung und Täuschung mit interaktiven Pop-Ups oder personalisierten Videos in allgemein verbindlicher Weise ausbremst, sofern Kinder und Jugendliche darauf zugreifen? Hier ist noch nicht von den notorischen Durchsetzungsproblemen solcher Regularien die Rede, sondern von der Erfassung und Benennung problematischer Technologieanwendungen und Werbestrategien in einem möglichen gesetzlichen Regelungswerk. Die schiere Vielfalt der Möglichkeiten ließe sich wohl nur mit einer rigiden, sehr weitreichenden Verbotsmaßnahme abbilden – und damit würde man heftig in unternehmerische Freiheitsrechte eingreifen. Umgekehrt erscheint aber der Weg, sich alleine auf „weiche“ Maßnahmen zu verlassen und die Werbekompetenz gerade junger Menschen zu fördern, auch nicht gangbar: Hier würden die unternehmerischen Netzfreiheiten natürlich bewahrt, aber umgekehrt die Last der Verantwortung allein den Endnutzern aufgebürdet. Vielleicht sind Selbstverpflichtungen ein guter Weg? Der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft hat Ende 2011 eine Liste mit Richtlinien herausgegeben. Sie konzentriert sich auf die Aspekte der Trennung von redaktionellen Inhalten und Werbebotschaften sowie die klare Kennzeichnung von Werbeflächen und die Vermeidung von Belästigungen, etwa durch erschwertes Schließen von Werbefenstern. An den meisten hier diskutierten Werbeformen gehen diese Empfehlungen freilich vorbei: Wie sollte man etwa bei „Advergames“ Werbung und redaktionellen Inhalt trennen, wo doch die Markenbotschaft nahtlos ins Spielgeschehen integriert ist? Gleichwohl wäre aus unserer Sicht die oftmals (implizit) geforderte Zwei-Wege-Strategie des Regulierens und der Werbekompetenzförderung um eine intensive Auseinandersetzung mit den werbenden Unternehmen zu ergänzen. Womöglich weiß man in den jungdynamischen New-MediaAbteilungen noch gar nicht, dass Tarnen, Täuschen und Datenabgreifen in der Zeit vor dem Breitband-Internet nicht nur schwieriger, sondern auch weniger verbreitet waren. Zumindest für Premium-Anbieter sollte der Reputationsschaden, der durch Anprangerung unlauterer Werbepraktiken im Kindernetz droht, ein Antrieb sein, sich aktiv am Bewältigungsdiskurs zu beteiligen. Was also tun? Wie steuert man den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, das Telemediendienstegesetz und die anderen Hilfsinstrumente der Werberegulierung und -aufsicht in die Online-Zukunft, so dass eine sinnvolle Balance zwischen Unternehmensfreiheiten und Kinder-/Jugendschutz erreicht wird? So dass sich Werbetreibende nicht vor Überregulierung, Eltern nicht vor einer staatlichen Laissez-faire-Linie mit bösem Werbewildwuchs im Kindernetz fürchten müssen? In dieser nicht ganz einfachen Frage liegt für die Kommunikationswissenschaft eine große Chance, sich als gesellschaftlich, politisch und ökonomisch relevantes Fach zu
Netzfreiheit und Online-Werbung
269
erweisen. Unsere Disziplin verfügt nicht nur über die Köpfe, sondern vor allem über relevante Konzepte und Methoden, um Wege in eine effektive Policy-Formulierung in der ständig innovierenden Werbewelt zu erarbeiten. Diese Wege dürften sowohl mit der Weiterentwicklung von Gesetzeswerken und Staatsverträgen als auch mit der Reflexionsarbeit bei den werbenden Unternehmen und der Werbekompetenzförderung bei den jungen Endnutzern zu tun haben. Auf allen drei Gebieten kann die Kommunikationswissenschaft erfolgreich spielen. Die drei Gebiete mit einer integrierten Strategie anzupacken, könnte im nationalen wie internationalen Rahmen tatsächlich eine weise Lösung hervorbringen. Ginge die Kommunikationswissenschaft hier in Vorleistung und brächte sie die relevanten Akteure aus Staatskanzleien, Landesmedienanstalten, Jugendmedienund Verbraucherschutz, Werbeverbänden und Konsumgüterindustrie zusammen, könnte sie nicht nur einen substanziellen Beitrag zur Verbesserung der Gesellschaft leisten, sondern auch erheblich an wahrgenommener gesellschaftlicher Relevanz gewinnen. Literatur Deutscher Werberat. (1998). Verhaltensregeln des Deutschen Werberats für die Werbung mit und vor Kindern in Hörfunk und Fernsehen. http://www.werberat.de/content/Kinder.php. Zugegriffen: 5. Okt. 2011. Faber, R. J., Lee, M., & Nan, X. (2004). Advertising and the consumer information environment online. American Behavioral Scientist, 48(4), 447–466. Feil, C., Decker, R., & Gieger, C. (2004). Wie entdecken Kinder das Internet? Beobachtungen bei 5- bis 12-jährigen Kindern. Wiesbaden: VS-Verlag. foodwatch e. V. (2011). Capri-Sonne von Wild/SiSi-Werken. http://www.abgespeist.de/abgespeist/ content/e8254/e8255/capri-sonne_kompaktinfo_20090525_ger.pdf. Zugegriffen: 5. Okt. 2011. Klingler, W., & Groebel, J. (1994). Kinder und Medien 1990. Eine Studie der ZDF-ARD-Medienkommission. Baden-Baden: Nomos. Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten. (2003). Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag & JMStV). http://www.kjm-online.de/files/pdf1/_JMStV_Stand_13_ RStV_mit_Titel_deutsch3.pdf. Zugegriffen: 20. Sept. 2011. Oerter, R. (1995). Psychologie des Spiels. Weinheim: Beltz. Phelps, J. E., Lewis, R., Mobilio, L., Perry, D., & Raman, N. (2004). Viral marketing or electronic word-of-mouth advertising: Examining consumer responses and motivations to pass along email. Journal of Advertising Research, 44, 333–348. Schotthöfer, P. (2000). Rechtliche Rahmenbedingungen bei jungen Zielgruppen. In K.-M. Griese & C. Zanger (Hrsg.), Beziehungsmarketing mit jungen Zielgruppen. Grundlagen, Strategien, Praxisbeispiele (S. 57–70). München: Verlag Franz Vahlen. Dr. Christoph Klimmt ist Professor für Kommunikationswissenschaft am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung (IJK) der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Florian Hirt, Felix Keldenich, Konrad Mischok, Ina von Salzen, Julia Sponer und Maike Engelmann studieren am IJK.