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R echtsprechung
DOI: 10.1007/s00350-009-2581-9
Non-compliance und grober Behandlungsfehler BGB § 823 Abs. 1
Die mangelnde Mitwirkung des Patienten an einer medizinisch gebotenen Behandlung schließt einen Behandlungsfehler nicht aus, wenn der Patient über das Risiko der Nichtbehandlung nicht ausreichend aufgeklärt worden ist. BGH, Urt. v. 16. 6. 2009 – VI ZR 157/08 (OLG Frankfurt a. M.)
Problemstellung: Mangelnde oder unzureichende Mitwirkung des Patienten an einer medizinisch indizierten Behandlung kann haftungsrechtlich zur Freizeichnung des Arztes für Schäden führen, die infolge der verweigerten Behandlung eingetreten sind (s. dazu die Anmerkung). Im Begriff „Mitwirkung“ ist andererseits enthalten, dass der Patient Nachteile wegen unvernünftigen Verhaltens dann nicht tragen muss, wenn er gar nicht weiß, wie oder woran er hätte mitwirken können, um ein ärztlich angestrebtes Behandlungsziel zu erreichen. Im Fall ist streitig, ob sich beim Patienten nach einer Tumoroperation an der Hypophyse (sie ist an der vom Hypothalamus gesteuerten Hormonverteilung, u. a. auch der des Antidehydrationshormons Vasopressin, beteiligt) ein diabetes insipidus mit einem Austrocknungssyndrom entwickelt hat, das zu einem (festgestellten) Hirninfarkt und Durchblutungsstörungen geführt hat. Der Patient hatte am 12. postoperativen Tag die (indizierte) stationäre Aufnahme und eine Infusionsbehandlung verweigert. Um einen Schadensersatz bejahen zu können, führt der BGH die klassischen Prüfschritte des Arzthaftungsprozesses vor: Ein Behandlungsfehler wird darin gesehen, dass der Patient postoperativ auf eine bestehende Dehy drationsgefahr nicht hingewiesen worden sei (Verletzung der therapeutischen Auf klärungspflicht). Anders als das Berufungsgericht meint der BGH, diese ärztliche Pflichtverletzung könne – die Sachverständigen haben sich hier nicht eindeutig geäußert – ein schwerer Behandlungsfehler sein. In einem solchen Fall könne nun erstens die infolge Unkenntnis unzureichende Mitwirkung des Patienten den Behandlungsfehler nicht verdrängen. Zweitens könne der grobe Behandlungsfehler zur Umkehr der Beweislast führen: Die Behandlungsseite habe zu beweisen, dass der eingetretene Schaden (der Hirninfarkt) nicht auf einem Dehydrationssyndrom beruhe. Kann sie das nicht, bleibt sie beweisfällig und der Patient hat einen Schadensersatzanspruch. Da die Tatsachengrundlagen für die Beurteilung der Frage, ob die ärztliche Unterlassung ein grober Behandlungsfehler war, nicht ausreichten, hat der BGH die Sache auf die insoweit erfolgreiche Revision des Patienten an das Berufungsgericht zurück verwiesen. Zum Sachverhalt: Der Kl. wurde am 25. 3. 1999 wegen eines Hypophysentumors in der Klinik der Bekl. zu 1 von den Bekl. zu 2 und 3 operiert. Am 3. 4. 1999 wurde er nach Hause entlassen. Am 5. 4. 1999 begann er körperlich abzubauen. Die diensthabende Ärztin empfahl der Ehefrau telefonisch, den Kl. wieder in die Klinik zu bringen, falls sich sein Zustand weiter verschlechtere. Am 6. 4. 1999 Eingesandt und bearbeitet von Priv.-Doz. Dr. iur. Adrian Schmidt-Recla, Juristenfakultät der Universität Leipzig, Burgstraße 27, 04109 Leipzig, Deutschland
suchte der Kl. in geschwächtem Zustand und im Rollstuhl sitzend in Begleitung seiner Ehefrau erneut die Klinik auf. Die Bekl. zu 4 veranlasste eine MRT, die einen normalen Befund nach erfolgter Operation eines Hypophysentumors ergab. Der Bekl. zu 3 riet die stationäre Aufnahme an und verordnete eine Infusionsbehandlung. Der Kl. lehnte dies ab und begab sich wieder nach Hause. Am nächsten Tag wurde er notfallmäßig wieder in die Klinik eingeliefert, nachdem er beim Aufstehen aus dem Bett gefallen war und nicht mehr sprechen konnte. Der Bekl. zu 3 veranlasste die Verlegung auf die Intensivstation, wo ein Schlaganfall diagnostiziert wurde. Der Kl., der bis zum 30. 4. 2000 vollständig arbeitsunfähig und danach eingeschränkt arbeitsfähig war, hat die Bekl. zu 1 bis 4 auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch genommen. Das LG hat die Klage nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgewiesen. Das OLG hat die Berufung hinsichtlich der Bekl. zu 4 als unzulässig verworfen und das Rechtsmittel im Übrigen nach Einholung eines medizinischen Gutachtens eines anderen Sachverständigen als unbegründet zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kl. sein Begehren hinsichtlich der Bekl. zu 1 bis 3 weiter. Die ursprünglich auch hinsichtlich der Bekl. zu 4 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat der Kl. zurückgenommen. Die Revision führte zur Auf hebung der Entscheidung des Berufungsgerichts insoweit die Berufung des Kl. hinsichtlich des Bekl. zu 1, 2 und 3 zurückgewiesen worden war.
Aus den Gründen: [3] I. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die nach der Operation bis zur Entlassung des Kl. festgestellten Laborwerte keine Hinweise auf eine Dehydration ergeben hätten. Deshalb sei es nicht behandlungsfehlerhaft gewesen, dass dem Kl. das einer Austrocknung entgegenwirkende Medikament „Minirin“ weder mitgegeben noch verordnet worden sei. Die Bekl. hätten aber gegen ihre Verpflichtung zur therapeutischen Auf klärung verstoßen und damit einen Behandlungsfehler begangen, als sie den Kl. bei seiner Entlassung am 3. 4. 1999 nicht in der gebotenen Form über die Gefahren einer Dehydration und auch nicht darüber aufgeklärt hätten, dass er sich bei entsprechenden Anzeichen sofort wieder in die Klinik bzw. zu seinem Hausarzt begeben müsse. Der Kl. habe jedoch nicht bewiesen, dass der fehlende Hinweis auf die Gefahr der Austrocknung und die nicht erfolgte Gabe von „Minirin“ für seinen eventuellen Hirninfarkt bzw. die eingetretenen Durchblutungsstörungen mit den daraus resultierenden Folgen ursächlich gewesen seien. Eine Umkehr der Beweislast finde insoweit nicht statt, da der unterbliebene Hinweis keinen groben, sondern nur einen einfachen Behandlungsfehler darstelle. [4] Für den Nachmittag des 6. 4. 1999 lasse sich ein Behandlungsfehler nicht feststellen. Die von dem Bekl. zu 3 vorgesehenen Schritte, nämlich eine sofortige Infusion und weitere diagnostische Maßnahmen, wären geeignet gewesen, der Austrocknung entgegen zu wirken und den Hormonmangel zu erkennen. Da der Kl. zu dieser Behandlung nicht bereit gewesen sei, scheide ein Behandlungsfehler aus. Das gelte selbst dann, wenn ihm und seiner damaligen Ehefrau die Risiken eines Flüssigkeitsmangels nicht deutlich gemacht worden seien. Es sei weder erforderlich noch möglich gewesen, den Kl. zur Behandlung in der Klinik zu zwingen. Jedenfalls habe der Kl. nicht bewiesen, dass eine etwaige unzureichende Auf klärung über die Notwendigkeit einer stationären Behandlung für den eingetretenen Gesundheitsschaden ursächlich gewesen sei. Eine Umkehr der Beweislast komme auch insoweit nicht in Betracht, denn eine unzureichende Auf klärung über die Risiken eines Flüssigkeitsmangels sei kein grober, sondern allenfalls ein einfacher Behandlungsfehler. [5] II. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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[6] 1. Die Revision wendet sich nicht dagegen, dass das Berufungsgericht keinen Behandlungsfehler darin gesehen hat, dass dem Kl. bei seiner Entlassung am 3. 4. 1999 das einer Austrocknung entgegenwirkende Medikament „Minirin“ weder mitgegeben noch verordnet worden ist. Diese Beurteilung entspricht den insoweit übereinstimmenden Bewertungen der beiden medizinischen Sachverständigen und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. [7] 2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht das Unterlassen eines deutlichen Hinweises auf die Gefahren einer Dehydration und auf die Notwendigkeit, sich bei entsprechenden Anzeichen sofort wieder in die Klinik oder zum Hausarzt zu begeben, nicht als groben, sondern als einfachen Behandlungsfehler eingestuft und deshalb eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Ursächlichkeit dieses Fehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden des Kl. (Hirninfarkt oder Durchblutungsstörungen) verneint hat. [8] a) Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine nicht hinreichende therapeutische Auf klärung einen ärztlichen Behandlungsfehler darstellen kann (Senatsurt. v. 27. 6. 1995 – VI ZR 32/94 –, VersR 1995, 1099, 1100). Die Einstufung eines solchen ärztlichen Fehlverhaltens als einfacher oder grober Fehler richtet sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalls, deren Würdigung weitgehend im tatrichterlichen Bereich liegt. Dabei hat das Gericht die von ihm vorzunehmende Beurteilung anhand der vom Sachverständigen unterbreiteten Fakten zu treffen (Senatsurtt. v. 10. 11. 1987 – VI ZR 39/87 –, VersR 1988, 293, 294; v. 23. 3. 1993 – VI ZR 26/92 –, VersR 1993, 836, 837; v. 29. 5. 2001 – VI ZR 120/00 –, VersR 2001, 1030; v. 19. 6. 2001 – VI ZR 286/00 –, VersR 2001, 1115 f.; v. 3. 6. 2001 – VI ZR 418/99 –, VersR 2001, 1116 f.; und v. 28. 5. 2002 – VI ZR 42/01 –, VersR 2002, 1026, 1027 f.). Revisionsrechtlich nachprüf bar ist, ob das Berufungsgericht den Begriff des groben Behandlungsfehlers verkannt und ob es bei der Gewichtung dieses Fehlers erheblichen Prozessstoff außer Betracht gelassen oder verfahrensfehlerhaft gewürdigt hat (ständige Rechtsprechung: vgl. etwa Senatsurt. v. 28. 5. 2002 – VI ZR 42/01 –, a. a. O. m. w. N.). [9] b) Vorliegend gründet sich die tatrichterliche Bewertung auf nicht hinreichende medizinische Darlegungen des Sachverständigen. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen war die Auf klärung des Kl. hinsichtlich der Risiken einer Dehydration sowie der Notwendigkeit, sich bei entsprechenden Anzeichen umgehend in ärztliche Behandlung zu begeben, unzureichend. Den darin liegenden Behandlungsfehler hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Ausführungen des zweitinstanzlichen Sachverständigen Prof. Dr. R. B. nicht als groben, sondern (nur) als einfachen Fehler eingestuft. Wie die Revision mit Recht geltend macht, findet sich in dem schriftlichen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. R. B. zu dieser Frage lediglich die Aussage, es könne kein ärztliches Fehlverhalten festgestellt werden, das einem Neurochirurgen schlechterdings nicht unterlaufen dürfe. Diese Einschätzung des Sachverständigen vermittelt keinerlei Fakten, sondern stellt eine nicht näher begründete Wertung dar, die in keiner Weise nachvollziehbar ist. Sie steht zudem in Widerspruch zu den Ausführungen des erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. H. B., der den unterlassenen Hinweis als schwerwiegend eingestuft und erklärt hat, dass so etwas eigentlich nicht passieren dürfe. Diesen Widerspruch hätte das Berufungsgericht – ggf. durch mündliche Anhörung der Sachverständigen – auf klären müssen (vgl. Senatsurtt. v. 14. 12. 1993 – VI ZR 67/93 –, VersR 1994, 480, 482; v. 27. 9. 1994 – VI ZR 284/93 –, VersR 1995, 195, 196; v. 9. 1. 1996 – VI ZR 70/95 –, VersR 1996, 647, 648; v. 27. 3. 2001 – VI ZR 18/00 –, VersR 2001, 859, 860; und v. 23. 3. 2004 – VI ZR 428/02 –, VersR 2004, 790,
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791; BGH, Urt. v. 13. 10. 1993 – IV ZR 220/92 –, VersR 1994, 162, 163). [10] Soweit das Berufungsgericht ausführt, dem erstinstanzlichen Sachverständigen Prof. Dr. H. B. sei deshalb nicht zu folgen, weil er den Hinweis auf die Austrocknungsgefahr noch nicht einmal als dokumentationspflichtig ansehe, weist die Revision mit Recht darauf hin, dass das Bestehen oder Nichtbestehen einer Dokumentationspflicht hinsichtlich eines erforderlichen Hinweises nichts darüber aussagt, ob das Unterbleiben eines solchen Hinweises ein einfacher oder ein grober Behandlungsfehler ist. Ob Prof. Dr. H. B. den mündlichen Hinweis auf die Austrocknungsgefahr tatsächlich für nicht dokumentationspflichtig gehalten hat, wogegen im Übrigen seine mündlichen Ausführungen bei seiner persönlichen Anhörung vor dem LG sprechen könnten, ist deshalb in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung. [11] Die Revision beanstandet zudem mit Recht, dass das Berufungsgericht gemeint hat, gegen die Annahme eines nicht groben Behandlungsfehlers spreche auch der Umstand, dass die diesbezügliche Problematik in dem Entlassungsbericht für den Hausarzt angesprochen worden sei. Diese richterliche Beurteilung steht in Widerspruch zu den vorangehenden Ausführungen im Berufungsurteil, in denen es heißt, die in dem an den Hausarzt gerichteten handschriftlichen Entlassungsbrief enthaltene Empfehlung einer weiteren endokrinologischen Kontrolle genüge nicht zur hinreichenden Auf klärung des Kl., weil der Brief nicht an ihn gerichtet gewesen sei, sich möglicherweise auch in einem verschlossenen Umschlag befunden habe und sich dem Kl. als medizinischem Laien nicht habe erschließen können, dass mit der genannten Empfehlung auf die Gefahr eines diabetes insipidus hingewiesen worden sei. [12] c) Da nicht auszuschließen ist, dass die Bewertung der unzureichenden Auf klärung als einfacher Behandlungsfehler möglicherweise anders ausgefallen wäre, wenn sich das Berufungsgericht auf ausreichende Tatsachengrundlagen gestützt hätte, kann die damit begründete Ablehnung einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs für den eingetretenen Gesundheitsschaden keinen Bestand haben. [13] 3. Die Revision wendet sich mit Recht auch gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich für den 6. 4. 1999 kein Behandlungsfehler feststellen lasse. Sie macht geltend, die mangelnde Mitwirkung (non-compliance) des Kl. an der erforderlichen stationären Behandlung schließe einen Behandlungsfehler deshalb nicht aus, weil der Kl. über das Risiko einer Nichtbehandlung nicht ausreichend aufgeklärt worden sei. [14] a) Das Berufungsgericht folgt der Bewertung des zweitinstanzlichen Sachverständigen Prof. Dr. R. B., der die von dem Bekl. zu 3 an diesem Tag verordnete Infusionsbehandlung in Verbindung mit weiterer Diagnostik als sachgerecht bezeichnet hat. Es lässt offen, ob der Kl. auf die besonderen Gefahren hingewiesen worden sei, die angesichts seines Gesundheitszustands bei einem Verlassen des Krankenhauses bestanden, unterstellt aber zugunsten des Kl., dass dieser nicht ausdrücklich auf das Risiko von Spätschäden infolge eines Flüssigkeitsmangels hingewiesen worden sei. Darin sieht es jedoch deshalb keinen Behandlungsfehler, weil Prof. Dr. R. B. in seinem Gutachten ausgeführt habe, es sei nicht erforderlich und auch nicht möglich gewesen, den Kl. zur Behandlung in der Klinik zu zwingen. Dem kann nicht gefolgt werden. Das Berufungsgericht verkennt, dass es für die Frage, ob den Ärzten der Bekl. zu 1 ein Behandlungsfehler unterlaufen ist, nicht darauf ankommt, ob der Kl. zu einer stationären Aufnahme hätte gezwungen werden können oder müssen. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass der Kl. über deren Notwendigkeit nicht in der gebotenen Weise informiert worden ist. Wie der erkennende Senat für den Fall der therapeutischen Auf-
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klärung entschieden hat, kann dem Patienten die Nichtbefolgung ärztlicher Anweisungen oder Empfehlungen mit Rücksicht auf den Wissens- und Informationsvorsprung des Arztes gegenüber dem medizinischen Laien nur dann als Obliegenheitsverletzung oder Mitverschulden angelastet werden, wenn er diese Anweisungen oder Empfehlungen auch verstanden hat (Senatsurtt. v. 17. 12. 1996 – VI ZR 133/95 –, VersR 1997, 449, 450; und v. 24. 6. 1997 – VI ZR 94/96 –, VersR 1997, 1357). Dass dies beim Kl. der Fall gewesen sei, lässt sich den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen, zumal das Berufungsgericht zugunsten des Kl. unterstellt, dass jedenfalls das Risiko von Spätschäden durch Flüssigkeitsmangel nicht ausdrücklich zur Sprache gekommen sei. Dass sich der Bekl. zu 3 trotz des reduzierten Allgemeinzustands des Kl. mit diesem unterhalten konnte, lässt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts für sich allein nicht darauf schließen, dass diesem die Gefährlichkeit einer Nichtbehandlung bewusst war, als er sich dazu entschloss, die Klinik zu verlassen. [15] b) Entgegen der Auffassung der Revision führt die mangelnde Auf klärung über die Erforderlichkeit einer weiteren Behandlung nicht ohne Weiteres zu einer Beweislast umkehr zugunsten des Patienten, wenn dessen mangelnde Mitwirkung auf dem Auf klärungsfehler beruht. Der Umstand, dass die vom Arzt geschuldete therapeutische Beratung zu den selbstverständlichen ärztlichen Behandlungspflichten gehört (Senatsurt. BGHZ 107, 222, 227 m. w. N.), rechtfertigt es für sich allein nicht, der Behandlungsseite die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass die Verletzung dieser Pflicht für die eingetretene Gesundheitsschädigung nicht ursächlich geworden ist. Nach gefestigter Rechtsprechung ist eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Fehler und einem eingetretenen Gesundheitsschaden nur dann gerechtfertigt, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. u. a. Senatsurt. v. 3. 7. 2001 – VI ZR 418/99 –, VersR 2001, 1116, 1117). Die Umkehr der Beweislast stellt keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden dar, sondern knüpft daran an, dass wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers die Auf klärung des Behandlungsgeschehens in besonderer Weise erschwert worden sein kann (st. Rspr.; vgl. u. a. Senatsurt. v. 24. 9. 1996 – VI ZR 303/95 –, VersR 1996, 1535, 1536). Diese Voraussetzung ist aber entgegen der Auffassung der Revision bei einer fehlerhaften therapeutischen Auf klärung nicht von vornherein zu bejahen, sondern hängt auch hier vom jeweiligen Einzelfall ab. Deshalb trägt der Patient – wie bei jedem anderen Behandlungsfehler auch – grundsätzlich die Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Behandlung und dem Gesundheitsschaden (Senatsurt. v. 24. 6. 1986 – VI ZR 21/85 –, VersR 1986, 1121, 1122). Eine Beweislastumkehr ist wie auch sonst bei Behandlungsfehlern nur gerechtfertigt, wenn sich der bei der therapeutischen Auf klärung unterlaufene Pflichtenverstoß des Arztes als grober Behandlungsfehler darstellt (vgl. Senatsurt. BGHZ 159, 48, 53 ff. m. w. N.). [16] c) Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der in einer etwaigen unzureichenden therapeutischen Auf klärung liegende Behandlungsfehler jedenfalls kein grober, sondern nur ein einfacher Fehler sei. Auch für diese tatrichterliche Bewertung fehlt es an hinreichenden medizinischen Darlegungen des Sachverständigen. Das Berufungsgericht verweist zur Begründung seiner Beurteilung lediglich auf seine vorhergehenen Ausführungen zur Ablehnung einer Umkehr der Beweislast bezüglich der Folgen der unzureichenden therapeutischen Auf klärung des Kl. bei seiner
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Entlassung am 3. 4. 1999. Inwieweit der Sachverständige Prof. Dr. R. B., dem das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang gefolgt ist, zu der unzureichenden Aufklärung über die Erforderlichkeit und Dringlichkeit der stationären Aufnahme des Kl. am 6. 4. 1999 Stellung genommen hat, wird nicht dargelegt. Wie die Revision mit Recht geltend macht, hat sich Prof. Dr. R. B. zu der Frage der Erforderlichkeit einer Auf klärung über das Risiko des Unterbleibens einer stationären Behandlung überhaupt nicht geäußert. Bei dieser Sachlage durfte das Berufungsgericht, das eigene medizinische Sachkunde nicht dargelegt hat, einen groben Behandlungsfehler auch in diesem Punkt nicht ohne ausreichende tatsächliche Feststellungen verneinen. [17] 4. Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen nachgeholt werden können. Anmerkung Adrian Schmidt-Recla Grober Behandlungsfehler + Mitverschulden = „Beweislast-Pingpong“? Die Entscheidung des VI. Zivilsenats kreist um zwei Hauptthemen. Einerseits geht es um die Ursächlichkeit einer unzureichenden therapeutischen Auf klärung für einen Gesundheitsschaden. Dazu hat sich der BGH bereits mehrfach geäußert. Der BGH erteilt hier Lehrstunden zum Verhältnis zwischen Behandlungsfehler und Dokumenta tionspflicht (s. dazu 1.). Andererseits geht es um die Frage, welche haftungsrechtlichen Folgen eine nicht ausreichende oder ganz verweigerte Mitwirkung des Patienten hat. Dabei ist fraglich (und in der Literatur wenig behandelt), wie eine eventuelle Mitwirkungspflicht des Patienten in die vertrags- und deliktsrechtliche Struktur der Arzt/PatientBeziehung einzuordnen ist. Weiter ist problematisch, ob die Nichtmitwirkung eine auf die Behandlungsseite übergegangene Beweislast wieder auf den klagenden Patienten zurückverlagern kann („Beweislast-Pingpong“; s. dazu 2.). Zudem drängt sich der Eindruck auf, dass bei einem an sich nicht schwer nachvollziehbaren medizinischen Geschehen und klar beschreibbaren ärztlichen Pflichten in den Instanzen eher nachlässig gearbeitet worden ist (s. dazu 3.). 1. Arztpflichten: Therapeutische Auf klärung. Der Arzt schuldet dem Patienten selbstverständlich die therapeutische Beratung. Ohne die Mitwirkung des Patienten lässt sich der Therapieerfolg regelmäßig nicht erreichen – vom vorliegenden Sachverhalt ausgehend lässt sich insbesondere auf Medikationsanweisungen und -empfehlungen hinweisen. Sobald der Arzt die Weiterbehandlung wenigstens teilweise in die Hand des Patienten legt, muss er ihn darüber auf klären, wie dieser sich in der Therapie richtig zu verhalten habe 1. Der Sachverhalt wirft hier keine großen Probleme auf. Selbst bei oberflächlichem medizinischem Wissen ist schnell einzusehen, dass ein operativer Eingriff an der Hypophyse dazu führen kann, dass Dehydration eintritt – ist es doch eben die Hypophyse, die für die Vasopressinregulation und damit für die Flüssigkeitsausscheidung verantwortlich ist. a) Behandlungsfehler. Dass es sich bei der Nicht- oder der Schlechterfüllung dieser Pflicht um einen Behand1) Schellenberg, VersR 2005, 1620, 1621. Priv.-Doz. Dr. iur. Adrian Schmidt-Recla, Juristenfakultät der Universität Leipzig, Burgstraße 27, 04109 Leipzig, Deutschland
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lungsfehler und nicht um eine Auf klärungspflichtverletzung handelt, braucht nicht weiter begründet zu werden. Insoweit besteht in der Rechtsprechung und der Literatur seit langem Einigkeit. Diese Pflicht kann sich – und auch hieran ist abzulesen, dass es sich bei der Verletzung der therapeutischen Auf klärung um einen Behandlungsfehler handelt – bei spezifischen Konstitutionen des Patienten (Suizidgefahr, sedierte Patienten) zu einer echten Überwachungspflicht steigern. Wie jeder Behandlungsfehler kann auch die Verletzung der therapeutischen Auf klärungspflicht grob sein, wenn sie „aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil sie dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen“ darf. Es kommt aber hierbei auf den Einzelfall an – eine fehlerhafte therapeutische Auf klärung ist nicht von vornherein ein grober Fehler. b) Behandlungsfehler und Dokumentationspflicht. Die Frage, ob der Behandlungsfehler grob ist oder nicht, kann schließlich nicht mit einem Hinweis darauf entschieden werden, ob der Arzt verpflichtet war, die Vornahme einer gebotenen Handlung zu dokumentieren. Wer so argumentiert (hier das OLG), riskiert ein kühles si tacuisses, jurista mansisses! Denn: Die den Arzt aus dem Arztvertrag treffende Dokumentationspflicht hat mit der Frage, ob ein Behandlungsfehler vorliegt und wie schwer dieser war, rein gar nichts zu tun. Die Dokumentationspflicht dient als Nebenpflicht vor allem der sachgerechten Auf klärung, Behandlung und Weiterbehandlung des Patienten. Sie kann deswegen überhaupt keine Indizwirkung für einen bereits begangenen Fehler haben. c) Prozessuale Konsequenzen. Der Streitfall ist ein Beleg dafür, dass sämtliche ärztliche Pflichtverletzungen (also nicht nur der klassische Behandlungsfehler) per se als Pflichtverletzung geeignet sind, dem Arzt den Entlastungsbeweis für die Nichtkausalität der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden aufzuerlegen, wenn sie besonders schwer wiegen. Auch das gegenständliche Urteil des BGH liefert keinen neuen Begründungsversuch für dieses Dogma: Die Beweislastumkehr sei keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden 2, sondern knüpfe daran an, dass die Auf klärung des Behandlungsgeschehens (der BGH meint: des Ursachenzusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und Schädigung) wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers in besonderer Weise erschwert sein kann. Diese Formulierung verwendet der BGH seit Jahrzehnten, ohne damit für Klärung in der Begründung sorgen zu können. Immerhin hat sich der BGH von der missverständlichen Aussage, dass es beim groben Behandlungsfehler „Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislast umkehr“ geben könne, wohl endgültig verabschiedet 3. 2. Patientenpflicht: Mitwirkung. a) Zur Herbeiführung des angestrebten Behandlungserfolges bedarf der die Behandlung schuldende Arzt in unterschiedlich weitem Ausmaß der Mithilfe des Patienten. Diese Mithilfe ist meist nichts anderes als ein den Anordnungen des Arztes entsprechendes Verhalten des Patienten. Die Nichtbefolgung therapeutischer Anweisungen oder Handlungsempfehlungen kann sich für den Patienten insofern haftungsrechtlich auswirken, als hierin entweder eine Obliegenheitsverletzung oder aber ein Mitverschulden erblickt wird. Beide sind nicht identisch. Die Verletzung einer Obliegenheit führt dazu, dass der Verletzer bestimmter Ansprüche verlustig geht bzw. bestimmte Leistungen zu erbringen hat, ohne dafür seinerseits eine Leistung zu erhalten. Als klassisch zu nennen ist hier die Gläubigerobliegenheit in § 326 Abs. 2 S. 1 BGB. Doch darum geht es im Arztrecht selten (etwa beim versäumten, nicht abgesagten Termin) und im Arzthaftungsrecht nie. Anders ist es mit dem Mitverschulden, § 254 BGB. Hierbei handelt es sich um ein Verteidigungsmittel der Behandlungsseite im Schadensersatzprozess. Die Literatur behandelt das Thema „Mitwirkungsdefizit als Mitverschulden“
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etwas stiefmütterlich 4. Uhlenbruck/Kern stellen einleitend fest, dass non-compliance, wenn sie zu einem Misserfolg der Behandlung führe, fast immer ein Mitverschulden des Patienten begründe 5. Wenzel hält fest, dass ein den Schaden mit verursachendes Verhalten des Patienten in Betracht komme, wenn dieser Diagnosemaßnahmen verweigere oder sich sonstigem ärztlichen Rat (zur allgemeinen Lebensführung, zu Nachsorgemaßnahmen und Wiedervorstellung) zuwider verhalte 6. Diese Aussage muss freilich relativiert werden: So spiele § 254 BGB im Arzthaftungsrecht nach Wagner nur eine Nebenrolle, weil der Patient wegen der zwischen den Parteien bestehenden Informationsasymmetrie in aller Regel nicht in der Lage sei, Behandlungsfehler des Arztes zu erkennen und sich darauf einzustellen 7. Auf das Gegenteil des hier streitgegenständlichen Problems bezogen meint Spickhoff, dass einen Patienten, der einem (unvollständigen) ärztlichen Rat folge, nur dann ein Mitverschulden treffe, wenn sich die Unvollständigkeit der Beratung auch einem medizinischen Laien objektiv oder wenigstens subjektiv hätte aufdrängen müssen; wovon selbst bei medizinischen Vorkenntnissen (des Geschädigten) nicht ohne weiteres ausgegangen werden könne. Dahinter stehe die zutreffende Tendenz, dass die Aufgaben- und Pflichtenkreise in Bezug auf die medizinische Behandlung klar dem Arzt zugewiesen blieben 8. In der bisherigen Rechtsprechung finden sich einige der hiesigen verwandte Sachverhaltskonstellationen 9. Auch hier wird regelmäßig betont, dass der Arzt einen Wissensund Informationsvorsprung habe, der das Fehlhandeln des Patienten überlagere und ein Mitverschulden des Patienten demnach normalerweise ausschließe. Der BGH hat weiter einschränkend bislang entschieden, dass die ausnahmsweise Berücksichtigung einer unterbliebenen oder mangelhaften Mitwirkung nur dann möglich sei, wenn der Patient die Anweisung oder Empfehlung, die er nicht befolgt hat, vorher auch verstanden hat 10. Das wiederholt der Senat im vorliegenden Urteil noch einmal ausdrücklich. Nun stellt sich aber die Frage, wie diese unterbliebene oder mangelhafte Mitwirkung zu berücksichtigen ist, wenn dem Arzt ein grober Behandlungsfehler zur Last fällt. b) In Betracht kommen prozessuale Konsequenzen. Das LG hatte im vorliegenden Fall (in seiner unveröffentlichten Entscheidung v. 21. 6. 2006 – 2-04 O 90/02 –) die den beklagten Ärzten vorzuwerfende Pflichtverletzung – dem in der ersten Instanz gehörten Sachverständigen folgend – als schwerwiegend eingestuft. Eine Beweisaufnahme über das behauptete Auf klärungsgespräch könne, so das LG, gleichwohl unterbleiben: Selbst wenn der unterlassene Hinweis 2) Bekanntlich nahm die Rechtsprechung zwar von hier aus ihren Anfang; s. dazu Katzenmeier, in: FS f. Laufs, 2005, S. 909, 910. Heute wird aber ausschließlich an objektive Kriterien angeknüpft. 3) Kritisch zum in dieser Abkehr verkörperten Alles-oder-NichtsPrinzip und seiner Begründung Spindler, AcP 208 (2008), S. 283, 328 – der im Ergebnis (S. 330 f.) aber für seine Beibehaltung plädiert. 4) S. allgemein Schellenberg, VersR 2005, 1620–1623. 5) Uhlenbruck/Kern, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 78, Rdnr. 1. 6) Wenzel, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 1. Aufl. 2007, Kap. 4, Rdnr. 376. 7) Wagner, in: MüKo/BGB, Bd. 5, 5. Aufl. 2007, § 823, Rdnr. 832. 8) Spickhoff, NJW 2003, 1701, 1706 f. 9) Chronologisch: BGH, NJW 1985, 2749–2752; BGH, NJW 1986, 775–776; BGH, NJW 1991, 748–749; KG, VersR 1991, 928–929; BGH, NJW 1992, 2961–2962; BGH, NJW 1997, 1635–1636 = MedR 1997, 319–321; BGH, NJW 1997, 3090–3091; OLG Braunschweig, VersR 1998, 459; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611–613; OLG Stuttgart, NJW-RR 2002, 1544; KG, GesR 2005, 250–252; OLG München, MedR 2006, 174–177. 10) BGH, NJW 1997, 1635–1636 = MedR 1997, 319–321; und NJW 1997, 3090–3091 = MedR 1998, 26.
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nämlich als grob fehlerhaft einzustufen sei, bleibe der Kläger beweisfällig für die Kausalität der fehlenden Auf klärung für den Schlaganfall; eine Umkehr der Beweislast finde nicht statt, weil der Kläger die stationäre Aufnahme verweigert habe 11. Das ist der springende Punkt: Stellt eine Verletzung der Mitwirkungspflicht die ursprüngliche Beweislastverteilungslage wieder her oder nicht? Sowohl das KG und das OLG Braunschweig als auch das OLG München waren bisher der Ansicht, dass die mangelnde Mitwirkung des Patienten beim groben Behandlungsfehler des Arztes beweisrechtlich relevant werde. Das KG argumentierte 1991 genau wie im vorliegenden Fall das LG: Zur Beweislastumkehr komme es nicht, wenn die sachgerechte Behandlung einer Erkrankung die Beachtung mehrerer etwa gleichrangiger Komponenten erfordere und der Patient selbst durch schuldhaftes Verhalten den ärztlichen Behandlungsbemühungen durch Vereitelung einer dieser Komponenten zuwiderhandele 12. In dieselbe Richtung geht auch die Ansicht des OLG Braunschweig: Seien die Umstände, die zu einer Schädigung geführt haben, nicht mehr auf klärbar, weil einerseits dem Arzt ein schwerwiegender Behandlungsfehler, andererseits dem Patienten ein ebenso schwerwiegendes Fehlverhalten vorgeworfen werden könne, rechtfertige dies keine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Arztes 13. 2006 hat auch das OLG München unter wörtlichem Bezug auf das KG angenommen, dass ein Mitverschulden sich nicht nur bei der Höhe der Schadensersatzansprüche auswirken könne, sondern bereits im Vorfeld dazu führen könne, die bei einem groben Behandlungsfehler des Arztes für den Patienten bestehenden Beweiserleichterungen zu versagen 14. Ob diese Argumentation zutrifft, beurteilt der BGH leider nicht – er musste es auch nicht tun, weil das OLG ohne tragfähige Begründung einen groben Behandlungsfehler verneint hatte (s. unten, sub 3.). Nach hier vertretener Ansicht kommt ein BeweislastPingpong bei der hier gegenständlichen Art von non-compliance nicht in Betracht. Kausalitätsnachweis und Verschulden müssen auseinander gehalten werden. So wenig wie die Umkehr der Beweislast zugunsten des Patienten eine Sanktion für schweres Arztverschulden ist, ebenso wenig kann ein Patientenverschulden zugunsten des Arztes auf den Kausalitätsnachweis zurückschlagen. Hier ist es vielmehr so, dass die mangelnde Mitwirkung des Patienten darauf beruht, dass der Arzt ihn nicht hinreichend beraten hat – die mangelnde Mitwirkung ist also letztlich vom Arzt zu verantworten 15. Das rechtfertigt es keineswegs, von der gefundenen Beweislastverteilung wieder abzugehen. Die von den genannten Oberlandesgerichten vertretene Ansicht läuft darauf hinaus, das Verschulden in den Tatbestand der Haftungsnorm zu verschieben, damit letztlich zu verobjektivieren und eine dem Grunde nach bestehende Arzthaftung (auch kostenrechtlich) a priori zu verhindern, weil die Beweislastumkehrregel bei § 280 BGB ohnehin einheitlich und bei § 823 BGB für Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung gilt 16. Demgegenüber muss daran erinnert werden, dass es erst dann, wenn der Kausalitätsnachweis geführt ist, auf das Verschulden ankommen kann. Erst dann kann ein eventueller Schadensbeitrag des Patienten anspruchsmindernd wirken. Das bedeutet: Beim groben Behandlungsfehler hat der Arzt die Nichtursächlichkeit der eigenen Pflichtverletzung für den Schaden zu beweisen. Ist dem Patienten ein Mitverschulden vorzuwerfen, ist im Anschluss der dem Grunde nach bestehende Schadensersatzanspruch zu kürzen. 3. Sachverständigenschelte. Schließlich maßregelt der BGH den in der zweiten Instanz beauftragten Sachverständigen, der in seinem Gutachten für das OLG lediglich bemerkt hatte, es könne „kein ärztliches Fehlverhalten festgestellt werden, das einem Neurochirurgen schlechterdings nicht unterlaufen dürfe“. Dieser Sachverständige hatte in
MedR (2010) 28: 105−108 105
seinem Gutachten lediglich die gängige Definitionsfloskel vom groben Behandlungsfehler verwendet. Das genügt dem BGH nun keineswegs, und es hätte auch dem OLG schon nicht genügen dürfen. Mit einem Satz zerpflückt der BGH die Argumentation des OLG: Der Sachverständige habe – so der BGH – nicht normativ zu werten (und das schon gar nicht in „in keiner Weise nachvollziehbarer Weise“), sondern er habe die empirischen Daten zu liefern, von denen ausgehend eine Wertung getroffen werden könne. Ganz zu Recht verweist der BGH damit den Sachverständigen erneut in deutlichen Worten auf seine ihm (zivil- und straf-)prozessual zustehende Rolle als „Richtergehilfe“ und nimmt ihm den Nimbus des „Richters in Weiß“, dem das OLG möglicherweise erlegen ist. 11) Das OLG ist dem nicht gefolgt und hat sich aus der Aff äre zu ziehen versucht, indem es einen groben Behandlungsfehler verneint hat (den das LG bejaht hatte). Dieses Argument ist vor dem BGH gescheitert – das OLG hat es sich mit seinem Sachverständigen zu einfach gemacht (unten, sub 3.). 12) KG, VersR 1991, 928. Diese Ansicht hat das KG auch 2005 vertreten; vgl. KG, GesR 2005, 251 f. 13) OLG Braunschweig, VersR 1998, 459. 14) OLG München, MedR 2006, 174, 176. 15) Vgl. auch Schellenberg, VersR 2005, 1620, 1623. 16) Zum Gleichlauf der Beweislastsonderregel bei vertraglicher und deliktischer Handlung vgl. schon BGH, VersR 1971, 227, 229; Katzenmeier (Fn. 2), S. 909, 911.
Vertragsarztzulassung als Nachfolger des bisherigen Praxisinhabers als aufschiebende Bedingung eines Praxiskaufvertrages BGB §§ 158 Abs. 1, 812 ff.; SGB V § 103 Abs. 4
„Zulassung als Vertragsarzt“ als aufschiebende Bedingung in einem Praxiskaufvertrag meint die im Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 4 SGB V erteilte Zulassung als Nachfolger des bisherigen Inhabers der verkauften Praxis und nicht irgendeine (Nachfolge-)Zulassung. KG, Urt. v. 20. 7. 2009 – 12 U 36/08 (LG Berlin) (nicht rechtskräftig)
Problemstellung: Die Entscheidung ist nur auf Grund des Nachbesetzungsverfahrens gemäß § 103 Abs. 4 SGB V denkbar – und zeigt die fatalen Auswirkungen einer fehlerhaften Gesetzesanwendung durch die Zulassungsgremien. Der Ablauf der Ereignisse war (unter Zuhilfenahme des Urteils erster Instanz: LG Berlin, Urt. v. 15. 1. 2008 – 27 O 812/07 –) Folgender: Der Bekl. hatte mit den Erben einer verstorbenen Augenärztin einen Praxiskaufvertrag unter der aufschiebenden Bedingung der „Zulassung als Vertragsarzt“ geschlossen, war sodann aber nicht als Nachfolger zugelassen worden. Er erhielt statt dessen die Zulassung einer anderen Ärztin, auf die er sich gleichfalls beworben hatte. Diese andere Ärztin hatte mit der Verstorbenen eine Praxisgemeinschaft unterhalten und sie nach ihrem Ableben zu Gunsten der Erben (vgl. § 4 Abs. 3 BMV-Ä) zeitweise vertreten. Zur Vorbereitung der Praxisübernahme durch den Bekl. hatte die Vertretungsärztin noch sämtliche sächlichen Praxisressourcen in andere, vom Bekl. bereits vorbereitend angemietete Eingesandt von VorsRiKG Adalbert Griess, Berlin; bearbeitet von Rechtsanwalt Dr. iur. Andreas Meschke, Fachanwalt für Medizinrecht, Möller & Partner Kanzlei für Medizinrecht, Pfeifferstraße 6, 40625 Düsseldorf, Deutschland