Einführung zum Thema Monatsschr Kinderheilkd 2008 · 156:529–530 DOI 10.1007/s00112-008-1766-z Online publiziert: 21. Mai 2008 © Springer Medizin Verlag 2008
M.J. Lentze Zentrum für Kinderheilkunde, Universität Bonn
Otitis media Die akute Mittelohrentzündung ist die häufigste Krankheit, deretwegen ein Kind beim Arzt vorgestellt wird. Besonders bei Kindern unter zwei Jahren kommt sie häufig vor und ist Gegenstand ständiger Diskussionen über die notwendige Behandlung innerhalb der Ärzteschaft, aber auch zwischen Eltern und Ärzten, wenn es um die Frage der antibiotischen Therapie geht. Die Leitlinien über die Otitis media (http://www.uniduesseldorf.de/AWMF/ll-na/026-004.htm) geben zu dieser Frage keine Antwort und neigen eher zur antibiotischen Therapie. Sie sind allerdings – wie viele andere Leitlinien auch – etwas in die Jahre gekommen und bedürfen sicherlich einer Weiterentwicklung. > Die Leitlinien zur Otitis
media bedürfen einer Weiterentwicklung
Ob der Sachverhalt aus den vorliegenden Daten in der wissenschaftlichen Literatur klarer wird, soll neben der Beschreibung des Krankheitsbildes und seiner Komplikationen in diesem Schwerpunktheft der „Monatsschrift Kinderheilkunde“ dargestellt werden. Antibiotika JA oder NEIN ist die entscheidende Frage. Über Risikofaktoren, die eine Otitis media begünstigen, bestehen kaum widersprüchliche Meinungen. Sie haben sich in den letzten Jahren deutlich herausgestellt und können folgendermaßen bezeichnet werden: F Tagesbetreuung außerhalb der Familie (also in Kindergärten, Kindertagesstätten) F Rauchende Familienmitglieder F Ein oder mehrere Geschwister F Otitis media bei anderen Familienmitgliedern F Gebrauch von Schnullern F Verzicht auf das Stillen in den ersten drei Monaten
Hierbei kommt der Prävention eine große Rolle zu. So sollten Eltern ermuntert werden, neben der allgemeinen Stillförderung, die wir Kinderärzte ja immer propagieren, auf das Rauchen in der Wohnung zu verzichten sowie den Gebrauch von Schnullern einzuschränken. F. Bootz von der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten des Universitätsklinikums Bonn stellt die Otitis media mit ihren klinischen Aspekten inklusive der Komplikationen ausführlich dar. Er zeigt die Symptome, die Diagnosestellung und die Komplikationen anschaulich auf. Vor allem bei den letzteren ist es von entscheidender Bedeutung, dass eine operative Therapie unbedingt angezeigt ist. Die Zusammenarbeit mit unseren HNO-Kollegen ist dabei die unmittelbare Konsequenz – insbesondere dann, wenn sich eine akute Mastoiditis oder ein Cholesteatom entwickelt. D. Bassler von der Universitätskinderklinik Tübingen und J. Forster von der Abteilung für Kinderheilkunde und Jugendmedizin St. Hedwig im St. Josefskrankenhaus Freiburg stellen ausführlich die gegenwärtige Datenlage, insbesondere die Evidenz für unser therapeutisches Vorgehen bei Otitis media dar. Die Eckpunkte ihrer therapeutischen Empfehlungen sind folgende: Eine kausale antibiotische Therapie ist bei einer akuten Otitis media in Verbindung mit einer Otorrhö sowie einer bilateralen Otitis von Kindern unter zwei Jahren zu empfehlen. Bei Kindern über zwei Jahren kann auf eine primäre antibiotische Therapie verzichtet werden, da die Spontanheilungsrate mit 80% hoch ist. Allerdings erfordert dieser Schritt Nachkontrollen des Befundes. Ohrenschmerzen können wirkungsvoll mit Paracetamol oder Ibuprofen behandelt werden. Ob durch die „Nichtbehandlung“ mit Antibiotika eine akute Mastoiditis verhin-
dert werden kann, bleibt unklar. Das Antibiotikum der ersten Wahl ist Amoxicillin. Die Kombination mit Clavulansäure ist dann zu empfehlen, wenn Hinweise für eine erhöhte β-Laktamasebildung bestehen, z. B. bei Haemophilus, S. pneumoniae und Moraxella. Die Dauer der antibiotischen Therapie bleibt noch ein wenig unklar, da die Datenlage zwischen 5 und 10 Tagen schwankt. In den meisten Fällen sollte eine Behandlung über 5 Tage ausreichen. > Die Pneumokokkenimpfung
ist ein Instrument zur Prävention der Otitis media
Große Hoffnungen auf eine Verminderung der Prävalenz der akuten Otitis media waren in die Pneumokokkenimpfung gesetzt worden. U. Heininger vom UniversitätsKinderspital beider Basel geht ausführlich auf die derzeitige Datenlage der Pneumokokkenimpfung und Otitis media ein. Hierbei ist der Erfolg der Pneumokokkenimpfung im Rahmen des nationalen Impfprogramms in den Vereinigten Staaten von Amerika seit dem Jahr 2000 ermutigend und erfreulich. Es ist damit zu rechnen, dass sich dieser Erfolg auch in Deutschland einstellt – vorausgesetzt, es werden genügend Säuglinge mit dem PneumokokkenKonjugatimpfstoff entsprechend der Empfehlung der STIKO geimpft. Damit steht ein weiteres Instrument für die Prävention von akuter Otitis media und Pneumonie zur Verfügung. H.W. Pau von der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten, Kopf- und Hals-Chirurgie der Universität Rostock geht auf die häufigste Komplikation der akuten Otitis media ein, die seröse Otitis media und das Seromukotympanon. Vor allem das flüssigkeitsgefüllte Mittelohr kommt in den ersten drei Lebensjahren oft Monatsschrift Kinderheilkunde 6 · 2008
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Leserservice: Themenübersicht vor und stellt die häufigste Ursache für einen erworbenen Hörverlust im Kindesalter dar. Da damit auch die Sprachentwicklung unmittelbar betroffen ist, muss die seröse Otitis media frühzeitig diagnostiziert und behandelt werden. Der Tympanometrie und der Tonaudiometrie kommt hierbei eine zentrale Bedeutung zu. Therapeutisch diskutiert Pau die Parazentese mit Absaugung des Ergusses und die Einlage von Paukenröhrchen mit allen ihren Vor- und Nachteilen. Dabei sollte auch die Durchführung einer Adenotomie erwogen werden. Es ist zu hoffen, dass sich die Kampagnen zur Stillförderung, zum Nichtrauchen und der allgemeinen Pneumokokkenimpfung durchsetzen. Damit wäre eine sehr effektive Primärprävention der Otitis media im Säuglings- und Kleinkindesalter erreicht.
„Monatsschrift Kinderheilkunde“ bietet Ihnen jeden Monat umfassende und aktuelle Beiträge zu interessanten Themenschwerpunkten aus allen Bereichen der Pädiatrie. Wir haben die Jahrgänge 2007/2008 im Überblick für Sie zusammengestellt:
2007 F Heft 01/07 Originalien F Heft 02/07 Biologische Arzneimittel F Heft 03/07 Harnwegsinfektionen F Heft 04/07 Lese- und Rechtschreib-Schwäche F Heft 05/07 Fieber/Fieberkrampf F Heft 06/07 Neurologische Entwicklungen und ihre Störungen F Heft 07/07 Schlafstörungen F Heft 08/07 Pharmakovigilanz F Heft 09/07 Essstörungen F Heft 10/07 Verhaltensstörungen F Heft 11/07 Posttransplantationskrankheiten F Heft 12/07 Erythropoetin im Kindesalter 2008 F Heft 01/08 Sportmedizin F Heft 02/08 Hautkrankheiten bei Kindern F Heft 03/08 Störungen der Geschlechtsentwicklung F Heft 04/08 Genetik F Heft 05/08 Ausbildung Kinder- und Jugendmedizin F Heft 06/08 Otitis media F Heft 07/08 Kinderschutz F Heft 08/08 ADHS F Heft 09/08 Stimme und Sprachstörungen F Heft 10/08 Schilddrüsenerkrankungen F Heft 11/08 Probiotika F Heft 12/08 Hirntumoren
M.J. Lentze
Korrespondenzadresse Prof. Dr. M.J. Lentze Zentrum für Kinderheilkunde, Universität Bonn Adenauerallee 119, 53113 Bonn
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