Jörg Schumacher, Peter Weiß
Prozess- und Data Governance als strategischer Ansatz zur Verbesserung der Prozess- und Datenqualität in Unternehmen Das Stammdatenmanagement steht unter Druck, den geleisteten Beitrag zum Unternehmenserfolg aufzuzeigen. Der Wertbeitrag von Stammdatenmanagement (MDM – Master Data Management) ist meist nicht oder nur indirekt erkenn- bzw. bestimmbar. Dieser Herausforderung hat sich das »Product and Master Data Management Centre« (PMDMC) angenommen. Mit einem Prozess- und Data-Governance-Ansatz soll der Wertbeitrag von Stammdaten in direktem Zusammenhang mit den Geschäftsprozessen ermittelt werden. Ziele sind die Schaffung von mehr Transparenz, die Analyse der Wirkungszusammenhänge zwischen Stammdaten und Geschäftsprozessen sowie die Nutzung von Standards am Beispiel des Klassifikationsstandards eCl@ss.
Inhaltsübersicht 1 2 3 4 5
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Stammdaten und ihre Qualität Wie agiert die Praxis Prozess- und Data Governance Empfehlungen für MDM Literatur
Stammdaten und ihre Qualität
Datenqualität entwickelt sich mehr und mehr zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil und einem der wertvollsten Aktivposten für Unternehmen. Stammdaten bilden die Basis für den Einsatz von IT-Systemen zur Unterstützung unternehmerischer Entscheidungen [Renth 2009, S. 25; Dreibelbis et al. 2008, S. 2]. Ferner bilden Stammdaten die Basis zur Ausführung von Geschäftsprozessen. Stammdaten sind Daten, die über einen längeren Betrachtungszeit-
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raum unverändert und immer wieder in Geschäftsprozessen und Transaktionen benötigt werden [Hildebrand et al. 2008; Benz & Höflinger 2008]. Stammdaten sind »[…] zustandsorientierte Daten, d. h. sie dienen der Identifikation, Klassifikation und Charakterisierung von spezifischen Sachverhalten« [Hawig 2008, S. 48]. Bewegungsdaten ergeben sich im Gegensatz dazu aus Prozessen, Geschäftsvorfällen bzw. Transaktionen [Benz & Höflinger 2008]. Primäre Zielsetzung von Stammdatenmanagement (MDM – Master Data Management) ist es, die Stammdaten in einen redundanzfreien, harmonisierten und an zentraler Stelle bereitgestellten und gepflegten Datenbestand in der IT-Landschaft eines Unternehmens zu überführen, d.h., alle Bereiche bzw. Funktionen und Geschäftsprozesse sind mit konsistenten Stammdaten zu versorgen [Krcmar 2010, S. 131; Legner & Otto 2007, S. 2 ff.; Loshin 2009, S. 8 ff.]. Allerdings muss in diesem Zusammenhang eine Nutzen-Aufwand-Relation vor dem Hintergrund des erzielbaren Wertbeitrags betrachtet werden.
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Wie agiert die Praxis
In der Literatur finden sich zahlreiche Ansätze und Empfehlungen, wie MDM im Unternehmen zu organisieren und auszurichten ist (vgl. hierzu [Renth 2009], [Russom 2006], [Legner & Otto 2007]). Diese Ansätze und Empfehlungen lassen sich aber meist nicht direkt oder nur eingeschränkt auf ein zu betrachtendes Unternehmen anwenden. Anforderungen sind individuell zu betrachten und die strategische Ausrichtung von MDM unterscheidet sich stark nach Umfeld,
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Prozess- und Data Governance Marktanforderungen, Entwicklungsstand bzw. Branche eines Unternehmens. Die Mehrheit der vom PMDMC befragten Unternehmen1 stimmen zu, dass im Unternehmen regelmäßig Daten (Kennzahlen, Produktivität) erhoben werden, um die Qualität des MDM kontinuierlich zu verbessern. Allerdings besteht meist keine klare Vorstellung vom notwendigen Aufwand (monetär und prozessual). Die Verbesserung von Geschäftsprozessen wird von der Mehrheit der befragten Unternehmen2 als Ziel für die Nutzung eines MDM-Systems angegeben. Heutzutage wird MDM in den befragten Unternehmen in unterschiedlichen IT-technisch unterstützten Funktionen genutzt (vgl. Abb. 1). In den Unternehmen existieren je nach Ausrichtung und Zielsetzung unterschiedliche Systematiken und Architekturansätze zum Stammdatenmanage-
ment. Stammdaten werden nicht nur zentral in einem Stammdatenmanagementsystem bearbeitet und genutzt, sondern dienen unterschiedlichen Applikationen und Organisationsbereichen. Sie sind ferner sowohl über die einzelnen Phasen eines (Produkt-)Lebenszyklus als auch einen definierten Gültigkeitszeitraum zu betrachten [Hawig 2008, S. 48]. Die Anlage und Pflege der Stammdaten erfolgt unter Nutzung spezieller IT-Systeme vielfach zentral, aber auch dezentral für speziell benötigte Sichten bzw. Segmente. Die Integration, Konsolidierung und Harmonisierung der Stammdaten in den Geschäftsprozessen als wesentliche Aufgabe eines operativen Stammdatenmanagements geschieht häufig dezentral in den jeweiligen Funktionsbereichen. Eine funktionsbereichsübergreifende harmonisierte
Stammdatenmanagement und Funktionen Welche IT-technisch unterstützten Funktionen nutzen aktuell Stammdatenmanagement? 90,9% 68,2% 50,0% 36,4% 31,8%
27,3% 22,7%
18,2%
So ns tig es
Ka ta lo gd at en In st an dh al tu ng
SR M
M D M
BI
9,1%
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PI
M
9,1%
ER P
100,0% 90,0% 80,0% 70,0% 60,0% 50,0% 40,0% 30,0% 20,0% 10,0% 0,0%
ERP = Enterprise Resource Planning, PIM = Personal Information Manager, CRM = Customer Relationship Management, CMS = Content Management System, BI = Business Intelligence, SRM = Supplier Relationship Management
Abb. 1: Nutzung von MDM nach IT-technisch unterstützten Funktionen [PMDMC 2010] 1. Das »Product and Master Data Management Centre« (PMDMC) führt seit 2009 eine Studie zu existierenden Ansätzen und strategischen Ausrichtungen von Stammdatenmanagement in der Industrie durch. Der Fokus liegt auf technischen Materialstammdaten, deren Qualität für das Anlagenmanagement in der produzierenden Industrie bedeutend ist. 2. PMDMC-Studie 2009/2010: Bis Mitte 2010 erfolgte eine Befragung (Phase 1 + 2), an der sich bisher ausgewählte 25 Unternehmen beteiligt haben. Die Antworten von 22 Unternehmen wurden ausgewertet. Die Umfrage ist aktuell in Vorbereitung der Phase 3. Die Studie verfolgt einen explorativen Ansatz.
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Prozess- und Data Governance Nutzung von Stammdaten wird dadurch in den Unternehmen behindert. Viele Unternehmen lassen bisher eine globale, prozessorientierte Betrachtung von MDM vermissen und erreichen keine harmonisierte und durchgängige Verwendung von Stammdaten in den Geschäftsprozessen. Stammdaten schaffen die Voraussetzungen für durchgängige Geschäftsprozesse in Unternehmen. Dies wird von den Unternehmen häufig nicht in einem direkten Zusammenhang gesehen. Maßnahmen des MDM müssen darauf ausgerichtet sein. Indikator für eine hohe Datenqualität ist der Grad der Eindeutigkeit und Durchgängigkeit der definierten Objekte in den Geschäftsprozessen. Dieser Sachverhalt und weitere Zielsetzungen des MDM in den befragten Unternehmen sind in Abbildung 2 dargestellt. Die Pflege von Stammdaten im Unternehmen benötigt Ressourcen und verursacht dadurch zusätzliche Kosten für ein Unternehmen. Erfüllen Stammdaten nicht den vom Nutzer verlangten Zweck, ist die Qualität zu schlecht. Die Auswir-
kungen schlechter Datenqualität entwickeln sich dann zu einem Kostentreiber, indem zusätzlicher Aufwand in einzelnen Geschäftsvorfällen entsteht, meist in Form von manuellen Eingriffen zur Korrektur, durch Nachfragen und Nachbesserungen, um auf aufgetretene Fehler zu reagieren bzw. sie abzustellen. Die beschriebenen Probleme und Entwicklungen setzen die Unternehmen zunehmend unter Druck, gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Datenqualität zu erreichen. Verbesserungsmaßnahmen werden in Verbindung mit steigenden Anforderungen hinsichtlich Planungsprozessen (insbesondere in der Materialwirtschaft), Berichterstattung und Entscheidungsfindung durchgeführt.3 Für die Mehrheit der Unternehmen genießt MDM intern nach wie vor eine eher geringe Priorität (vgl. Studie zum Entwicklungsstand des Stammdatenmanagements in der deutschen Industrie [ASEACO 2009]). Abbildung 3 zeigt die Ergebnisse der PMDMC-Umfrage hinsichtlich zukünftiger
%
Prozesse verbessern
Ͳ
Kosten sparen Analytische Systeme
Harmonisierung
Heterogene IT-Systeme
),*+*
Abb. 2: Zielsetzung Stammdatenmanagement [PMDMC 2010] 3. Es erfolgte beispielsweise eine Umfrage des Data-Warehousing-Instituts TDWI im Jahr 2006 zur Nutzung von Stammdaten in Industrieunternehmen. Auf die Frage, wo die Probleme aufgrund schlechter Stammdaten im Unternehmen auftreten, kamen die häufigsten Antworten aus dem Themengebiet der Analyse von Daten, wie Berichterstattung, Entscheidungsfindung und Datenrecherche [Russom 2006, S. 7].
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Prozess- und Data Governance
[H] Zukünftige Ausrichtung und Handlungsfelder für Stammdatenmanagement Bitte beschreiben Sie die zukünftige Ausrichtung und bewerten Sie die Handlungsfelder für Stammdatenmanagement im Unternehmen. Zustimmung
Ablehnung
Neutral
Nicht relevant (n.r.)
(1) Pflegeprozesse hohe Priorität 90% (2) Anforderungen an Qualität des MDM steigen 80% (12) Beim MDM zukünftig stark Kosten einsparen 70% 60% 50% (3) Aktuell gezielte Projekte zur Verbesserung (11) Kennzahlen/quantitative Daten 40% 30% 20% 10% (4) Anforderungen betriebl. Berichtswesen steigen 0% (10) Globalere Ausrichtung
(5) Integration von Daten aus bestehenden ,7Systemen
(9) Stärkere Einbindung von ext. Lieferanten
(8) Zeiterscheinung/Hype-Thema
(6) Steigende regulatorische Anforderungen zur Ausführung v. Prozessen
(7) Investitionen in Verbesserung des MDM
Abb. 3: Zukünftige Ausrichtung und Handlungsfelder von MDM [PMDMC 2010]
Handlungsfelder und Herausforderungen von MDM. Die Integration von Daten aus bestehenden IT-Systemen sowie die Reaktion auf steigende regulatorische Anforderungen zur Ausführung von Geschäftsprozessen wird von über 80 Prozent der befragten Unternehmen als Handlungsfeld genannt. Die Reaktion auf steigende Anforderungen aus einzelnen Funktionsbereichen stellt aktuell eine wesentliche Herausforderung für MDM in den befragten Unternehmen dar. Die Schulung der Mitarbeiter des MDM erfolgt bei der Mehrheit der befragten Unternehmen intern. Training und Qualifikation der Mitarbeiter ist mit Kosten für das MDM verbunden. Gleichzeitig werden die mit MDM verbundenen Tätigkeiten und Aufgaben intern als wenig attraktiv empfunden. Als Gründe sind geringe interne Anerkennung und wenig Ansehen dieser Funktion im Unternehmen zu nennen. Über 80 Prozent der befragten Unternehmen wünschen sich deshalb mehr Unterstützung und Anerkennung durch das Topmanagement (vgl. Abb. 4).
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Stammdatenmanagement stellt intern auch einen erheblichen Kostenfaktor dar. Dies ist problematisch, da der Wertbeitrag des MDM oft nur indirekt ersichtlich ist. Wenn betriebliche Abläufe und Transaktionen von guter Datenqualität profitieren, tritt dies meist nicht direkt in Erscheinung bzw. wird nicht als Ergebnis bzw. Leistung des MDM erkannt bzw. honoriert. MDM tritt stattdessen primär reaktiv oder als Anlaufstelle bei auftretenden Problemen in Erscheinung. Vor dem Hintergrund der bereits dargestellten Ergebnisse und Zusammenhänge, insbesondere bezüglich steigender Anforderungen von Datenqualität durch Applikationen und IT-Systeme, werfen diese Erkenntnisse wichtige Fragen auf hinsichtlich der richtigen Aufstellung und strategischen Ausrichtung von MDM in den Unternehmen. Die Verantwortlichen in den befragten Unternehmen zeigen hier starkes Interesse am Erfahrungsaustausch (Best Practices) und Bedarf der Positionierung bzw. Bewertung des eigenen MDM im direkten Vergleich mit anderen Unter-
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Prozess- und Data Governance
[G] Organisation Stammdatenmanagement (Governance) Bitte beschreiben Sie die aktuelle Organisation (Governance) des Stammdatenmanagement im Unternehmen. Zustimmung
Ablehnung Neutral (1) zuständige, ausgewiesene Einheit/Stelle 100%
Nicht relevant (n.r.)
80% (7) Regelm. Benchmarks Markt
(2) Mehr Unterstützung d. TopPJW.
60% 40% 20% 0%
(6) Stammdatenprobleme schlecht kommuniziert/erfasst
(5) Verantwortlichkeiten sollten besser geregelt sein
(3) Bedeutung aktuell überbewertet
(4) Reines Problem d. IT-Abteilung
Abb. 4: Organisation Stammdatenmanagement [PMDMC 2010]
nehmen (Benchmark). Ausgehend von der Hypothese, dass MDM direkte Auswirkungen auf den Erfolg eines Unternehmens hat,4 werden die aktuellen Entwicklungen viele Unternehmen in den nächsten Jahren noch vor große Herausforderungen stellen.
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Prozess- und Data Governance
Stammdaten in der erforderlichen Qualität zu erstellen ist Aufgabe des Datenqualitätsmanagements (DQM). In der Literatur werden MDM und Datenqualitätsmanagement meist getrennt voneinander betrachtet. In der unternehmerischen Praxis erfolgt diese Trennung allerdings kaum. MDM und DQM werden in direktem Zusammenhang gesehen und vielfach organisatorisch demselben Bereich im Unternehmen, meist dem
MDM, zugeordnet. In diesem Beitrag wird unter Data Governance ein Ansatz zur ganzheitlichen Festlegung von Anforderungen an Datenqualitätsmanagement, operatives und analytisches MDM verstanden (vgl. Abb. 5). Geschäftsprozessanalysen sorgen hier für mehr Transparenz und beschreiben anschaulich existierende Medienbrüche und Systemübergänge. Die Analyse von Datenproblemen in den Geschäftsprozessen stellt daher ein wichtiges Ziel dar. Der Prozess- und Data-Governance-Ansatz hat zum Ziel, den positiven Einfluss von MDMMaßnahmen auf den Unternehmenserfolg zu erfassen und transparenter darzustellen. Die Messung erfolgt mithilfe von Indikatoren bzw. Kennzahlen zur Bestimmung des Wertbeitrags5. Kennzahlen messen u.a. die Intensität und Dynamik der Nutzung von Stammdaten in
4. In der Literatur wird ein direkter Zusammenhang zwischen Stammdatenmanagement und Unternehmenserfolg genannt (vgl. hierzu [Hildebrand et al. 2008], [Hawig 2008], [Benz & Höflinger 2008]). Stammdatenmanagement hat demnach direkte Auswirkungen auf den Erfolg eines Unternehmens und sollte daher zunehmend in den Mittelpunkt betrieblicher Entscheidungen rücken [Pfeiffer 2006]. 5. Unter Wertbeitrag ist hier der monetäre messbare Nutzen zu verstehen, der mit Verwendung von qualitativ hochwertigen Stammdaten in den Geschäftsprozessen für das Unternehmen entsteht.
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Prozess- und Data Governance
Analytisches Stammdatenmanagement
Operatives Stammdatenmanagement
Datenrecherche Berichterstattung Entscheidungsfindung
Identifikation Konsolidierung Harmonisierung Integration Synchronisation
DatenqualitätsPanagement Qualitätsorientierte Modellierung Erzeugung Verarbeitung Speicherung
Abb. 5: Disziplinen in der Data Governance
den Geschäftsprozessen durch die Funktionsbereiche. Der Lebenszyklus von Stammdaten umfasst die Aktivitäten Anlegen, Ändern, Verwendung sowie Löschen. Fehlerhafte oder inkonsistente Stammdaten können nachgelagerte betriebliche Abläufe blockieren oder verzögern und somit hohen Aufwand zur Nachbearbeitung und Korrektur erzeugen. Eine Prozess- und Data Governance verfolgt deshalb einen prozessorientierten Ansatz. Die Verwendung von Stammdaten in den einzelnen Funktionsbereichen muss analysiert werden. Nur durch unternehmensweit abgestimmte und global einheitliche Systematik und Vorgehensweise lassen sich die auftretenden Probleme in den Geschäftsprozessen dauerhaft lösen.
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Empfehlungen für MDM
Die empirischen Ergebnisse geben Hinweis darauf, dass die strategischen Aufgaben und Zielsetzungen des MDM im Unternehmen aktuell zwar eine hohe Priorität haben, das MDM organisatorisch allerdings eher eine untergeordnete Rolle innehat. Mehr Unterstützung durch das Topmanagement würde der Bedeu-
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tung des MDM gerecht werden und zugleich die Attraktivität und Anerkennung des MDM intern steigern. Wirkungszusammenhang Datenqualität und Unternehmenserfolg Die Anforderungen hinsichtlich der späteren Verwendung von Stammdaten sind für die Mehrheit der befragten Unternehmen (je nach Funktionsbereichen, Abteilungen) meist sehr unterschiedlich. Häufig besteht nur wenig Transparenz darüber, wie die Daten in den vorund nachgelagerten Geschäftsprozessen verwendet werden, was eine wesentliche Ursache für später auftretende Probleme und Qualitätsmängel ist. Eine prozessorientierte Data Governance stellt hierzu geeignete Rollenkonzepte und Zugriffsberechtigungen bereit. Sie ist verantwortlich für Validierung und Korrektur sowie Ergänzung der Stammdaten, aber auch für eine reibungslose Überführung von bestehenden Stammdaten zwischen unterschiedlichen IT-Systemen. Die Vorgehensweise wird durch folgendes Beispiel veranschaulicht.
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Prozess- und Data Governance Die fehlende Standardisierung der Stammdaten aus der CAD/CAE-Planung (»as planned«Daten) führt beispielsweise dazu, dass keine oder nur schlecht beschriebene elektronische Stammdaten zum eingebauten Material (»as built«-Daten) dem Betreiber der Anlagen im Instandhaltungsfall zur Verfügung stehen. Die Instandhaltungsdienstleistung an einer Anlage wird folglich aufwendiger, da eine manuelle Suche bzw. das Nachschlagen der technischen Daten zum eingebauten Anlagenteil erforderlich wird. Der durch die Verwendung von harmonisierten Materialstammdaten erzeugte Wertbeitrag lässt sich anhand dieses Fallbeispiels wie folgt messen: realisierte Reduktion von Durchlaufzeiten, Zeitersparnis durch schnelleres Auffinden von benötigten technischen Materialien, beispielsweise bei Stillständen der Produktionsanlage, was wiederum zur Reduzierung von Ausfallzeiten und damit weiteren Kosteneinsparungen führt. Die Messung muss durch geeignete Kennzahlen erfolgen. Ein weiteres Beispiel sind Norm- und Standardmaterialien. Diese sind für die Anlagen bei der Mehrheit der befragten Unternehmen von guter Qualität. Bei Ersatz- und Reservematerial sowie bei Spezialteilen lässt die Qualität nach. Häufig sind die Daten nicht aktualisiert oder unvollständig. Warum in den Unternehmen speziell im Ersatzteilmanagement bisher zu wenig Ordnung und Transparenz geschaffen wurde, wirft neue Fragen auf. Dieser Zustand verwundert umso mehr, da gerade eine systemgeführte Lagerhaltung und Bestandsführung im Unternehmen erst durch technische Materialstammdaten möglich wird. Eine weitere wichtige Anforderung zur zukünftigen Ausrichtung von MDM bildet die künftig stärkere Einbindung von externen Lieferanten als Quelle für qualitativ hochwertige Stammdaten (vgl. Abb. 3), d.h., die Stammdaten werden in benötigter Qualität durch die Lieferanten über elektronischen Datenaustausch mit der Materiallieferung als Dienstleistung zur
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Verfügung gestellt. Diese Daten werden zukünftig nahtlos in die relevanten Geschäftsprozesse, u.a. im Ersatzteilmanagement des Kunden integriert. Die Anforderung stellt für Lieferanten einen wichtigen Aspekt zur Differenzierung durch Dienstleistung (Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Daten) von Mitbewerbern dar. Standardisierte Klassifikationssysteme wie beispielsweise eCl@ss unterstützen diesen Datenaustausch und helfen bei der Strukturierung und Aufbereitung der Daten. Im folgenden Abschnitt werden deshalb kurz Klassifikationssysteme im Kontext von Prozess- und Data Governance beleuchtet. Einsatz eines Klassifikationsstandards schafft Nutzen Die Strukturierung von technischen Materialien entsprechend ihrer fachlichen Zugehörigkeit mittels einer Klassifikation schafft Ordnung und Übersicht und erleichtert ihre Suche in den Geschäftsprozessen. Mit einem Klassifikationsstandard steht ein Werkzeug für die Beschreibung von technischen Materialien und Dienstleistungen zur Verfügung, das für die geforderte durchgängige und harmonisierte Verwendung von Materialien in den Geschäftsprozessen sorgt. Tätigkeiten im Einkauf wie beispielsweise die Bezugsquellenfindung oder Anfragesteuerung sind mit geordneten Strukturen und Zuordnungen effizienter durchzuführen. Eine Verknüpfung mit strukturierten Merkmalsleisten6 hilft bei Identifikation von gleichen Teilen und unterstützt damit z.B. die Bestandsminimierung in der Materialwirtschaft. Das Ergebnis sind Zeitersparnis und eine verminderte Fehlerhäufigkeit an den Schnittstellen sowie eine Reduktion von Medienbrüchen beim Datenaustausch zwischen verschie6. Parametrischer Klassifikationsstandard, beschreibt die strukturierten Objekte zusätzlich über Merkmale und Werte. Die Ausprägungen der Produkte und Leistungen öknnen hier über standardisierte Merkmalsbeschreibungen dargestellt werden (vgl. IEC 61360, ISO 13584, DIN V 4002).
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Prozess- und Data Governance denen Funktionsbereichen. Dieses hat einen direkten monetären Nutzen für das Unternehmen zur Folge – ein Erfolg, der durch Verwendung einer Klassifikation generiert wird. Für den Datenaustausch mit Lieferanten erfolgt die Referenzierung der Stammdaten über eine Klassifikation. Die Mehrheit der befragten Unternehmen verwendet für die internen Geschäftsprozesse eine eigene, interne Klassifikation. Für den externen Datenaustausch zu Kunden bzw. Lieferanten wird ein externer Klassifikationsstandard wie beispielsweise eCl@ss genutzt. Das Betreiben von unterschiedlichen Klassifikationssystemen kann Daten•inkonsistenzen zur Folge haben. Beim Einsatz eines anerkannten branchenübergreifenden Klassifikationsstandards wie z.B. eCl@ss werden diese Probleme vermieden.
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Literatur
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Dipl.-Wirtsch.-Ing. Jörg Schumacher FZI Forschungszentrum Informatik Haid-und-Neu-Str. 10-14 76131 Karlsruhe und eCl@ss e.V. 50668 Köln
[email protected] www.fzi.de www.eclass.eu www.pmdmc.de Dr. Peter Weiß FZI Forschungszentrum Informatik Haid-und-Neu-Str. 10-14 76131 Karlsruhe
[email protected] www.fzi.de www.pmdmc.de
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