WERKSTOFFE
Randschichthärten
Randschichthärten von Kurbelwellen Neue Lösungen und offene Fragen Zielgerichtete Kooperationen unterschiedlicher Sparten und innovationsfreudige Anwender sorgen dafür, dass auch in traditionellen Techniken – wie dem induktiven Randschichthärten – der Fortschritt nicht stehen bleibt. Nachstehend wird aus jüngsten Erfahrungen der BMW Group berichtet, und es werden Themen genannt, bei denen weiterhin Handlungsbedarf besteht.
1 Simulation
Für induktive Erwärmungsprozesse von Kurbelkröpfungen gibt es neuerdings leistungsfähige FE-Modelle [7]. Um diese Modelle für die Simulation von Gefügeveränderungen [5, 6] und damit für die Optimierung der Teile- und Härtebildgeometrie schon in der Entwicklungsphase nutzen zu können, sind verlässliche Datensätze für Werkstoffgrenzmuster erforderlich. Dieser Schritt ist bisher an den hohen Kosten und an mangelnder Standardisierung der Werkstoffe für Randschichthärten gescheitert. 2 Konzeptmanagement
Der Autor Dipl.-Ing. Götz Conradt war bis 2003 bei der BMW Group München im Bereich Technologie Wärmebehandlung Motorenbau tätig.
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Die Wirksamkeit von Verfahren zur Erhöhung der Oberflächenfestigkeit hängt im Wesentlichen vom Belastungsprofil ab. Bei allen Verfahren (Randschichthärten, Festwalzen, Verfestigungsstrahlen, Nitrieren) ist die Erhöhung der ertragbaren Spannung für Wechsel- und Schwellbela-
stung [3] unterschiedlich. Ob im konkreten Fall Wechsel- oder Schwellbelastung als Leitgröße vorliegt, muss folglich vor Festlegung des Veredlungsverfahrens bekannt sein. Diese Priorisierung ist für die Konzeptfindung wichtig, aber nicht immer durchsetzbar. 3 Werkstoff
Neuere Forschungen [12] deuten darauf hin, dass randschichtverfestigte und niedrig angelassene Stähle in ihrem Dauerfestigkeitsverhalten zu „Spätbruch“ (innerer Anriss) neigen können. Bei randschichtgehärtetem und niedrig angelassenem Sphäroguss weisen hochfeste unbehandelte Sorten (über 0,5 %C) Sprödbruchverhalten auf, vergütete ferritisch-perlitische Sorten bei gleicher Festigkeit hingegen Zähbruchverhalten [9]. Dieser Umstand findet noch zu wenig Beachtung. Zurzeit laufen Versuche, durch hohen Siliziumgehalt einen hochfesten und gleichzeitig duktilen Sphäroguss herzustellen [10]. Bei
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der Werkstoffauswahl für höhere Festigkeitsvorgaben wird daher noch bevorzugt auf BY-Stahl zurückgegriffen, obwohl vorvergüteter Sphäroguss kostengünstiger, besser kurzzeitaustenitisierbar und verzugsärmer wäre. Das liegt möglicherweise auch an einer gewissen Zurückhaltung der Gießereien wegen der höheren Wertschöpfung hochfester Gussteile und der begrenzten Vergütungskapazitäten der Gießereien.
4 Heiztechnologie
4 Heiztechnologie
Heizzeiten sind Erfahrungswerte und – neben der Gestaltung des Induktors – der wichtigste Faktor zur Optimierung von Härtebild und Härtegefüge, eignen sich jedoch nicht zur Taktzeitoptimierung. Kurze Heizzeiten (unter 4 s) erfordern Umrichter mit stabilem Anschwingverhalten. Die Heizfrequenz wird vom Anlagenbau meist aufgrund von Erfahrungswerten mit ähnlichen Härtetiefen, Härtebildern und Werkstoffen bestimmt. Der elektrische und wärmetechnische Wirkungsgrad und damit der Energieverbrauch spielt eine untergeordnete Rolle. Mit zusätzlicher Betrachtung von Quelldichte, Leistungsdichte sowie individuellem Kopplungsabstand könnten Energiekosten gesenkt werden, Bild 1. Solche Bestrebungen müssten jedoch von der Grundlagenforschung mehr unterstützt werden. Die Kenntnisse über Zusammenhänge zwischen Kopplungsabstand/Quelldichte, Leistungsdichte, Heizzeit und Heiztiefe sind für umrichtergenerierten transistorisierten Wechselstrom zu aktualisieren [1, 2]. Der Heizenergieverbrauch von 0,15 bis 0,25 kWh je Lagerhärtung belastet die Fertigungskosten nicht unerheblich, und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, dass die Betreiber den Energiekosten mehr Beachtung schenken. Dazu gehören auch die Kosten für Kühlwasser, die bei unnötig leistungsstarken Umrichtern entsprechend hoch sind. Eine überhöhte Leistungsdichte schafft Anschmelzgefahr und verringert die Lebensdauer der Induktoren. Bei modernen Umrichtern ist die automatische Frequenzumstellung in Stufen von 8 bis 10 kHz Stand der Technik. Eine Feineinstellung ist mit Nachkompensation durch Umklemmen der Kondensatoren verbunden.
Bild 1: Erforderliche Leistungsdichte zur Erzielung einer vorgegebenen Rht in vorgegebener Heizzeit [1] Figure 1: Heating power density required to reach to a certain case depth in a certain heating cycle time [1]
5 Abschreckmittel
Bild 2: Optimierungspotenzial der Abschreckmittel Figure 2: Optimisation potentials of quenching medium
5 Abschreckmittel
Die Anwender legen traditionell Wert auf pflegeleichte Abschrecklösungen (Alterungsbeständigkeit, Bakterienresistenz, Rostschutz, einfache Entsorgung, keine Oberflächenrückstände). Zu wenig Beachtung findet hingegen die härtetechnische
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Abschreckwirkung in den für Martensitbildung, Rissgefahr und Verzug relevanten Temperaturbereichen des Abschreckvorgangs. Aufgrund der Besonderheiten der Umlaufhärtung braucht zum Beispiel das Abschreckmedium für Guss beim Randschichthärten im Temperaturbereich
940 bis 980 °C und bei ausreichend Kohlenstoff (quasi-perlitisches Grundgefüge) Härteöl-Qualität im oberen und Wasserbis Ölqualität im unteren Temperaturbereich, Bild 2. Einen Schritt in dieser Richtung hat die Firma Petrofer mit dem Produkt Aquacool SL vollzogen.
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Randschichthärten
6 Verzugsminderung
6 Verzugsminderung Der Einsatz von dynamischen DreipunktStützen (Lünetten) bietet neue Möglichkeiten zur Verzugsminimierung, besonders wenn nur einzelne Kröpfungen verzugsempfindlich sind. Zu beachten ist hierbei, dass der für remanente Wirkung erforderliche plastische Verformungsbereich je nach Situation erst bei Stützwegen von 0,8-1 mm erreicht wird. Bei spannungsvorgeschädigten Rohteilen (getwistete 5- beziehungsweise 10-Zylinder-Stahlwellen) können durch exzentrisches Härten [8] kompensatorische Spannungen erzeugt werden, Bild 3. 7 Anlasstechnologie
Anwender mit einschlägiger Erfahrung beziehen das Anlasskonzept von Anfang an in ihre Produktplanung ein. Wenn Werkstoffe, Oberflächenhärte und langfristige Produktstrategie die kostengünstigste und beste Alternative – die Selbstabschreckung mit Anlasseffekt – zulassen, wird die Produktentwicklung, Erprobung und Fertigungsplanung unter dieser Prämisse durchgeführt. Dasselbe gilt für Anlassen aus der Restwärme des Induktivhärtens, wo zusätzlich noch die Einhärtungstiefe eine Rolle spielt. Besteht nicht ausreichend Planungssicherheit hinsichtlich der Produktstrategie (Laufflächenhärtung oder Hohlkehlenhärtung, Kombination mit Festwalzen, neue Werkstoffe), muss klassisch angelassen werden (konduktiv oder im Ofen) – die teuerste und unflexibelste Alternative [13].
Bild 3: Rundlaufoptimierung durch gezielt exzentrisches Härten der Kurbelwellenhublager Figure 3: Distortion reduction by eccentric case hardening of crankshafts bearings
8 Prüftechnik
8 Prüftechnik
Gefügebeurteilung und Härtemessung haben durch gute Prozessabsicherung und solide Werkstoffqualität ihre Bedeutung weitgehend verloren. Weichfleckigkeit ist wegen der Störkontur von Härteprüfstempeln (8 bis 10 mm) ohnehin nur in Lagermitte erkennbar. Durch die prozessbedingt stark überhitzte Oberfläche (bis zirka 180 °C) beim Kurzzeitaustenitisieren sind großflächige Härtebilder kaum ohne Restaustenit herstellbar, Bild 4. Die RhtErmittlung ist – nach wie vor – der größte Prüfaufwand, aber es gibt neue Ansätze, diese Prüfung durch intelligente Messmaschinen [14] fertigungsfreundlicher zu gestalten, Bild 5. Auf Rissprüfung kann nicht verzichtet werden, eine 100-%-Prüfung ist zu teuer, der Schwerpunkt liegt allgemein bei Freigabeversuchen für neue oder reparierte Induktoren und für Abschrecklösungen sowie bei Start von Härtemaschinen nach längeren Still-
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Bild 4: Gefüge bei Randschichthärtung von Eisenwerkstoffen Figure 4: Structural components given by case hardening of irons
standszeiten. Bei Kurbelwellen mit besonderer Rissgefährdung an bekannten Stellen lohnt sich eine punktuelle automatische Wirbelstromprüfung. Weil sich Kurbelwellen beim Härten, Festwalzen oder Richten verwinden, muss damit gerechnet werden, dass das Schleifen der Hublagerdurchmesser exzentrisch zur Vorbearbeitungskontur erfolgt. Im Extremfall kann die Härteschicht einseitig weg geschliffen
werden. Damit derartige Fehler nicht unentdeckt bleiben, hat die Firma Marposs (Italien) eine neue zerstörungsfreie Wirbelstrom-Prüfanlage auf den Markt gebracht, mit der vor allem systematische Verwindungen wie zum Beispiel Twistspannungen „aufgespürt“ werden und gezielte kompensatorische Lagekorrekturen bei der Vorbearbeitung möglich werden, Bild 6.
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8 Prüftechnik
Bild 5: Messprotokoll der automatischen Ermittlung der Einhärtetiefen an einem Kurbelwellen-Halbschnitt Figure 5: Total inspection matrix on DS measuring machines
heute über ein hochentwickeltes Werkzeugmanagement. Daraus lässt sich für die Induktionshärtung ein Induktormanagement ableiten. Die wesentlichen Funktionen sind: Standmengenverfolgung, Verwechslungssperre, angepasste individuelle Technologiedaten für freigefahrene Induktoren und präventive Instandhaltung. Erfahrungen zeigen, dass dieser Hightech-Baustein vom Betreiber mehr Disziplin und einen gewissen Pflegeaufwand verlangt und daher nicht immer angenommen wird. Ein „nach Zeichnung“ hergestellter Induktor ist noch lange keine Gewähr für hohe Standmengen. Das Anfertigen und Instandhalten von Induktoren für Kurbelwellen erfordert hohes handwerkliches Können, Erfahrung und Know-how. Daher sind unter den Betreibern die Befürworter eines hauseigenen Induktorbaus für Neufertigung und Reparatur immer noch in der Minderheit. Man vertraut lieber auf das Know-how der Fachfirmen, auch wenn das nicht die wirtschaftlichste Lösung ist. 10 Alternativen zum induktiven Randschichthärten
Der Festigkeitszuwachs durch Nitrieren oder Kugelstrahlen ist heute meist zu gering. Die Lasertechnik ist aufgrund heute verfügbarer Brennfleckgrößen, unzureichender Miniaturisierung leistungsstarker Brenner und der typischen Rastertechnik für die Erhöhung der Schwingfestigkeit von Kurbelwellen nicht geeignet. Außerdem ist bei Lasererwärmung keine Brausenabschreckung möglich, und die Einhärtetiefen liegen deutlich unter den Anforderungen. Ähnliches gilt auch für das Elektronenstrahlhärten. 11 Anbieter von Anlagen Bild 6: Wirbelstromprüfung der Konzetrizität der gehärteten Randschicht nach dem Schleifen der Lagerdurchmesser Figure 6: Eddy current non-destructive test of hardened case concentricity after bearings grinding
9 Induktoren
Die thermische Belastung der Induktoren durch Wärmerückstrahlung vom Teil kann durch Verspiegelung der Kopplungsflächen [4] deutlich reduziert werden (kleinerer Kühlbedarf, größere Standmengen), eine Möglichkeit, die in der Schmiedeerwärmung zwar genutzt, von der Praxis des
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Randschichthärtens aber noch weitgehend ignoriert wird. Der Einsatz von kostengünstigen hochhitzebeständigen Kunststofflaminaten [11] für den Induktorkörper bringt Gewichtsreduzierungen von bis zu 30 %, was die Lebensdauer dynamisch belasteter Induktoren – wie zum Härten von Hublagern – deutlich verlängert. Zerspanungsmaschinen verfügen
Hochwertige Härtemaschinen für Kurbelwellen waren schon immer ein exklusiver Markt, auf dem viele bekannte Anbieter von Induktionshärtemaschinen lange Zeit nicht aktiv waren. Erfreulicherweise haben Firmen wie EFD (Deutschland/ Frankreich) oder SAET (Italien) sich neuerdings diesem Markt geöffnet. Wenn Ausrüstungen – wie Induktoren, Umrichterstationen und Abschreckmittelstationen – traditionell zum Lieferumfang von Härtemaschinen gehören, stellt die Lieferung kompletter verketteter Fertigungszellen, Bild 7, für Härten, Anlassen und integriertes Prüfen eine neue Strategie dar, die für den Kunden viele Vorteile bringt, bei Lieferanten aber eine Systemkompetenz voraussetzt, die erst aufgebaut werden muss.
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11 Anbieter von Anlagen
2002, S. 78-80 [11] Hess, W.: Hausmitteilung der Firma EFDFrankreich (vormals CFEI), 2003 [12] Dengel, D: Zur Dauerfestigkeit nitrierter Stähle. In: HTM Härterei-Technische Mitteilungen 57 (2002) 5, S. 316-326 [13] Conradt, G.: Anlassverfahren für die Randschichthärtung. In: ZWF Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb 98 (2003) 4, S. 183-188 [14] Conradt, G.: Ermittlung der Einhärtungstiefe Rht durch Einsatz neuartiger industrieller Messtechnik. In: QZ Qualität und Zuverlässigkeit 9/2003
Bild 7: Fertigungszelle zum Induktivhärten für zwei völlig unterschiedliche Kurbelwellentypen (Prüfzentrum gestrichelt umrandet) Figure 7: Manufacturing unit to case hardening of two different types of crankshafts (gauging equipments marked like - - -)
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Literaturhinweise [1]
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