Originalarbeit
BHM (2011) Vol. 156(11): 429 – 433 DOI 10.1007/ s00501-011-0031-2 Printed in Austria © Springer-Verlag 2011
Berg- und Hüttenmännische Monatshefte
Smart Windows – Smart Collectors: Entwicklung von funktionalen Überhitzungsschutzverglasungen für Gebäudeverglasungen und thermische Solarkollektoren Katharina Resch1 und Andreas Weber2 1Lehrstuhl 2Polymer
für Werkstoffkunde und Prüfung der Kunststoffe, Montanuniversität Leoben, Leoben, Österreich Competence Center Leoben GmbH, Leoben, Österreich
Eingegangen am 8. Juli 2011; angenommen am 17. Oktober 2011
Zusammenfassung: Thermotrope Verglasungen gehen bei Erreichen einer bestimmten Temperatur selbsttätig und reversibel von einem transparenten, strahlungsdurchlässigen in einen opaken, reflektierenden Zustand über. Derartige Materialien können als Überhitzungsschutzelement in Gebäudeverglasungen oder solar-thermischen Kollektoren eingesetzt werden. Für derartige Anwendungen besonders aussichtsreiche thermotrope Materialien bestehen aus einer kontinuierlichen und einer diskontinuierlichen Phase. Während die Brechungsindizes beider Phasen im transparenten Zustand bei niedrigen Temperaturen gut übereinstimmen, kommt es oberhalb der Schalttemperatur zu einer reversiblen Eintrübung aufgrund des Brechungsindexunterschieds zwischen den Phasen. Neben dem Brechungsindexunterschied werden die Überhitzungsschutzeigenschaften der thermofunktionalen Materialien in entscheidender Weise vom Anteil, der Größe und der Verteilung der diskontinuierlichen Phase bestimmt. Im Rahmen der gegenständlichen Studie sollen ausgehend von einem systematischen Materialauswahl- und Formulierungsprozess maßgeschneiderte thermotrope Verglasungen für Überhitzungsschutzverglasungen hergestellt werden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf den Aufbau eines fundierten Verständnisses über Zusammenhänge zwischen der Materialformulierung, morphologischer Parameter und den Überhitzungsschutzeigenschaften von thermotropen Schichten, unter besonderer Beachtung polymerphysikalischer und werkstoffkundlicher Aspekte gelegt. Die verwendeten Einsatzstoffe werden hinsichtlich Brechungsindex und thermischer Eigenschaften charakterisiert. Die thermotropen Schichten werden hinsichtlich ihrer solar optischen Eigenschaften im ungeschalteten und geschalteten ZuKorrespondenzautor: Ass.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. mont. Katharina Resch, Lehrstuhl für Werkstoffkunde und Prüfung der Kunststoffe, Montanuniversität Leoben, Franz-Josef-Straße 18, 8700 Leoben, Österreich E-Mail:
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stand, Schalttemperatur sowie Schaltcharakteristik mittels temperaturgeführter UV/Vis/NIR Spektroskopie analysiert. Bei einigen thermotropen Materialien wird eine Zunahme der hemisphärischen solaren Transmission bei Erreichen der Schalttemperatur beobachtet. Die vielversprechendsten Schichten zeigen eine Reduktion der hemisphärischen Transmission von etwa 80 % im ungeschalteten Zustand auf etwa 60 % im geschalteten Zustand. Die Überhitzungsschutzeigenschaften dieser Materialien korrelieren exzellent mit den Brechungsindexdaten. Im Allgemeinen sind die Materialien durch einen raschen und steilen Schaltprozess gekennzeichnet. Die Schaltcharakteristik der thermotropen Schichten zeigt eine ausgezeichnete Korrelation mit thermischen Übergängen der diskontinuierlichen Phase. Smart Windows – Smart Collectors: Development of Overheating Protection Glazings for Facades and SolarThermal Collectors
Abstract: Thermotropic glazings change their light transmittance from transparent to opaque upon reaching a certain threshold temperature reversibly. Such functional glazings can provide effective overheating protection for building façades or solar thermal collectors. The most promising thermotropic glazing materials consist of a continuous and discontinuous phase. Whereas the refractive indices of these two phases match perfectly at low temperatures, i.e. in the transparent state, a mismatch in refractive index above the threshold temperature causes the material to turn opaque. Besides the match/mismatch of refractive indices the overheating protection performance of the thermofunctional material is significantly affected by the size, concentration and distribution of the discontinuous phase. The overall objective of the present study is to produce tailor-made thermotropic overheating protection glazings by systematic material pre-selection and formulation. Specific focus is given to the establishment of a fundamental
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understanding of relationships between the material formulation and structural parameters and the light-shielding properties of thermotropic layers, based on sound principles of polymer physics and materials science. Prior to material formulation the components are characterized as to refractive index and phase transition temperatures. The produced thermotropic materials are analyzed as to solar optical properties in clear and opaque state, threshold temperature, switching process applying UV/Vis/NIR spectroscopy equipped with a heating stage. Whereas for some thermotropic glazings an increase of the hemispheric solar transmittance is ascertain upon reaching the threshold temperature, the most promising material formulations exhibit a hemispheric solar transmittance around 80 % in the clear state, which decreases to values around 60 % above the switching threshold. For the latter material types a distinct correlation between the refractive index data and the light-shielding efficiency is discernible. In general the materials are characterized by a steep and rapid switching process. The switching characteristics of the thermotropic layers showed an excellent correlation with thermal transitions of the discontinuous phase.
1. Motivation und Zielsetzungen Thermotrope Verglasungen gehen bei Erreichen einer bestimmten Temperatur, der sogenannten Schalttemperatur, selbsttätig und reversibel von einem transparenten, strahlungsdurchlässigen in einen opaken, reflektierenden Zustand über (siehe Abb. 1). Derartige Verglasungen können sowohl für die passive (z. B. Fensterverglasungen) als auch für die aktive Sonnenenergienutzung (z. B. solar-thermische Kollektoren) verwendet werden1-3. Eine thermotrope Fensterverglasung lenkt und regelt das einfallende Tageslicht selbsttätig und führt damit zu einer Steigerung des Nutzerkomforts durch Vermeidung von Blendung in und Überhitzung von Gebäuderäumlichkeiten, und damit in weiterer Folge zur Einsparung von Kühlenergie1,2. Thermotrope Verglasungen für solar-thermische Kollektoren fungieren als
Abb. 2: Funktionsprinzip von thermotropen Systemen mit fixierten Domänen (TSFD); links: ungeschalteter Zustand, rechts: geschalteter Zustand
Element zur Vermeidung hoher Kollektortemperaturen, auf die das gesamte Kollektorsystem bislang auszulegen war3. Dies führt daher bei konventionellen Kollektoren zu technologischen Verbesserungen, stellt aber auch den Schlüssel zur Etablierung leistungsstarker, aber gleichzeitig kostengünstiger Kunststoffkollektoren bzw. von Kunststoffkomponenten für konventionelle Kollektoren dar. Thermotrope Verglasungen bergen also nicht nur ein enormes Energieeinsparpotenzial sondern besitzen auch ein außerordentlich hohes Innovationspotenzial. Obwohl eine Notwendigkeit und ein entsprechender Marktbedarf für intelligente Verglasungen besteht, sind geeignete thermotrope Verglasungen zurzeit weder für Verglasungen im Wohn- und Bürobau noch für Kollektoranwendungen kommerziell verfügbar. Daher liegt die Hauptzielsetzung eines laufenden Forschungsprojekts (Laufzeit 05/2010–04/2013) am Polymer Competence Center Leoben in Zusammenarbeit mit den Lehrstühlen für Werkstoffkunde und Prüfung der Kunststoffe und Chemie der Kunststoffe im Department Kunststofftechnik der Montanuniversität Leoben sowie der Advanced Polymer Compounds (APC) in der Entwicklung und Optimierung von thermotropen Überhitzungsschutzverglasungen aus polymeren Werkstoffen für Gebäudeverglasungen bzw. Solarkollektoren. Hierfür wurden folgende grundlegende Einzelzielsetzungen definiert: ■ ■ Simulation und Design von thermotropen Verglasungen für Fassaden bzw. Kollektoranwendungen ■ ■ Umfassende, systematische Entwicklung neuartiger thermotroper Materialien für die Anwendung als Überhitzungsschutzelement für Gebäudeverglasungen sowie von Solarkollektoren unter Beachtung polymerphysikalischer Gesichtspunkte ■ ■ Fertigung großflächiger Prototypen von thermotropen Verglasungen und Anwendungsdemonstration Die vorliegende Forschungsarbeit bezieht sich auf die Aspekte der Materialentwicklung und Optimierung im Rahmen des Projekts. Ausgehend vom grundsätzlichen Funktionsprinzip thermotroper Verglasungen und dem Anforderungsprofil für die geplanten Anwendungen werden der polymerphysikalische Lösungsansatz vorgestellt, die Überhitzungsschutzeigenschaften ausgewählter thermotroper Schichten diskutiert und Struktur-Eigenschafts-Beziehungen erarbeitet.
2. Funktionsprinzip und Anforderungsprofil Abb. 1: Thermotrope Verglasung im ungeschalteten Zustand bei niedrigen Temperaturen (links) und im geschalteten Zustand bei hohen Temperaturen (rechts)
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Unter den verschiedenen thermofunktionalen Materialien weisen vor allem thermotrope Systeme mit fixen Domänen
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Abb. 3: Materialentwicklungsroadmap
(TSFD) das größte Entwicklungspotenzial für Überhitzungsschutzanwendungen insbesondere für Solarkollektoren auf. Die spezifischen Vorteile von TSFD gegenüber anderen potentiellen thermotropen Verglasungsmaterialien, wie Hydrogelen oder Polymer Blends, liegen in einer hohen UV-, Temperatur-, Alterungs- und Langzeitstabilität, einer hohen und raschen Reversibilität des Schaltvorgangs, einer flexiblen Einstellung der Schalttemperatur bei gleichzeitig niedriger Hysterese, sowie der großflächigen Herstellbarkeit bei gleichzeitig niedrigen Kosten4. In TSFD sind Streudomänen (so genannte thermotrope Komponenten), welche eine sprunghafte Änderung ihres Brechungsindex bei Erreichen eines Temperaturschwellwerts, der so genannten Schalttemperatur, aufweisen, statisch in einem Matrixmaterial dispergiert. Während sich unterhalb der Schalttemperatur die Brechungsindices von Matrix und thermotroper Komponente nicht unterscheiden, und die Mischung transluzent erscheint, kommt es oberhalb dieser Temperatur zu einer reversiblen Eintrübung aufgrund des Brechungsindexunterschieds zwischen Matrix und der thermotropen Komponente1. Der Grad der Eintrübung, und damit der Transmissionsverringerung, wird neben dem Brechungsindexunterschied zwischen Matrix und thermotroper Komponente im geschalteten Zustand in entscheidender Weise von der Streudomänengröße und dem Streuvolumen bestimmt. Modellrechnungen zeigten, dass die höchstmögliche Rückstreueffizienz im Wellenlängenbereich von Solarstrahlung mit sphärischen Streudomänen mit Durchmessern zwischen 200 und 400 nm erzielt werden kann5. Die Schalttemperatur von thermotropen Schichten sollte bei ~30 bis 35 °C für die Anwendung in Gebäudeverglasungen und zwischen 55 und 60 °C bzw. 75 und 80 °C für die Anwendung in solarthermischen Kollektoren liegen. In beiden Anwendungsfällen ist für einen effizienten Überhitzungsschutz die Reduktion der hemisphärischen Transmission von Werten > 85 % im ungeschalteten Zustand auf mindestens < 60 % im geschalteten Zustand erforderlich1-3.
3. Methodischer Ansatz Um ein grundlegendes Verständnis für die Eigenschaften und die Funktionsweise der Schicht aufzubauen und die BHM, 156. Jg. (2011), Heft 11
funktionalen Schichten für den Einsatz als Überhitzungsschutzelemente in aktiven (Kollektoren) und passiven (Gebäudeverglasungen) solar-thermischen Systemen gezielt weiterentwickeln und optimieren zu können, wurde die in Abb. 3 dargestellte Roadmap festgelegt. Die Basis bildet eine Evaluierung und umfassende polymerphysikalische Charakterisierung potenzieller Einsatzstoffe (Matrixmaterialien, thermotrope Komponenten) insbesondere hinsichtlich optischer (insbesondere Brechungsindex), spektroskopischer, thermischer und thermo-mechanischer Eigenschaften. Das Matrixmaterial spielt eine entscheidende Rolle für die Funktionalität der Verglasung, ihr Alterungsverhalten und ihre Langzeitstabilität. Den thermotropen Komponenten kommt vor allem was die optischen Eigenschaften, die Schalttemperatur und die Schaltcharakteristik der thermotropen Schichten betrifft eine besondere Bedeutung zu. Als primäre Entscheidungsgrößen zur Auswahl geeigneter Komponenten für die Herstellung von thermofunktionalen Materialformulierungen dienen eine möglichst gute Übereinstimmung der Brechungsindizes der Einsatzstoffe im ungeschalteten Zustand sowie ein möglichst großer Unterschied in den Brechungsindizes der beiden Einsatzstoffe oberhalb der Schalttemperatur. Die daraus unter Variation der Herstellungsprozessparameter erzeugten thermotropen Schichten werden hinsichtlich ihrer Performance Eigenschaften (hemiphärische Transmission als Funktion der Temperatur, Schalttemperatur, Schaltcharakteristik, Langzeitstabilität) und ihrer Morphologie charakterisiert und Herstellungsprozess-Struktur-Eigenschafts-Beziehungen abgeleitet, welche die Basis für eine weitere Materialoptimierung bilden sollen. Die Optimierungsziele werden von begleitenden Modellrechnungen hinsichtlich optimaler Brechungsindexunterschiede zwischen den Komponenten und morphologischer Parameter (Streudomänengröße, -anteil und -verteilung) vorgegeben. Abschließend sind für die besten thermotropen Materialformulierungen die Herstellung großflächiger Prototypen und Anwendungsdemonstrationen in Gebäudeverglasungen und solar-thermische Kollektoren geplant.
4. Materialauswahl, Materialherstellung und polymerphysikalische Charakterisierung Zur Herstellung von thermotropen Schichten im Rahmen der gegenständlichen Studie wurden die in Tab. 1 dargestellten Einsatzstoffe ausgewählt. Was die Matrixmaterialien betrifft, handelt es sich dabei einerseits um die hochtransparenten Thermoplaste Polyamid (Matrix A) und Polymethylmethacrylat (Matrix B) und andererseits um zwei UV vernetzende Acrylatharze auf Polysterbasis (Matrix C) bzw. Epoxidbasis (Matrix D). Als thermotrope Komponenten wurden drei Substanzen mit Schalttemperaturen zwischen 45 und 90 °C ausgewählt. Dabei handelt es sich um Paraffinwachse mit unterschiedlicher Molmasse (thermotrope Komponente 1 hohe Molmasse hM, thermotrope Komponente 2 niedrige Molmasse lM) sowie um den Fettsäureester von Alkoholen (thermotrope Komponente 3). Die Herstellung von thermofunktionalen Schichten auf Thermoplastbasis erfolge durch Compoundieren der Matrixmaterialien mit den thermotropen Komponenten beim
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TabELLE 1:
Ausgewählte Matrixmaterialien und thermotrope Komponenten (Kreuze kennzeichnen aus den jeweiligen Komponenten hergestellte thermotrope Mischungen) Thermotrope Komponente Matrix
1
2
3
Paraffin (hM)
Paraffin (lM)
Fettsäureester
A
Polyamid
X
B
Polymethylmethacrylat
X
C
Polyesteracrylat
X
X
X
D
Epoxyacrylat
X
X
X
Projektpartner APC und anschließendes Verpressen des compoundierten Granulats zu Platten. Die Herstellung von thermotropen Schichten auf Duromerbasis erfolgte durch Dispergierung von thermotropen Komponenten in den Acrylatharzen und anschließende Vernetzung mit UV Strahlung. Da die Primärpartikelgrößen der thermotropen Komponente makroskopisch waren, erfolgte die Dispergierung bei Temperaturen oberhalb der Schmelztemperatur der Komponente. Sowohl für thermotrope Schichten auf Thermoplastbasis als auch für jene auf Duromerbasis wurden freistehende Schichten mit einer Dicke von 800 µm erzeugt. Der theoretische Streudomänengehalt lag bei 5m%. Was die Nomenklatur betrifft so bedeutet beispielsweise A-1 eine thermotrope Schicht hergestellt auf Basis von Matrixmaterial A mit der thermotropen Komponente 1. Die Brechungsindexmessungen an Matrixmaterialien und thermotropen Komponenten wurden mit einem Abbé Refraktometer Krüss AR 4 (A. Krüss Optronic GmbH, Hamburg, D) bei einer Wellenlänge von 589 nm im Temperaturbereich zwischen 25 und 90 °C durchgeführt. Die thermoanalytischen Untersuchungen wurden mit einem Gerät vom Typ Mettler Stare 822e Differential Scanning Calorimeter (Mettler Toledo AG, Schwerzenbach, CH) mit Intra Cooler in Anlehnung an ISO 11357 in Luftatmosphäre on 0 °C bis 120 °C durchgeführt. Um eventuelle Vorgeschichtseinflüsse zu eliminieren wurden zwei dynamische Aufheiz- und Abkühlzyklen gefahren. Die Charakterisierung der Schalteigenschaften der thermotropen Schichten erfolgte mit dem Zweistrahlspektrophotometer Lambda 950 UV/Vis/NIR (Perkin Elmer Life and Analytical Sciences GmbH, Überlingen, D) im Wellenlängenbereich von 250 bis 2500 nm, wobei die Schrittweite 5 nm betrug. Mittels Ulbrichtkugel-Detektor wurden hemisphärische Transmissionsspektren in einem Temperaturbereich von 25 °C bis 100 °C aufgenommen. Durch Gewichtung der spektralen Daten mit dem globalen Solarstrahlungsspektrum AM1,5 wurden integrale, hemisphärische solare Transmissionswerte ermittelt. Die Untersuchung der Morphologie der thermotropen Schichten erfolgte auf einem Rasterkraftmikroskop MFP3D (Asylum Reserach, Santa Barbara, CA, US) im AC Mode bei einer Frequenz von 80 kHz unter Verwendung von Siliziumnitrid Spitzen.
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Abb. 4: Performance Eigenschaften der thermotropen Schichten und Struktur-Eigenschaftsbeziehungen; links: hemisphärische Transmission der thermotropen Schichten im ungeschalteten und geschalteten Zustand mit den dazugehörigen Brechungsindexunterschieden, rechts oben: hemisphärische Transmission als Funktion des Brechungsindexunterschieds zwischen Matrix und thermotroper Komponente (ohne Schichten A-1 und B-1), rechts unten: Gegenüberstellung des Schaltverhaltens der thermotropen Schicht mit thermischen Übergängen in der thermotropen Komponente
5. Überhitzungsschutzeigenschaften der thermotropen Schichten In Abb. 4 (links) sind hemisphärische solare Transmissionswerte der erzeugten thermotropen Schichten im ungeschalteten und geschalteten Zustand dargestellt. Zudem sind die Brechungsindexunterschiede zwischen Matrix und thermotroper Komponente sowohl im ungeschalteten Zustand als auch im geschalteten Zustand angegeben. Insbesondere für die thermotropen Schichten auf Thermoplastbasis (A-1 und B-1) zeigen sich hierbei eine ausgezeichnete Übereinstimmung der Brechungsindizes unterhalb der Schalttemperatur sowie ein hinreichend großer Unterschied in den Brechungsindizes oberhalb der Schalttemperatur. Diese theoretisch idealen Voraussetzungen für optimale Überhitzungsschutzeigenschaften spiegeln sich im Transmissionsverhalten der Schichten nicht wider. Beide thermofunktionalen Materialien zeigen bei Erreichen der Schalttemperatur eine Erhöhung der solaren Transmission (von 49 % auf 88 % bei Schicht A-1 und von 39 % auf 86 % bei Schicht B-1). Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass sich aufgrund der unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten von Matrixmaterial und thermotroper Komponente beim Abkühlen nach dem Pressvorgang ein Hohlraum um die thermotrope Komponente bildet. Ähnliches wurde bereits in einer Studie über das Compoundieren von Thermoplasten mit Phase Change Materials festgestellt6. Der Hohlraum mit einem Brechungsindex von n=1,000 führt ungeachtet der Brechungsindexübereinstimmung von Matrix (n=1,516 für Matrix A; n=1,503 für Matrix B) und thermotroper Komponente (n=1,514) zu einer hohen Lichtstreuung im ungeschalteten Zustand. Oberhalb der Schalttemperatur wird der Hohlraum teilweise oder ganz mit der sich ausdehnenden thermotropen Komponente aufgefüllt, wodurch der ursprünglich hohe Brechungsindexunterschied zwischen Matrix und Hohlraum abnimmt. Als Konsequenz kommt es zu einer Reduktion der Lichtstreuung, wodurch die Schicht strahlungsdurchlässiger wird. Untersuchungen zur Untermauerung dieser These mit-
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Bei vollständigem Übergang der thermotropen Komponente in die amorphe Phase ist der Schalthub abgeschlossen. Die hier dargestellten Zusammenhänge gelten analog für die anderen hergestellten Schichten. Demzufolge können Schalttemperatur und Schaltcharakteristik der thermotropen Schichten bereits vor der Materialformulierung mittels thermischer Analysen an den thermotropen Komponenten prognostiziert werden. Darüber hinaus sind diese zentralen Schichtparameter durch Wahl geeigneter thermotroper Komponenten gezielt einstellbar. Dies stellt eine wesentliche Erkenntnis für weiterführende Arbeiten hinsichtlich Optimierung der Schichten dar.
6. Ausblick
Abb. 5: Rasterkraftmikroskopische Darstellung (Phasenkontrast) der Morphologie der thermotropen Schicht C-2
tels temperaturgeführter Rasterkraftmikroskopie sind derzeit im Gange. Für die thermotropen Schichten auf Duromerbasis wurde eine Abnahme der hemisphärischen Transmission oberhalb der Schalttemperatur festgestellt. Für alle Schichten wurden solare Transmissionswerte zwischen 82 und 85 % erzielt. Oberhalb der Schalttemperatur verringert sich die Transmission um 2 bis 16 % auf Werte zwischen 64 und 83 %. Für diese Materialien ist in Abb. 4 (rechts oben) der Zusammenhang zwischen dem Brechungsindexunterschied und der hemisphärischen solaren Transmission dargestellt. Eine eindeutige Tendenz zu abnehmenden hemsiphärischen solaren Transmissionswerten mit zunehmendem Brechungsindexunterschied zwischen Matrix und thermotroper Komponente ist erkennbar. Trotz der großen Brechungsindexunterschiede sind die erzielten Schalthübe der thermotropen Schichten jedoch moderat. Die Ursache hierfür liegt in der Ausprägung der dispersen Phase, welche in Abb. 5 exemplarisch für Schicht C-2 anhand eines Rasterkraftmikroskopiebilds gezeigt ist. Die Durchmesser der schwarz dargestellten Domänen der thermotropen Komponenten liegen zwischen 0,5 und 3 µm. Für optimales Rückstreuverhalten im Solarstrahlungsbereich sind sphärische Domänen mit Durchmessern zwischen 200 und 400 nm erforderlich5. Eine Verbesserung der Überhitzungsschutzeigenschaften der Schichten bedingt daher in erster Linie eine Optimierung der Streudomänengröße. In Abb. 4 (rechts unten) ist die hemisphärische Transmission der Schicht D-3 als Funktion derTemperatur der Schmelzkurve der eingemischten thermotropen Komponente gegenübergestellt. Daraus ist ein sehr schnelles Schaltverhalten der Schicht in einem engen Temperaturintervall ersichtlich. Bislang wurden für die unterschiedlichen Schichten Schalttemperaturen zwischen 40 und 90 °C realisiert. Die Schmelzcharakteristik der thermotropen Komponente spiegelt sich im Schaltverhalten der Schicht deutlich wider. Bereits beim Onset des Schmelzpeaks der thermotropen Komponente kommt es zu einem signifikanten Abfall der Transmission. BHM, 156. Jg. (2011), Heft 11
Ausgehend von diesen ersten vielversprechenden Resultaten werden sich die weiteren Forschungsarbeiten insbesondere auf die gezielte Einstellung der Streudomänengröße und -verteilung konzentrieren, um die Schalthübe der thermotropen Schichten weiter zu verbessern. Mögliche Ansätze hierfür sind die Optimierung der Prozessführung bei der Materialherstellung, die Funktionalisierung der Einsatzstoffe sowie die Herstellung thermotroper Komponenten mit idealer Domänengröße. Darüber hinaus wird ein weiterer Schwerpunkt der Arbeiten in der Charakterisierung der Langzeitstabilität der Schichten liegen.
Danksagung Dieses Forschungsprojekt wird in dankenswerter Weise durch das Land Steiermark, Amt der Stmk. Landesregierung, Abteilung 3 Wissenschaft und Forschung, Geschäftsstelle Zukunftsfonds (Projektnummer 5019) unterstützt und finanziert.
Die Autoren bedanken sich bei Cytec Industries Inc. (Drogenbos, BE), Evonik Degussa GmbH, High Performance Polymers (Marl, DE), Evonik Röhm GmbH (Darmstadt, DE), der Chemson Polymer Additive AG (Arnoldstein, AT) sowie Sasol Germany GmbH (Hamburg, DE) für die Bereitstellung der Einsatzstoffe. Beim Lehrstuhl für die Chemie der Kunststoffe an der Montanuniversität Leoben für die Nutzung von Infrastruktur sowie bei Advanced Polymer Compounds für das Compoundieren.
Literaturverzeichnis 1 Nitz, P., und Hartwig, H.: Solar Energy 79 (2005), S. 573–582 2 Seeboth, A., Schneider, J. und Patzak, A.: Solar Energy Materials and Solar Cells 60 (2000), S. 263–277 3 Wallner, G.M., Resch, K. und Hausner, R.: Solar Energy Materials and Solar Cells 92 (2008), S. 614–620 4 Resch, K. und Wallner, G.M.: Solar Energy Materials and Solar Cells 93 (2008), S. 119–128 5 Nitz, P.: Optische Modellierung und Vermessung thermotroper Systeme. PhD Thesis (1999), Fakultät für Physik, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau 6 Luyt, A., Krupa, I., Assumption, H.J., Ahmad, E.E.M., Mofokeng, J.P.: Polymer Testing 29 (2010), S. 100–106
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