Medizinrecht Notfall & Rettungsmedizin 2005 · 8:44–48 DOI 10.1007/s10049-004-0708-0 Online publiziert: 22. Dezember 2004 © Springer Medizin Verlag 2004 Redaktion C. Jäkel, Berlin H.D. Lippert, Ulm P. M. Lissel, Wien
M. Neupert wiss. Mitarbeiter, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie, Ruhr-Universität Bochum
Steine, auf die man bauen kann? Rechtliche Schwachpunkte in der Rettungsassistentenausbildung
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n der Diskussion um die Neugestaltung der Rettungsassistentenausbildung dreht sich vieles um Zugangsvoraussetzungen, Ausbildungszeiten und Kompetenzen []. Darüber scheinen die eher „technischen“ Fragen der Rettungsassistentenausbildung etwas in Vergessenheit zu geraten. Dies wird ihrer Bedeutung nicht gerecht, denn die Qualität des Rettungswesens hängt nicht zuletzt davon ab, dass die Rettungsassistenten gut ausgebildet werden. Eines dieser organisatorischen Probleme der rettungsdienstlichen Berufsbildung hat es bis in die höchstrichterliche Rechtsprechung „geschafft“: Gemäß § 2 Abs. 2 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten (RettAssAPrV) müssen Anwärter die erfolgreiche Teilnahme an der praktischen Ausbildung durch die Vorlage eines Berichtshefts und die Teilnahme an einem Abschlussgespräch nachweisen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte zu entscheiden, ob dies auch für Rettungssanitäter gilt, die einen Ergänzungslehrgang besucht haben (5.03.2002, 3 B 0/0). Diese Fragestellung zeigt, dass die RettAssAPrV den Auszubildenden, Ausbildern und Prüfern an verschiedenen Stellen deutlichere Verhaltensregeln an die Hand geben müsste.
Regelmäßige und gestufte Rettungsassistentenausbildung Zu Beginn eine kurze Erinnerung an die rechtlichen Rahmenbedingungen. Der
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Gesetzgeber hat im Rettungsassistentengesetz (RettAssG) verschiedene Möglichkeiten der Ausbildung zum Rettungsassistenten eröffnet. Einerseits gibt es eine 2-jährige Regelausbildung (vgl. §§ 4 und 7 RettAssG), die sich in einen schulischen Lehrgang und ein berufspraktisches Jahr gliedert, andererseits mehrere Möglichkeiten zur Verkürzung der Ausbildungsdauer durch die Anrechnung von anderweitig erworbenen Kenntnissen und Berufserfahrungen. Eine der wichtigsten Abkürzungen auf dem Weg zum Rettungsassistenten ist die Anrechnung einer bereits abgeschlossenen 3-monatigen Ausbildung zum Rettungssanitäter gemäß § 8 Abs. 2 RettAssG. Wer diesen Weg geht, nimmt an einem Ergänzungslehrgang teil, in welchem die zusätzlich erforderlichen Kenntnisse erworben werden. Ferner eröffnet § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG ausgebildeten Rettungssanitätern die Möglichkeit, Berufserfahrung im Rettungsdienst auf die praktische Ausbildung nach § 7 Abs. RettAssG anrechnen zu lassen. Diese Kombination wird im Folgenden als „gestufte“ Rettungsassistentenausbildung bezeichnet. Ursprünglich war die gestufte Rettungsassistentenausbildung als Möglichkeit für ehrenamtliches Rettungsdienstpersonal gedacht, sich ausnahmsweise weiterzuqualifizieren. Ohne Zahlenmaterial zu bemü1 Exemplarisch: RettSanAPO des Landes Nord-
rhein-Westfalen, GVBl. 2000, 74. Einstiegsqualifikation ist die Ausbildung zum Rettungshelfer, in NW: GVBl. 2000, 520.
hen, darf behauptet werden, dass sie sich entgegen dieser Absicht als einer von mehreren üblichen Ausbildungswegen etabliert hat [3]. Dabei wird der Auszubildende zunächst zum Rettungssanitäter und danach in einem verkürzten Ausbildungsgang zum Rettungsassistenten geschult2. > Die gestufte Ausbildung
hat sich als üblicher Ausbildungsweg etabliert
Durch diese Gestaltung droht die Qualität der Ausbildung zu leiden, weil der Rettungssanitäter während seiner praktischen Tätigkeit nicht mehr in der Rolle des Auszubildenden steht, wie es sich der Gesetzgeber vorgestellt hat, sondern ohne weitere Anleitung den Beruf des Rettungssanitäters ausübt. Neuerdings entstehen allerdings vereinzelt Modelle, in denen ein Aspirant als „Auszubildender“ eingestellt wird und im Rahmen eines Ausbildungsvertrags die gestufte Rettungsassistentenausbildung durchläuft. Dies eröffnet die Möglichkeit einer angemessenen Ausbil2 Das ist nicht unsinnig, weil die gestufte Ausbil-
dung insgesamt weniger Lehrgangszeit beansprucht als die Regelausbildung. Gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 RettAssG wird nämlich die komplette Rettungssanitäterausbildung – inklusive Praxisphasen in Klinik und Rettungsdienst – auf den Rettungsassistentenlehrgang angerechnet. Außerdem qualifiziert sich eine erhebliche Anzahl von Personen in Eigenregie zum Rettungsassistenten, häufig neben einer Erwerbstätigkeit. Diesem Personenkreis kommt die gestufte Variante ebenfalls entgegen.
Zusammenfassung · Abstract dung in der Praxis, sodass die hier geäußerten Bedenken gegenüber solchen Ausbildungsformen keinen Bestand haben.
Nachweis der praktischen Tätigkeit Gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 RettAssAPrV erfordert der Nachweis über die erfolgreiche Ableistung der Praxisausbildung zweierlei: F die Vorlage eines Berichtshefts und F die Teilnahme an einem Abschlussgespräch. Zu den näheren Einzelheiten schweigt sich die Verordnung allerdings aus. Über das Berichtsheft erwähnt sie nur, dass es „in Form eines Ausbildungsnachweises“ geführt werden muss. Eine derartige Bestimmung enthalten viele Ausbildungsordnungen, um den zeitlichen und sachlichen Ablauf der Ausbildung in möglichst einfacher Form nachzuweisen [4]. Wie dies genau zu geschehen hat (etwa: Wie viele Einsätze sind zu erfassen? Reicht eine Auflistung der Einsätze oder müssen inhaltliche Angaben gemacht werden? Falls letzteres, welchen Umfang muss der jeweilige Bericht haben?), ordnet die RettAssAPrV jedoch nicht an. Solche Fragen sind aber praktisch relevant. Beispielsweise berichten Anwärter, dass von ihnen monatliche Einsatzberichte in der Form eines schriftlichen Kurzreferats gefordert werden, das sich auch auf pathophysiologische Hintergründe des Einsatzgeschehens bezieht. Derartige Anforderungen mögen im Sinne einer hochwertigen Berufsausbildung gut begründet sein, jedoch bestehen Zweifel, ob es sich bei solchen Monatsberichten um einen „Ausbildungsnachweis“ handelt, denn sie sind nicht erforderlich, um den organisatorischen Ablauf der Ausbildung nachzuvollziehen. Man fragt sich unwillkürlich, ob bereits Anwärter aufgrund solcher und ähnlicher Bedingungen Nachteile erlitten haben. Eine klare Rechtsgrundlage existiert für ein Verlangen nach derartigen Nachweisen jedenfalls nicht.
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M. Neupert
Steine, auf die man bauen kann? Rechtliche Schwachpunkte in der Rettungsassistentenausbildung Zusammenfassung Die Qualität des Rettungswesens hängt nicht zuletzt davon ab, dass die Rettungsassistenten gut ausgebildet werden. Die rechtlichen Bestimmungen lassen diesbezüglich jedoch noch viele Fragen offen. Zwar wird zum Nachweis über die erfolgreiche Ableistung der Praxisausbildung die Vorlage eines Berichtshefts und die Teilnahme an einem Abschlussgespräch gefordert. Nähere Vorgaben dazu bestehen jedoch nicht. Auch ist nicht geklärt, ob diese Nachweise bei der gestuften Ausbildung gefordert sind, bei der ein Auszubildender zunächst zum Rettungssanitäter und danach in einem verkürzten Ausbildungsgang zum Rettungsassistenten geschult wird.
Diese gestufte Ausbildung, die vom Gesetzgeber nur als Ausnahmefall beabsichtigt war, ist mittlerweile als einer von mehreren Ausbildungswegen etabliert, wodurch ein Qualitätsverlust in der Ausbildung zu befürchten ist. Die offenen „technischen“ Fragen zu Ablauf, Umfang und Ergebniskontrolle der Ausbildung sollten in der Diskussion zur geplanten Neuordnung des Rettungsassistentengesetzes neben den inhaltlichen Fragen, die beispielsweise die Kompetenzen des Rettungspersonals betreffen, nicht vernachlässigt werden. Schlüsselwörter Rettungsassistent · Rettungssanitäter · Ausbildung · Nachweispflicht
Blocks to build upon? Legal weaknesses in the training course for emergency medical assistants Abstract The quality of emergency medical services (EMS) depends in great part on well-trained assistants. Legal provisions, however, leave several questions open regarding the training of EMS assistants. Proof of successful completion of the practical training is required in the form of a report portfolio and participation in a final discussion, but no details are stipulated. It is also unclear whether these documents are also necessary for stepwise instruction where the trainee is first educated to become an EMS technician and then in an abbreviated course to become an EMS assistant. This stepwise training program, which had originally been envisioned as an exception
by the legislature, has in the meantime become an established option and could entail a loss of quality in the education system. These open “technical” questions on the course, extent, and outcome control of the training program should not be neglected in the discussion on the planned reorganization of the law on EMS assistants in addition to content questions, e. g., pertaining to the responsibilities of the EMS personnel. Keywords Emergency medical assistant · Emergency medical technician · Training · Practical training
E Auch hinsichtlich des Abschlussgesprächs bleiben viele Fragen offen. Die Verordnung in § 2 legt lediglich das Ziel fest: Es soll festgestellt werden, ob der Praktikant „die für die Berufsausübung weNotfall & Rettungsmedizin 1 · 2005
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Domres, Lehrbuch für präklinische Notfallmedizin, Band 4, 2. Aufl. 2000, S. 40, was die praktische Bedeutung der Frage aufzeigt. Siehe zur Formulierung von Prüfungsfragen grundsätzlich BVerwG, NVwZ-RR 1998, 176 (177). 4 Vgl. zur Dauer von Prüfungen Brehm, Zimmerling, Die Entwicklung des Prüfungsrechts seit 1996, NVwZ 2000, 875 (877). 5 Wimmer, Gibt es gerichtlich unkontrollierbare „prüfungsspezifische“ Bewertungsspielräume? In: Bernd Bender, Rüdiger Breuer, Fritz Ossenbühl, Horst Sendler, Rechtsstaat zwischen Sozialgestaltung und Rechtsschutz. Festschrift für Konrad Redeker zum 70. Geburtstag, München 1993, S. 531 (532)
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anerkannt, dass Prüfungsentscheidungen nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar sind. Das stellt aber umgekehrt dem Verordnungsgeber nicht etwa einen Freifahrtschein aus, sondern fordert sein Bemühen, seinen Grenzen so nahe wie möglich zu kommen, gerade wenn es um existenzielle Fragen wie die Berufszulassung geht.
Nachweispflicht in der „gestuften“ Rettungsassistentenausbildung Die eben dargelegten Schwächen der Rettungsassistentenausbildung haben – soweit ersichtlich – bislang nicht zu ernsthaften Schwierigkeiten geführt. Eine andere Gesetzeslücke hat indessen Schaden an weit sensiblerer Stelle verursacht, wie die eingangs erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zeigt, nämlich bei der für die Qualitätssicherung wichtigen6 Erfolgskontrolle der praktischen Ausbildung von Rettungssanitätern in der „gestuften“ Rettungsassistentenausbildung. In der Regelausbildung wird der Erfolg der berufspraktischen Tätigkeit durch das Berichtsheft und das Abschlussgespräch kontrolliert. Die Frage ist, ob auch ein Rettungssanitäter in der „gestuften“ Ausbildung ein Berichtsheft führen und an einem Abschlussgespräch teilnehmen muss oder ob es ausreicht, wenn diese Personen einen schlichten Tätigkeitsnachweis vorlegen („Herr Schleppmann hat in unserem Unternehmen 5000 Stunden in der Notfallrettung gearbeitet“). Nach Ansicht des zuständigen Bundesministeriums erfasst § 2 Abs. 2 RettAssAPrV auch die „gestufte“ Rettungsassistentenausbildung. Soweit der anrechnungsfähige Zeitraum nicht die (nach § 7 Abs. RettAssG) erforderlichen 600 Stunden abdecke, müsse der Auszubildende für die noch abzuleistende praktische Tätigkeit ein Berichtsheft führen. Ein Abschlussgespräch sei in jedem Fall durch6 In diesem Zusammenhang sei an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erinnert, wonach der Staat grundsätzlich verpflichtet ist, die Freiheitssphäre des Bürgers durch Schutzmaßnahmen zu sichern, BVerfGE 92, 26 (46), zum Beispiel durch strenge Maßstäbe bei ärztlichen Prüfungen, BVerfGE 80, 1 (24), oder einen Erlaubniszwang für psychotherapeutisch tätige Diplompsychologen BVerfGE 78, 179 (192).
zuführen, weil die Anrechnung der praktischen Tätigkeit sich nur auf deren Dauer beziehe, nicht aber auf das Gespräch. Folglich müsse der Rettungssanitäter sogar dann an einem Abschlussgespräch teilnehmen, wenn er die praktische Tätigkeit vollständig gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG durch Anrechnung einer Tätigkeit im Rettungsdienst erbringe (Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 2.08.2003). Diese Argumentation überzeugt nicht, und zwar schon deswegen, weil sie den Wortlaut der Rechtsvorschriften nicht beachtet. § 2 RettAssAPrV, der die Pflichten bezüglich Berichtsheft und Abschlussgespräch festlegt, bezieht sich ausdrücklich auf die praktische Tätigkeit gemäß § 7 RettAssG, also auf die Regelausbildung und nicht auf die Anrechnung praktischer Einsatzerfahrung nach § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG, um die es dem Rettungssanitäter geht. Darüber hinaus steht der Auffassung des Ministeriums ein zweiter gewichtiger Einwand entgegen, auf den das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung stützt. Ein im Rettungsdienst tätiger Rettungssanitäter gilt nicht als Auszubildender, sondern als „normaler“ Berufstätiger. Es ist nämlich nach der Vorstellung des Gesetzes, das die „gestufte“ Ausbildung als Ausnahme betrachtet, keineswegs sicher, dass er jemals an einem Ergänzungslehrgang teilnimmt. Der Rettungssanitäter kann also keinen „Ausbildungsnachweis“ führen und an keinem „Abschlussgespräch“ teilnehmen, denn es gibt weder eine „Ausbildung“ noch deren „Abschluss“. Diese Sichtweise findet eine Stütze in dem sprachlich verunglückten § 2 Abs. 3 RettAssAPrV, wonach das Abschlussgespräch „von einem von der zuständigen Behörde beauftragten Arzt gemeinsam mit der Rettungsassistentin oder dem Rettungsassistenten, die den Praktikanten angeleitet haben“ geführt wird. Wer als Rettungssanitäter arbeitet, wird durch den Rettungsassistenten nicht angeleitet, sondern untersteht dessen dienstlicher Weisungsbefugnis. Diese Arbeitsbeziehung wird nicht durch ein „Lehrer-SchülerVerhältnis“ geprägt, wie es zwischen Rettungsassistent und Regelpraktikant der Fall ist. Die Bestimmungen der RettAssAPrV treffen demnach für den Fall der
gestuften Rettungsassistentenausbildung keine Regelung. Die zuständige Behörde darf die Anrechnung einer Tätigkeit im Rettungsdienst also nicht von der Vorlage eines Berichtshefts und der Teilnahme an einem Abschlussgespräch abhängig machen.
Gleichwertigkeit von „Tätigkeit im Rettungsdienst“ und „praktischer Tätigkeit“ Aber das gilt nur, wenn die Tätigkeit im Rettungsdienst „gleichwertig“ mit dem Regelpraktikum ist. Wann ist das der Fall? Dies hängt zunächst von § 3 RettAssAPrV ab, wonach die Gleichwertigkeit voraussetzt, dass der Antragsteller während seiner Tätigkeit im Rettungsdienst überwiegend auf Rettungs- und Notarztwagen eingesetzt war.7 Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass es keine weiteren Voraussetzungen für die Gleichwertigkeit gibt: Man könnte § 3 RettAssAPrV nämlich lediglich als Definition der Mindestanforderungen für die Anrechnung verstehen. Dafür ist allerdings kaum ein Grund ersichtlich. Gleichwohl wird diese Annahme hier unterstellt, um die Überlegungen zuende zu führen. Auf dieser Grundlage sind zwei Gründe denkbar, die Gleichwertigkeit einer Tätigkeit als Rettungssanitäter mit der des Regelpraktikanten zu verneinen. Erstens wird der berufstätige Rettungssanitäter im Gegensatz zum Praktikanten in der Regelausbildung nicht angeleitet und unterrichtet. Schon aus den in § 7 Abs. und 2 RettAssG formulierten Anforderungen an die „Lehrrettungswache“ ergibt sich, dass der Gesetzgeber die reguläre praktische Tätigkeit als Fortsetzung der theoretischen Ausbildung ausgestalten wollte. Darauf deutet auch § 2 Abs. Satz 7 So auch BVerwGE 97, 179 (183) für die Tätig-
keit im Rettungsdienst als Tatbestandsmerkmal des § 13 RettAssG, welcher die Überleitung von „Altpersonal“ in den Rettungsassistentenberuf regelt. Siehe zum Unterschied zwischen der durch § 3 RettAssAPrV angesprochenen Notfallrettung und dem sog. qualifizierten Krankentransport: Denninger, Rettungsdienst und Grundgesetz, DÖV 1987, 981 (983). Andererseits gehört zum Berufsbild des Rettungsassistenten durchaus auch die Tätigkeit im qualifizierten Krankentransport, BAG vom 18.08.1999-4 AZR 605/98, AP BAT 1975 § 22 Nr. 269.
RettAssAPrV hin, der anordnet, dass „die für die Berufsausübung wesentlichen Kenntnisse und Fertigkeiten durch praktischen Einsatz zu vermitteln“ sind. Das legt den Gedanken nahe, dass es nicht „den gleichen Wert“ wie das Regelpraktikum hat, wenn ein Rettungssanitäter ohne nähere Anleitung 600 Stunden Einsatzerfahrung ansammelt. Auf der anderen Seite lässt die Rechtslage ohnehin zweifeln, ob dem Gesetzgeber die praktische Ausbildung besonders wichtig war. Immerhin erlaubt § 7 Abs. Satz RettAssG auch dem Regelauszubildenden die nebenberufliche Ableistung der erforderlichen Einsatzstunden und macht keineswegs ein Vollzeitpraktikum zur Regel, damit auch Ehrenamtliche die Ausbildung abschließen können. Man wird zumindest zweifeln können, ob ein Anwärter beim „Anhäufen“ von Einsatzstunden in der Freizeit tatsächlich eine so gründliche Anleitung durch erfahrenes Personal genießen kann, wie man es sich beim Gedanken an eine Berufsausbildung vorstellt. Bei realistischer Betrachtung können nebenberuflich und ehrenamtlich Tätige die erforderlichen Einsatzzeiten nur abends und an Wochenenden erbringen. Schon die damit einhergehende Ermüdung durch den Hauptberuf wirft Zweifel daran auf, ob sie die gleiche Anleitung erfahren können wie ein Vollzeitpraktikant. E Demnach scheint der Gesetzgeber die Anforderungen an die Fortsetzung der theoretischen Ausbildung in der Praxis nicht sehr hoch geschraubt zu haben. Die spärliche Praxisanleitung im Fall des berufstätigen Rettungssanitäters ist deshalb bestenfalls ein schwaches Argument, um die Gleichwertigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG zu verneinen. Zweitens ergeben sich jedoch Zweifel an der Gleichwertigkeit aus dem Zweck der praktischen Ausbildung, die im Lehrgang erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in der Berufspraxis zu festigen und zu vertiefen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn der Bewerber nach dem Ergänzungslehrgang in eine Übungsphase eintritt. Die vor der Teilnahme an dem Lehrgang erworbene Einsatzerfahrung ermöglicht dem Rettungssanitäter nämlich
nicht die gleiche Vertiefung wie die danach erworbene, denn Üben setzt das vorherige Lernen voraus. Daraus ergibt sich grundsätzlich, dass der Rettungssanitäter zumindest einen Teil seiner Praxiserfahrung nach dem erfolgreichen Abschluss des Ergänzungslehrgangs erwerben muss. Freilich lässt sich kaum sagen, wie viel Zeit die Vertiefung der neuerworbenen theoretischen Kenntnisse nach dem Ende des Ergänzungslehrgangs noch erfordert (mit anderen Worten: in welchem zeitlichen Umfang die Gleichwertigkeit fehlt). Immerhin kann derzeit durch Verwaltungsabsprachen die Gleichbehandlung der Bewerber sichergestellt werden.
Nachweispflicht nach Abschluss des Ergänzungslehrgangs? Übrig bleibt die Frage, ob ein Rettungssanitäter zumindest für die nach Abschluss des Ergänzungslehrgangs erforderlichen Einsatzstunden ein Berichtsheft führen und ein Abschlussgespräch bestehen muss. Die Fragestellung lässt sich darauf zuspitzen, ob die oben geschilderten Voraussetzungen für die Anrechnung von Berufserfahrung nach der erfolgreichen Teilnahme am Ergänzungslehrgang vorliegen. Dies ist zu bejahen, denn die Zweifel an der Gleichwertigkeit sind nach Abschluss des Ergänzungslehrgangs ausgeräumt, und andere Voraussetzungen gibt es nicht: Sobald der Bewerber die Ausbildung zum Rettungssanitäter abgeschlossen hat, steht ihm die Anrechnungsmöglichkeit des § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG offen. Selbst wenn ein Rettungssanitäter in eine weitere praktische Ausbildung einträte, müsste dies als „Tätigkeit im Rettungsdienst“ angerechnet werden. Wer einmal die Rettungssanitäterausbildung abgeschlossen hat, geht einen eigenen Ausbildungsweg, für den weder Berichtsheft noch Abschlussgespräch vorgesehen sind. Dass der Gesetzgeber sich den Regelfall anders vorgestellt hat, ändert nichts an dem Gesetz, das er erlassen hat. Hätte das Bundesverwaltungsgericht diese Lücke in der Verordnung korrigieren und die betreffenden Vorschriften trotzdem auf den Rettungssanitäter anwenden dürfen? Die juristische Methode lässt dies als sog. analoge Anwendung von Gesetzen zu, wenn die Regelungslücke planwidrig und der ungeregelte mit dem geNotfall & Rettungsmedizin 1 · 2005
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Fachnachrichten regelten Sachverhalt vergleichbar ist [2, 5]. Fehlleistungen des Gesetzgebers dürfen die Gerichte aber nur in engen Grenzen bereinigen. Wenn sie sich über den Wortlaut einer Rechtsnorm hinwegsetzen, um Zwängen der Praxis gerecht zu werden, zerstören sie ein Stück Rechtssicherheit. Angesichts der umfangreichen obigen Erwägungen begibt man sich hier auf schwankenden Boden, es droht eine Entscheidung, die sich weniger am Gesetz als an so empfundenen Notwendigkeiten orientiert. Das Bundesverfassungsgericht grenzt die Zuständigkeitsbereiche von Gesetzgeber und Rechtsprechung deshalb mit Hilfe der sog. Wesentlichkeitslehre ab, wonach die „wesentlichen“ Entscheidungen – insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung – vom Gesetzgeber selbst getroffen werden müssen. Deswegen dürfen jedenfalls belastende Gesetze nur analog angewendet werden, wenn es sich um unwesentliche Belastungen handelt. Bei allen Zweifeln und Unbestimmtheiten, welche der Begriff der „Wesentlichkeit“ mit sich bringt: Nach gefestigter Überzeugung in Rechtsprechung und Lehre gehört es jedenfalls zu den wesentlichen und damit durch Parlamentsgesetz zu entscheidenden Fragen der Berufsausbildung, ob und wie eine Prüfung durchgeführt wird. Deswegen ist eine analoge Anwendung der Rechtsvorschriften durch das Bundesverwaltungsgericht ausgeschlossen, wenn es sich bei Berichtsheft und Abschlussgespräch um Prüfungen handelt. Da der Bewerber das Abschlussgespräch auch erfolglos absolvieren kann, handelt es sich dabei um eine Prüfung, sodass es nur auf gesetzlicher Grundlage abgehalten werden darf. Etwas komplizierter liegen die Dinge bei der Verpflichtung, ein Berichtsheft zu führen. Auf der einen Seite enthält § 2 RettAssAPrV keine Vorgaben, aus denen sich ergeben könnte, dass ein Berichtsheft ungenügend wäre. Dementsprechend kann ein Bewerber wohl nicht „durchfallen“. Andererseits ist die Vorlage eines Berichtshefts unabdingbare Voraussetzung für die Erteilung der Bescheinigung über das erfolgreiche Praktikum und damit für den Zugang zum Beruf. Es handelt sich also gerade nicht um eine mehr oder weniger unbedeutende „Pflichtübung“, sondern um eine ebenso
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schwerwiegende Anforderung wie das erfolgreiche Abschlussgespräch. In beiden Fällen kommt eine Analogie zu § 2 Abs. 2 Satz 2 RettAssAPrV nicht in Frage.
Fazit für die Praxis Die rechtlichen Bestimmungen über die „technische“ Abwicklung der Rettungsassistentenausbildung belasten Auszubildende, Ausbilder und Prüfer mit Zweifelsfragen, die behoben werden müssen, wenn die Qualität der Rettungsassistentenausbildung und damit letztlich die Qualität des Rettungswesens gesichert werden sollen. Diese Fragen dürfen über die inhaltliche Weiterentwicklung des Rettungsassistentenberufs nicht vergessen werden.
Korrespondierender Autor M. Neupert Am Hagenkotten 18, 58313 Herdecke E-Mail:
[email protected] Interessenkonflikt: Der korrespondierende Autor versichert, dass keine Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen.
Literatur Die Literaturnachweise wurden aus redaktionellen Gründen auf ein Minimum reduziert. 1. Berufsverband für den Rettungsdienst (2000) Das Ende der Notkompetenz – die Regelkompetenz. Rettungsdienst J 5: 6 (8) 2. Bydlinski (1991) Juristische Methode und Rechtsbegriff, 2. Aufl. S 472 ff 3. Kurtenbach (2000) In: Lipp, Domres (Hrsg) Lehrbuch für präklinische Notfallmedizin, Band 4, 2. Aufl. S 14 4. Natzel (2000) Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Aufl. § 178 Rdnr. 150 5. Zippelius (2003) Juristische Methodenlehre, 8. Aufl. S 68 ff
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