Übersichten Rechtsmedizin 2012 · 22:5–11 DOI 10.1007/s00194-011-0802-9 Online publiziert: 18. Januar 2012 © Springer-Verlag 2012
A. Bittorf1 · D. Thieme2 · K. Püschel3 · P. Friedrich3 · O. Peschel4 · D. Rentsch1 · A. Büttner1 1 Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Rostock 2 Institut für Dopinganalytik und Sportbiochemie Dresden, Kreischa 3 Institut für Rechtsmedizin, Universität Hamburg 4 Institut für Rechtsmedizin, Universität München
Tod in Tüten Heliumassoziierter Suizid in der rechtsmedizinischen Praxis
Das Edelgas Helium wird in Medizin, Technik und Industrie als Atem-, Schutz- oder Trägergas verwendet. Eingeatmet ersetzt es den Sauerstoff in der Atemluft und führt zu raschem Bewusstseinsverlust sowie hypoxämischen Erstickungszuständen. Diese Eigenschaft wird sich inzwischen weltweit als „moderne und sichere“ Selbsttötungsmethode zunutze gemacht und erfordert die Auseinandersetzung von Rechtsmedizinern und Kriminalisten mit den Methoden und Merkmalen dieser Suizidform sowie den Möglichkeiten und Grenzen ihres Nachweises.
ziierter Todesfälle begründet sein, wenngleich zu betonen ist, dass die Suizidrate insgesamt national und international davon unbeeinflusst blieb [6]. Erstmals wird 2002 eine Kasuistik zum Thema veröffentlicht [9]. Seitdem werden in der Fachliteratur der vergangenen Jahre gehäuft Fälle von Suiziden unter Zuhilfenahme von Helium beschrieben. In Studien aus Australien und Schweden [1] verzeichnen die zahlenmäßig (noch) als selten einzustufenden Heliumsuizide eine sprunghafte Zunahme in den letzten 10 Jahren, insbesondere in den letzten 5 Jahren.
Hintergrund
Anhand vier ausgewählter Falldarstellungen aus Deutschland werden typische Auffindesituationen und charakteristische Obduktionsbefunde aufgezeigt. Eine Zusammenstellung eigener und der bis-
Im Jahr 2000 wird das Addendum zum Bestseller Final Exit [7] von Derek Humphry, Gründungsmitglied einer der Rightto-Die Societies und populärer Verfechter der freiwilligen Euthanasie, herausgegeben. Final Exit richtet sich an unheilbar Kranke, die selbstbestimmt ihr Leben beenden möchten, und enthält eine laienverständliche, illustrierte Schritt-für-Schritt Anleitung zum Heliumsuizid. Heutzutage genügt eine kurze Internetrecherche: Die notwendigen Utensilien, wie um ein Tförmiges Schlauchstück zur Gaseinleitung ergänzte „exit bags“ – einschlägig als „helium (death) hood“ [14] bezeichnet – oder die Gasbehälter lassen sich komfortabel bestellen und per Post liefern. Unter anderem hierin mag die Zunahme heliumasso-
Falldarstellungen
lang veröffentlichen Fälle zu heliumassoziierten Todesfällen wird in . Tab. 1 gegeben. Der Stellenwert toxikologischer Nachweismethoden wird ausführlich besprochen.
Fallbericht 1 Ein 28-jähriger Mann wurde leblos in einem Pkw aufgefunden. Er befand sich in nach hinten gelehnter Position auf dem Beifahrersitz (. Abb. 1). Die Tür war geöffnet; neben dem linken Bein des Suizidenten im Fußraum des Wagens stand eine rote Heliumgasflasche (22,5 l) zum Befüllen von Luftballons. Über den Kopf des Toten war eine Plastiktüte gestülpt, die mit Isolierband um seinen Hals fixiert war. In diese Tüte führte ein dünner, durchsichtiger Plastikschlauch, dessen Mündung in die Tüte ragte und dort mit gleichartigem Isolierband befestigt
Abb. 1 7 Auffindesituation im Fall 1 (Übersicht) Rechtsmedizin 1 · 2012
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Übersichten
Abb. 3 8 Auffindesituation Fall 2
Abb. 2 9 Auffindesituation im Fall 1 (Detail)
Substanzen ergaben sich nicht. Eine Analyse auf Helium wurde nicht in Auftrag gegeben. Todesursache. In Anbetracht der Auffindesituation offenbar hypoxämisches Ersticken infolge Heliumeinatmung.
Fallbericht 2
Abb. 4 9 Auffindesituation Fall 3
war (. Abb. 2). Das andere Ende war auf dem Ventil der Gasflasche befestigt. Ermittlungen zufolge sei der Verstorbene bereits seit Jahren depressiv und zusätzlich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gewesen. Eine Trennung und der Auszug bei seiner langjährigen Lebensgefährtin seien kürzlich erfolgt. Bei der am Ereignisort durchgeführten kriminalistischen Untersuchung lag die Kleidung geordnet am Körper an, und die Totenfle-
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cken waren lagegerecht ausprägt. Es fanden sich keine Zeichen fremder Gewalteinwirkung. Bei der gerichtlichen Obduktion wurden neben einem akuten Lungenemphysem ausgeprägte Hirndruckzeichen und eine einzelne Petechie im Augenlid festgestellt. Toxikologische Untersuchungen erbrachten eine Blutalkoholkonzentration von 1,24‰ und eine Urinalkoholkonzentration von 1,87‰. Hinweise auf weitere toxikologisch relevante
Der Hinweis der Arbeitgeberin des Verstorbenen führte zur Auffindung der Leiche des 34-Jährigen in dessen Wohnung. Über den Kopf des Mannes waren zwei noch gasgeblähte, am Hals zusammengezogene Plastikmülltüten gestülpt (. Abb. 3), von denen aus ein Schlauch über ein „T“- Ventil zu zwei Heliumgasflaschen auf einem Beistelltisch führte. Der Leichnam war regelrecht bekleidet und befand sich in sitzender Position auf der Wohnzimmercouch. Über Suizidabsichten sei den Angehörigen nichts bekannt gewesen. Jedoch fanden sich ein Abschiedsbrief auf seinem Laptop, des Weiteren eine Rechnung für zwei 22,5-l-Flaschen Heliumballongas, die auf den Namen des Verstorbenen lautete. Obwohl bei
Zusammenfassung · Abstract der kriminalistischen Untersuchung und der rechtsmedizinischen Leichenschau nichts auf Situationsfehler oder fremde Gewalteinwirkung hindeutete, wurde von den Angehörigen der Verdacht auf ein Tötungsdelikt geäußert. Bei der gerichtlichen Obduktion wurden hauptbefundlich ein hämorrhagisches Lungenödem, ein Hautemphysem von der Hals- bis zur Leistenregion und tablettenrestverdächtiges Material in Magen sowie Dünndarm festgestellt. Weiterführende toxikologische Untersuchungen, insbesondere auf Helium, wurden nicht in Auftrag gegeben. Todesursache. Unter Berücksichtigung der Auffindesituation offenbar hypoxämisches Ersticken durch Heliumeinatmung.
Fallbericht 3 In seinem Zimmer in einer therapeutischen Wohngemeinschaft für psychisch Kranke wurde ein 31-jähriger Mann tot aufgefunden, nachdem er von seiner Betreuerin vier Tage lang nicht gesehen worden war (. Abb. 4). Der Leichnam befand sich in zurückgesunkener, sitzender Position auf einem Sessel. Die Kleidung lag geordnet an; es gab keinen Hinweis auf äußere Gewalteinwirkung. Über seinen Kopf war eine Plastikmülltüte gezogen, die mit einem dünnen Haushaltsgummi fixiert war. Auf dem Boden stand ein Heliumgasbehälter (22,5 l), an dem ein Plastikschlauch mithilfe eines Klebefilms befestigt war. Das Ventil war nicht vollständig geschlossen. Der Verstorbene hatte bereits mehrfach Suizidabsichten geäußert. Bekannt war ein Suizidversuch durch Tabletteneinnahme im Vorjahr. Er konnte seinen Beruf aufgrund seiner psychischen Erkrankungen (rezidivierende depressive Störung, Schizophrenie) nicht mehr ausüben. Bei der gerichtlichen Obduktion konnten bei fortgeschrittener äußerer und innerer Fäulnis Gasblasen zwischen den Perikardblättern und eine Abhebung der Kopfschwarte durch Gasunterfütterung festgestellt werden. Weiterführende toxikologische Untersuchungen, insbesondere auf Helium, wurden nicht in Auftrag gegeben.
Todesursache. Unter Berücksichtigung der Auffindesituation offenbar hypoxämisches Ersticken durch Heliumeinatmung.
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Fallbericht 4
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Bei dem Toten handelte es sich um einen 42 Jahre alt gewordenen Mann. Bei der Auffindung befand sich eine gasgeblähte Mülltüte über seinem Kopf, die am Hals mit Paketklebeband fixiert war. In diese Tüte mündete ein Plastikschlauch, der an eine Heliumgasflasche angeschlossen war. Verschiedene Selbstfesselungsmaßnahmen, wie z. B. angelegte Handschellen, und ein Testament wurden in der Wohnung gefunden. Anlässlich der gerichtsmedizinischen Obduktion wurde u. a. direkt nach dem Eröffnen des Brustkorbs Gewebe aus dem linken Lungenoberlappen entnommen und gasdicht asserviert. Die Obduktion erbrachte keine makroskopisch sichtbare Todesursache; im Anschluss erfolgten weitergehende toxikologische Untersuchungen. Todesursache. Unter Berücksichtigung der Auffindesituation und des toxikologischen Heliumnachweises hypoxämisches Ersticken infolge Heliumeinatmung.
Toxikologischer Heliumnachweis Probleme der Detektion und Quantifizierung Der toxikologische Nachweis von Helium in Geweben ist eher ein logistisches als ein technisches Problem. Die exakte Quantifizierung des Edelgases aus Leichenmaterial wird durch die postmortale Rediffusion infolge seiner hohen Flüchtigkeit, möglicherweise in Kombination mit notfallmedizinischen Maßnahmen (Cave: Verdrängung durch O2-Gabe), durch Entweichen während der Probennahme und Lagerung des biologischen Materials erschwert. Die routinemäßige Detektion und Quantifizierung von Helium mithilfe der Gaschromatographie-Massenspektrometrie (GC/MS) wird schon durch den Umstand verkompliziert, dass das gängige Trägergas der meisten Gaschromatographen Helium daselbst ist und ein kompletter Austausch des Trägergases – z. B.
Tod in Tüten. Heliumassoziierter Suizid in der rechtsmedizinischen Praxis Zusammenfassung Helium wird als Hilfsmittel zum „sicheren und sanften“ Suizid weltweit von Sterbehelfern empfohlen und im Internet als „moderne, schnelle und schmerzlose“ Selbsttötungsmethode kommuniziert. Frei zugängliche Schritt-für-Schritt-Anleitungen erleichtern dem Sterbewilligen die Planung und Durchführung des Suizids. Die einfache Verfügbarkeit der benötigten Informationen und Materialien erklärt ein v. a. in der Internetgeneration gehäuftes Auftreten heliumassoziierter Suizide. Diese Entwicklung und der Stellenwert toxikologischer Nachweismethoden von Helium in Leichenmaterial sind im rechtsmedizinischen Alltag zu berücksichtigen und werden anhand von Fällen aus den Instituten Rostock, Hamburg und München dargestellt. Schlüsselwörter Asphyxie · Plastikmaterialien · Gaschromatographie-Massenspektrometrie · Forensische Toxikologie · Internet
Death in bags. Helium-associated suicide in medico-legal practice Abstract Helium as a modern, safe and painless facility for committing suicide is communicated worldwide in internet forums and by assisted suicide organisations. Free accessible stepby-step instructions simplify the planning and accomplishment for the person wanting to die. The easy availability of information and materials explains the more frequent occurrence of helium-associated suicide particularly among the web generation. This development and the possibility of post-mortem toxicological detection of helium should be considered in routine forensic casework. Cases from the institutes of Rostock, Hamburg and Munich will be presented. Keywords Asphyxia · Plastics · Gas chromatography-mass spectrometry · Forensic toxicology · Internet
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Übersichten 14,003
Stickstoff (interner Standard) 1,7E8
eine schnelle, semiquantitative Bestimmung von Helium aus Leichenmaterial, deren Methodik im Folgenden am 4. Fallbeispiel beschrieben ist.
8,6E7
Durchführung 0
0,0E0
4,003
Helium Faktor 50
2,3E7 Lunge
Gehirn Luft
Negative Referenzproben: Blut Wasser Urin
0
2,00
Herzblut
4,00
1,2E7
6,00
8,00
0,0E0 10,00 Retentionszeit (min)
Abb. 5 8 Vergleich von Stickstoff- und Heliumsignalen (m/z = 14,003 vs. m/z = 4,003) aus den Gasphasen asservierter Gewebeproben (Fall 4) und negativen Referenzproben eines weiteren Erstickungstodesfalls ohne Heliumassoziation. Alle Heliumsignale (unteres Diagramm) wurden zur besseren Darstellung mit dem Faktor 50 multipliziert
10.000 2697
3061
2846 3132 2528
Helium (ppm)
1000
100
51
10
6
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42
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1)
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) ) ) ) 3) (1) (2 (3 (4 (5 e e ge e ge g g g n un un un un Lu L L L L
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Abb. 6 8 Relative Heliumkonzentrationen (im Verhältnis zur Umgebungsluft) in den Gasphasen des Obduktionsmaterials (vorher bei 40°C äquilibriert) und den negativen Referenzproben (Ref. 1–4)
durch Argon oder Stickstoff [2, 6] – für den eher seltenen Einzelfall grundsätzlich kostenintensiv und somit unwirtschaftlich ist. Technische Probleme bereiten zusätzlich die Notwendigkeit einer kontrollierten Einbringung der Gasprobe in das
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Massenspektrometer, ohne das Vakuum zu beeinflussen, und die Erfassung der niedrigen Ionenmasse mit einem Molekulargewicht (MG) von 4. Andererseits ermöglichen die hinreichende Löslichkeit, der relativ hohe Gaspartialdruck und die Inertheit des Gases
Die Proben des Falls 4 wurden bei der Obduktion in gasdichten „Headspace“-Gefäßen asserviert, bei −20°C gelagert und vor der Analyse ca. 30 min auf 40°C äquilibriert. Zur Untersuchung wurde ein hochauflösender Massenspektrometer (AutoSpec, Micromass UK) verwendet. Eine Separation der Komponenten mithilfe der Gaschromatographie war durch die hohe Selektivität der massenspezifischen Detektion nicht notwendig. Die Gasproben wurden durch die Injektion von 100 µl in den Einlass eingebracht und auf 150°C erhitzt. Die massenspektrometrische Auflösung wurde auf 600 reduziert, und die Massenaxen wurden auf die Massen von He + (4,003) und N22 + (14,003) festgesetzt. Durch schrittweise Veränderung des magnetischen Felds im „selected ion recording (SIR) mode“ wurden die Massen 4,003 und 14,003 erfasst. Die Heliumkonzentrationen wurden abgeschätzt, indem die Quotienten aus Helium- und Stickstoff-Peak-Flächen ins Verhältnis zur Höhe des detektierten natürlichen Quotienten gesetzt wurden (. Abb. 5). Die Autoren weisen darauf hin, dass für eine exakte Kalibrierung des Verfahrens zertifizierte Gasproben notwendig wären. Da die analytische Genauigkeit ohnehin erheblichen, aber nichtabwägbaren Effekten während der Probennahme und Lagerung (Temperatur, Zeit) unterworfen war, wurden Versuche einer exakteren Quantifizierung nicht unternommen. Die Analysen wurden an den korrespondierenden Gasphasen von Fettgewebe, Gehirn (je 2-mal), Blut (3 -mal) und Lunge (5-mal), vorgenommen. Als negative Referenzproben wurden Umgebungsluft, Leitungswasser, Blut und Urin (Obduktionsmaterial eines Erstickungstodesfalls ohne Heliumassoziation) herangezogen.
Tab. 1 Bislang veröffentlichte heliumassoziierte Todesfälle, ergänzt durch Fallbeispiele aus deutschen Instituten Autoren
GeAlter Obduk- Toxikologischer Alkohol/Medikamente schlecht (Jahre) tion Heliumnachweis
Vorerkrankungen (Nach Angaben)
Bemerkungen
Gilson et al. [4]
m
Keine
49
Ja
Nein
Nein
w
48
Ja
Nein
Nein
Keine
m
78
Nein
Nein
Nein
Unspezifische gesundheitliche Probleme
w
76
Nein
Nein
Nein
Keine
m
81
Nein
Nein
Nein
Plattenepithelkarzinom des Kehlkopfs
Überlebenszeit
m
71
Nein
Nein
Nein
Unspezifische gesundheitliche Probleme
m
25
Ja
Nein
234 mg/dl Alkohol (2,34‰) Keine
Auwaerter et al. [2]
m
23
Ja
Ja
0,9 mg/g Alkohol (0,9‰), Diphenhydramin
Keine
Grassberger et al. [5]
m
28
Ja
Nein
Nein
Paranoide Schizophrenie
m
39
Ja
Nein
1 mg/l Alkohol (Fäulnisflüssigkeit)
Keine
m
39
Ja
Nein
Spuren von Benzodiazepinen
Keine
Ogden und Wooten [9]
w
60
Nein
Nein
Nein
Adenoidzystisches Karzinom
Ogden et al. [10]
m
61
Nein
Nein
Nicht bekannt
Ja, keine Angaben
Sterbehilfeorganisation
w
73
Nein
Nein
Nicht bekannt
Ja, keine Angaben
Sterbehilfeorganisation
w
73
Nein
Nein
Nicht bekannt
Ja, keine Angaben
Sterbehilfeorganisation
w
89
Nein
Nein
Nicht bekannt
Ja, keine Angaben
Sterbehilfeorganisation
w
65
Nein
Nein
Nicht bekannt
Mehrere Schlaganfälle, Myokardinfarkt
Sterbehilfeorganisation
w
70
Nein
Nein
Nicht bekannt
Multiple Sklerose
Sterbehilfeorganisation
Gallagher et al. [3]
w
19
Ja
Nein
Nein
Keine
Schön und Ketterer [12]
m
64
Ja
Nein
Nicht bekannt
Keine
Yoshitome et m al. [14]
14
Ja
Ja
0,38 mg/ml (0,38‰) OV
Keine
Überlebenszeit, kein Suizid!
Howard et al. [6]
m
47
Nein
Nein
Spuren von Benzodiazepinen
Depressionen
m
31
Ja
Ja
Nein
Unspezifische gesundheitliche Probleme
m
37
Ja
Ja (Blut)
Diphenhydramin im übertherapeutischen Bereich
Nicht bekannt
m
21
Ja
Ja (Blut)
40 mg/dl (0,4‰) Alkohol
Fraglich psychiatrische Grunderkrankung
m
39
Ja
Ja (Blut)
Nein
Keine
m
34
Ja
Ja (Blut)
70 mg/dl (0,7‰) Alkohol
Bipolare Störung, Alkoholabusus
w
60
Ja
Ja (Blut)
40 mg/dl (0,4‰) Alkohol (Fäulnis)
Adipositas
m
41
Nein
Ja (Blut)
Nein
Depressionen, Zustand nach Verkehrsunfall
m
45
Nein
Ja (Blut)
Nein
Diabetes, Depressionen, Substanzmissbrauch
m
56
Nein
Ja (Blut)
Nein
Depressionen, Substanzmissbrauch
Ogden [11]
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Übersichten Tab. 1 Bislang veröffentlichte heliumassoziierte Todesfälle, ergänzt durch Fallbeispiele aus deutschen Instituten (Fortsetzung) Autoren
GeAlter Obduk- Toxikologischer Alkohol/Medikamente schlecht (Jahre) tion Heliumnachweis
Vorerkrankungen (Nach Angaben)
Bemerkungen
Eigene Befunde
m
25
Ja
Nein
Nein
Keine
m
28
Ja
Nein
1,24‰ OV, 1,8‰7 U
Keine
m
34
Ja
Nein
Nicht bekannt
Keine
m
44
Nein
Nein
Nicht bekannt
Keine
m
31
Ja
Nein
Nicht bekannt
Psychiatrisch, Depressionen
m
42
Ja
Ja (. Abb. 5, 6)
Nicht bekannt
Keine
m
8
Ja
Nein
Nicht bekannt
Keine
Homizid
m
43
Ja
Nein
Nicht bekannt
Keine
OV Oberschenkelvenenblut, U Urin.
Tab. 2 Empfohlene Asservate für den Heliumnachweis Untersuchungsmaterial
Menge (ca.)
Femoralblut, ggf. aus der V. subclavia
1 ml
Herzblut
1 ml
Organe (Gehirn, Leber, Nieren, Lunge)
1 g
Unterhautfettgewebe
1 g
Muskulatur
1 g
Liquor cerebrospinalis
1 ml
Urin
1 ml
Diskussion Diagnose der Heliumeinatmung Helium ist ein reaktionsträges Edelgas. Es ist nichtbrennbar, ungiftig, farbund geruchlos. Bei Einatmung verdrängt es den Sauerstoff aus der Atemluft. Bewusstlosigkeit kann innerhalb von Sekunden eintreten. Bei höheren Konzentrationen von Helium in der Lunge entstehen erstickungsartige Zustände, unkontrollierbarer Atemstillstand und konsekutiv eine Sauerstoffmangelversorgung sowie irreversible Schädigung des Zentralnervensystems, oft mit letalem Ausgang. In keinem der vier dargestellten Fälle erbrachte die Obduktion eine makroskopisch sichtbare Todesursache. Unspezifische Vergiftungs- und Erstickungsbefunde wie z. B. akute Hyperämie innerer Organe, (hämorrhagisches) Lungenödem, Lungenemphysem und hochgradige akute Hirnvolumenvermehrung wurden bei Heliumsuiziden beschrieben [2, 3, 6, 12], sind jedoch für die Diagnosestellung unzureichend. Erst durch die
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Zusammenschau mit der Auffindesituation und den Ausschluss anderer todeswürdiger Grunderkrankungen, Verletzungen oder Intoxikationen ließ sich in den vorliegenden Fällen als wahrscheinlichste Todesursache das hypoxämische Ersticken durch Heliumeinatmung ableiten. Anspruchsvoller wird es, wenn – wie in Suizidforen angeregt – die Gerätschaften (Heliumflaschen, Plastiktüten und Schläuche) nach dem Tod von eingeweihten Angehörigen entfernt werden [12], z. B. um einen stattgefundenen Suizid aus versicherungsrechtlichen Gründen zu verschleiern oder aber die Auffindung als „würdiger“ für den Verstorbenen zu gestalten. Fehlen dann subtile Hinweise wie Ligaturmarken oder Totenfleckaussparungen am Hals, kann der Suizid oder gar Homizid leicht als plötzlicher natürlicher Tod verkannt werden. In diesen Fällen ist der toxikologische Nachweis der Heliumeinatmung aus Obduktionsmaterial die einzige Möglichkeit, zu einer befriedigenden Aufklärung der Todesursache zu gelangen. Die Zusammenfassung der toxikologischen Versuchsergebnisse sind in . Abb. 5 und 6 dargestellt. Im Abgleich mit der Umgebungsluft und den Referenzproben ist eine deutliche Erhöhung der relativen Heliumkonzentrationen in den untersuchten Geweben augenfällig, die eine relevante Heliumeinatmung des Verstorbenen im zeitlichen Zusammenhang mit dem Todeseintritt wahrscheinlich macht. Für die Praxis geeignete HeadspaceGefäße zur Asservierung während der Sektion sind z. B. solche, wie sie in der Blutalkoholbestimmung zur Anwendung
kommen (25-ml-Fassungsvolumen). Der Dampfraum über der Probe sollte noch etwa 90% des Gefäßvolumens betragen. Wegen der hohen Fettlöslichkeit des Heliums ist auch die Beprobung lipophiler Kompartimente von Bedeutung. In . Tab. 2 sind Art und Menge der zu empfehlenden Untersuchungsmaterialen zusammengefasst.
Heliumassoziierte Todesfälle aus Literatur und eigenem Obduktionsgut In der Übersicht ( . Tab. 1) werden 39 Fälle heliumassoziierter Todesfälle aus der Literatur und dem Obduktionsgut der Institute Rostock, Hamburg und München dargestellt, davon 37 Suizide, ein Homizid und ein Unfall. In die Auswertung wurden nur die Suizide einbezogen. Hierbei handelt sich um 10 Frauen (Alterdurchschnitt: 63,3 Jahre), von denen 6 unter körperlichen oder psychiatrischen Vorerkrankungen litten (60%), und um 27 Männer (Altersdurchschnitt: 42,8 Jahre), von denen 10 relevant vorerkrankt waren (37%). Das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Suizidenten (etwa 1:3) entspricht annähernd dem Gesamtverhältnis bei Suiziden international [1] und in Deutschland [13]. Sechs der 37 Suizidenten waren Mitglieder einer Sterbehilfeorganisation und durch diese in ihrem Sterbevorgang begleitet. In den restlichen Fällen haben sich die Suizidenten die benötigten Materialien offensichtlich selbst beschafft und in Eigenleistung zusammengesetzt. Dass dies im Internetzeitalter nur einige Minuten dauert, zeigen eigene Recherchen
([7], http://www.dcjunkies.com/showthread.php?t=17416&page=2, . Abb. 6, zugegriffen 10. Jan. 2012). Interessant ist, dass alle in den vier Kasuistiken verwendeten 22,5-l-Heliumgasbehälter von derselben portugiesischen Firma hergestellt wurden. In Deutschland werden diese über verschiedene Gaslieferanten vertrieben und ausgeliefert (Kosten ca. EUR 50, einschließlich Lieferung). Die in Suizidforen diskutierten Vorteile der Heliummethode sind wissenschaftlich nachvollziehbar: Bei der Inhalation von Helium kommt es neben dem Sauerstoffmangel nicht zu einem deutlichen Anstieg von CO2 im Blut, sodass die Stimulation des Atemzentrums durch Hyperkapnie unterbleibt und die als quälend erlebte Atemnot im Erstickungsvorgang weitgehend ausgeschaltet wird. Die übrigen Phasen des Erstickens Erstickungskrämpfe → präterminale Atempause → terminale Atembewegungen werden durchlaufen, jedoch nicht mehr bewusst miterlebt [10, 11]. Die äußerlich sichtbare Entstellung des Leichnams wie bei „harten“ Suizidformen (Sturz aus der Höhe, Erhängen oder Erschießen) wird auf ein Minimum reduziert.
Fazit für die Praxis Gerade für die jüngeren Generationen, für die die Beziehung und Nutzung von Informationen aus dem Internet zum Selbstverständnis gehört, könnte sich die Heliummethode mit ihren von Sterbehelfern und Suizidforen propagierten Vorzügen durchaus als ein „Mittel der Wahl“ etablieren. In der rechtsmedizinischen Praxis sind dieser Umstand und die international steigende Zahl von Heliumsuiziden zu berücksichtigen. Toxikologische Nachweismethoden von Helium können zielführend in der Aufklärung von Todesfällen mit unklarer oder nachträglich manipulierter Auffindesituation sein. Aufgrund der geschilderten technischen Einschränkungen wird der Heliumnachweis aus Leichenmaterial allerdings auch in Zukunft eine eher untergeordnete Rolle in der rechtsmedizinischen Routine spielen. Seitens der Rechtsmedizin sollte man sich um eine umfassende Aufklärung bemühen, da-
mit sich die einfache Verfügbarkeit der notwendigen „Zutaten“ in Zukunft nicht in einer steigenden Zahl heliumassoziierter Todesfälle niederschlägt. Hierbei ist nicht nur an Suizidprävention zu denken, es sind auch verschleierte Suizide/Versicherungsbetrug oder Homizide ins Kalkül zu ziehen.
Korrespondenzadressen A. Bittorf Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Rostock St.-Georg-Str. 108, 18055 Rostock anne.bittorf@ med.uni-rostock.de
10. Ogden RD, Hamilton WK, Whitcher C (2010) Assisted suicide by oxygen deprivation with helium at a Swiss right-to-die organisation. J Med Ethics 36:174–179 11. Ogden RD (2010) Observation of two suicides by helium inhalation in a prefilled environment. Am J Forensic Med Pathol 31:156–161 12. Schön CA, Ketterer T (2007) Asphyxial suicide by inhalation of helium inside a plastic bag. Am J Forensic Med Pathol 28:364–367 13. Statistisches Bundesamt (2010) Todesursachen in Deutschland 2008. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden. https://wwwec.destatis.de/csp/shop/sfg/ bpm.html.cms.cBroker.cls?cmspath=struktur, vollanzeige.csp&ID=1025344 14. Yoshitome K, Ishikawa T, Inagaki S et al (2002) A case of suffocation by an advertising balloon filled with pure helium gas. Acta Med Okayama 56:53– 55
Prof. Dr. A. Büttner Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Rostock St.-Georg-Str. 108, 18055 Rostock
[email protected]
Interessenkonflikt. Die korrespondierenden Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur 1. Austin A, Winskog C, Heuvel C van den, Byard R (2011) Recent trends in suicides utilizing helium. J Forensic Sci 56:649–651 2. Auwaerter V, Grosse Perdekamp M, Kempf J et al (2007) Toxicological analysis after asphyxial suicide with helium and a plastic bag. Forensic Sci Int 170:139–141 3. Gallagher KE, Smith DM, Mellen PF (2003) Suicidal asphyxiation by using pure helium gas – case report, review, and discussion of the influence of the internet. Am J Forensic Med Pathol 24:361–363 4. Gilson T, Parks B, Porterfield C (2003) Suicide with inert gases – addendum to final exit. Am J Forensic Med Pathol 24:306–308 5. Grassberger M, Krauskopf A (2007) Suicidal asphyxiation with helium: report of three cases. Wien Klin Wochenschr 119:323–325 6. Howard MO, Hall MT, Edwards JD et al (2011) Suicide by asphyxiation due to helium inhalation. Am J Forensic Med Pathol 32: 61–70 7. Humphry D (2006–2008) Addendum to Final Exit © – The practicalities of self-deliverance and assisted suicide for the dying, 3. Aufl. S 3–9, Random House, New York 8. Musshoff F, Lott S, Madea B (2011) Asphyxiation due to helium and argon – Toxicological findings in two suicides. In: 8th International Symposium Advances in Legal Medicine (ISALM) combined with the 90th Annual Conference of the German Society of Legal Medicine. Rechtsmedizin 21:407– 408 9. Ogden RD, Wooten RH (2002) Asphyxial suicide with helium and a plastic bag. Am J Forensic Med Pathol 23:234–237
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