Ubersicht
Verschiedene orthodontische Verankerungssysteme Eine kritische Betrachtung R Diedrich K l i n i k far Kieferorthop~idie der R W T H A a c h e n (Direktor: Univ.-Prof. Dr. Dr. Peter Diedrich)
EndgOltige Annahme des Manuskripts: 21.6. 1993. 156
9 Urban & Vogel Fortschr. Kieferorthop. 54 (1993), 156 - 171 (Nr. 4)
Diedrich: Orthodontische Verankerung r Begriff der Verankerung wurde von Angle [1] die Kieferorthop~idie eingefiihrt. Heute verstehen wir darunter das Abfangen oder den kontrolliertenEinsatz reaktiver Krfifte und Momente in den drei Raumebenen (Abb. 1). In dem vor fast einem Jahrhundeft publizierten Buch beginnt Angle seine Ausftihrungen zum Kapitel Verankerung: ,,Die Bewegung eines oder mehrerer Zfihne in eine der verschiedenen Richtungen ist nur durch Anwendung einer Kraft m6glich, die in 0bereinstimmung mit den Gesetzen der Mechanik und Dynamik erfotgt, Nach den wohlbekannten Gesetzen der Physik halten sich Wirkung und Gegenwirkung das Gleichgewicht und sind einander entgegengesetzt; daraus folgt,-dag der Widerstand der Verankerung gr6ger als der des'zu bewegenden Zahnes sein mug". An anderer Stelle f~ihrt Angle fort: ,,Die idealste Verankerung w~ire natiJrlich eine unbewegliche Basis." Heute scheint dieses Verankerungsideal in Form der positionsstabilen osseointegrierten Implantate gefunden zu sein. Jede orthodontische Zahnbewegung setzt eine detaillierte Analyse der individuellen Verankerungssituation voraus, das heigt, erst die Kenntnis der aktiven und reaktiven Kr~ifte erm6glicht eine befundbezogene Verankerungskontrolle. Grundlage der biomechanischen 0berlegungen sind dabei die Bedingungen des statischen Gleichgewichts, die Newton bereits 1687 definiert hat. Der jeweilige Verankerungsbedarf (station~ir, reziprok) resultiert aus dem individuellen Behandlungsziel, welches sich an den diagnostischen Kriterien: Qualit~it des skelettalen Wachstums, skelettale Disharmonie, Muskelaktivit~it und den intramaxill~iren Platzverh~iltnissen orientiert. Grunds~itzlich berticksichtigt eine Verankerungsplanung zun~ichst die biologische Verankerungsqualit~it der Z~ihne; daneben stehen eine Vielzahl zusfitzlicher mechanischer Verankerungshilfen zur Verffigung.
Biologisehe Verankerungsqualitiit der Ziihne
Das Widerstandspotential der Ankerz~ihne wird durch drei Faktoren beeinflugt (Tab. 1): - desmodontale Verankerung, -Steigerung der biologischen Verankerung/Verankerungspr~iparation, - Muskelaktivit~it/okklusale Kr~ifte Kernsttick jeder Verankerungsstrategie ist die Verteilung der reaktiven Kr~ifte auf eine m6glichst ausgedehnte Fl~iche intakten Desmodontes. Bei physiologischem Attachmentniveau hat der Komplex M> M~, P2, P1 im Unterkiefer ein Verankerungspotential von etwa 2500 cm e, dem steht eine durchschnittliche Wurzeloberfl~iche der Eck- und Frontz~ihne von nur etwa 1200 cm 2 gegeniJber (Abb. 2) [14]. Die verankerungsrelevante Wurzeloberfl~iche wird im Einzelfall durch die Zahnzahl, die Wurzeltopographie und das Attachmentniveau bestimmt. Attachmentverlust beeintr~ichtigt die Verankerungsqualit~it der Z~ihne in zweifacher Hinsicht: Der parodontale Knochenabbau ftihrt aufgrund der Konusform der Wurzeln zu einer tiberproportionalen Reduktion desmodontaler Aufhfingung. So ft~hrt beispielsweise eine marginale Knochenreduktion von etwa 5 mm an einem unteren Pr~imolaren zu einem Verlust von 50% der gesamten ursprfinglichen Verankerungsfl~iche [23]. Darfiber hinaus kann der Attachmentverlust ein sekund~ires okklusales Trauma ausl6sen, das heigt, physiologische mastikatorische Krfifte bewirken ein Jiggling des Zahnes mit erh6hter Zahnbeweglichkeit und osteoklastischer Aktivit~it an der Lamina cribriformis (Abb. 3a bis 3f). Biomechanisch gesehen erfolgt durch den Attachmentverlust eine apikale Verlagerung des Resistenzzentrums; dies bedeutet ein erh6htes Kippmoment bei einer sagittal gerichteten reaktiven Kraft (Abb. 4).
Abb. 1. DreidimensionaleVerankerungskontrolle: Der Behandleralias Snoopymug die reaktiven Kr/ifteund Momenteabfangen. 9 Urban & Vogel Fortschr.Kieferorthop.54 (1993), 156- 171 (Nr. 4)
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Diedrich: Orthodontische Verankerung 1. Desmodontale Verankerungsqualitfit Wurzeloberfl/iche der Verankerungsz~ihne Zahnzahl Wurzeltopographie Anachmentniveau Knochenstruktur Desmodontale Reaktionsbereitschaft 2. Steigerung der biologischen Verankerung/Verankerungsprfiparation - Kortikale Molarenverankerung (Rickeus) Tip back der Ankerz~ihne (Tweed) - Art der reaktiven Belastung Translation-+<-- Kippung Differentieller Torque Verankerungsbiegung (Begg, Thompson, Kesling) Ankylosierung von Z~ihnen, enossale Implantate
3. Muskelaktivitiit/okklusale Kriifte - Wachstumsmuster - lnterkuspidation Lip bumper - Muskeltibungen - Aufbil3behelfe
und geringerer Knochenmasse einer unerwfinschten Zahnbewegung weniger Widerstand entgegen. Kompakte Knochenschichten zeigen jedoch eine verz6gerte Umbaubereitschaft; sie kOnnen deshalb gezielt zur Steigerung der biologischen Verankerung genutzt werden (siehe unten). Kompakte Knochenschichten kOnnen aber auch ,,unbeabsichtigte Verankerungseffekte" an den zu bewegenden Z~ihnen auslOsen und damit das reaktive Segment zusiitzlich belasten: Bei der Nivellierung einer tiefen Speeschen Kurve mit der Straightwire-Technik kann die Labialkippung der unteren Frontz~ihne deren Wurzeln in enge Nachbarschaft zur lingualen Symphysenkompakta bringen. Besonders wenn die Frontz~ihne in einem Extraktionsfall retrahiert werden sollen, k6nnen die Wurzeln sich an dieser kompakten Knochenstruktur ,,absttitzen"; damit steigt das Risiko eines Verankerungsverlustes (Abb. 5a und 5b). Analog hierzu kann bei der Distalisierung yon
Tab 1. Zusammenstellung der Faktoren, welche die biologische Verankerungsqualitfit der Z~ihne determinieren.
Abb. 3a. Oberer erster Molar mit parodontalem Knochenabbau, HumanprS.parat eines 63jahrigen (Ubersicht 1:1, Farbung Toluidinblau).
Abb. 2. Durchschnittliche Wurzeloberfl~ichen der Z~ihne im Oberund Unterkiefer [14].
Abb. 3b. Ausschnittvergr613erung des bukkalen Limbus alveolaris; erweiterter Parodontalspalt, die Rechteckmarkierung gibt den Ausschnitt ffir Abbildung 3e an (F~irbung Toluidinblau, Originalvergr613erung 5:1).
Auch die Struktur und Dichte des Alveolarknochens determinieren die Verankerungsqualitat der Z~ihne. Die Knochenspongiosa setzt infolge reicher Vaskularisation, schneller Bereitstellung umbaurelevanter Zellen 158
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Abb. 3c
Abb. 3e
Abb. 3f Abb. 3d Abb. 3c und 3d. Plaque und Konkrementinkrustationen auf der Wurzeloberfl~iche (Ffirbung Toluidinblau, Originalvergr6Berung32:1).
Pr~imolaren oder Eckz~ihnen im Oberkiefer die Interaktion mit der Kortikalis des Antrumbodens die Verankerungsbedingungen komplizieren. Ebenso ftihren zu hohe Kr~ifte bei der Zahnbewegung (--~desmodontale Hyalinisierung) sowie hohe Reibungseffekte im Bracketschlitz zu einer unkalkulierbaren Belastung der Verankerungseinheit. Dies belegt einmal mehr, dab die Kenntnis der agierenden Kraftsysteme unabdingbare Voraussetzung ist, um die reaktiven Kr~ifte zu beherrschen. Der Verankerungswert der Z~ihne wird zus~itzlich durch die desmodontale Reaktionsbereitschaft beeinfluBt: Der prim~ir unbewegte Zahn mit einem desmodontalen Ruhestadium bietet den besten Gewebswiderstand (Abb. 6). Initiale Nivellierung innerhalb der Veranke9 Urban & Vogel Fortschr. Kieferorthop. 54 (1993), 156 - 171 (Nr. 4)
Abb. 3e und 3f. Resorptionslakunen und osteoklastische Aktivit~it an der Lamina cribiformis (sekund/iresokklusales Trauma?) (F~bung Toluidinblau, Originalvergr6Berung 32:1 bzw. 80:1).
rungseinheit erh6ht die Proliferationsrate umbaurelevanter Zellen und damit die Bereitschaft zur reaktiven Bewegung. Der Verzicht auf initiale Nivellierung sowie die Verblockung aller Ankerz~ihne durch starre, passive, schlitzausftillende B6gen oder aufgeklebte Draht-/Netzretainer schaffen ein Maximum an physiologischer desmodontaler Verankerung (Abb. 7a bis 7e).
Steigerung der biologischen Verankerung Die desmodontale Verankerung kann durch gezielte Positionsver~inderung der Molaren verst~irkt werden, das heiBt, Molarenwurzeln werden entweder tempor~ir in kompakten Lamellenknochen bewegt, oder es erfolgt eine Distalinklination der Ankerz~ihne, die sich dadurch einer Mesialisierung entgegenstimmen. 159
Diedrich: Orthodontische Verankerung Abb, 4. Attachmentverlust reduziert die Verankerungsfl~,che und ver~indert die Biomechanik.
Die Kortikalisverankerung [Ricketts, 21] wird im Unterkiefer durch spezifische Informationen des Utility-Bogens erreicht: Tip back, Toe in, Buccal root torque, Expansion (Abb. 8a und 8b). Dadurch werden die
Abb. 5a. Sagittalschnitt dutch e i n e n bezahnten Unterkieferfrontzahnbereich: enger Kontakt der Wurzelspitze mit der lingualen Symphysenkortikalis.
ersten Molaren in engen Kontakt zur vestibul~iren Kortikalis der Mandibula gebracht. Ist diese Kompaktaschicht im Unterkiefer im allgemeinen ausreichend breit, um zu einer Verankerungspr~iparation genutzt zu werden, ist die anatomische Ausgangsposition im Oberkiefer problematischer: Oft findet sich hier nur eine dfinne, fragile bukkale Knochenlamelle (Abb. 9a bis 9d und 10a bis 10d). Das Konzept der Kortikalisverankerung wird durch empirische Beobachtungen belegt; exakte vergleichende Analysen fiber den Verankerungswert der M~-Positionsveriinderung fehlen jedoch bislang. Kritisch ist ferner anzumerken, dab diese VerankerungsprSparation zumindest tempor~ir Knochendehiszenzen oder -perforationen erzeugen kann und da8 die Interaktion der Wurzeln mit dem dichten Lamellenknochen unter Umst/~nden vestibul~ire Wurzelresorptionen zur Folge hat. Da die erreichte Endposition der Molarenwurzeln weder klinisch noch im konventionellen R6ntgenbild genau beurteilt werden kann, ist vorstellbar, da6 die Molaren die Kompakta unzureichend penetrieren und
Abb. 5b. NivelIierungsproblematik der Straight-wire-Mechanik bei einer tiefen Speeschen Kurve: Die Interaktionder Frontzahnwurzeln mi! der Symphysenkortikalis belastet die Verankerungseinheit. 160
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Diedrich: Orthodo,tische Verankerung
Abb. 6. Desmodontalspalt eines 4Qi~ihrigen, relatives Ruhestadium mit reduzierter Vaskularisation und'dichtein Geflecht kollagener Faserbtindel (F~irbung Azan, Originalvergr{31,~erung 80:1 ).
Abb. 7c. Ein passiver Kantbogen schafft eine vielwurzelige Verankerungseinheit: der aufgeschweil~te Teilbogen appliziert ein definiertes Kr~iflesystem zur Mesialisierung und Intrusion yon 12.
Abb. 7a. Pathologische Zahnwanderung in der Oberkieferfront infolge einer fortgeschrittenen Parodontall~ision (56j~hrige Patientin).
Abb. 7d. Nach drei Monaten erfolgt die Palatinalbewegung des Zahnes 12 yon der identischen Verankerungseinheit aus.
Abb. 7e. R6ntgenbefund nach sechs Monaten. Retentionsphase: keine Wurzelresorption, Attachmentgewinn. Abb. 7b. Tiefer intraoss~irer Einbruch mesial des Zahnes 12 (linke BildhS,lfte): drei Monate nach der Parodontaltherapie mit gesteuerter Geweberegeneration: partielle Reossifikation des Knochendefektes (rechte Bildh~ilfte). 9 Urban & Vogel Fortschr. Kieferorthop. 54 (1993). 156- 171 (Nr. 4)
bei Belastung an der Kortikalis entlanggleiten. AuBerdem bedeutet jede pr~iparierte Verankerung mit sprite161
Diedrich." Orthodontische Verankerung Abb. 8a. Transversalschnitt durch einen bezahnten Unterkiefer im Molarenbereich: breite Zone kortikalen Knochens.
Abb. 8b. Kortikalisverankerung: Der Molar wird zur Steigerung der Verankerung in die wenig umbaubereite vestibul~ire Kortikalis bewegt.
Abb. 9a. Transversalschnitt durch einen oberen Molaren, dtinne palatinale Knochenbedeckung (links), breite Knochenschicht vestibul~ir (rechts): gtinstige Voraussetzung zur Kortikalisverankerung (selten). Humanpr~iparat, 20 Jahre (F~irbung Toluidinblau, Ubersicht 1: 1 ).
Abb. 9c
Abb. 9d Abb. 9c und 9d. Breite vestibul~ire Knochenbedeckung aus spongi6sem und lamell~iren Knochen: gtinstige Voraussetzung fiir eine Verankemngspr~iparation (F~irbung Toluidinblau, Originalvergr6gerung 5:1 ).
Abb. 9b. Ausschnittvergr68erung der palatinalen Wurzel: donne Knochenlamelle mit Fenestrationen (F~irbung Toluidinblau, Originalvergr6gerung 5:1 ). 162
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Diedrich: Orthodontische Verankerung Abb. 10a. Typischer Befund eines Oberkiefermolaren, breite palatinale Knochenbedeckung (links) und dtinne bukkale Knochenlamelle (rechts, Humanpr~iparat, 19 Jahre (F~bung Toluidinblau, Obersicht 1: 1).
Abb. 10d Abb. 10b bis 10d. Ausschnittvergr6[3erungen der bukkalen Wurzeln: apikal --) mittlerer Wurzelabschnitt --~ marginal: ungtinstige Bedingung ftir eine Verankerungsprfiparation (F~irbung Toluidinblau, Originalvergr613erung 5:1 und 32:1).
rer Repositionierung der Z~ihne eine ,,Rundreise" der Wurzeln und damit ein erh6htes Resorptionsrisiko.
Abb. 10b
Abb. 10c 9 Urban & Vogel Fortschr.Kieferorthop. 54 (1993), 156 - 171 (Nr. 4)
Das Tweedsche Verankerungskonzept [30] basiert auf einer distoaxialen Inklination der Ankerz~ihne, um deren Widerstand gegentiber ventraler Zugwirkung zu erh6hen. Dies geschieht in Kombination mit intermaxill~iren Gummiztigen und einer zeitlich versetzten Extraktion im Oberkiefer (Abb. 11). Aufgrund der schwierigeren Verankerungssituation im Oberkiefer erfolgen zun~ichst die Extraktion und der LtickenschluB im Unterkiefer. Hierzu wird eine ,,anchorage preparation" vorgenommen: Tip-back-Biegungen ftir Molaren und Pr~imolaren und Klasse-III-Ztige, um die vertikale Position der Unterkieferfrontz~ihne zu erhalten und den LtickenschluB mit Closing loops zu erleichtern. Der vollst~indige obere Zahnbogen dient den Klasse-III-Ztigen als Verankerung. Erst nach erfolgtem LtickenschluB im Unterkiefer und unter Beibehaltung der Verankerungspr~iparation erfolgt die Extraktionstherapie im Oberkiefer, jetzt werden Klasse-II-Elastiks als Distalisierungshilfe der Oberkieferfrontz~ihne eingesetzt. Dieses Prinzip der zeitlichen Extraktionsverschiebung im Gegenkiefer greift sp~iter Carribre [6] zum Aufbau seiner Inversionsverankerung auf: Unter durchgehender Headgearapplikation erfolgen zun~ichst die Extraktion und die Ltickenschluf3therapie im Oberkiefer. In der anschliel3enden mandibul~iren Phase wird der Ltickenschlul3 im Unterkiefer durch Klasse-III-Ztige untersttitzt. Der Begriff ,,Inversionsverankerung" wurde gew~ihlt, weil Planung und Kontrolle der Verankerung im Unterkiefer erfolgen, die Behandlung jedoch mit der Extraktionstherapie im Oberkiefer beginnt. 163
Diedrich: Orthodontische Verankerung Abb. 11. Verankerungskonzept nach Tweed.
PhaseT 9 tip back bends 9
CL I1t- Z%e
P h a s e -iT
iii!i!i iiii!il I I
t I
9 distoaxiale Inklination erh~hter Gewebswiderstand 9
CI Tr-Zuge
Y I
I
Beide Verankerungskonzepte implizieren den intensiven Einsatz intermaxill~irer Gummiztige. Deren vertikale Kraftkomponente kann bei vertikalem Wachstumsmuster und schwacher Kaumuskulatur oder bei reduziertem Attachmentapparat eine unerwtinschte Molarextrusion mit negativen Effekten auf die Okklusalebene und Unterkieferposition herbeiftihren. Neben einer gezielten Positionsver~inderung der Molaren kann auch durch differenzierte Steuerung der reaktiven Belastung das desmodontale Verankerungspotential besser genutzt werden. Diese Verankerungsstrategie, die bereits von Angle [ 1] erdacht wurde, beruht darauf, dab die Verankerungseinheit translatorisch oder im Sinne der Wurzelbewegung beansprucht wird; die Zahnbewegung dagegen erfolgt als Kippung. Da eine Zahnkippung aufgrund der geringeren zu resorbierenden Knochenoberfl~iche schneller abl~iuft, ergibt sich eine Entlastung des Verankerungsblocks. Ein weiterer Vorteil der kippenden Retraktion des Frontsegmentes besteht darin, da6 im Unterkiefer ein frtihzeitiger Kontakt der Wurzeln mit der Symphysenkompakta vermieden wird. Erst in der zweiten Phase, nach erfolgtem Ltickenschlu6, werden die Wurzeln aufgerichtet; das posteriore Moment bleibt dabei Grundlage der desmodontalen Verankerung (Abb. 12a und 12b). Ein typisches Beispiel dieser dynamischen Verankerung ist der En-masse-Ltickenschlu6 nach Burstone [5]. Das differentielle Torquekonzept schafft ein relatives Optimum rein desmodontaler Verankerungskontrolle [2, 7, 13]: Das reaktive Segment fa6t alle verftigbaren M 2, MI, P2, Pl zu einem ,,vielwurzeligen 164
posterioren Ankerzahn" zusammen; dies erzeugt eine gleichm~il3ige parodontale Belastungsverteilung. Zwischen den aktiven und reaktiven Segmenten ist ein tiberschaubares Kr~iftesystem wirksam, welches den Frontzahnblock im Sinne der kontrollierten Kippung beeinflu6t, Der h6here posteriore M/F-Quotient verst~irkt infolge des clockwise gerichteten Momentes die Qualit~it der biologischen Verankerung (Abb. 13). Gleichzeitig wirken auf das aktive Segment eine geringe intrusive und an der Verankerungseinheit eine gleich gro6e extrusive Kraft. Die extrusive und rotatorische Tendenz des posterioren Segmentes kann im allgemeinen fiber die Okklusion, eventuell verst~irkt durch eine Aufbigplatte, abgefangen werden. Ein High-pull-Headgear wird nur selten notwendig (reduzierter Zahnbestand, fortgeschrittener parodontaler Knochenabbau, schwache Kaumuskulatur). Kritisch anzumerken ist, da6 eine kontrollierte Kippung aller zusammengefa6ten Frontz~ihne nicht realistisch ist, da kein einheitliches Rotationszentrum ftir alle Wurzeln existiert; eine ,,gewisse Rundreise" einzelner Wurzelspitzen ist zu tolerieren. Batter et al. [2] konnten in einer klinischen Studie zeigen, dab bei diesem En-masse-Ltickenschluf3 ohne Headgeareinsatz der durchschnittliche Verankerungsverlust bei nur X = 1,4 mm liegt. Das segmentierte Vorgehen erlaubt eine weitgehende Kontrolle der Kr~ifte und Momente an den aktiven und reaktiven Einheiten; dies macht die biologischen Reaktionen kalkulierbar und minimiert die Abh~ingigkeit vonder Patientenkooperation. In analoger Weise nutzt die Begg-Technik die Vorteile differentieller Kraftsysteme und verzichtet auf zus~itzUrban & Vogel Fortschr. Kieferorthop. 54 (t993). 156
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Diedrich: Orthodontische Verankerung 25,5 Nrnm,,~,,,~
ranslatiol
~ 2N~1 Nmm
Abb. 13. En-masse-Ltickenschlug (Gruppe A) mit der Segmentbogentechnik nach Burstone: kontrollierte Kippung der Frontzahngruppe und verankernde Wurzelbewegung des posterioren Segmentes. Die extrusive Komponente in der [~- und die intrusive Komponente in der c~-Positionbleiben in der schematischen Darstellung unberiicksichtigt.
Abb. 12a
Wurzelbewegung
liche intraorale und extraorale mechanische Verankerungshilfen. Eine Verankerungsbiegung vor dem ersten Molaren, Klasse-II-Gummiztige und leichte Kr~ifte fiihren im Stadium I der Behandlungssystematik zur ,,freien Fahrt" der Frontz~ihne [3]. Die Verankerungsbiegung induziert eine Distalkippung und Extrusion der Molaren, okklusale Kr~ifte sollen die Stabilisierung der Ankermolaren erh6hen. In der nachfolgenden Torque- und Aufrichtephase (Stadium III, IV) geht diese dynamische Verankerung verloren; deshatb ist hier ein Verankerungsverlust m6glich. Auch steigert die unkontrollierte Kippung der Frontz~ihne mit anschliegender Aufrichtung das Risiko zur Wurzelresorption. Eine
Kombination des Light-wire-Konzeptes von Begg mit den Vorteilen des Edgewise-Systems stellen die Modifikationen von Kesling [15] (tip edge brackets) und Thompson [27] (combination anchorage technique) dar.
Abb. 12b Abb. 12a und 12b. Der LtickenschluB (differentieller Torque) mit kontrollierter Kippung und anschliegender Wurzelbewegung minimiert das Risiko eines Verankerungsverlustes durch frtihzeitigen Kontakt der Frontzahnwurzeln mit der lingualen Symphysenkompakta. 9 Urban & Vogel Fortschr. Kieferorthop. 54 (1993). 156 - 171 (Nr. 4)
Der Endpunkt desmodontaler Verankerung ist die ankylotische Verwachsung von Zahn und Alveolarknochen (Abb. 14). Durch klinische Einzelbeobachtungen ist belegt, dab traumatisch oder idiopathisch ankylosierte Z~ihne orthodontischen Kr~iften gegentibet unbeweglich bleiben. Shapiro u. Kokich [24] und Guyman et al. [10] empfehlen daher, zu Verankerungszwecken Z~ihne gezielt zu ankylosieren: Nach Extraktion erfolgt eine Ktirettage der Wurzeloberfl~iche und anschliegende Implantation in eine ktinstliche Alveole. Der ankylosierte Zahn kann nach etwa sechs Wochen ,,als natiirliches Implantat" zur positionsstabilen Uber165
Diedrich." Orthodontische Verankerung Abb. 14. ,,Endpunkt" desmodontaler Verankerung: ankylotische Verwachsung yon Alveolarknochen und Zahnwurzel (F~irbung Azan, Originalvergr6Berung 32:1).
tragung orthodontischer und orthop~idischer Kr~fle genutzt werden.
Abb. 1 5 b . Testimplantat nach orthodontischer Kraftapplikation, identische Liegedauer; deutlich ausgepr~igt e r e Knochenummantelung des Implantatpfeilers (Offginalvergr6Berung 2:1).
Abb. 15c
Alloplastische Implantate sind ebenfalls hinsichtlich ihrer Wertigkeit zur orthodontischen Verankerung experimentell und klinisch tiberprtift worden [4, 9, 11, 16, 17, 20, 22, 25, 26, 28, 29, 31]. Friihere, nicht osseointegrierte Implantate erwiesen sich einer orthodontischen Kraft gegentiber als nicht positionsstabil; neue Titanimplantate zeigen jedoch station~ire Verankerungseigenschaften; selbst auf l~ingere Kraftapplikation hin tritt keine Implantatdislokation auf. Wehrbein et al. [31] fanden zudem in einer experimentellen Studie heraus, dab die orthodontische Beanspruchung sogar eine zus~itzliche periimplant~ire Knochenapposition induziert (Abb. 15a bis 15d).
Abb. 15d
Abb. 15a. Osseointegriertes Kontrollimplantat nach 26w6chiger Liegedauer, polarisationsoptischer Befund (Originalvergr6Berung 2:1 ).
166
Abb. 15c und 15d. Die Darstellung der Knochendynamik mit der polychromen Sequenzmarkierung belegt die erh6hte periimplant~ire Knochenapposition unter orthodontischer Krafteinwirkung, c) Marginaler Bereich, d) apikaler Bereich (Fluoreszenzanregung, Originalvergr6Berung 25:1). 9 Urban & Vogel Fortschr. Kieferorthop. 54 (1993), 156 - 171 (Nr. 4)
Diedrich: Orthodontische Verankerung Zur Zeit ist die Insertion eines enossalen Implantates zur orthodontischen Verankerung indiziert, wenn dieses Implantat anschliegend als Pfeiler ftir eine Verbundbrticke genutzt werden soll. Dieser Indikationsbereich umfaBt schwierige Verankerungsbedingungen bei reduzierter Zahnzahl, fortgeschrittenem Attachmentverlust, Nichtakzeptanz extraoraler Verankerungshilfen und zur Obertragung orthop~idischer Kr~ifte bei kraniofazialen Dysgnathien.
Muskelaktivit~it/okklusale
- desmodontalem Ruhestadium, - ausgepr~igter Muskelaktivit~t, stabiler Interkuspidation,
Kr~ifte
Die biologische Verankerungsqualit~it der Z~hne h~ingt nicht nur von statischen Parametern (Wurzeloberfl~iche, Knochendichte usw.) und der Art der reaktiven Belastung, sondern auch yon der funktionellen Beanspruchung ab: Muskelaktivit~it und okklusale Kr~ifte beeinflussen zus~itzlich die desmodontale Verankerung oder k6nnen therapeutisch zu deren Verst~irkung genutzt werden. Ein vertikales Wachstumsmuster ist im allgemeinen mit einer schwachen Kaumuskulatur korreliert, welche extrudierenden, big6ffnenden Nebeneffekten wenig Widerstand entgegensetzt. Horizontales Wachstumsmuster mit TiefbiBtendenz und hyperaktiven Adduktoren schafft dagegen eine nattirliche muskul~e Stabilisierung der Ankerz~ihne. Jede Verankerungsplanung hat also auch das kraniofaziale Grundmuster und die korrespondierende Muskelfunktion zu berficksichtigen. Durch Muskeliibungen oder kauintensive Nahrung kann die muskul~ire Verankerung gesteigert werden. Auch AufbiBplatten mit posteriorem EinbiBrelief verstfirken den okklusalen Stabilisierungseffekt; sie haben gleichzeitig den Vorteil, bei Patienten mit Myoarthropathien die durch funktionelle Vorbehandlung gefundene therapeutische Position der Mandibula zu sichern oder bei der Lingualtechnik einen frontalen TiefbiB anzuheben (Abb. 16a bis 16d). Muskelkr~ifte k6nnen auch durch Einsatz eines Lip bumpers dazu beitragen, den Verankerungswert unterer Molaren zu erh6hen.
Abb. 16a. 31j~ihrige Patientin mit progressiver Auffficherung der Oberkieferfront und Elongation der Unterkieferfront; erhebliche fisthetische Beeintr~ichtigung.
Abb. 16b. Der R6ntgenbefund zeigt die reduzierte Verankerungsqualit~it infolge der fortgeschrittenen Parodontaldestruktion: Attachmentverlust von durchschnittlich 60%.
Bewertet man die verschiedenen EinfluBfaktoren, welche die desmodontale Verankerung determinieren, so ist - abgesehen v o n d e r Ankylosierung bzw. den osseointegrierten Implantaten - eine optimale Gewebereaktion zu erwarten bei: - starrer Verblockung aller Ankerz~ihne, groBer Verankerungsfl~iche, geringem Attachmentverlust, dichter Knochenstruktur, 9 Urban & Vogel Fortschr. Kieferorthop. 54 (1993), 156 - 171 (Nr. 4)
Abb. 16c. Die Schiene im Unterkiefer mit seitlichem AufbiBrelief verst~irkt einerseits die muskul~ire Verankerung, andererseits schafft sie ausreichend Platz an den oberen Schneidez~ihnenzur interferenzfreien Aufnahme der Lingualbrackets. 167
Diedrich: Orthodontische Verankerung
Abb. 16d. Durch den lingualen Kraftansatz werden eine Intrusion und Palatinalkippung erreicht.
Abb. 17. Der Palatinalbtigel dient zum Ansatz von Teilb6gen zur Elongation der retinierten Eckzfihne.
- Art der reaktiven Belastung: Translation, Wurzelbewegung, friktionslose Mechanik.
Mechanische Verankerungshilfen Die h~iufigsten intraoralen Verankerungshilfen sind der Lingualbiigel, der Nance holding arch und KlasseII/lII-Ziige. Der Lingualbiigel dient zur transversalen Versteifung posteriorer Verankerungssegmente, das heil3t zur Kompensation rotatorischer und vertikaler Nebeneffekte. Dies ist insbesondere bei segmentiertem Vorgehen von Bedeutung, da hier sagittale Kr~ifte eine Rotation und vertikale Kr~ifte ein Bukkal- bzw. Lingualrollen der Seitensegmente herbeifiihren k6nnen. Gleichzeitig bewirkt der Lingualbiigel im Oberkiefer durch den Zungendruck eine vertikale Stabilisierung der Ankereinheit. Ferner kann der Lingualbtigel auch als Ansatz ftir TeilbOgen Verwendung finden, zum Beispiel bei der Einordnung retinierter und verlagerter Eckz~ihne (Abb. 17). Der Lingualbtigel fiihrt nicht zur Widerstandserh6hung gegentiber mesiodistaler Krafteinwirkung. Die Erweiterung des Palatinalbtigels durch eine anteriore Gaumenplatte wurde von Nance (1947) angegeben. Inwieweit durch die Kunststoffabsttitzung an der resilienten Gaumenschleimhaut der Verankerungseffekt eines einfachen Gaumenbiigels erh6ht wird ist ungekl~irt. Analog zum Belastungsverhalten der Mukosa durch Teilprothesen dtirften hier hydrodynamische Wechselwirkungen eine Rolle spielen. Eine station~ire Verankerung ist mit der Nance-Apparatur nicht zu erreichen, der Verankerungswert sollte des168
Abb. 18a
Abb. 18b Abb. 18a und 18b. Fehleinschfitzung des Verankerungspotentials einer Nance-Apparatur: Es wurde alio loco versucht, nach M1Extraktion beide PrS.molaren gegen den Nance-gestfitzten zweiten Molaren zu distalisieren: Ein PalatinalabszeB und ein tiefes Dekubitalulkus sind die Folge. 9 Urban & Vogel Fortschr. Kieferorthop, 54 (1993), 156- !,71 (Nr. 4)
Diedrich: Orthodontische Verankerung halb nicht tibersch~itzt werden (Abb. 18a und 18b). Bei entsprechender Modifikation (zum Beispiel zus~itzlichef Kortikalisverankerung, Klasse-II-Elastiks) kann dem Nance holding arch ein mittlerer sagittaler Verankemngswert beigemessen werden. Fuhrmann et al. [8] benutzten einen an den Pr/imolaren abgestiitzten Nance-Bogen in Verbindung mit einer Labialapparatur und Klasse-lI-Elastiks zur Molarendistalisierung mit Magneten. Die Analyse der anterioren Verankerungsqualit~it ergab, daf~ am Ende der Molarendistalisierung die Oberkieferfrontz~ihne um 3,3 ~ protrudiert waren und die Pfeilerz/ihne (Pr~imolaren) eine kontrollierte Mesialkippung von 1,5 ~ erfahren batten. Wie viele Verankerungsanteile innerhalb der Kombination von Labialbogen/Nance holding arch/Klasse-II-Ztigen auf die Nance-Apparatur entfallen, war nicht zu differenzieren. Als Nebeneffekt der Klasse-II-Elastiks protrudierten die Unterkieferfrontz~ihne um 4,5 ~
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Ein undifferenzierter Headgeareinsatz, das heigt der Headgear als ,,Sicherheitsreserve" bei unzureichender Kenntnis der reaktiven Nebeneffekte, birgt das Risiko, dab einzelne unerwtinschte Nebeneffekte nicht abge9 Urban & Vogel Fortschr. Kieferorthop. 54 (1993), 156- 171 (Nr. 4)
Sagittal - vertikale Verankerungskontrollel Variablen: Kraftrichtung,-gr013e ~
@ gegenIntrusion
@ sagitlaleVerankerung
gegen Extrusion
Abb. 19a
-ffekt~
Tr zus&tzliche Momentkontrolle Variablen: Kraftansatz,-gr613e
%,
hztermaxilliire Gummizage werden bei unterschiedlichen Verankerungskonzepten zur Kraftableitung zum Gegenkiefer und zur Entlastung der Verankerungseinheit eingesetzt. Als unerwtinschte Nebeneffekte sind die Extrusions- und Kipptendenz der Molaren bzw. der Frontz~hne und das Anstellen der Okklusionsebene einzukalkulieren. Wie jede intermaxill~re Magnahme haben auch Klasse-II/III-GummizOge Auswirkungen auf das Kiefergelenk. Aufgrund der potentielten Molarenextrusion ist der Einsatz von Gummiztigen bei vertikalem Wachstumsmuster und schwacher Kaumuskulatur besonders kritisch zu sehen. Das h~iufigste und effektivste extraorale Verankerungsmittel ist der Headgear. Bei direktem Einsatz ist eine unmittelbare Kraftapplikation auf die zu bewegenden Z~ihne mOglich (--9 Verankerungsentlastung); bei indirektem Einsatz kOnnen reaktive Kr~ifte und Momente ohne oder mit reduzierter Beanspruchung der desmodontalen Verankerung abgefangen werden. Au6erdem ist eine zus~itzliche dentoalveol~ire oder skelettale Beeinflussung der Verankerungseinheit mOglich. Das Verankerungsspektrum des indirekten Headgears ist umfassend: Durch Variation der Kraftrichtung und -grO6e ist eine sagittal/vertikale Verankerungskontrolle mOglich; die Variation des Kraftansatzes zum Widerstandszentrum erlaubt eine zus~itzliche Momentkontrolle (Abb. 19a und 19b).
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Abb. 19b Abb. 19a und 19b. Weitreichendes Verankerungsspektrum des indirekten Headgears.
fangen oder sogar potenziert werden. Kritisch beim Headgeareinsatz sind ferner die Abh~ingigkeit yon der Patientenkooperation und die Akzeptanzprobleme einiger Patienten. Gerade Erwachsene tehnen oft das Tragen der extraoralen Apparatur kategorisch ab: Hier kann durch konsequente Ausnutzung der vielfNtigen biologischen und intraoralen Verankerungshilfen in der Mehrzahl der F/~lle eine ausreichende Stabilit~it erreicht werden; in der eigenen Klientel liegt der Headgeareinsatz bei Erwachsenen unter 2%. Nachteilig beim Unterkiefer-Headgear sind augerdem das wenig definierte Kraftsystem und die unkalkulierbare Belastung der Kiefergelenke. Da die Tragezeit eines Headgears selten kontinuierlich sein wird, kommt hin169
Diedrich: Orthodontische Verankerung zu, dag der Wechsel von rein d e s m o d o n t a l e r und der K o m b i n a t i o n s v e r a n k e r u n g D e s m o d o n t / H e a d g e a r Jiggling-Effekte an den Ankerz~ihnen auslOst. Unabh~ingig von diesen Einschr~inkungen ist ein Headgear z u m A u f b a u einer station~iren Verankerung unerlfiglich: -bei unzureichender d e s m o d o n t a l e r Verankerung: wenig Ankerz~ihne, reduziertes Attachment, - z u r Kontrolle vertikaler Nebeneffekte: vertikales Wachstumsmuster, s c h w a c h e Kaumuskulatur, - far zus~itzliche orthodontisch/orthop/idische Behandlungsaufgaben
Schlugfolgerungen Jede Verankerungsstrategie ist eine Synthese aus den individuellen biologischen Gegebenheiten und den b i o m e c h a n i s c h e n GesetzmfiBigkeiten. Eine effiziente Verankerungskontrolle setzt d e m n a c h eine detaillierte A n a l y s e der parodontalen und funktionellen Befunde sowie die Kenntnis der agierenden und reaktiven Kraftsysteme voraus. D e n n o c h ist die Verankerungseffektivit~it nicht exakt vorhersehbar, die individuelle G e w e b e a n t w o r t m a c h t eine konsekutive U b e r w a c h u n g unerl~iBlich. Art und Planung einer Verankerung sowie die Selektion der Verankerungshilfen sind daher der Finesse des Behandlers iJberlassen. S c h o n Angle schlol~ sein Kapitel zur Verankerung mit den S~tzen: . . . . . in dem M a g e nun, als er (gemeint ist der AnfS.nger) die vielen M r g l i c h k e i t e n der Verankerung zu verstehen und aus ihnen Nutzen zu ziehen vermag, wird sich die Leichtigkeit der B e h a n d l u n g und die Sicherheit des Erfolges einstellen. Die Violine hat blog vier Saiten, doch die durch sie zu erzielenden W i r k u n g e n sind unbegrenzt." D e m ist nichts hinzuzufiigen!
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Korresponden=anschrif?: Prof. Dr. Dr. Peter Diedrich, Klinik fiir Kieferorthopiidie der RWTH, Pauwelsstrc~e, D52074 Aachen.
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