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Von weiten Wegen und großen Größen China ist riesig, und seine Autoindustrie wächst – aber Transport und Logistik halten kaum Schritt. Eine Bestandsaufnahme von Christiane Kühl.
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ie Stellplätze des VW-Werks in Shanghai am Ende der Fertigungsstraße sind leer, absolut leer. „Alle Wagen, die wir hier produzieren, transportieren wir sofort zu den Händlern“, erklärt Torsten Knaussmann die gähnende Leere. Den erfahrenen Manager, der bis vor wenigen Wochen die Produktion des Volkswagen-JointVentures leitete und bald in den Ruhestand gehen wird, freut das natürlich. In der Fabrik, die zum Jahresende komplett hochgefahren sein wird, werden bald rund 1.000 Polo beziehungsweise Tiguan pro Tag vom Band laufen. Chinas boomender Automarkt ist schön für die Hersteller – verlangt aber zugleich einen effizienten Transport, damit den Händlern nicht die Neuwagen ausgehen. Die externen Logistikfirmen, die für VW die Autos zu den Händlern bringen, legen riesige Entfernungen zurück: Vom hohen
Nordosten bis in den tiefen Süden erstreckt sich das Land über mehr als 4.000 Kilometer. Auch in der Produktion muss VW künftig große Distanzen überbrücken. Vom modernen Motorenwerk in der nordostchinesischen Hafenstadt Dalian bis zur neuen Fabrik in Foshan in der Südprovinz Guangdong, deren Bauvertrag Vorstandschef Martin Winterkorn vor wenigen Wochen unterschrieb, sind es rund 2.000 Kilometer. Gigantische Dimensionen, findet Uwe Thesling. „Man muss das einmal damit vergleichen, wo wir hinkämen, wenn wir einen solchen Kreis um Wolfsburg ziehen“, sagt der für Logistik zuständige Vizepräsident von Volkswagen China: bis ins spanische Madrid zum Beispiel oder nach Burgas in Bulgarien. Die Größe Chinas ist eine immense Herausforderung für die Logistik – die schieren Streckenlängen erschweren die in der
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Autoindustrie so wichtige Just-in-time-Lieferung oder die pünktliche Auslieferung an die Kunden. Hinzu kommen Quantität und Qualität der Infrastruktur in China. Viele Verkehrsträger sind in einem schlechten, weil Jahrzehnte alten Zustand und der Logistiksektor wächst in China langsamer als viele andere Industrien, sagt Thomas A. Callarman, Professor für Operations Management an der China Europe International Business School (CEIBS) in Shanghai. Das Land kann beim Ausbau von Straßen, Schienen, Umschlagkapazitäten, Häfen oder Flughäfen kaum Schritt halten mit dem boomenden Automarkt – die Chinesen kauften im ersten Halbjahr 2010 6,7 Millionen Pkw, 48,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
umgerechnet 80 Milliarden Euro für den Ausbau des Schienennetzes budgetiert. Damit wolle China die Bahn zum Hauptverkehrsträger für Massengüter und Personen ausbauen, sagt Callarman. Bis 2020 sollen praktisch alle Bahnprojekte abgeschlossen sein. Auch die Autoindustrie wird davon profitieren. Bislang habe jede Provinz ihre eigenen Autobauer, die ihre Fahrzeuge meist in der Region verkaufen. „Wenn die Autoindustrie aber reift und es weniger Firmen in den Provinzen gibt, dann wird die Bahn auch eine größere Rolle in der Autologistik spielen“, so Callarman.
Weniger Asphalt, mehr Schienen
Aufbau allerorten – auch bei der Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger. So binden hochmoderne Umschlagterminals große Containerhäfen wie Shanghai, Ningbo oder Shenzhen an Straße, Schiene und Luftverkehr an. Ein landesweites Netz von Logistikzentren, die Verkehre bündeln, sucht man allerdings noch vergebens. Auch deswegen waren laut Callarman noch 2005 die Hälfte aller Lkw-Touren Leerfahrten. Das Problem lösen sollen Logistikparks, die in vielen Städten entstehen. Sie sind entscheidend – und ihre Ausmaße jenseits jeder gängigen Vorstellung in den USA oder Europa. Chinas Logistikparks sind praktisch eigene Städte. Arbeit und Wohnen werden vernetzt. In den Logistikparks in Shanghai leben je 800.000 Menschen, im benachbarten Suzhou – einschließlich Freihandelszone – mehr als 1 Million Menschen. Städte im Süden und entlang des Yangtse-Stromes planen ähnliche Zentren. Abgesehen davon versuchen die Industrieunternehmen, den Logistikaufwand durch kurze Wege zu minimieren. Neue Standorte werden gleich mit Lieferantenpark geplant, sagt VW-Logistiker Uwe Thesling. Zulieferer, die die Abgasanlagen für VW produzieren, sollten ihre Werke nicht weiter als fünf Kilometer von der Montagehalle entfernt bauen können. „Wir legen bei der Standortwahl großen Wert darauf, dass dafür genügend Platz vorhanden ist.“ Nähe ist auch für den Absatz wichtig. VW baute die ersten Standorte einst dort, wo die beiden staatlichen Joint-Venture-Partner ihren Stammsitz hatten. Heute folgen die Wolfsburger den Autokäufern. Als VW den Westen erschließen wollte, eröffnete das Unternehmen eine Produktion in Chengdu in der Provinz Sichuan. Die neue Fabrik in Foshan wiederum ist Teil der Strategie,
Eine Fahrt auf vielen chinesischen Straßen gleicht einem Abenteuer. Zwischen Kohlelastern und Schweinetransporten rattern täglich Zigtausende zweistöckiger Autolaster mit eng gestapelten Wagen von der Edellimousine bis zum billigen Minivan über die Autobahnen, die laut Ronnie Kempf zwischen Shanghai und Peking zwar sehr guten Standard aufweisen. „Das Problem aber sind die Nebenstrecken, die selbst in den Küstenregionen vielfach nur schlecht ausgebaut sind“, sagt der Tradelane-Manager Deutschland–China beim Logistikunternehmen Geodis Wilson in Shanghai. „Der Aufbau der Infrastruktur ist daher ein Riesenthema, um die langen Wege zeitlich effektiver zu gestalten.“ Kempf erwartet, dass in den nächsten Jahren „große Summen“ fließen werden – auch ins Hinterland. Engpässe gebe es zudem im Stadtverkehr oder an den Mautstellen der Autobahnen, sagt Jörg Biesemann, Direktor für Automobillogistik in Asien–Pazifik beim Autozulieferer Continental in Shanghai: „Die Zahlstellen werden immer noch manuell betrieben.“ Zu Stoßzeiten bilden sich vor allem an Mautstationen vor Stadtgrenzen lange Staus. Im Nordosten macht Logistikern derweil das Klima das Leben schwer: Im Winter fallen die Temperaturen auf minus 20 Grad, die Straßen sind vereist und mit Lkw schwer befahrbar. Die Eisenbahn, die in China lange Zeit vom Personenverkehr dominiert war, könnte für diese Regionen eine Lösung sein. Die Bahn kümmere sich jetzt deutlich mehr um den Frachtverkehr als früher, sagt Thomas A. Callarman. So sei etwa die Geschwindigkeit der Güterzüge gestiegen. Allein in diesem Jahr hat Peking
Logistikzentren groß wie Städte
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den Absatz in Südchina auf 500.000 Autos zu verdreifachen und damit den lokalen Marktanteil zu erhöhen.
Rußschleudern und Hightech-Trucks Stimmt die Lage der Werke, verringern sich die Wege – das klingt einleuchtend. Die Lieferungen an sich allerdings erleichtern sich dadurch noch nicht vollends. Chinas Transportsektor ist heillos zersplittert. In jeder Provinz gibt es Hunderte Spediteure. „Jeder, der einen oder zwei Laster besitzt, kann sich Fuhrunternehmer nennen“, sagt Jörg Biesemann von Continental. Da er aber für jede Transportstrecke nur mit einem Anbieter verhandeln will, muss sich dieser wiederum eine große Zahl von Subunternehmern suchen. Zarte Ansätze einer auch politisch gewollten und forcierten Konsolidierung gibt es in den Provinzen. Im Frühjahr 2010 kündigte die Staatsführung an, bis 2011 eine Reihe global wettbewerbsfähiger Logistikfirmen zu kreieren – auch durch Fusionen. Derartige große, moderne Firmen würden auch helfen, die Umweltstandards zu verbessern – wie von Peking angestrebt, aber in den jetzigen Strukturen schwer kontrollierbar. Die Regierung erhöhte in den vergangenen Jahren schrittweise die Abgasnormen für Lastwagen. Seit diesem Jahr müssen neue Lkw die nationale Norm IV erfüllen, die etwa der Euro-4-Norm entspricht. Allerdings sind so viele stinkende Altlaster auf den Straßen unterwegs, dass die Gesamtflotte von guten Abgaswerten weit entfernt ist. Technisch gibt es aber durchaus Fortschritte. Yuchai Machinery, Chinas größter Hersteller von Dieselmotoren für Laster und Busse, hat Motoren entwickelt, die in der Lage sind, sogar die Euro-6Norm zu erfüllen. Daimler und der chinesische Lkw-Hersteller Foton unterschrieben Mitte Juli den Vertrag für ein Joint Venture zur Lkw-Produktion unter der Foton-Marke Auman. Daimler will Technologie-Know-how zu Dieselmotoren und Abgasanlagen einbringen, mit denen die Lkw Abgasnormen bis hin zu Euro 5 erfüllen könnten.
größen liegt. „Die Standardisierung von Verpackungen ist ein Riesenthema in China. Bisher gibt es etwa Hunderte verschiedener Palettengrößen und keine davon passt perfekt auf die Verkehrsträger“, sagt Conti-Logistiker Jörg Biesemann. Mit ideal angepassten Paletten aber lassen sich hervorragend Volumina und damit Kosten sparen. Conti bemühte sich daher in Kooperation mit Autoherstellern und anderen Zulieferern darum, einen sinnvollen Standard zu schaffen. „Wir versuchten, Größen zu finden, die sowohl auf Überseecontainer als auch auf die meisten Trucks in China passen.“ Anfang 2009 wurde ein Mitarbeiter im Shanghaier ContinentalBüro eigens an die Modellrechnungen gesetzt. Er ermittelte zwei Größen, die mittlerweile auch der Verband Deutscher Automobilhersteller (VDA) empfiehlt. „Wir haben auch die China Pallet Association mit einbezogen. Die Resonanz ist sehr positiv“, sagt Biesemann. „Daher haben unsere zwei Größen durchaus Chancen, in China zum Standard ernannt zu werden.“ Praktisch für Conti: Einer der größten Kunden der Hannoveraner, das General-Motors-Joint-Venture in Shanghai, hatte in eigenen Versuchen eine der beiden neuen Größen parallel als idealtypisch ermittelt. Der Abgleich mit globalen Standards wird in China in vielen Bereichen die Logistik vorantreiben. „Wir wenden neueste Erkenntnisse aus Europa immer zeitgleich auch in China an“, sagt Uwe Thesling. Dazu gehörten etwa getaktete Gabelstaplerverkehre in den Werken oder das Cross-Docking, bei dem VW Waren mehrerer Lieferanten bündelt und umsortiert, bevor sie an verschiedene Abnehmer oder Werke weitertransportiert werden. Von den geölten Logistikmaschinerien Europas ist das Land allerdings noch weit entfernt. Improvisationstalent sei in China noch wichtiger als in Industrieländern, bilanziert Ronnie Kempf. „Man muss in China noch akribischer planen und höhere Pufferzeiten einkalkulieren.“ Ein – wenn auch kleiner – Grund: Jeder Chinese isst um Punkt zwölf Uhr zu Mittag und hält danach ein ☐ kurzes Mittagsschläfchen.
Jede Palette ist anders Effizienter Transport gewinnt erst allmählich an Bedeutung in China, was sich auch am Beladen der Laster und der Art der Verpackungen ablesen lässt. Mehrwegware hat in China noch Seltenheitswert – was auch an dem Durcheinander der PackungsAutomotive Agenda 07 TRANSPORT UND LOGISTIK
CHRISTIANE KÜHL arbeitet als Korrespondentin in China. Sie lebt mit ihrer Familie in Shanghai.