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Journal für Rechtspolitik 18, 216–222 (2010) DOI 10.1007/s00730-010-0319-7 Printed in Austria, © Springer-Verlag 2010
Iris Eisenberger
Wer fürchtet sich vor einem Verfassungsrechtsvergleich? Gedanken zur Rechtsvergleichung in der Judikatur des US Supreme Court*) Ein Kommentar
I. Einleitung II. Merkmale höchstgerichtlicher Rechtsvergleichung am US Supreme Court III. Höchstgerichtliche Rechtsvergleichung: nicht „autoritative“ Verweise oder doch ein bisschen mehr? IV. Allgemeine Überlegungen zur höchstgerichtlichen Rechtsvergleichung (am US Supreme Court) V. Schlussbemerkungen Abstract: Der Beitrag beschäftigt sich mit der Rechtsvergleichung am US Supreme Court (SC). Er zeigt, in welchen Rechts- und Sachbereichen der SC vergleicht, erörtert wie das Gericht dabei vorgeht und auf welche Staaten es idR verweist und geht darüber hinaus der Frage nach, inwieweit Verweise auf ausländisches Recht bzw ausländische Judikate zulässig sind. Deskriptoren: Argumentation, gerichtliche; Argumentation, richterliche; Rechtsvergleichung; Rechtsvergleichungspraxis; US Supreme Court; Verfassungsvergleichung. Rechtsquellen: Atkins vs Virgina; Lawrence vs Texas; Miranda vs Arizona; Printz vs United States; Roe vs Wade; Roper vs Simmons; Washington vs Glucksberg.
I. Einleitung „Sie haben das Recht zu schweigen. Alles was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Wenn Sie sich keinen Rechtsanwalt leisten können, wird Ihnen einer gestellt.“1) Wer kennt ihn nicht, diesen Stehsatz amerikanischer Krimis und Thriller? Den meisten Juristen ist diese Redewendung zusätzlich als rechtliche Essenz einer der bekanntesten Entscheidung des US Supreme Court (SC), nämlich Miranda vs Arizona aus dem Jahr 19662), ein Begriff. Seitdem sollten Verdächtige im Rahmen eines polizeilichen Verhörs über ihre Rechte aufgeklärt und va auf ihr Recht auf Anwesenheit eines Anwaltes aufmerksam gemacht werden. Diese sog *) Für wertvolle Hinweise und Einsichten danke ich Elisabeth Holzleithner. 1) Vgl DeLisle, Eine Streitschrift für die Weltmacht USA (2010) 38. 2) 384 US 436 (1966).
„miranda-warning“3) avancierte durch amerikanische Populärkultur quasi zum allgemeinen Kulturgut. Dass sich der US Supreme Court bei einer seiner schillerndsten und umstrittensten4) Entscheidungen der Rechtsvergleichung5) bediente, ist hingegen weit weniger bekannt. Bei der Beantwortung der Frage nach der Tragweite des Selbstbezichtigungsverbotes und um die Rationalität seiner Entscheidung zu untermauern, berief sich der SC unter Chief Justice Warren6) ua auf ausländisches Recht (England, Schottland, Indien und das damalige Ceylon). Dass ähnlich gelagerte Rechtsprobleme regelmäßig in unterschiedlichen kulturellen und rechtlichen Kontexten auftreten, beweist nicht nur Miranda vs Arizona; auch der österreichische Verwaltungsgerichtshof hatte sich im Jahr 2002 mit anwaltlichen Anwesenheitsrechten bei der Beschuldigtenvernehmung auseinanderzusetzen.7) Das Ergebnis der Entscheidung erinnert frappant an das amerikanische „Vorbild“ aus dem Jahr 1966. Ob Miranda vs Arizona bei der Urteilsfindung des Verwaltungsgerichts3) Siehe dazu etwa Siegel, Introduction to Criminal Justice (2009) insb 339. 4) Die Vorjudikatur (Miranda vs Arizona) ausdrücklich bestätigend Dickerson vs United States, 530 US 428 (2000). Vgl dazu auch Hiesel, Rechtsprechungskorrektur durch Richterernennung? Über den Einfluss von Präsidenten auf die Entwicklung der Rechtsprechung des US Supreme Court durch die Ernennung neuer Richter, ZÖR 2010, 177 (197). 5) Die Begriffe Rechtsvergleichung und Verfassungsvergleichung werden im vorliegenden Beitrag synonym verwendet. 6) Chief Justice Warren war auch der Verfasser der Mehrheitsentscheidung. 7) VwGH 2000/01/0325, VwSlg 15.901 A; vgl dazu auch Soyer, Zur Funktion und zur Regelung des Rechts auf Verteidigung bei der ersten Beschuldigtenvernehmung aus österreichischer Verteidigungsperspektive, AnwBl 2007, 21; Heissenberger, Die Beiziehung eines Verteidigers zu den kriminalpolizeilichen Vernehmungen im Lichte des Strafprozessreformgesetzes, RZ 2007, 82, der die rechtliche Lage „des Beschuldigten auf Beiziehung eines Rechtsbeistands zu den kriminalpolizeilichen Vernehmungen“ vor und nach dem Strafprozessreformgesetz analysiert.
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hofes tatsächlich Pate stand,8) dafür gibt es in der Entscheidung keine Anhaltspunkte. Journalistische Kommentatoren sahen sich dennoch veranlasst, von einer Angleichung der Ermittlungsmethoden von Kottan und Columbo zu sprechen.9) Miranda vs Arizona ist augenscheinlich ein gutes Beispiel dafür, dass juristische Probleme nicht national isoliert auftreten. Viel mehr noch, es zeigt, dass nationale Lösungen auch Inspiration für fremde Rechtsordnungen und deren Problemlagen sein können. Widmet man sich nun der Frage, wie Verfassungsvergleichung durch nationale Höchstgerichte ausgestaltet ist, so liegt ein Blick auf die diesbezügliche Praxis des „Mutterlandes der Verfassungsge richtsbarkeit“10) auf der Hand. Bei näherer Betrachtung der Judikatur des US Supreme Court wird deutlich, dass weder Miranda vs Arizona noch Chief Justice Warren die Rechtsvergleichung am SC erfunden haben. Rechtsvergleichung am SC ist beinahe so alt wie die Institution selbst.11) Ebenso alt wie die Rechtsvergleichungspraxis ist die Kritik daran. Rechtsvergleichung in der Judikatur des Supreme Court veranlasst Richter heute wie damals regelmäßig dazu, sich negativ oder zumindest skeptisch dazu zu äußern. Richterliche Kontroversen dieser Art werden idR über „dissenting opinions“12) ausgetragen.13) Deren vorläufiger Höhe 8) Wie Wieser, Vergleichendes Verfassungsrecht (2005) 36, im Zusammenhang mit Verfassungsgerichten ausführt, ist es oftmals schwierig „wirklichkeitstreu“ nachzuzeichnen, ob (Verfassungs)Gerichte sich eines Rechtsvergleiches bedient haben oder nicht, da Gerichte den Blick auf fremde Rechtsordnungen oder Judikate nicht immer offen legen. 9) Vgl Simoner, Recht auf Anwalt: Ermittlungsmethoden von Columbo und Kottan nähern sich an, Der Standard 14.01.2003. 10) Vgl Wahl, Das Bundesverfassungsgericht im europäischen und internationalen Umfeld, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 37-38/2001, 45. Zur Bedeutung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes als erstes spezialisiertes Verfassungsgericht siehe auch den Beitrag von Claudia Fuchs in diesem Heft. 11) Vgl dazu nur die rund 170 Seiten umfassende Studie von Calabresi/Dotson-Zimdahl, The Supreme Court and Foreign Sources of Law: Two Hundred Years of Practice and the Juvenile Death Penalty Decision, WM & Mary L Rev 2005, 743. Siehe auch den Beitrag von Christoph Bezemek in diesem Heft. 12) Zur Frage einer Einführung der „dissenting opinion“ in Österreich siehe beispielsweise schon Ermacora, Reform der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: AdamovichFS (1992) 49 (51ff); Hiesel, Gedanken zur Diskussion über die Einführung der „dissenting opinion“ am Verfassungsgerichtshof aus dem Blickwinkel des Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika, JRP 2000, 22; Machacek, Die Einrichtung der „Dissenting Opinion“ im internationalen Vergleich Einführung des Minderheitsvotums am Verfassungsgerichtshof, JRP 1999, 1; Noll, Transparenz und Kontrolle im verfassungsgerichtlichen Verfahren (Teil I). Zu einem gescheiterten Versuch, die dissenting opinion beim VfGH einzuführen (Entwurf einer Novelle des § 26 VfGG 1953), AnwBl 1993, 221. 13) Vgl dazu beispielsweise die Kontroversen über die
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punkt fand jedoch im Rahmen einer Veranstaltung der US Association of Constitutional Law im Jahr 2004 statt. Der konservative Richter Scalia14), als prononcierter Gegner der Rechtsvergleichung, auf der einen und der als liberal geltende Richter Breyer15), als glühender Vergleichungsbefürworter, auf der anderen Seite lieferten sich dabei einen Schlagabtausch.16) Während Scalia die Rechtsvergleichung für befruchtend, aber rechtlich unzulässig hält,17) lässt Breyer keinen Zweifel an ihrer Zulässigkeit. Er sieht im ausländischen Recht einen Ort des Lernens18) und eine Quelle der Inspiration.19) Er versäumt aber auch nicht zu betonen, dass ausländisches Recht, es sei denn, es wäre rechtlich angeordnet, niemals autoritativ sein könne.20) Nicht zuletzt diese weitgehend öffentlich ausgetragenen Kontroversen und die quantitative Zitatenzunahme auf ausländische Judikate und Normen in (gesellschafts)politisch heiklen und umstrittenen Zulässigkeit der Zitierung ausländischen Rechts oder ausländischer Entscheidungen in United States vs Smith, 18 US 153 (1820), mit einer Meinungsverschiedenheit zwischen Justice Story (Verfasser der Mehrheitsmeinung mit Verweisen auf ausländisches Recht) und Justice Livingston(Verfasser einer „dissenting opinion“ mit Kritik am Verweis auf ausländisches Recht) oder die Kontroversen zwischen Justice Kennedy und Justice Scalia in Lawrence vs Texas, 539 US 558 (2003) bzw Roper vs Simmons, 543 US 551 (2005). 14) Justice Antonin Scalia wurde im Jahr 1986 von Präsident Reagan ernannt. 15) Justice Stephen Breyer wurde im Jahr 1994 von Präsident Clinton ernannt. 16) Abgedruckt in: A conversation between US Supreme Court justices. The relevance of foreign legal materials in US constitutional cases: A conversation between Justice Antonin Scalia and Justice Stephen Breyer, ICON 2005, 519. 17) In dieser Meinung wird er vom ebenfalls als konservativ geltenden Richter Clarence Thomas (ernannt durch Präsident Bush im Jahr 1991) tatkräftig unterstützt. 18) In dieser Auffassung wird er ua auch von Justice Ruth Bader Ginsburg bestätigt. Vgl dazu etwa Ginsburgs Rede „A decent Respect to the Opinions of [Human] kind“: The Value of a Comparative Perspective in Constitutional Adjudication, vor der International Academy of Comparative Law am 30.7.2010, www.supremecourt.gov/ publicinfo/speeches/viewspeeches.aspx?Filename=sp_ 07_30_10.html (1.9.2010); dass dem Betrachten “fremder” Rechtsordnungen immer auch ein Lerneffekt hinsichtlich der „eigenen“ Rechtsordnung innewohnt, betont beispielsweise Storr, Die österreichische Bundesverfassung – eine Hausbesichtigung, ZfV 2009, 530 (531 und 539). 19) Zur Frage, was Rechtsvergleichung alles leisten kann vgl etwa Baer, Verfassungsvergleichung und reflexive Methode: Interkulturelle und intersubjektive Kompetenz, ZaöRV 2004, 735. 20) In diesem Sinne auch Ginsburg (FN 18) und auch Elena Kagan im „confirmation hearing“ anlässlich ihrer Bestellung zur Richterin am Supreme Court bei der Beantwortung der Frage, ob sie ausländisches Recht in ihrer Tätigkeit als Richterin berücksichtigen würde.
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Fragen – wie etwa in Roe vs Wade (Schwangerschafts abbruch)21), Atkins vs Virgina (Todesstrafe bei Menschen mit geistiger Behinderung)22) Lawrence vs Texas (Rechtsstellung Homosexueller)23), Roper vs Simmons (Todesstrafe bei Jugendlichen)24) – haben zu einer regelrechten Flut an akademischer Literatur und politischen Debatten geführt. So widerlegten etwa Calabresi und Dotson-Zimdahl25) auf rund 170 Seiten eindrucksvoll die Behauptung, es würde keine Präjudizien für Rechtsvergleichung in der Judikatur des SC geben. Die beiden Autoren zeigen auch auf, dass die Verwendung ausländischen Rechtsmaterials stark von der jeweiligen Richterpersönlichkeit abhängt. Bei der Analyse der bisherigen Judikatur sticht den Autoren zufolge hervor, dass die drei ehemaligen Harvard-Professoren Justice Story, Justice Frankfurter sowie Justice Breyer am ehesten zur Rechtsvergleichung neigten.26) Es überrascht daher wenig, dass künftige Richter im Rahmen ihrer „confirmation hearings“ ua auch gefragt werden, ob sie bei ihrer Tätigkeit auf ausländische Rechtsquellen und Judikate zurückgreifen würden. So erging es jüngst auch Elena Kagan im Rahmen ihrer Nominierungsanhörung. Sie quittierte die Fragen im Senat mit einem „I’m in favor of good ideas … wherever you can get them“ und „foreign decisions do not rank as precedent … they could be informative in much the same way as one might gain knowledge or insight from reading a law review article“27). Wenngleich diese Worte viel über Kagans Methodenverständnis und einiges über die Rechtsvergleichung durch Höchstgerichte aussagen, bleibt dennoch abzuwarten, ob die ehemalige Dekanin der Harvard Law School ihren berühmten Vorgängern in ihrer Neigung zur Rechtsvergleichung ähneln wird.
410 US 113 (1973). 536 US 304 (2002). 23) Siehe FN 13. 24) Ebenda. 25) Siehe Calabresi/Dotson-Zimdahl (FN 11). Siehe in 21)
22)
diesem Zusammenhang etwa auch Cleveland, Our International Constitution, The Yale Journal of International Law 2006, 1 mwN oder Waters, Justice Scalia on the Use of Foreign Law in Constitutional Interpretation: Unidirectional Monologue or Co-Constitutive Dialogue?, Tul J Comp & Int’l L 2004/2005, 149. 26) Justice Scalia, der seine juristische Ausbildung an der Harvard Law School absolvierte, gehört hingegen zu den vehementesten und eloquentesten Kritikern der Rechtsvergleichung am SC. Die Verwendung ausländischen Rechts bei der Auslegung der amerikanischen Verfassung lässt sich mit seinem Methodenverständnis („originalism“, siehe in diesem Zusammenhang etwa Calabresi [Hrsg], Originalism. A Quater-Century of Debate [2007]) nicht vereinbaren. 27) Vgl Bravin, Looking Global: Ginsburg Speaks Out on Kagan, Comparative Law Issue, The Wall Street Journal Law Blog, v 30.7.2010, http://blogs.wsj.com (27.9. 2010).
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II. Merkmale höchstgerichtlicher Rechtsvergleichung am US Supreme Court Auch wenn es in der amerikanischen Verfassung keinen ausdrücklich niedergeschriebenen Anknüpfungspunkt für Rechtsvergleichung durch den US Supreme Court gibt,28) pflegt er diese Praxis dennoch seit mehr als 200 Jahren. Dieser Umstand und die Tatsache, dass die Rechtsvergleichung durch nationale (Verfassungs)Gerichte weltweit,29) so auch in Österreich,30) im Steigen begriffen ist, rechtfertigt gewiss einen näheren Blick auf die Praxis des amerikanischen Gerichts. An erster Stelle könnte man sich die Frage stellen, in welchen Rechts- und Sachbereichen der Supreme Court vergleicht und in welchen er dies gerade nicht tut? Sieht man sich die Judikatur näher an, so wird deutlich, dass ein Großteil der vergleichenden Entscheidungen im Strafrecht einerseits und in gesellschaftspolitisch brisanten Bereichen andererseits zu finden ist.31) In Angelegenheiten des Staatsorganisationsrechts und Fragen der föderalen Strukturen der Vereinigten Staaten lehnt der SC Rechtsvergleichung hingegen idR ab.32) So hat er auch in Printz vs United States33) einen von Justice Breyer vorgenommenen Rechtsvergleich mit den föderalen Strukturen der Schweiz, Deutschland und der Europäischen Union mehrheitlich als für die Vereinigten Staaten irrelevant abvotiert. An der Judikatur zeigt sich, dass der SC bei eindeutigen Bestimmungen auf Rechtsvergleichung generell verzichtet. Andererseits fordern relativ unbestimmte (oder widersprüchliche) Anordnungen wie jene des „Eighth Amendment“ den SC offensichtlich geradezu zum Rechtsvergleich heraus.34) Wenn es darum geht, ob eine bestimmte gesetzliche Bestimmung angemessen („reasonable“) ist, so verweist der SC regelmäßig auch auf ausländisches Recht 35). Weiters bedient der SC sich fremder Rechtsordnungen, wenn er die Rationalität seiner 28) Zu Verfassungsordnungen, die Rechtsvergleichung normativ anordnen, siehe den Beitrag von Konrad Lachmayer in diesem Heft. 29) Ebenda sowie die Beiträge von Christoph Bezemek, Anna-Bettina Kaiser und Heiko Sauer in diesem Heft. 30) Vgl dazu die Beiträge von Claudia Fuchs und Michael Mayerhofer in diesem Heft. Zu den eher seltenen Bezugnahmen auf ausländisches Recht bzw ausländische Judikate in der Judikatur des VfGH siehe Wieser (FN 8) 36 mit Verweis auf Heller, Rechtsvergleichung und Verfassungsrecht, in: Schwind-FS (1993) 147. 31) Siehe Calabresi/Dotson-Zimdahl (FN 11). 32) Ebenda 162. 33) 521 US 898 (1997). 34) Siehe FN 32. 35) Vgl dazu nur Dred Scott vs Sandford, 60 US 393 (1857); Reynolds vs United States, 98 US 145 (1878); Muller vs Oregon, 208 US 412 (1908); Lawrence vs Texas. Für diese und weitere Beispiele vgl Calabresi/ Dotson-Zimdahl (FN 11) 138 ff.
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Entscheidungen beweisen möchte.36) Schließlich werden Regelungen fremder Rechtsordnungen genützt, um eigene Überlegungen und Behauptungen empirisch zu untermauern.37) So verwendete der SC in Washington vs Glucksberg38) niederländische Erfahrungen mit der Sterbehilfe, um zu eruieren, ob der Staat Washington zu Recht ärztliche Sterbehilfe untersagt. In Roe vs Wade schaute er auf die Erfahrungen in England, Wales, Japan, der seinerzeitigen Tschechoslovakei und Ungarn, um der Frage nachzugehen, ob Schwangerschaftsabbrüche für Frauen medizinisch gefährlich wären.39) Auf welche Länder verweist der SC vorzugsweise? England gehört alleine aufgrund der historischen Zusammenhänge zu einem der „Lieblingsvergleichungsländer“. Gerade in den Anfangsjahren verwies der US Supreme Court besonders häufig auf englisches/britisches Recht und Römisches Recht oder auch pauschal auf christliche und zivilisierte Länder.40)41) Mitunter zitierte er auch ausländische Autoren42). In späteren Jahren erweiterte der SC sein Blickfeld und zog Länder des Commonwealth (etwa Australien43) oder Indien)44), verschiedenste europäische Staaten, darunter auch ehemals kommunistische Länder45), die Sowjetunion46), lateinamerikanische Staaten47), Japan, die Philippinen48), aber auch China49), ja sogar Zimbabwe50), die Euro36) Vgl dazu insb Roper vs Simmons; Muller vs Oregon, 208 US 412 (1908). Siehe dazu auch Calabresi/ Dotson-Zimdahl (FN 11) 154ff. 37) Calabresi/Dotson-Zimdahl (FN 11) 159ff. 38) 521 US 702 (1997). 39) Spezifisch zur Frage der Rechtsvergleichung durch Verfassungsgerichte bei Schwangerschaftsabbrüchen siehe A. Weber, Zur Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Verfassungsgerichtsbarkeit: dargestellt am Beispiel des Schwangerschaftsabbruchs, in: Zeidler-FS (1987) 371. 40) The Antelope, 23 US at 120; United States vs Perkins, 163 US 625 (1896). 41) Siehe dazu Calabresi/Dotson-Zimdahl (FN 11) 9ff. 42) Ebenda, 54. 43) So etwa in Lochner vs New York, 198 US 45 (1905), in der ua bei der Frage nach der durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit auch auf Österreich und Russland verwiesen wird. 44) Beispielsweise Wolf vs Colorado, 338 US 25 (1949). 45) So etwa in Roe vs Wade, wo er sich ua auf Erfahrungen der Tschechoslowakei und Ungarn berief, wohlgemerkt noch zu Zeiten des Kommunismus (!). 46) Thompson vs Oklahoma, 487 US 815 (1988). 47) Selected Draft Law Cases, 245 US 366 (1918), in der der Supreme Court unter Nennung zahlreicher Staaten für so etwas wie eine „universelle Militärpflicht“ plädiert. In derselben Entscheidung verweist der SC auch auf Rumänien, Russland, Serbien, die Türkei und China. 48) Trop vs Dulles, 356 US 86 (1958). 49) Ebenda sowie Roper vs Simmons, in der der SC auch auf den Iran, Pakistan, Saudi Arabien, Yemen, Nigeria und die Demokratische Republik Kongo verwies, die alle die Todesstrafe für Jugendliche abgeschafft haben und demnach die Vereinigten Staaten als einziger Staat die Todesstrafe bei Jugendlichen anwenden würden. 50) Wenn auch nur in Justice Breyers „dissenting opi-
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päische Union51) oder ganz einfach pauschal Europa52), Demokratien53), englischsprachige Völker54), die ganze Welt55) sowie auch Internationales Recht56) zu Rate. III. Höchstgerichtliche Rechtsvergleichung: nicht „autoritative“ Verweise oder doch ein bisschen mehr? Beinahe rituell wird von amerikanischen Befürwortern der Rechtsvergleichung der Verweis auf ausländisches Recht als nicht „autoritativ“57) bezeichnet.58) Sieht man sich die Judikatur des Supreme Court an, so wird ausländisches Recht in der Tat in den meisten Fällen dazu benutzt, von ausländischer Erfahrung zu lernen59) bzw die eigene Argumentation zu unterstützen oder die Plausibilität eigener Regelungen zu testen. Hingegen wird ausländisches Recht gerade nicht dazu verwendet, um amerikanisches Recht auszulegen. Ist die Diskussion damit schon beendet und die Frage nach deren rechtlicher Zulässigkeit bereits geklärt? Ist es wirklich so einfach; so auf die Art: Es kann auf alles verwiesen werden, es muss nur dazu gesagt werden, dass das Verweisen eben keine autoritative Wirkung hätte! Sehen wir uns die Vergleichungspraxis des US Supreme Court vor dem Hintergrund dieser These an. Der Supreme Court verweist beinahe ausschließlich in jenen Fällen auf fremde Rechtsnormen bzw ausländische Judikate, in denen er keine eindeutige Lösung des zugrunde liegenden Rechtsproblems bzw der einschlägigen Rechtsnormen sieht. Bei solchen als nicht eindeutig lösbar identifizierten Rechtsfragen macht der SC zuvor regelmäßig das, was jedes Gericht bzw jeder Richter in dieser Situation macht:60) Er versucht den verbleibenden Entnion“ zu Knigth vs Florida, 528 US 990 (1999). Obgleich Justice Breyer diesen Verweis in seinem Streitgespräch mit Justice Scalia (FN 16) als taktischen Fehler eingestand, da Zimbabwe ganz offensichtlich nicht die „human rights capital of the world“ sei. 51) Printz vs United States (FN 33). 52) Vgl dazu etwa Reynolds vs United States (FN 35), in dem der SC pauschal auf Nord- und Westeuropa verweist. 53) So beispielsweise in Thompson vs Oklahoma (FN 46). 54) Adamson vs California, 322 US 36 (1947). In Wolf vs Colorado (FN 44), spricht der in Wien geborene Justice Frankfurter von der englischsprachigen Welt. 55) Coker vs Georgia, 433 US 584 (1977); Atkins vs Virginia (FN 22), in der der SC von der Weltgemeinschaft („world community“) spricht. 56) Vgl New York Life Insurance Co vs Hendren, 92 US 286 (1876). 57) Im Englischen „authoritative“. 58) Vgl dazu etwa die Aussagen von Justice Breyer, Bader Ginsburg oder Kagan. 59) Siehe dazu Calabresi/Dotson-Zimdahl (FN 11) 162. 60) Allgemein zur juristischen Argumentation und Entscheidungstätigkeit von Gerichten und Richtern siehe
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scheidungsspielraum im konkreten Einzelfall nach Anwendung aller möglichen Auslegungsmethoden einer gerechten und rationalen Lösung zuzuführen.61) Dabei ist das Gericht stets bemüht, die Entscheidung intersubjektiv überprüfbar zu gestalten. Ausgehend vom spezifischen Problem arbeitet das Gericht eine konkrete Lösung heraus und wägt alle denkmöglichen Argumente gegeneinander ab. Welche rechtlichen und auf den ersten Blick „außerrechtlichen“ Argumentationshilfen das Gericht dabei zu Rate zieht, ist a priori einmal irrelevant. Wenn er denn ein Argument in einem ausländischen Judikat findet bzw aus einer ausländischen Rechtsordnung ableitet, kann das Zitieren gerade dieser Inspirationsquelle wohl nicht „verboten“ sein. Der Verweis auf die inspirationsgebende Quelle würde die Rationalität der Entscheidung wohl eher steigern als verringern.62) In diesem Sinne wäre ein solcher Verweis nichts anderes als das Zitieren akademischer Literatur63). Kaum jemand würde aber auf die Idee kommen, einem Höchstgericht vorzuschreiben, es müsse bei Verwendung einschlägiger Literatur den Zweck der Zitierung oder die Methode der Auswahl offen legen. Solange das Gericht in der Lage ist, durch Verweis auf ausländisches Recht seine Argumentation zu stärken bzw zu untermauern oder durch den Verweis den eigenen Begründungsaufwand – ohne Rationalitätsverluste – zu verkleinern, sprechen vorerst keine guten Gründe gegen ein Verweisen auf ausländische Rechtsordnungen bzw Judikate64). Diesbezügliche Verweise sind ähnlich wie Zitate auf Fachetwa Alexy, Theorie der juristischen Argumentation2 (1990); Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre (2005); Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung2 (1976); Koller, Theorie des Rechts2 (1997); Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 (1991) insb 137 ff. 61) Genau dieser Interpretationsspielraum ist „Einfallspforte für ‚andere Normen, die hier in den Prozess der Rechtserzeugung einmünden können; Normen der Moral, der Gerechtigkeit, soziale Werturteile […]’“. Vgl dazu Holzleithner/Mayer-Schönberger, Das Zitat als grundloser Grund rechtlicher Legitimität, in: Feldner/ Forgó (Hrsg), Norm und Entscheidung: Prolegomena zu einer Theorie des Falls (2000) 318 (327 Fn 26 mV auf Kelsen). 62) Mit dem Offenlegen einer bestimmten Quelle scheint beinahe immer die Rationalitätssteigerung einer Entscheidung gegeben zu sein. 63) Man könnte freilich argumentieren, dass es bei Fachliteratur zumeist um die Auslegung konkreter innerstaatlicher Normen geht und dessen Zitierung schon alleine deshalb kein Problem darstelle. Oftmals wird aber nicht auf Literatur verwiesen, die sich lediglich mit dem Auslegen bestimmter Rechtsnormen beschäftigt, sondern auf Beiträge, die auf einer viel abstrakteren Ebene ansetzen und sich etwa mit der Herausarbeitung rechtlicher Prinzipien beschäftigen. Ob nun beim Verweisen auf solche Prinzipien auf Fachliteratur oder auf ausländische Rechtsordnungen verwiesen wird, erscheint indes irrelevant. 64) In diesem Sinne auch Wieser (FN 8) 33 f.
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literatur zu bewerten, und als solche sind sie weder demokratiepolitisch bedenklich noch stellen sie aus rechtsstaatlicher Sicht ein Problem dar.65) Das Suchen nach rechtlichen und „außerrechtlichen“ Argumenten für die Lösung eines konkreten Rechtsproblems ist die Aufgabe eines Gerichts, gerade dazu ist es in rechtsstaatlichen Demokratien legitimiert. Auch beim Verwenden fremder Rechtsordnungen bleibt das Gericht dazu verpflichtet, eine rational nachvollziehbare und gerechte Lösung zu finden. Die Gefahr, dass das Heranziehen fremder Rechtsordnungen und Judikate zu einer nicht vorhersehbaren und damit rechtsstaatlich bedenklichen Entscheidung66) führt, ist nicht größer oder kleiner als bei jedem anderen Argumentationsvorgang. Wenngleich damit ein Verweisen auf ausländisches Recht nicht dem Grunde nach verwerflich erscheint, ist dennoch zu bezweifeln, ob diese Praxis häufig zu einer rationaleren Entscheidungspraxis der Gerichte führen wird. Trotz der abstrakten Zulässigkeit ist beim Vergleichen stets auf die „vergleichbaren normativen Vorraussetzungen (Kontex tualität)“67) zu achten. Die Schwierigkeiten beim Aufspüren ähnlich gelagerter Fälle und die allgemeinen Probleme einer qualitativ hochwertigen und gewinnbringenden Rechtsvergleichung sind hinlänglich bekannt.68) Im Ergebnis bedeutet dies: Ist ein Richter in der Lage einen rational nachvollziehbaren Rechtsvergleich durchzuführen, so sprechen wenige Gründe dagegen. Dass jedoch ein solcher Verweis nicht autoritativ wäre, dem muss widersprochen werden. Richter und Gerichte sollten sich dabei nicht selbst belügen. Es handelt sich immerhin um eine höchstgerichtliche Entscheidung und diese ist von der ersten bis zur letzten Zeile „autoritativ“69). Das Zitieren von Entscheidungen, von Fachliteratur oder eben auch fremder Rechtsordnungen oder ausländischer Judikate wird regelmäßig dazu verwendet, die eigene Rechtsprechung zu legitimieren70). Der Verweis ist Teil der Interpretationsleistung und dient dazu, die Argumentation des Ge65) Zur Frage, ob Rechtsvergleichung durch Höchstgerichte demokratiepolitisch oder rechtsstaatlich bedenklich ist vgl beispielsweise die Ausführungen von Konrad Lachmayer in diesem Heft. Ausführlich zur Vergleichung siehe Gamper, Verfassungsvergleichung und „gemeineuropäischer“ Verfassungsstaat. Wert und Unwert einer transnationalen Methode unter besonderer Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Judikatur, ZÖR 2008, 359. 66) Zu den Gefahren siehe Gamper (FN 65) 360 und 381 ff. 67) Ebenda 360 und 378 ff mit Verweis auf den VfGH. 68) Vgl dazu nur Konrad Lachmayer in diesem Heft; Baer (FN 19) sowie Tschetschner, Dialektische Rechtsvergleichung – Zur Methode der Komparistik im öffentlichen Recht, JZ 17/2007, 807. 69) Im Sinne von nicht irrelevant, aber freilich nicht im Sinne von „binding precedent“. 70) Zur Frage des Zitierens als Legitimationsmodus
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richts autoritativ abzusichern bzw der „juristischen Begründung … autoritative Kraft“ zu verleihen71). In dieser Funktion ist ein Verweis auf Fachliteratur, frühere Entscheidungen, Gesetzesmaterialien, aber eben auch fremdes Recht oder ausländische Entscheidungen besonders manipulationsanfällig. So manche gerichtliche Verweiskette hält einer Überprüfung nicht stand72). Dass Verweise keine inhaltlichen, sondern lediglich „string Zitate“73) sein können, ist ein weiteres Problem. Grundsätzlich kann gesagt werden: je größer die Anzahl der verwiesenen Länder oder ausländischen Judikate, umso verdächtiger. Inhaltlich effizient bzw rational wäre bereits ein Verweis auf eine einzige ausländische Rechtsordnung oder ein ebensolches ausländisches Judikat, solange es den „entsprechenden argumentativen Inhalt“ aufweist74). Der Verweis auf eine ganze Kette (eben „string“) legt hingegen die Vermutung nahe, dass mit dem Zitat bloß die „Legitimierung der Entscheidung“ erhöht werden soll75). Betrachtet man die Rechtsvergleichungspraxis des US Supreme Court unter diesen Gesichtspunkten, so fällt auf, dass man in der Judikatur beides findet: Vergleiche, die der inhaltlichen Auseinandersetzung und damit der Rationalität der Entscheidung und solche, die bloß der Legitimation einer Entscheidung dienen. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich allerdings keineswegs von jener, die beim Verweisen auf Präjudizien vorzufinden ist76). Der Rechtsvergleich mutiert in solchen Fällen zum „grundlosen Grund rechtlicher Legitimität“77). IV. Allgemeine Überlegungen zur höchstgerichtlichen Rechtsvergleichung (am US Supreme Court) Abstrahiert man die Jahrhunderte alte Rechtsvergleichung des US Supreme Court, so lassen sich auch einige allgemeinere bzw theoretischere Überlegungen zur höchstgerichtlichen Rechtsvergleichung anstellen. So etwa zur Frage, wann Rechtsvergleichung überhaupt erlaubt ist, in welchen rechtlicher Entscheidungen vgl ausführlich Holzleithner/ Mayer-Schönberger (FN 61) 325 ff. 71) Ebenda, insbesondere mit Verweisen auf Habermas und Kelsen. 72) Vgl dazu die in Holzleithner/Mayer-Schönberger (FN 61) angeführten Beispiele. 73) Von einem solchen Zitat spricht man dann, wenn ein Verweis keiner inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Zitierten dienen soll, sondern ausschließlich der „Legitimität der verweisenden Entscheidung“. Vgl dazu ausführlich Holzleithner/Mayer-Schönberger (FN 61) 338 f mit Verweis auf Walsh und Friedman et al. 74) Ebenda 339. 75) Ebenda. 76) Ebenda 342. 77) Siehe dazu Holzleithner/Mayer-Schönberger (FN 61).
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Sach- und Rechtsbereichen verglichen werden darf, welche Länder als Referenz heranzuziehen sind bzw auf welches Material grundsätzlich zurückgegriffen werden soll. Ist Rechtsvergleichung nicht ausdrücklich angeordnet, kann sie dennoch als Argumentationshilfe herangezogen werden. Auf die Rechtsvergleichung darf aber nur dann zurückgegriffen werden, wenn sich eine Lösung des konkreten Problems durch die Auslegung der innerstaatlichen Vorschriften nicht eindeutig ergibt bzw die innerstaatliche Regelung widersprüchlich ist. Mit dem Verweis auf ausländisches Recht bzw ausländische Judikate muss die Effizienz oder Rationalität der Entscheidung gesteigert werden und der Einzelfall damit einer gerechten und intersubjektiv überprüfbaren Entscheidung zugeführt werden. Hinsichtlich der Rechtsbereiche, in denen Vergleiche angestellt werden, eignen sich, wie oben bereits erwähnt, das Strafrecht und gesellschaftspolitisch brisante Themen besonders gut für einen Rechtsvergleich. Weniger eignet sich hingegen ein Rechtsvergleich für jene Rechtsbereiche, denen man ganz besondere kulturelle Merkmale beimisst. Für den US Supreme Court sind das – interessanterweise – das Staatsorganisationsrecht und die spezifische föderale Struktur der Vereinigten Staaten. Europäisch sozialisierte Juristen und Juristinnen mag das verwundern. Gerade das Strafrecht oder gesellschaftspolitisch brisante Themen wie die Todesstrafe oder die Sterbehilfe würden etwa in Österreich viel eher mit den kulturellen Eigenheiten der Rechtsordnung in Verbindung gebracht als beispielsweise das Staatsorganisationsrecht oder die spezifischen föderalen Strukturen. Bei der Auswahl der Referenzländer geriert das Gericht sich als beinahe ungebunden. Idealerweise dürfe es keine Rolle spielen, woher gute Ideen stammen, wie es Kagan in ihrem „confirmation hearing“ so schön formulierte.78) Die Geschichte des Rechtsvergleichs am US Supreme Court legt tatsächlich die Vermutung nahe, dass er bei der Auswahl der Referenzländer nur auf inhaltliche Kriterien achtet, immerhin verweist der SC in seiner Judikatur sogar auf Regelungen kommunistischer Staaten oder erstaunlicherweise auch auf jene nicht demokratischer Staaten. Dass aber nicht alles geht, zeigt der Versuch Breyers in einem Fall, den SC davon zu überzeugen, dass Zimbabwe ein gutes Vorbild für Menschenrechtsstandards wäre.79) Der Supreme Court lehnte diesen Verweis aber nicht mehrheitlich deshalb ab, weil auf ein Land wie Zimbabwe generell nicht verwiesen werden könnte, sondern ganz einfach deshalb, weil die menschenrechtliche Vorbildwirkung Zimbabwes rational nicht begründbar erschien. Vgl dazu FN 27. Vgl dazu FN 50.
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Abhandlung
JRP
Welches Material beim Rechtsvergleich heranzuziehen und in welchem Umfang dieses aufzuarbeiten ist, steht dem Gericht weitgehend frei. Auf eine kulturelle Kontextualisierung wird regelmäßig verzichtet. Ebenso bleibt die Verwendung von Sekundärliteratur und ausländischer Fachliteratur die Ausnahme. Die Judikatur des US Supreme Court zeigt, dass die Wahl des Materials und der Referenzländer stark von der jeweiligen Richterpersönlichkeit und ihren spezifischen Kenntnissen abhängt. Glaubt man hingegen, wie weiter oben argumentiert wurde, dass für die Effizienz- und Rationalitätssteigerung im Grunde ein einziger Verweis auf eine singuläre Entscheidung und deren Argumentation genüge, so scheint es hinsichtlich der Breite des Rechtsvergleiches tatsächlich keine Vorgaben zu geben – so lange, aber eben auch nur dann, wenn es die Effizienz und Rationalität der Entscheidung zu fördern vermag. Aus der Ethnologie bekannte „dicke Länderberichte“80) erübrigen sich in einem solchen Fall.
zu befürworten ist er dennoch nicht. Gewarnt sei insbesondere vor jenen Vergleichen, die der bloßen Legitimation der Entscheidung und gerade nicht der inhaltlichen Auseinandersetzung dienen. In diesem Fall sind die etwa von Justice Scalia ins Treffen geführten Manipulationsgefahren82) tatsächlich gegeben. Eine grundsätzliche Warnung vor dem Rechtsvergleich oder gar die Forderung, er dürfe ausschließlich dann stattfinden, wenn die Methode geradezu akribisch reflektiert werde, erscheint indes überzogen. Damit würde man den Rechtsvergleich erst zu dem machen, was er eigentlich nicht sein soll, nämlich eine zwingende und autoritative Auslegungsmethode. Das aber wollen nicht einmal die vehementesten Vertreter der Rechtsvergleichung, wie etwa Justice Breyer.
V. Schlussbemerkungen
A conversation between US Supreme Court justices. (FN 16) 531.
Beschränkt sich ein Gericht bei der Verfassungsvergleichung tatsächlich auf eine „kontrollierende Absicherung eines schon gefundenen Ergebnisses, also die Selbstvergewisserung gegenüber nationalen Engführungen“81), so spricht wenig gegen eine Rechtsvergleichung auch durch nationale Verfassungsgerichte. Fürchten muss man sich vor einem Rechtsvergleich in der Tat nicht, uneingeschränkt Zum Verzicht von Länderberichten bei der Rechtsvergleichung vgl etwa Tschetschner (FN 68) 815. 81) Ebenda. 80)
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Korrespondenz: Univ.-Ass. Dr. Iris Eisenberger M Sc. (LSE), Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien, Schottenbastei 10–16, A-1010 Wien;
[email protected] 82)
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