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Beschwerden am Muskel-Skelett-System von Beschäftigten in der Bauwirtschaft
BG der Bauwirtschaft, Arbeitsmedizinischer Dienst
Beschwerden am Muskel-Skelett-System von Beschäftigten in der Bauwirtschaft Bernd Hartmann & Dirk Seidel B. Hartmann, D. Seidel: Beschwerden am Muskel-Skelett-System von Beschäftigten in der Bauwirtschaft. Zbl Arbeitsmed 58 (2008) 264–273 Schlüsselwörter: arbeitsmedizinische Vorsorge – Beschwerden – Muskel-Skelett-System – Bauwirtschaft – körperliche Belastungen Zusammenfassung: Die Daten der arbeitsmedizinischen Vorsorge von Beschäftigten der Bauwirtschaft liefern Angaben der Beschäftigten zu ihren körperlichen Belastungen und zu den Beschwerden am Muskel-Skelett-System, die in Beziehung zu Beruf und Alter analysiert werden. Aus der betriebsärztlichen Vorsorge zwischen 1991 und 2003 (118.379 Männer/11.775 Frauen) werden entsprechende Informationen für Beschäftigte der deutschen Bauwirtschaft analysiert. Die durchschnittlich angegebenen Beschwerden liegen für Rückenschmerzen in der Lenden- und Halsregion bei 38,6% (Männer) und 47,1% (Frauen). Gemäß den Erwartungen einer höheren Belastung der Männer geben 26,9% der Männer und 24,0% der Frauen Gelenkbeschwerden an. Die altersstandardisierten Häufigkeiten bei Männern zeigen Rückenbeschwerden besonders häufig bei Glasern, Ofensetzern, Installateuren und Raumausstattern, Gelenkbeschwerden bei Installateuren, Fliesenlegern, Estrichlegern und Glasern. Rückenbeschwerden haben ein signifikant erhöhtes Odds-Ratio bei schweren Lasten (1,60) und Zwangshaltungen (1,33), Ganzkörper- (1,27) und Teilkörperschwingungen (1,21). Auch Gelenkbeschwerden stehen in einer signifikanten Beziehung zu schweren Lasten (1,52), Zwangshaltungen (1,31), Ganzkörper- (1,23) und Teilkörperschwingungen (1,29). Die Kombination von schweren Lasten, Zwangshaltungen und Teilkörpervibrationen hat den stärksten Einfluss auf Rückenbeschwerden (OR = 2,44) und Gelenkbeschwerden (OR = 2,51). Termindruck als typische Situation im Bauhandwerk erklärt einen erheblichen Teil der Beschwerden (Rückenbeschwerden OR = 1,6, Gelenkbeschwerden = 1,4). Beschäftigte der Bauwirtschaft haben einen geringeren Anstieg der Muskel-Skelett-Beschwerden als andere Bevölkerungsgruppen in den letzten 12 Jahren. Den Zwangshaltungen kommt eine mindestens gleichrangige Bedeutung gegenüber den schweren Lasten zu. Die Vibrationsbelastungen verdienen größere Aufmerksamkeit in der Vorsorge.
Complaints at the musculoskeletal system of employees in construction industry B. Hartmann, D. Seidel: Complaints at the musculoskeletal system of employees in construction industry. Zbl Arbeitsmed 58 (2008) 264–273 Key words: occupational health examination – disturbances – musculoskeletal system – construction industry – physical loads Summary: Data from occupational health examination at the construction industry deliver details about physical loads and complaints at the musculoskeletal system. They can be analyzed in relation to professions and age. From occupational health examinations between 1991 und 2003 (118.379 males/11.775 females) the data of people from construction industries were analyzed. The prevalence of low and cervical back pain reported between 1991 and 2003 was 38,6% (males) and 47,1% (females) per year. In contrast the prevalence of joint pain was 26,9% (male) and 24,0% (female). The age-adjusted prevalence’s for back pain are highest at glaziers, stove fitters, plumbers and interior decorators, for joint pain at plumbers, tilers, floor layers and glaziers. In relation to back pain Odds-ratios are significant higher from heavy loads (1,60) and forced postures (1,33), whole-body vibration (1,27) and hand-arm vibration (1,21). Also joint pain show significant relations to heavy loads (1,52) and forced postures (1,31), whole-body vibration (1,23) and hand-arm vibration (1,29). The combination between heavy loads, forced postures and hand-arm vibrations influences most strongly back pain (OR = 2,44) and joint pain (2,51). Time pressure is the main feature of psychosocial loads and explains a considerable part of complaints (back pain: OR = 1,6, joint pain: OR = 1,4). People working in construction industry in the last 12 years show lower increase of musculoskeletal complaints than other people. Forced postures are at least of equal rank to heavy loads. Vibrations should have greater attention in preventive health examinations. Adresse der Autoren: Prof. Dr. med. Bernd Hartmann ■ BG der Bauwirtschaft, Arbeitsmedizinischer Dienst ■ Holstenwall 8–9 ■ D 20355 Hamburg E-Mail:
[email protected]
Zbl Arbeitsmed 58 (2008) 264–273
1. Hintergrund häufig von hohen Belastungen des StützKenntnisse über Zusammenhänge zwi- und Bewegungsapparates begleitet: In schen körperlichen Belastungen am Ar- einer Kohortenstudie über 45 Jahre von beitsplatz und Beschwerden am Muskel- Bergennud & Nilsson (1988) mit 323 Skelett-System sind wichtig für die Be- Männern und 252 Frauen, die bereits urteilung von arbeitsbedingten Belas- zwischen 1938 bis 1983 verfolgt wurtungswirkungen auf Gesundheit, Befin- den, beträgt das Odds-Ratio (OR) für den und Arbeitsfähigkeit. Die Wahr- körperliche Schwerarbeit zur Entstescheinlichkeit, irgendwann im Leben hung von Rückenschmerzen für Männer unter Rückenschmerzen zu leiden (Le- 1,76 (1,01–3,10), für Frauen 2,03 benszeitprävalenz), beträgt für eine Per- (1,10–3,70). Bernard et al. (1997) fanson aus den westlichen Industrieländern den jedoch in 6 von 16 Studien keinen 60 bis 90%, für erwachsene Deutsche statistischen Zusammenhang und in liegt sie bei etwa 80% (Lühmann et al. weiteren 5 Studien ein OR von höchs2006). In etwa 85% der Fälle gibt es tens 1,5. Die für den Bewegungsapparat keine spezifischen Ursachen für die unspezifische „körperliche SchwerRückenschmerzen – sie gelten als unspe- arbeit“ zeigt eine inkonsistente Beziezifisch (im englischen Sprachgebrauch hung zu den Rückenschmerzen. auch als „mechanical“, „idiopathic“ oder Für das Heben und Tragen schwerer „common“). Empfundene Beanspruchun- Lasten fanden Bernard et al. (1997) in gen am Muskel-Skelett-System sind we- 10 von 14 Querschnittstudien einen stagen ihrer unterschiedlichen Konsequen- tistisch signifikanten Zusammenhang zen zu trennen in Folgen körperlicher zu Rückenschmerzen bei unterschiedbzw. „nichtkörperlicher“ Belastungen. lichen Last-Häufigkeits-Zeit-BeziehunDie Zielgruppe der werktätigen Be- gen. Bei Hoogendorn et al. (1999) wird völkerung ist für die Prävention von Rü- für „manual material handling“ als ckenschmerz und Gelenkbeschwerden Kombination aus Heben, Bewegen, Trabesonders geeignet, denn gen und Halten von Lasten in drei quali die große Gruppe der Erwerbstätigen tativ hochwertigen Studien ein signifikann in arbeitsplatzassoziierte Maß- kanter Effekt zu den Rückenschmerzen nahmen einbezogen werden, (OR 1,5 bis 3,1) gefunden. sie sind direkt erreichbar, womit eine Für Körperzwangshaltungen Beugen Evaluation der Wirksamkeit von Prä- und Knien finden Bernard et al. (1997) vention am Arbeitsplatz eher gelingen in 6 von 12 auswertbaren Studien sigkann als für andere Zielpopulationen, nifikante Zusammenhänge zu Rücken körperliche, psychische und soziale schmerzen. Punnett et al. (1991) hatten Arbeitsbedingungen sind wichtige in einer Fall-Kontroll-Studie am AutoModeratorvariablen der Entstehung mobil-Montageband eine OR für dauerund Chronifizierung von Rücken- hafte Vorbeugung von 8,1 (1,4–44) beschwerden. ermittelt. Sie war deutlich höher als für arbeitsplatzbezogene Maßnahmen er- das Heben von Lasten. Burdorf et al. lauben eine Koppelung, indem Arbeit- (1991) fanden in einer Querschnittstudie geber als Förderer präventiver Maß- an Betonbauern 47% der Arbeitszeit in nahmen gleichzeitig ihr Nutznießer gebeugter Haltung und ein OR von 2,8 z.B. durch Produktivitätserhöhung bzw. (1,3–6,0) für einen hohen aus dieser verminderte Arbeitsunfähigkeitszeiten Arbeitsplatzuntersuchung abgeleiteten sind (Lühmann et al. 2006; Hartmann „Haltungsindex“. Engholm & Holmström et al. 2007). (2005) haben bei Bauarbeitern in Arbeitsbedingte körperliche Belas- Schweden (vorwiegend Zimmerer, Betungen sind jedoch differenziert zu be- tonbauer, Installateure und Maurer) für trachten: starke tiefsitzende Rückenschmerzen Körperliche Schwerarbeit ist kein ein- durch Haltungen mit gebeugtem Oberdeutiger Belastungsfaktor, weil hier die körper länger als 1 Stunde in AbhängigBelastung des Herz-Kreislauf-Systems keit von der Art und Dauer dieser durch den Energieverbrauch der Musku- Zwangshaltungen bis zu 3-fach erhöhte latur im Vordergrund steht. Diese wird Risiken festgestellt.
Es besteht eine enge Beziehung zwischen Rückenschmerzen und Ganzkörpervibrationen. So war bei Bernard et al. (1997) in 15 von 19 Studien ein Zusammenhang gesichert. Bovenzi & Betta (1994) hatten bei Traktorfahrern für die Lebenszeitprävalenz von Rückenschmerzen ein OR der Ganzkörpervibration von 3,22 (2,1–5,2), in Beziehung zu Rückenschmerzen im letzten Jahr eine OR von 2,39 (1,6–3,7). Manninen et al. (1995) ermittelten für finnische Landwirte zwischen 45 und 54 Jahren ein relatives Risiko für tiefsitzende Rückenschmerzen von 1,42 (0,53–3,76). Schwarze et al. (1998) hatten zwischen unterschiedlichen Fahrzeugführern bei Unterbzw. Überschreitung der Tagesdosis einer Beurteilungsschwingstärke KZr 12,5 Prävalenzratenverhältnisse für Rückenschmerzen um 1,3 festgestellt. Im EU-Programm VIBRISKS wurden in Italien zwischen 2003 und 2006 Rückenschmerz-Risiken an verschiedenen Fahrzeugführern im Längsschnitt festgestellt. Mittlere Expositionen wirkten sich hier auf die 12-Monats-Prävalenz (OR = 2,80) und die Behandlungsprävalenz (OR = 2,62) aus (Bovenzi 2006). 2. Zielsetzung Auf der Grundlage von Daten der betriebsärztlichen Routinebeurteilung des Gesundheitszustandes von Beschäftigten der Bauwirtschaft bei arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen soll untersucht werden, • in welchen Häufigkeiten Rückenschmerzen und Gelenkbeschwerden in Abhängigkeit vom Untersuchungszeitpunkt, Lebensalter, Geschlecht und Beruf ermittelt werden und • welche Zusammenhänge zwischen den Einwirkungen durch Lastenhandhabungen, Zwangshaltungen und Vibrationen und der Verursachung von Rückenschmerzen und Gelenkbeschwerden bestehen. Die Ergebnisse sind hinsichtlich notwendiger präventiver Maßnahmen zu bewerten. 3. Methoden und Material Im Arbeitsmedizinischen Dienst der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft werden seit 1988 die Ergebnisse bau-
265
Complaints at the musculoskeletal system of employees in construction industry
zeitliche Dimension weitgehend, aber nicht eindeutig als Angabe zum heutigen Tag zu verstehen ist. Sie werden dennoch für die Auswertung verfolgt, weil diese Fragen unverändert während der gesamten Beobachtungszeit verwendet wurden. Die Angaben zu den Belastungen gründen sich auf die Fragen „Angaben zum Arbeitsplatz“: Körperliche Schwerarbeit ja/nein Heben und Tragen von schweren Lasten ja/nein Überwiegend Arbeiten in Zwangshaltung ja/nein Vibration – Ganzkörperschwingung (Gerät) ja/nein Vibration – Teilkörperschwingung (Gerät) ja/nein Es wurde eine Poolung der Untersuchungen nach Inhalten des Programms vorgenommen, wobei von jedem Beschäftigten nur die letzte Untersuchung im angegebenen Zeitraum in den jeweiligen Pool aufgenommen worden ist. Im Pool 3 (ab Jahr 2000) werden die Expositionen mittels eines detaillierten Fragebogens erhoben. Da zu diesem Zeitpunkt eine neue Software geplant war, wurde dieser Bogen nicht in die EDV-Akte übernommen. Er wurde nachträglich für ein begrenztes Kollektiv erfasst (siehe Zusatzerhebung 2001/ 2002).
Tabelle 1: Angaben über Rückenschmerzen und Gelenkbeschwerden in der Anamnese (Pool 1: n = 118.379 Männer/11.775 Frauen) Table 1: Details about back pain and joint pain in the anamnesis (Pool 1: n = 118.379 males/11.775 females) Prävalenz in % Merkmal Rückenschmerzen Gelenkbeschwerden
<25
25–34
35–44
45–54
ab 55
Gesamt
m
20,0
34,2
40,7
50,5
62,8
38,6
w
34,0
39,4
44,7
55,3
59,7
47,1
m
11,5
22,2
27,2
37,3
51,8
26,9
w
11,7
13,9
19,7
32,6
44,3
24,0
spezifischer arbeitsmedizinischer Vor- bezüglich selbst eingeschätzter körpersorgeuntersuchungen DV-technisch ge- licher Belastungen und Beschwerden speichert (EDV-Akte). An den Unter- des Muskel-Skelett-Systems dargestellt. suchungen nehmen Beschäftigte teil, die Alle Angaben der EDV-Akte wurden für eine Vorsorge verpflichtend nachweisen die Auswertung anonymisiert und könmüssen oder denen diese zur frei- nen im Auswertungsdatensatz nicht auf willigen Teilnahme angeboten wurde. konkrete Personen zurückgeführt werden. Anlässe waren neben Staub- und LärmDie Angaben der Anamnese zu den expositionen sowie Hautbelastungen Beschwerden gründen sich auf 2 Frainsbesondere Belastungen des Muskel- gen: Skelett-Systems. • „Haben Sie Beschwerden im Bereich Der vorhandene Datensatz der Region der Wirbelsäule oder ausstrahlende 1 (Hamburg) des AMD der BG BAU ist Beschwerden (z.B. Nacken-, Rücken-, für die Routinedokumentation von BeIschiasschmerzen)?“ triebsärzten mit den Konzepten der 80er • „Haben Sie Gelenk- oder GliederJahre des vergangenen Jahrhunderts anschmerzen?“ gelegt worden und nicht primär auf wisDiese als Einleitung für das ärztliche senschaftliche Auswertungen gerichtet. Gespräch konzipierten Fragen erlauben Aus dem Datensatz der Untersuchungen nur orientierende Aussagen, da ihnen werden hier Angaben der Anamnese ein exakter örtlicher Bezug fehlt und die
12,0
17,2
24,5
15-19
21,8
27,0
20-24
29,5
29,7
25-29
39,4
36,3
44,1
42,4
54,1
1991
40
2003
30
45-49
57,4
61,8
50
40-44
51,3
58,3
60
35-39
49,0
50,7
70
30-34
20
10
0
10
20
50-54
65,2
55-59
66,4
60-65
30
40
50
60
Anteil der untersuchten Männer mit Rückenbeschwerden in %
70
Alter in Jahren
266
Abbildung 1: Rückenbeschwerden in Abhängigkeit vom Alter (Pool 1: Männer 1991 bzw. 2003/ n = 11.944 bzw. 11.686) Figure 1: Back pain in relation to age (pool 1: males, 1991 resp. 2003/ n = 11.944 resp. 11.686)
Zbl Arbeitsmed 58 (2008) 264–273
6,7
8,4
14,2
15-19
13,0
15,9
20-24
20,3
18,2
25-29
27,3
30-34
28,4
35-39
20,8 25,1
33,2
32,8
40-44
37,7
43,9
44,7
52,9 37,8 70
60
50
1991
40
2003
30
20
45-49
10
0
10
50-54
53,4
55-59
53,8
60-65
20
Alter in Jahren
Abbildung 2: Gelenkbeschwerden in Abhängigkeit vom Alter (Pool 1: Männer 1991 bzw. 2003/ n = 11.944 bzw. 11.686) Figure 2: Joint pain in relation to age (pool 1: males, 1991 resp. 2003/ n = 11.944 resp. 11.686)
30
40
50
60
70
Anteil der untersuchten Männer mit Gelenkbeschwerden in %
Für die Auswertung standen somit zur 34 bis 39% (Frauen) bereits auf einem Am Beispiel der Männer können die Verfügung: hohen Niveau, bei Gelenkbeschwerden Unterschiede zwischen dem Anfang und • Pool 1: 103.913 Datensätze (95.199 zwischen 12 und 22% erheblich nied- Ende des Beobachtungszeitraums beMänner/8.714 Frauen) der Jahre 1991 riger. Die älteste Gruppe der männlichen trachtet werden. Im Jahr 1991 gaben in bis 1999 mit Angaben der Beschäftig- Beschäftigten gibt zu 62,8% Rücken- fast allen Altersklassen die befragten ten zur körperlichen Belastung, aus- schmerzen und 51,8% Gelenkbeschwer- Personen weniger Rückenschmerzen geübten Berufen und Beschwerden den an, obwohl anzunehmen ist, dass (Abbildung 1) und weniger Gelenk• Pool 2: 130.154 Datensätze (118.379 viele Personen mit Beschwerden bereits beschwerden (Abbildung 2) als im Jahr Männer/11.775 Frauen) der Jahre ihre Tätigkeit verlassen haben. Anderer- 2003 an. Die altersadjustierte Häufig1991 bis 2003 mit allen Angaben zu seits gibt ein erheblicher Anteil der älte- keit der Angabe von Rückenschmerzen den ausgeübten Berufen und Be- ren Beschäftigten keine Rücken- oder stieg über alle Altersgruppen um 6,3% schwerden. Gelenkbeschwerden an. von 36,7% (1991) auf 42,9% (2003). Bei • Pool 3: 3.585 Datensätze (3.413 Männer/172 Frauen) der Jahre 2001 bis 2: Zusammenhang zwischen Rücken- und Gelenkbeschwerden in Abhängigkeit vom Alter 2002 mit zusätzlichen detaillierten Tabelle und Geschlecht (Pool 1: 1991 bis 2003 – Prävalenzen in %) Angaben zur körperlichen Belastung Table 2: Relations between back pain and joint pain for age and sex (pool 1: 1991 to 2003 – und zum Termindruck. prevalence’s in %) 4. Ergebnisse 4.1 Häufigkeiten der Angaben bei allen untersuchten Beschäftigten Die von 1991 bis 2003 durchschnittlich angegebenen Beschwerden (Tabelle 1) liegen für Rückenschmerzen bei 38,6% (Männer) und 47,1% (Frauen). Bei den Gelenkbeschwerden sind die Unterschiede zwischen den Männern und Frauen mit 26,9% bzw. 24,0% umgekehrt und entsprechen eher den Erwartungen einer höheren Belastung der Männer. Die Angaben der jungen Beschäftigten bis 34 Jahre liegen für Rückenschmerzen mit 20 bis 34% (Männer) und
Alter in Jahren Beschwerden
<25
25–34
35–44
45–54
ab 55
Gesamt
Männer (n)
24.369
32.062
30.367
19.677
11.904
118.379
Nur Rückenschmerzen
13,4
18,6
20,5
20,1
17,8
18,2
Nur Gelenkbeschwerden
4,9
6,6
7,1
7,0
6,8
6,5
Rückenschmerzen und Gelenkbeschwerden
6,6
15,6
20,2
30,3
45,0
20,4
Frauen (n)
1.135
2.377
3.640
3.118
1.325
11.775
Nur Rückenschmerzen
25,8
28,6
28,7
27,9
23,6
27,5
Nur Gelenkbeschwerden
3,6
3,2
3,7
5,1
8,1
4,5
Rückenschmerzen und Gelenkbeschwerden
8,1
10,8
16,0
27,5
36,2
19,5
267
268
Beschwerden am Muskel-Skelett-System von Beschäftigten in der Bauwirtschaft
Tabelle 3: Rücken- und Gelenkbeschwerden in den Berufen mit den jeweils 10 höchsten Prävalenzen und OR im Vergleich mit White-CollarKollektiv (Schreibtischberufe) Table 3: Back pain and joint pain in the professions with the 10 highest prevalence’s and Odds-ratios in relation to white collar Rückenschmerzen
Prävalenz %
OR
Gelenkbeschwerden
Prävalenz %
OR
Glaser
53,6
1,70
Installateure
35,8
2,79
Ofensetzer
48,5
1,43
Fliesenleger
35,6
2,96
Installateure
48,1
1,48
Estrichleger
35,3
2,66
Raumausstatter
45,9
1,34
Glaser
33,7
2,55
Schlosser
45,3
1,32
Ofensetzer
33,3
2,40
Estrichleger
44,8
1,22
Stuckateure
33,3
2,53
Steinbearbeiter
44,7
1,30
Raumausstatter
33,1
2,47
Zimmerer
44,3
1,32
Zimmerer
31,5
2,48
Fliesenleger
43,2
1,26
Betonbauer
30,8
2,24
Betonbauer
42,7
1,20
Maurer
29,3
2,12
Schreibtischberufe
38,7
1,00
Schreibtischberufe
18,4
1,00
Alle Männer
38,6
0,99
Alle Männer
26,9
1,75
den Gelenkbeschwerden betrug dieser Anstieg 6,0% (von 24,2 auf 30,2%). Die Kombination der Beschwerdenkategorien zeigt Tabelle 2. Insgesamt geben etwa 20% der Männer und der Frauen sowohl Rückenschmerzen als auch Gelenkbeschwerden an. Jeder zweite Mann mit Rückenbeschwerden gibt auch Gelenkbeschwerden an. Jeder dritte Mann mit Gelenkbeschwerden hat auch Rückenschmerzen. Andererseits geben trotz hoher körperlicher Belastungen 54,9% der Männer und 48,5% der Frauen, darunter 30,4% bzw. 32,1% der Beschäftigten ab 55 Jahre keine Rücken- und Gelenkbeschwerden im Untersuchungszeitraum an.
vorderen Rängen die Installateure, Fliesenleger, Estrichleger und Glaser. 4.3 Belastungen und Beschwerden Die im Hochbau, Ausbau und Reinigungsgewerbe tätigen Männer sind nach eigener Einschätzung folgenden Belastungen ausgesetzt: • Schwere Lasten 70,2%, • Schwerarbeit 53,1%, • Zwangshaltungen 31,8%, • Teilkörperschwingungen 7,5%, • Ganzkörperschwingungen 1,4%.
Unter diesen körperlichen Belastungen wird Schwerarbeit am häufigsten mit 30,9% in Kombination mit schweren Lasten angegeben (Abbildung 3). Ihr folgen die Kombinationen mit schweren Lasten und Zwangshaltungen mit 15,8% sowie zwischen schweren Lasten und Zwangshaltungen mit 6,1%. Auf der Basis des Pools 1 der Männer wurden Assoziationen zwischen den Belastungen in der Anamnese und den Rücken- bzw. Gelenkbeschwerden untersucht (Abbildung 4).
Schwerarbeit+ Schwere Lasten
keine der 5 Belastungen 21,4
4.2 Berufliche Schwerpunkte Die berufsbezogenen Angaben über Beschwerden werden als Ausdruck der spezifischen Belastungssituation betrachtet. Ihre weitere Aufklärung erfolgt hier in der Beziehung zu Angaben über die Art der körperlichen Belastungen (Abschnitt 4.3). Die altersstandardisierten Häufigkeiten von Rücken- und Gelenkbeschwerden bei Männern (Tabelle 3) zeigen für die 10 Berufe mit den höchsten Prävalenzen: • Rückenbeschwerden werden in der Rangfolge besonders häufig von Glasern, Ofensetzern, Installateuren und Raumausstattern geklagt. • Gelenkbeschwerden betreffen auf den
30,9
Restliche Kombinationen
22,4 15,8
Schwere Lasten+ Zwangshaltungen + Teilkörpervibrationen
3,4
6,1
Schwerarbeit+ Schwere Lasten+ Zwangshaltungen
Schwere Lasten+ Zwangshaltungen
Abbildung 3: Häufigste in der Berufsanamnese zwischen 1991 und 1999 von Männern angegebene körperliche Belastungen (Pool 2: n = 95.199 Männer) Figure 3: Main physical loads in the occupational anamnesis of males between 1991 and 1999 (pool 2: males n = 95.199 males)
Zbl Arbeitsmed 58 (2008) 264–273
1,8 1,60
1,6
1,52
Odds Ratio+Konfidenzintervall
Abbildung 4: Assoziationen zwischen Belastungen am Arbeitsplatz und Rücken- bzw. Gelenkbeschwerden (Pool 2: Männer 1991–1999, adjustiert nach Alter und Beruf) Figure 4: Relations between occupational physical loads and back pain or joint pain (Pool 2: male, 1991–1999, age- and professionadjusted)
1,4 1,33
1,31
1,27
1,2 1,0
0,92 0,82
0,8 0,6 0,4 0,2 0,0
Schwerarbeit
Schwere Lasten
Zwangshaltungen
Ganzkörpervibrationen
Teilkörpervibrationen
Schwerarbeit
Schwere Lasten
Rückenbeschwerden
Sowohl die Rückenbeschwerden als auch die Gelenkbeschwerden haben ein signifikant erhöhtes Odds-Ratio bei schweren Lasten und Zwangshaltungen, bei Ganzkörper- und bei Teilkörperschwingungen. Zur Schwerarbeit ergeben sich keine signifikanten Beziehungen. Bei einer kombinierten Betrachtung der Häufigkeiten vor Rückenbeschwerden im Zusammenhang mit den drei wichtigsten Belastungen – schwere Lasten, Zwangshaltungen, Teilkörpervibrationen – ergibt sich (Abbildung 5): Die
Zwangshaltungen
Ganzkörpervibrationen
Teilkörpervibrationen
Gelenkbeschwerden
Beschwerden/Belastungen
Männer, Datenpool 1991-1999
Kombination aller drei Belastungen hat lichen Belastungen eingeführt worden den stärksten Einfluss auf die Rücken- (Pool 3). Deshalb liegt hier nur eine spebeschwerden (OR = 2,44). Danach folgt ziell erhobene Teilstichprobe aus den die Kombination aus Zwangshaltungen Jahren 2001 und 2002 an 3413 Männern und Teilkörpervibrationen (OR = 1,89). und 172 Frauen vor. Sie enthält die in der Für Gelenkbeschwerden zeigt sich bei Tabelle 4 angegebenen Belastungen. Betrachtung dieser drei BelastungsforBei einer simultanen Modellierung men (vgl. Abbildung 6): Den höchsten der Belastungen, des Alters und der Einfluss hat die Kombination der drei beruflichen Tätigkeit zeigen sich die in betrachteten Belastungen (OR = 2,51). Abbildung 7 und 8 dargestellten OddsZur Kennzeichnung der körperlichen Ratios. Belastungen war ab dem Jahr 2000 eine • Schwere Lasten bis 10, bis 25 und erweiterte Dokumentation der körperüber 25 kg steigern das OR für Rücken-
3,0
2,5
Odds Ratio+Konfidenzintervall
Abbildung 5: Assoziationen zwischen Rückenbeschwerden und der Kombination mehrerer Belastungen am Arbeitsplatz (Pool 2: Männer 1991–1999, adjustiert nach Alter und Beruf) Figure 5: Relations between back pain and combinations of occupational physical loads (pool 2: male, 1991–1999, ageand professionadjusted)
1,29
1,23
1,21
2,44
2,0
1,94
1,5
1,43
1,84
1,89
1,42 1,29
1,0
0,5
1
0 = keine der drei Belastungen 10 = nur Zwangshaltungen 100 = nur Teilkörpervibrationen 110 = Zwangshaltungen und Teilkörpervibrationen
1 = nur schwere Lasten 11 = schwere Lasten und Zwangshaltungen 101 = schwere Lasten und Teilkörpervibrationen 111 = schwere Lasten, Zwangshaltungen, Teilkörpervibrationen
0,0 0
1
10
11
100
101
110
111
269
Complaints at the musculoskeletal system of employees in construction industry
beschwerden auf den 1,6-, 1,9- und 2,3-fachen Wert, das OR für Gelenkbeschwerden sogar auf den 1,9-, 2,4und 2,7-fachen Wert der unbelasteten Gruppe. • Zwangshaltungen im Bücken rufen eine 1,6-fache Häufigkeit von Rückenbeschwerden und eine 1,4-fache Häufung von Gelenkbeschwerden hervor. • Deutliche Effekte zeigen die HandArm-Vibrationen bei gelegentlicher oder regelmäßiger Verwendung entsprechender Werkzeuge mit ORs der Rückenbeschwerden zwischen 1,4 und
1,6 sowie der Gelenkbeschwerden zwischen 1,4 und 1,7. • Termindruck als wichtiges Merkmal psycho-sozialer Belastungen erklärt einen erheblichen Teil der Beschwerden mit einem Anstieg der Rückenbeschwerden sowie der Gelenkbeschwerden. Aufgrund des gleichzeitigen Auftretens der einzelnen Belastungsmerkmale darf jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass z.B. Knien keinen signifikanten Einfluss auf die Gelenkbeschwerden hat.
5. Diskussion Beschwerden am Muskel-SkelettSystem werden von Beschäftigten der deutschen Bauwirtschaft bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge etwa gleich häufig wie in vergleichbaren ausländischen Studien angegeben (Holmström 1992; Bedrijfsatlas 2007). Sie weisen deutliche berufsbezogene Unterschiede auf. Die eigenen Ergebnisse für Rückenschmerzen bei 39% der männlichen und 47% bei weiblichen Beschäftigten liegen im unteren Bereich der erwartbaren Spannweite der vergleichbaren deutschen
3,0
2,51
Odds Ratio+Konfidenzintervall
2,5
2,0
1,94
1,93
1,85
1,67 1,5
1,45 1,29 1
1,0
0,5
0 = keine der drei Belastungen 10 = nur Zwangshaltungen 100 = nur Teilkörpervibrationen 110 = Zwangshaltungen und Teilkörpervibrationen
1 = nur schwere Lasten 11 = schwere Lasten und Zwangshaltungen 101 = schwere Lasten und Teilkörpervibrationen 111 = schwere Lasten, Zwangshaltungen, Teilkörpervibrationen
Abbildung 6: Assoziationen zwischen Gelenkbeschwerden und der Kombination mehrerer Belastungen am Arbeitsplatz (Pool 2: Männer 1991–1999, adjustiert nach Alter und Beruf) Figure 6: Relations between joint pain and combinations of occupational physical loads (pool 2: male, 1991–1999, ageand professionadjusted)
0,0 0
1
10
11
100
101
110
111
6
Odds Ratio+Konfidenzintervall
270
5
4
3 2,31
2
1,93 1,64
1,58
1,63
1,60
1
1,36
1,04
1,07
1,46
0,93
0 keine
bis 10 bis über 10 kg 25 kg 25 kg Lasten
Nein
Ja
Stark gebückt
Nein
Ja
Im Hocken
Nein
Ja
Im Knien
Nein
Ja
Hände über Kopf
Nein
Ja
Termindruck
keine gele- bis 3 gent- h/a lich Vibrationen
>3 h/a
Abbildung 7: Assoziationen zwischen physischen Belastungen und Rückenbeschwerden (Pool 3: Männer 2001–2002/ n = 3.413) Figure 7: Relations between physical loads and back pain (pool 3: males 2001–2002/ n = 3.413)
Zbl Arbeitsmed 58 (2008) 264–273
Bevölkerung: Im Bundesgesundheits- Tabelle 4: Physische Belastungen am Arbeitsplatz bei Männern (Männer, Pool 3: n = 3.143, Survey 1998 (Diemer et al. 2002) finden ohne sonstige Berufe) sich Rückenschmerzen in der Bevölke- Table 4: Physical loads at workplace of males in construction industry (male, pool 3, n = 3.143 without further professions) rung zwischen 38% (m) bzw. 45% (w) Belastung Angaben in % mit 20–29 Lebensjahren bis zu 60% (m) bzw. 65% (w) mit 50 bis 59 Jahren. In Wie schwere Lasten heben Sie häufig bei der Arbeit? einer Region Schwedens (Gummesson bis 10 kg 9,2 et al. 2006) wurde etwa ein Viertel der Bevölkerung zwischen 46 und 68 Jahren 10 kg–25 kg 37,0 befragt. Dauernde oder überwiegend vorhandene Schmerzen wurden im NaÜber 25 kg 45,9 cken für Männer/Frauen mit 14/25%, an Arbeiten Sie mehr als 2 Stunden/Tag in folgenden Haltungen? den Schultern mit 16/25%, an Ellenbogen und Hand mit 11/20% und im tiefen Stark gebückt 43,5 Rücken mit 16/20% angegeben. Im Hocken 31,1 Angaben über Rückenschmerzen und Gelenkbeschwerden bei deutschen BauIm Knien 48,8 arbeitern, die mit anderen Branchen verÜberkopfarbeit 31,5 gleichbar sind, finden sich in der BIBBBAuA-Erwerbstätigen-Befragung 2005/ Eins der vier 70,4 2006 (Sicherheit und Gesundheit bei der Fällt Ihnen Ihre Arbeit schwer? Arbeit 2005): In der telefonischen Befragung geben Schmerzen im unteren Schwere Arbeit 19,7 Rücken 55%, im oberen Rücken/Nacken 46% an. Den Gelenkbeschwerden Arbeiten Sie mit Bohrhämmern, Kettensägen und anderen vibrierenden Geräten? zuzuordnen sind die Schmerzen in den Gelegentlich 61,5 Armen und Händen mit 33% bzw. in den Beinen und Knien mit 40%. In der Nach< 3 Stunden 12,2 auswertung der Daten von Holmström > 3 Stunden 9,4 (Engholm & Holmström 2005) wird angegeben, dass Beschäftigte der BauwirtHaben Sie häufig Stress bei Ihrer Arbeit durch (psychosoziale Belastungen) …? schaft oft oder sehr oft Störungen im Termindruck 51,6 Nacken von 17,4%, am oberen Rücken von 8,0%, an den Schultern von 22,0%, Konflikte mit Mitarbeitern 11,0 an den Ellenbogen von 10,5%, an den 6
Odds Ratio+Konfidenzintervall
Abbildung 8: Assoziationen zwischen Belastungen und Gelenkbeschwerden (Pool 3: Männer 2001–2002/ n = 3.413) Figure 8: Relations between physical loads and joint pain (pool 3: males 2001–2002/ n = 3.413)
5
4
3
2,74 2,35
2
1,94 1,70 1,37
1,11
1
1,44
1,24
1,72
1,43
0,93
0 keine
bis 10 bis über 10 kg 25 kg 25 kg Lasten
Nein
Ja
Stark gebückt
Nein
Ja
Im Hocken
Nein
Ja
Im Knien
Nein
Ja
Hände über Kopf
Nein
Ja
Termindruck
keine
gele- bis 3 gent- h/a lich Vibrationen
>3 h/a
271
272
Beschwerden am Muskel-Skelett-System von Beschäftigten in der Bauwirtschaft
Handgelenken und Händen von 11,0%, leiten. In den Beschwerdenangaben für schmerzen, dass das Beugen >45° länim unteren Rücken von 25,7%, an den die wichtigsten Bauberufe, die in den ger als 1,5 Stunden pro Woche einen Hüften von 7,3%, an den Kniegelenken Niederlanden von ARBOUW publiziert deutlichen Einfluss (OR >1,34) haben. von 20,3% und an den Fußgelenken von wurden, ergibt sich eine vergleichbare Bei Rückenschmerzen mit Einschrän8,1% haben. Rangliste der am häufigsten von Rücken- kungen (disability) war der Einfluss der Der Trend zur Zunahme der Beschwer- schmerzen oder Gelenkbeschwerden be- Beugehaltung >45° eindeutiger ab 1.45 den ist im Beobachtungszeitraum 1991 troffenen Berufe (Bedrijfstakatlas 2007). Stunden je Woche mit OR = 3,18. Dabei bis 2003 bei den untersuchten BauarbeiBezogen auf die Beschäftigten der handelte es sich um exakt ermittelte Betern gering ausgeprägt und liegt unter deutschen Bauwirtschaft zeigt die BIBB- lastungszeiten und nicht um die Zeiträudem innerhalb von 7 Jahren in der deut- BAuA-Erwerbstätigen-Befragung 2005/ me, in denen sich anteilig diese Belasschen Bevölkerung beobachteten An- 2006 (Sicherheit und Gesundheit bei der tungen finden lassen. Eine Dominanz stieg von 36,6 auf 42,5% (Sicherheit und Arbeit 2005): Es geben 54% an, Arbei- der Wirkungen von Zwangshaltungen Gesundheit bei der Arbeit 2005). Anga- ten mit dem Heben und Tragen von Las- gegenüber anderen Belastungen konnben über einen Zeitraum von sogar 20 ten >20 kg auszuführen, von denen sich ten Engholm & Holmström (2005) an Jahren aus den Niederlanden (Steenstra 43% dadurch belastet fühlen. Für alle Beschäftigten der Bauwirtschaft inset al. 2006) haben bei der Diagnose befragten Männer ohne Berücksichti- besondere für die LWS-Störungen er„sonstige Dorsopathien“ für Männer gung der Branche betrugen die Werte mitteln, bei denen Zwangshaltungen ein einen 3-fachen Anstieg, bei Frauen einen nur 25% (Belastung kommt vor) bzw. OR von 3,05, Lastenhandhabung von 2,4-fachen Anstieg ermittelt. Das gleich- 45% (fühlen sich belastet). Zwangshal- 1,90, Arbeiten im Knien von 1,12 und zeitige Auftreten von Schmerzen in ver- tungen geben nur 42% an, wovon sich Vibrationen von nur 1,08 aufwiesen. schiedenen Körperregionen verstärkt die aber 53% belastet fühlen. Die branchenElders & Burdorf (2001) haben an 229 Folgen dieser Beschwerden für die Ar- unspezifischen Vergleichswerte betragen Gerüstbauern und 59 Vorabeitern Anbeitsfähigkeit. Bei den eigenen Angaben hier 16% bzw. 48 %. Damit haben beide gaben über Rückenschmerzen verschiefällt auf, dass Männer im höheren Alter Belastungen hinsichtlich der Betroffen- dener Ausprägung und über die empfunbereits ab 45 Jahre mehr mit Gelenk- heit etwa den gleichen Stellenwert. denen Belastungen einer Erhebung über beschwerden kombinierte als isolierte Von Interesse ist hier besonders, in die real ermittelten physischen BelasRückenschmerzen haben, wogegen Frauen welchem Verhältnis das Handhaben tungen gegenüber gestellt. Am häufigsdiese Differenz erst ab 55 Jahre zeigen. schwerer Lasten zu den Zwangshaltun- ten wurde eine als hoch empfundene Bei der Beurteilung der Wirkungen gen steht. Daraus können sich sehr ver- Anstrengung durch Arbeiten mit hoch berufstypischer Belastungen ist zu be- schiedene Forderungen an die Ergo- belastenden Armpositionen angegeben. achten, dass die Daten der hier dar- nomie der Arbeit und an das Verhaltens- Mit steigendem Alter wurden von den gestellten Auswertung auf den Selbst- training ergeben. Beschäftigten weniger Belastungen durch angaben der Beschäftigten beruhen. SeIn einer Metaanalyse der zwischen Lastenhandhabungen (bis 30 Jahre = miquantitative Angaben über Gewichte 2000 und 2002 publizierten Studien 68,4%/31 bis 40 Jahre = 52,5%/>40 Jahoder Belastungszeiten waren ihnen nicht haben Lötters et al. (2003) für Rücken- re = 39,0%), aber auch durch Zwangsvorgegeben. Durch die Häufigkeit der schmerzen festgestellt, dass manuelle haltungen (52,6%/48,3%/36,3%) angeAngabe einer bestimmten Belastungs- Lastenhandhabung ein OR von 1,51, geben. Vergleichbare Daten fanden sich form charakterisieren die Beschäftigten häufiges Beugen und Drehen von 1,68 auch für belastende Armhaltungen in dieser Auswertung die Stärke dieser und Ganzkörpervibrationen von 1,39 (63,1%/59,3%/44,1%). Belastung in ihrem Beruf. Diese kann hatte. Schwere körperliche Arbeit war Diese Angaben sind das Spiegelbild überhöht sein, wenn im Beruf weniger dagegen mit einem OR von 1,13 nicht erlebter beruflicher Belastungen und belastbare Personen tätig sind als in an- signifikant mit Rückenschmerzen ver- Beschwerden an Rücken und Gelenken. deren. Sie kann ebenso vermindert sein, knüpft. Bei sehr hoher Exposition durch Die Ursachen der Beschwerden werden weil die im Beruf langjährig Tätigen an Lastenhandhabung bzw. Beugen und dadurch nicht direkt beschrieben. So dessen hohe Belastungen angepasst sind Drehen lagen die ORs bei 1,92 bzw. können bei der Handhabung schwerer und ggf. durch den healthy-worker- 1,93. Als sehr schwere Lastenhand- Lasten durch Zwangshaltungen verEffekt die besonders hoch Belastbaren habung galten Lasten >15 kg für mehr ursachte schmerzhafte Muskelverspanübrig blieben. Die Rangfolge der Belas- als 10% der Arbeitszeit, für starkes Beu- nungen besonders stark erlebt werden. tungsangaben zwischen den Berufen gen und Drehen Winkel >30° länger als Als Grenzen dieser Studie sind die entspricht jedoch den Erwartungen, wie 10% der Arbeitszeit. Rahmenbedingungen der routinemäßig sie sich aus der Gefährdungsbeurteilung Bei der Abschätzung der Dosis- erhobenen Daten zu sehen, die sowohl sowie aus den Berufskrankheiten ab- Wirkungs-Beziehung zwischen Lasten- methodisch als auch in ihrem Umfang leiten lassen. handhabung bzw. Beugezwangshaltun- mit zeitlicher Begrenzung erhoben werDie beruflichen Schwerpunkte lassen gen zeigten Jansen et al. (2004) in der den können. Weiterhin hängt der Zugang sich nur aus einem Vergleich zwischen Pflege von Kranken und Alten an 523 der Beschäftigten zu den Untersuchunden Beschäftigten dieser Branche ab- Personen für die Inzidenz von Rücken- gen von Organisationsformen und recht-
Zbl Arbeitsmed 58 (2008) 264–273
lichen Rahmenbedingungen der arbeitsmedizinischen Vorsorge ab. Dazu ist festzustellen, dass die allgemeine arbeitsmedizinische Vorsorge im Arbeitsmedizinischen Dienst der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft abweichend von der überwiegenden Situation der Betreuung kleiner und mittlerer Unternehmen bereits seit Einführung des Arbeitssicherheitsgesetzes einen besonderen Stellenwert hat. Der Zugang zu solchen arbeitsmedizinischen Untersuchungen, welche die Prävention der wichtigsten Leistungsbegrenzungen für Beschäftigte der Bauwirtschaft zum Ziel haben, unterliegt deshalb keiner systematischen Beeinflussung, die zur erheblichen Verzerrung (Selektionsbias) der erhobenen Daten führen dürfte. Dem steht gegenüber, dass bisher keine vergleichbare umfassende Datenanalyse von Muskel-Skelett-Beschwerden und Erkrankungen in einer einzelnen Branche bekannt geworden ist. Die kritische Würdigung ihrer Ergebnisse in Beziehung zu den Erkenntnissen der Epidemiologie sollte dazu beitragen, die Übertragbarkeit an begrenzten Studien gewonnener wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Praxis der Prävention zu überprüfen.
•
•
•
•
die Wirkungen beider Belastungs- Bovenzi M, Betta A: Low back disorders in tractor drivers exposed to whole formen etwa gleichrangig unter den agriculture body vibration and postural stress. Appl ErgoUrsachen von Rückenschmerzen und nomics, 25: 231–241; 1994 Gelenkbeschwerden. Burdorf A, Govaert G, Elders L: Postural load Beschwerdenkombinationen zwischen and back pain of workers in the manufacturing of prefabricated concrete elements. Ergonomics, Rücken und Gelenken kennzeichnen 34: 909–918; 1991 überwiegend ältere Beschäftigte. An- Diemer W, Burchert H: Chronische Schmerzen dererseits gibt sogar ein größerer Anteil – Kopfschmerzen und Rückenschmerzen, Tumorschmerzen. Gesundheitsberichterstattung der Älteren keine körperlichen Be- des Bundes. Band 7. Robert-Koch-Institut. schwerden am Muskel-Skelett-System Berlin. 2002 an. Die beruflichen Besonderheiten Elders L, Burdorf A: Interrelations of risk factors and low back pain in scaffolders. Occup dieser Personen und daraus ggf. resul- Environ Med, 58: 597–603; 2001 tierende Chancen für die Beschäfti- Hartmann B, Seidel D, Hahn D, Bräuer T, Pieth gungsfähigkeit sollten weiter unter- J: Ergebnisse betriebsärztlicher Beratung bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Arbeitsmed sucht werden. Sozialmed Umweltmed, 42: 236–243; 2007 Unter den besonders von Rücken- Hartmann B, Seidel D: Muskel-Skelett-Erkranschmerzen und von Gelenkbeschwer- kungen im Baugewerbe – Betriebsärztliche – Risikocharakteristik und Präden betroffenen Berufen stehen jene Erkenntnisse ventionsempfehlungen. Schriftenreihe Arbeitsim Vordergrund, die in erheblichem sicherheit und Arbeitsmedizin in der BauwirtMaß Zwangshaltungen im Bücken, schaft. Band 21. Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft. Berlin. 2008 Knien und Hocken haben. Holmström E: Musculoskeletal disorders in Termindruck als bekannter Faktor der construction workers. Lund. Lund-University. Intensivierung von Bauarbeiten hat 1992 einen ähnlich starken Einfluss auf Hoogendorn E, van Poppel M, Bongers P, Koes B, Bouter L: Physical load during work and Rückenschmerzen und Gelenkbe- leisure time as risk factors for back pain. Scand schwerden wie Lasten und Zwangs- J Work Environ Health, 25: 387–403; 1999 Jansen JP, Morgenstern H, Burdorf A: Dosehaltungen. response relations between occupational exVibrationen betreffen im hier unter- posures to physical and psychosocial factors suchten Hochbau fast ausschließlich and the risk of low back pain. Occup Environ das Hand-Arm-System. Sie verursa- Med, 61: 972–979; 2004 F, Burdorf A, Kuiper J, Miedema H: chen in Kombination mit anderen Be- Lötters Model for the work-relatedness of low-back lastungen durch die Tätigkeiten, bei pain. Scand J Work Environ Health, 29: denen vibrierende Werkzeuge ver- 431–440; 2003 D, Burkhardt-Hammer T, Stoll S, wendet werden, multiple Beschwer- Lühmann Raspe H: Prävention rezidivierender Rückenden, die nicht allein auf die direkten schmerzen – Präventionsmaßnahmen in der Vibrationswirkungen zu beziehen sind. Arbeitsplatzumgebung. Schriftenreihe Health
6. Schlussfolgerungen • Die Häufigkeiten von Rückenschmerzen und Gelenkbeschwerden bei Beschäftigten, die überwiegend in Hochbau- und Ausbaugewerken tätig sind, unterscheiden sich nicht erheblich von 7. Literatur den in anderen Branchen gefundenen. Bedrijfstakatlas 2007: Stichting Arbouw. NovemSie zeigen einen zeitlichen Trend der ber 2007. Amsterdam. Zunahme seit 1991, der geringer als in Bergennud H, Nilsson B: Back pain in middle anderen Bevölkerungs- und Beschäf- age. Occupational workload and psychologic factors: an epidemiologic survey. Spine, 13: tigtengruppen ist. Die Gründe dafür 58–60; 1988 könnten in einer geringeren Klagsam- Bernard BP Eds.: Musculoskeletal Disorders keit wegen begrenzter beruflicher and Workplace Factors. U.S Department of Health and Human Services. Public Health Alternativen zu suchen sein. Healthy- Services. Centers for Disease Control and Preworker-Effekte treten wegen der zu- vention. National Institute for Occupational meist alternativlosen beruflichen Si- Safety and Health Cincinnati, 1997 Billis EV, Mc Carthy C, Oldham J: Subclassifituation erst spät ein. cation of low back pain: A cross-country com• Die Wirkungen von Belastungen durch parison. Eur Spine, 16: 865–879; 2007 schwere Lasten und durch Zwangs- Bovenzi M: VIBRISK Risks of Occupational haltungen stehen in Konkurrenz zu- Vibration Exposures: Annex 13 to Final Technical Report: Longitudinal epidemiological einander: Während von den Beschäf- surveys in Italy of drivers exposed to wholetigten häufiger schwere Lasten als body vibration. European Commission. Quality of Life and Management of Living Resources Zwangshaltungen angegeben werden, Programme. Key Action 4 – Environment and stehen bei kombinierter Betrachtung Health. Brussels; 2006
Technology Assessment (HTA-Bericht 38). DIMDI. Köln; 2006 Punnett L, Fine LJ, Keyserling WM, Herrin GD, Chaffin DB: Back disorders and nonneutral trunk postures of automobile assembley workers. Scand J Work Environ Health, 11: 417–425; 1991 Schwarze S, Notbohm G, Hartung E, Dupuis H: Auswirkungen von Ganzkörperschwingungen auf die Lendenwirbelsäule. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed, 33: 429–442; 1998 Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2005. Bericht der Bundesregierung. Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Berlin Steenstra IA, Verbeek JH, Prinzse F, Knol D: Changes in the incidence of occupational disability as a result of back and neck pain in the Netherlands. BMC Public Health, 6: 190; 2006
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