Chirurg (2001) 72: 86±88 Ó Springer-Verlag 2001
Das pulmonale Blastom ± ein seltener maligner Lungentumor S. Welter, B. Mallmann und K.-H. Schultheis Klinik für Allgemein- und Thoraxchirurgie (Direktor: Prof. Dr. K.-H. Schultheis), Florence-Nightingale-Krankenhaus Kaiserswerth, Düsseldorf
Pulmonary blastoma: a rare malignant tumor of the lung Abstract. Pulmonary blastoma is a rare non-small-cell lung cancer. In a statistically significant proportion of cases it is combined with cystic lung disease in children. The biphasic pulmonary blastoma and the well-differentiated fetal adenocarcinoma are the most frequent manifestations of pulmonary blastoma. If metastatic disease is ruled out, surgical therapy should be guided by the principles for radical therapy of NSCLC. There are no sufficient recommendations yet for therapy of stage IIIb and IV (UICC 1997) disease. Keywords: Pulmonary blastoma ± Biphasic blastoma ± Well-differentiated fetal adenocarcinoma ± Surgical therapy ± Prognosis. Zusammenfassung. Das pulmonale Blastom ist ein seltener nichtkleinzelliger Lungentumor. Bei Kindern wird statistisch häufig eine Verknüpfung mit Lungencysten beobachtet. Das biphasische pulmonale Blastom und das hochdifferenzierte fetale Adenocarcinom sind die zwei häufigsten Ausprägungsformen des pulmonalen Blastoms. Nach Ausschluû von Fernmetastasen sollte sich die chirurgische Therapie nach den Radikalitätsregeln des NSCLC richten. Für die Therapie im Stadium IIIb und VI (UICC 1997) gibt es keine ausreichend erfolgversprechenden Empfehlungen. Schlüsselwörter: Pulmonales Blastom ± biphasisches Blastom ± hoch-
differenziertes fetales Adenocarcinom ± operative Therapie ± Prognose. Die häufigste Form des malignen Lungentumors stellt das nichtkleinzellige Bronchialcarcinom dar. Standardisierte stadienabhängige Therapieregime sind bekannt und aufgrund prospektiver Studien gesichert [2, 4, 6]. Für seltene Lungentumoren fehlen immer noch verbindliche Behandlungsrichtlinien. Das pulmonale Blastom stellt einen dieser seltenen malignen Tumoren dar und tritt mit einer Häufigkeit von 0,25±0,5 % auf. Ungefähr 20 % davon betreffen Kinder. In der englischen und japanischen Literatur wurden bisher ungefähr 210 Fälle beschrieben [1]. Fallbeschreibung Bei einem 65 jährigen Patienten war im Rahmen der Abklärung kardialer Palpitationen ein peripherer Rundherd von 3 2,5 cm Gröûe (Röntgenthorax, CT) im rechten Lungenoberlappen aufgefallen. Nach fast 40 jähriger Raucheranamnese hatte sich eine chronisch obstruktive Bronchitis mit einem erheblichen Lungenemphysem ausgebildet. Weitere Risikofaktoren waren eine Hypercholesterinämie, eine generalisierte Arteriosklerose mit einer pAVK im Stadium IIb, einer Carotisstenose beidseitig, die unter anderem eine operative Desobliteration links (6/1998) erforderlich gemacht und einen bleibenden Schwankschwindel hinterlassen hatte. Die präoperativen Staginguntersuchungen mit Röntgenthorax, CT-Thorax und -Oberbauch (Abb. 1 a, b), Sonographie des Abdomens und Knochenszintigramm er-
brachten keinen Hinweis auf eine Metastasierung, eine histologische Diagnosesicherung gelang nicht. Die Untersuchungen zur Risikoabschätzung vor einem resezierenden Lungeneingriff erbrachten hochpathologische Befunde: eine Perfusionsrelation der rechten zur linken Lunge von 72 zu 28 %, bei einem präoperativen FEV1 1,46 l (45,8 %), einer Vitalkapazität von 2,7 l (62 %) und einem Residualvolumen entsprechend 203 %. Für eine Oberlappenresektion errechnete sich ein postoperatives FEV1 von 0,77 l. Unter dem Verdacht auf ein primäres Bronchialcarcinom führten wir wegen der vorbeschriebenen Risikofaktoren lediglich eine atypische Segmentresektion durch. Histologisch war der Herd im Gesunden reseziert. Nach einem Jahr Nachsorge ist der Patient tumorfrei. Histologisch (Abb. 2 a, b) zeigt sich ein relativ glattbegrenzter Tumorknoten, welcher einen biphasischen Aufbau erkennen läût. Er zeigt einerseits ein mesenchymales, teils hyalinisiertes Stroma, andererseits eine epitheliale, undifferenzierte Tumorkomponente, die sich überwiegend mit soliden Tumorverbänden mit angedeutet pseudoglandulärem Muster darstellt. Innerhalb des fibrosierten Stromas sind die relativ kleinzelligen Tumorverbände von basaloidem Charakter mit randständiger Palisadenstellung der Kerne. Stellenweise finden sich angedeutet chondroide Metaplasien. Ferner umschriebene Nekrosen, vereinzelt sind angedeutete Keratinisierungen erkennbar, vereinzelt feinschollige Mikrocalcifikationen. Immunhistochemisch zeigt die undifferenzierte Tumorkomponente eine deutlich positive Reaktion mit Cytokeratin, während die Stromaanteile sich deutlich mit dem mesenchymalen Marker Vimentin anfärben lassen. Beide Komponenten zeigen keine positive Reaktion mit Beta-HCG, Desmin oder S 100. Der Befund entspricht histologisch einem biphasischen pulmonalen Blastom.
S. Welter et al.: Das pulmonale Blastom
a Diskussion Pulmonale Blastome kommen in allen Altersgruppen von Neugeborenen bis ins hohe Alter vor, mit einem Häufigkeitsgipfel in der 4. und 5. Dekade, 20±30 % betreffen Kinder, 70±80 % Erwachsene [17]. Es sind seltene Tumoren, über die fast nur Einzelfallberichte veröffentlicht wurden. Die Häufigkeit pulmonaler Blastome wird mit bis zu 0,5 % aller primären Lungencarcinome angegeben [9, 20]. Der Tumor wird durch Atemnot, Fieber [15], Brust- oder Bauchschmerzen, chronischen Husten, Leistungsknick und Gewichtsverlust, Hämoptysen oder durch die Symptomatik von Metastasen klinisch manifest. Bis zu 40 % sind Zufallsbefunde. Bei Kindern ist dieser Tumor häufig (38 %) mit kongenitalen Lungencysten vergesellschaftet [16, 18], ohne daû ein kausaler Zusammenhang bewiesen werden kann.
a
87
Abb. 1 a, b. Präoperative Bildgebung. a Thorax-CT mit Kontrastmittel zeigt den pleuranahen RH rechts. b Thorax-CT (Lungenfenster) ebenfalls mit Darstellung des peripheren pulmonalen Blastoms
b Histologisch werden zwei Erscheinungsformen des pulmonalen Blastoms unterschieden: Zum einen ein monomorphes Blastom, in dem atypische embryonale Drüsenzellen imponieren, wie ein ¹hochdifferenziertes fetales Adenocarcinomª (WDFA) [3, 12]. Dort herrschen hochprismatische Zellen mit klarem Cytoplasma vor, hervorgerufen durch einen hohen Glykogengehalt. Zum anderen ein biphasisches (klassisches) Blastom, bei dem eine mesenchymale Komponente in verschiedenen Differenzierungsgraden neben einer epitheloiden Geschwulstkomponente vorkommt. Das Stroma ist entweder einem klassischen Spindelzellsarkom sehr ähnlich oder besteht aus primitiven embryonalen Zellen [10]. Mischformen aus beiden Haupttypen kommen gelegentlich vor. Immunhistochemisch lassen sich die drüsigen Anteile fast generell mit Antikörpern gegen Keratin,
Milchfettglobulin und CEA anfärben, häufig auch gegen Chromogranin. In den mesenchymalen Anteilen lassen sich häufig Vimentin, Actin und Myoglobin sowie seltener Desmin markieren [2, 10]. Nakatani et al. [14] fassen das biphasische pulmonale Blastom, das pleuropulmonale Blastom sowie das hoch- und niedrigdifferenzierte fetale Adenocarcinom als verschiedene Subtypen des pulmonalen Blastoms zusammen. Die ¾tiologie des Tumors ist unklar. Bei Erwachsenen spielt wie bei anderen Lungentumoren der Nikotinabusus die wesentliche Rolle. Bei 82 % von 52 ausgewerteten Fällen fanden Koss et al. [10] eine Raucheranamnese. Die Prognose der pulmonalen Blastome ist unklar. Stadienunabhängige 5-Jahres-Überlebensraten von 16±55 % [3, 5, 10] werden angegeben. Bis zu zwei Drittel aller Patienten sterben in den ersten 2 Jahren
b
Abb. 2 a, b. Histologische Charakteristika. a Mesenchymales, z. T. hyalinisiertes Stroma mit soliden, überwiegend epithelialen Tumorzellnestern in pseudoglandulärem Muster. b Epitheloide Tumorformation mit angedeutet basaloidem Charakter mit randständiger Palisadenstellung der Kerne innerhalb eines fibrosierten und hyalinisierten mesenchymalen Stromas
88
S. Welter et al.: Das pulmonale Blastom
Tabelle 1. Übersichtsarbeiten (Angaben über Therapie, Fallzahl und/oder Prognose) Autor
Jahr
n
OP > 43/50
R, C
TR
2-JÜR
ÜLZ
30 %, 89 %
50 %
63 %
45 % 5-JÜR
4/15 und 15/15 12/15
26 %
MÜZ = 14,7 Monate
?
12 %
MÜZ = 15 Monate
6/21 10/23
> 90 % < 50 %
80 % 5-JÜR 25 % 5-JÜR
Priest
1997
50 Kinder < 13 J
Cutler (nur Erwachsene mit Chemo)
1998
15
9/15
Medbery (nur Chemotherapie)
1984
17
14/17
Koss (nur WDFA) Koss (nur BB)
1991 1991
21 23
21/21 23/23
3/21 5/23 und 5/23
Gibbons (Kinder)
1981
13
11/13
4/13
Koss (nur WDFA)
1991
10/17
9 (3 ohne FU)
4/13
5/11 = 45 % 3/6 = 50 %
BB = biphasisches Blastom, C = Chemotherapie, FU = ¹follow-upª, JÜR = Jahresüberlebensrate, MÜZ = mittlere Überlebenszeit, R = Radiatio, TR = Tumorrezidiv, WDFA = ¹well differentiated fetal adenocarcinomaª
nach Diagnosestellung. Soweit bei geringen Fallzahlen überhaupt nachweisbar, ist das WDFA die prognostisch günstigere Form mit 5-JahresÜberlebensraten bis > 50 % und das biphasische Blastom mit hohem Stromaanteil die ungünstigere Form des pulmonalen Blastoms [10, 13] (Tabelle 1). Eine besonders schlechte Prognose haben Patienten mit einer Tumorgröûe > 5 cm, initial vorhandenen Metastasen oder einem Tumorrezidiv [6]. Berichte über Langzeitüberlebende [7, 19] können an der insgesamt schlechten Prognose dieses Tumors nichts ändern. Wegen der Seltenheit des Tumors gibt es bis heute keine standardisierten Therapiekonzepte. Am häufigsten wird die R0-Resektion des Tumors empfohlen. Aus den Ergebnissen von Koss et al. [10], der bei 52 untersuchten pulmonalen Blastomen keinen Fall mit initialer hämatogener Metastasierung zum Zeitpunkt der Diagnosestellung, jedoch 3 (9 %) Patienten mit Lymphknotenbefall fand, ergibt sich unserer Ansicht nach die Forderung nach den bekannten Standardresektionen: Lappenresektion, Bilobektomie, Pneumonektomie, erweiterte Lungenresektion, jeweils mit systematischer Lymphdissektion. Die Therapie des pulmonalen Blastoms sollte sich also mindestens bis zum Stadium IIIa (UICC 1997) an den nichtkleinzelligen Bronchialcarcinomen orientieren. Eine parenchymsparende Klemmenresektion ± wie in unserem Fall ± sollte Hochrisikopatienten vorbehalten sein.
Über adjuvante oder palliative Chemotherapien gibt es nur Einzelfallberichte, wie zum Beispiel die Hochdosisbehandlung mit Cisplatin/ Vindesin [1, 19]. Literatur 1. Cutler CS, Michel RP, Yassa M, Langleben A (1998) Pulmonary blastoma. Case report of a patient with a 7-year remission and review of chemotherapy. Experience in the world literature. Cancer 82: 462 2. Dienemann D, Hartmann CA, Minck C (1989) Pulmonary blastomas. Immunohistochemical investigations of three cases. Pathol Res Pract 184: 306 3. Di Lieto E, Baldi A, Vicidomini G, Di Marino MP, et al (1997) Pulmonary blastoma in adults. Minerva Chir 52: 839 4. Drings P (1996) Therapeutische Standards. Lungenkarzinom. Qualitätssicherung in der Onkologie. Zuckschwerdt, München Bern Wien 5. Francis D, Jacobsen M (1983) Pulmonary blastoma. Curr Top Pathol 73: 265 6. Fung CH, Lo JW, Yonan TN, Milloy JM, et al (1977) Pulmonary blastoma. An ultrastructural study with a brief review of literature and discussion of pathogenesis. Cancer 39: 153 7. Gibbons JR, McKeown F, Field TW (1981) Pulmonary blastoma with hilar lymph node metastases: survival for 24 years. Cancer: 47: 152 8. Hermanek P (1995) Diagnostische Standards. Lungen-, Magen-, Pankreas- und kolorektales Karzinom. Qualitätssicherung in der Onkologie. Zuckschwerdt, München Bern Wien 9. Jacobsen M, Francis D (1980) Pulmonary blastoma. A clinico-pathological study of eleven cases. Acta Pathol Microbiol Scand 88: 151 10. Koss NM, Hochholzer L, O'Leary T (1991) Pulmonary blastomas. Cancer 67: 2368
11. Medbery CA, Bibro ML, Phares JC, et al. (1984) Pulmonary blastoma, case report and literature review of chemotherapy experience. Cancer 53: 2413 12. Müller-Hermelink H, Kaiserling E (1986) Pulmonary adenocarcinoma of fetal-type: alternating differentiation argues in favor of a common endodermal stem cell. Virchows Arch (A) 409: 195 13. Nakatani Y, Dickersin GR, Mark EJ (1990) Pulmonary endodermal tumor resembling fetal lung: a clinicopathologic study of five cases with immunohistochemical and ultrastructural characterization. Hum Pathol 21: 1097 14. Nakatani Y, Kitamura H, Inayama Y, et al (1998) Pulmonary adenocarcinoma of fetal lung type. Am J Surg Pathol 22: 399 15. Ohara N, Tominaga O, Oka T, Motoi R, et al (1999) Pulmonary blastoma: report of a case. Surg Today 29: 385 16. Priest JR, McDermott MB, Bhatia S, Watterson J, et al (1997) Pleuropulmonary blastoma, a clinicopathologic study of 50 cases. Cancer 80: 147 17. Seballos RM, Klein RL (1994) Pulmonary blastoma in children: report of two cases and review of the literature. J Pediatr Surg 29: 1553 18. Senac MO, Wood BP, Isaacs H, Weller M (1991) Pulmonary blastoma: a rare childhood malignancy. Radiology 179: 743 19. Suzuki I, Oho K, Nakayama S, Tamura K, et al (1994) Pulmonary blastoma ± long-term survival of a patient with metastases. Nippon Kyobu Geka Gakkai Zasshi 42: 1208 20. Tamai S, Kameya T, Shimosato T, Tsumuraya M, Wada T (1980) Pulmonary blastoma: an ultrastructural study of a case and transplanted tumor in nude mice. Cancer 46: 1389 Dr. S. Welter Klinik für Allgemein- und Thoraxchirurgie Florence-Nightingale-Krankenhaus Kaiserswerth Kreuzbergstraûe 79 40489 Düsseldorf E-Mail:
[email protected]