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Biopharmazeutische Produktion
Der robuste, kontinuierlich perfundierte Zellkulturprozess Und schließlich, hält die Perfusion einem ökonomischen Vergleich mit dem Konkurrenten Fed-Batch stand?
DETHARDT MÜLLER, ROLAND WAGNER RENTSCHLER BIOTECHNOLOGIE GMBH, LAUPHEIM
Perfusionsprozesse haben eine lange Tradition in der Zellkulturtechnik. Im industriellen Maßstab werden zwar traditionell Fed-Batch-Prozesse bevorzugt, doch ist die Perfusion ist in den letzten Jahren zu einer kompetitiven Produktionstechnologie herangereift, die robuste und sichere Prozesse und Produkte gewährleistet.
Das ideale Zellrückhaltesystem
Perfusion-based bioprocesses have a long tradition in mammalian cell culture technology. At industrial scale the classical fed-batch technology is still favored, but during the last years perfusion technology matured as a competitive production platform providing safe products from robust bioprocesses. ó Im Vergleich zum klassischen kontinuierlichen Prozess ohne Biomasserückhaltung werden tierische Zellen im Perfusionsprozess von der Ernte getrennt und bereits im Bioreaktor zurückgehalten oder in den Bioreaktor zurückgeführt. Dadurch können Zellen in sehr hohen Konzentrationen von bis zu 100 Millionen Zellen pro Milliliter, wenn nötig, über mehrere Wochen unter physiologischen Bedingungen kultiviert werden. Das dabei gebildete Produkt wird im Gegensatz zum Fed-Batch-Prozess aus dem Reaktor kontinuierlich geerntet, anstatt im Reaktor unter immer ungünstiger werdenden Prozessbedingungen zu akkumulieren. Ein Vergleich der Prozesscharakteristika für den kontinuierlichen Perfusionsprozess und den absatzweisen Fed-Batch-Prozess ist in Tabelle 1 dargestellt. Zahlreiche Technologien zur Rückhaltung tierischer Zellen wurden in den vergangenen Jahren entwickelt, verbessert und hinsichtlich ihrer Eignung als Produktionstechnologie evaluiert und charakterisiert [1]. Die meisten von ihnen basieren auf einfachen physikalischen Trennprinzipien, hauptsächlich auf Unterschieden in der Partikeldichte (Sedimentation, Zentrifugation) und Partikelgröße (Filtration), aber auch auf ionischen Wechselwirkungen (Adhäsion an Mikrocarrier). Trotz technologischer Raffinesse erfüllen jedoch nur die wenigsten ZellrückhaltesysteBIOspektrum | 04.11 | 17. Jahrgang
me die Anforderungen, die an einen robusten Betrieb im GMP(Good Manufacturing Practice)-Umfeld gestellt sind. Wie ist also ein ideales Perfusionssystem aufgebaut, das den regulatorischen Anforderungen entspricht? Welche zusätzlichen Technologien werden benötigt, um Prozesssicherheit und -robustheit zu gewährleisten?
Um es vorwegzunehmen, das ideale Zellrückhaltesystem existiert nicht. Falls doch, verfügte es über eine interne, also im Bioreaktor befindliche, linear skalierbare Vorrichtung zur vollständigen Rückhaltung frei suspendierter Zellen und käme gänzlich ohne bewegliche, verschleißende Bauteile aus. In einem solchen System wären die tierischen Zellen in einem Bioreaktor beliebiger Größe homogen verteilt und könnten unter kontrollierten Bedingungen wachsen und produzieren; das rekombinante Produkt würde kontinuierlich und zellfrei geerntet. Ein auf die Zellrückhaltung zurückzuführender, technischer Ausfall wäre nahezu unwahrscheinlich. Da in den derzeitig realisierbaren Perfusionsprozessen ein solches worst case-Szenario jedoch nicht auszuschließen ist, muss im Sinne einer Minimierung des Prozessrisikos die Möglichkeit zum aseptischen Aus-
Tab. 1: Prozesscharakteristika für Perfusion und Fed-Batch. aF, ciref F, ci0
F, ci0
F, ciex (1+a)F, ci
V, ci
V, ci
Perfusion
Prozesscharakteristika
Fed-Batch
20 bis über 40 Tage
Prozessdauer
10 bis 20 Tage
Fließgleichgewicht kontinuierliche Zu-/Abführung von Medium/Ernte bei konstantem Volumen
Prozessführung
(semi-)kontinuierliche Zuführung von Medium bei zunehmendem Volumen
hohe Zellkonzentration, hohe Viabilität
Prozessbedingungen
mittlere Zellkonzentration, abnehmende Viabilität
kontinuierlich
Ernte
absatzweise bei Prozessende
hohe volumetrische Produktivität
Produktivität (Produktakkumulation)
hohe Endproduktkonzentration
DOI: 10.1007/s12268-011-0073-8
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˚ Abb. 1: Elemente des Perfusionsprozesses in der biopharmazeutischen Produktion. Weitere Erklärungen im Text.
tausch der Zellrückhaltung im laufenden Betrieb gegeben sein. Externe, linear skalierbare Zellrückhaltesysteme, die minimale Verweilzeiten der Biomasse außerhalb des Bioreaktors gewährleisten, weichen somit zwar vom Idealfall ab, sind aber gegenüber internen und/oder auf multipler Skalierungsstrategie beruhenden Systemen klar im Vorteil.
Der sichere und robuste Prozess Perfusionsprozesse benötigen im Umfeld robuste Technologien, mit deren Hilfe der biologische Prozess auch über längere Zeiträume, unter sehr hohen Zellkonzentrationen und hohen metabolischen Raten sicher geführt werden kann. Der damit verbundene apparative Aufwand muss nicht zwingend einen Nachteil darstellen. Einige Zellrückhaltesysteme, die für die biopharmazeutische Produktion erfolgreich eingesetzt werden, allen voran das auf Querstromfiltration basierende ATF™-System (Refine Technologies, USA) oder das auf Zentrifugation basierende Centritech® Cell-System (Pneumatic Scales, USA), arbeiten mit Separationseffizienten von nahezu 100 Prozent, wodurch zellfrei geerntet werden kann. Lebende Zellen verbleiben demnach gänzlich im Bioreaktor und können technisch gesehen auf Konzentrationen von über 100 Millionen Zellen pro Milliliter anwachsen. Je nach Ausgewogenheit der Prozessmedien akkumulieren unter diesen Maxi-
malbedingungen täglich Ernten von der Größe mehrerer Reaktorvolumina. Der Vorteil einer hohen Raum-Zeit-Ausbeute, den der Perfusionsprozess upstream mit sich bringt, wäre mit einem Schlag dahin, sollten die Kapazitäten in der Proteinaufarbeitung downstream nicht ausreichen. Viele Anlagen sind hinsichtlich ihrer Kapazitäten daher so konzipiert, dass die Zellkonzentration im Bioreaktor auf einem ökonomisch, wie technologisch sinnvollen Niveau gehalten und Zellen ggf. durch ein kontrolliertes bleeding aus dem System entfernt werden. Perfusionsprozesse arbeiten daher sehr oft unterhalb des Maximums im Bereich zwischen zehn und 50 Millionen Zellen pro Milliliter. Die Realisierung kann über ein simples in situ-Monitoring der Biomasse erfolgen. Robuste Technologien wie optische Sensoren oder Impedanzspektroskopie sind seit längerer Zeit bereits verfügbar und ermöglichen die Implementierung einfacher Regelkreise zur Kontrolle der Biomasse [2]. Die anschließende Aufreinigung des rekombinanten Proteins aus kontinuierlichen Ernten stellt eine regulatorische, in erster Linie jedoch eine technologische Herausforderung dar. Hohe Volumenströme von mindestens einem Reaktorvolumen pro Tag mit verdünntem Produkt müssen verarbeitet werden. Im Idealfall erfolgt eine rasche Reduktion des Erntevolumens durch Integration der ersten Proteinreinigungsstufe, der capture-
Stufe in den upstream-Prozess, wodurch ein größerer Handlungsspielraum für die weiteren Aufreinigungsschritte entsteht. Von großem Interesse sind hier vor allem Membranadsorber. Im Vergleich zu klassischen chromatografischen Säulen liegen die dynamischen Bindekapazitäten mit 20 bis 30 Milligramm pro Milliliter (0,6 bis 0,8 Milligramm pro Quadratzentimeter) zwar momentan noch auf deutlich niedrigerem Niveau, dafür können Membranadsorber mit sehr hohen Flussraten von über 10.000 Zentimetern pro Stunde betrieben werden [3]. Durch den Einsatz von flow-through-Modulen, bei denen die Membran tangential angeströmt wird, ist sogar die Verarbeitung zellhaltiger Ernten denkbar. Aber auch in den regulatorischen Umgang mit kontinuierlich gewonnenen Erntechargen kommt nach und nach Bewegung. Insbesondere der Bereich Prozessmonitoring ist infolge der von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) gestarteten Process Analytical Technology(PAT)-Initiative im Umbruch. Über Jahrzehnte hoch entwickelte analytische Systeme geraten immer stärker auch in den Fokus der biopharmazeutischen Prozesstechnik. Dies kommt nicht nur, aber in verstärktem Maße dem kontinuierlich geführten Perfusionsprozess zugute, denn es geht in erster Linie um Prozesssicherheit. Durch den Einsatz multivariater Prozessanalysen werden bereits heute klassische Online-Prozessdaten und In-Prozesskontrollen mit spektroskopischen in situ-Analysen [4, 5] korreliert [6, 7]. Ziel ist die Entwicklung multivariater Vorhersagemodelle, die mit dem Konzept des Quality by Design (QbD) im Einklang stehen und in der Lage sind, die Produktqualität als kritisches Prozessattribut innerhalb eines Design Space in Echtzeit darzustellen [8]. Das gegenwärtige Prinzip der Endpunktanalyse würde dann lediglich der finalen Kontrolle dienen, wäre aber für die Freigabe nicht mehr relevant.
Der ökonomische Prozess Perfusionsbasierte Produktionsprozesse gehören aus technologischer wie regulatorischer Sicht zum modernen Stand der Technik in der biopharmazeutischen Produktion (Abb. 1). Auch ein abschließender Blick auf die Kostenstruktur, unter der biopharmazeutische Produkte hergestellt werden, zeigt, dass Perfusionsprozesse auch aus ökonomischer Sicht kompetitiv sind. Durch die hohen volumetrischen Produktivitäten der Perfusion lassen sich zum einen die direkten Herstellkosten BIOspektrum | 04.11 | 17. Jahrgang
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eines biopharmazeutischen Glykoproteins, die Cost of Goods (COGS), signifikant senken [9], aber auch das Investitionskapital kann durch die Reduktion des Produktionsmaßstabs deutlich verringert werden [10]. ó
Literatur [1] Voisard D, Meuwly F, Ruffieux PA et al. (2003) Potential of cell retention techniques for large-scale high-density perfusion culture of suspended mammalian cells. Biotechnol Bioeng 82:751–765 [2] Kiviharju K, Salonen K, Moilanen U et al. (2007) On-line biomass measurements in bioreactor cultivations: Comparison study of two on-line probes. J Ind Microbiol Biotechnol 34:561–566 [3] Fischer-Frühholz S (2004) Membranadsorber. GIT LaborFachzeitschrift 6:603–605 [4] Teixeira AP, Oliveira R, Alves PM et al. (2009) Advances in on-line monitoring and control of mammalian cell cultures: Supporting the PAT initiative. Biotechnol Adv 27:726–732
[5] Ulber R, Frerichs JG, Beutel S (2003) Optical sensor systems for bioprocess monitoring. Anal Bioanal Chem 376:342– 348 [6] Teixeira AP, Portugal CAM, Carinhas N et al. (2009) In situ 2D fluorometry and chemometric monitoring of mammalian cell cultures. Biotechnol Bioeng 102:1098–1106 [7] Abu-Absi NR, Kenty BM, Cuellar ME et al. (2011) Real time monitoring of multiple parameters in mammalian cell culture bioreactors using an in-line Raman spectroscopy probe. Biotechnol Bioeng 108:1215–1221 [8] Rathore A (2010) Quality by Design for biotechnology products: Challenges and solutions. Pharmaceut Technol Eur 22:21–22 [9] Lim J, Sinclair A, Shevitz J et al. (2011) An economic comparison of three cell culture techniques: fed-batch, concentrated fed-batch, and concentrated perfusion. BioPharm Int 24:54–60 [10] Lim AC, Washbrook J, Titchener-Hooker NJ et al. (2006) A computer-aided approach to compare the production economics of fed-batch and perfusion culture under uncertainty. Biotechnol Bioeng 93:687–697
Dethardt Müller (links), Roland Wagner (rechts) Korrespondenzadresse: PD Dr. Dethardt Müller Rentschler Biotechnologie GmbH Technologieentwicklung Erwin-Rentschler-Straße 21 D-88471 Laupheim Tel.: 07392-701-862 Fax: 07392-701-521
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