PRAXIS | ARTIKEL
„Die Digitalisierung hat die Rolle der IT für das Controlling bereits nachhaltig verändert und wird auch in Zukunft noch einen hohen Einflussfaktor darstellen.“ Interview mit Karl-Heinz Streibich, CEO der Software AG
Einführung Weber: Sehr geehrter Herr Streibich, eine zentrale Aufgabe eines Controllers ist die Beschaffung und Aufbereitung von Informationen. Uns beschäftigt daher seit gut einem Jahr intensiv die Frage, wie IT-Sys teme im alltäglichen Geschäft der Controller weiterhelfen? Streibich: ‚Was hilft Elektrizität einer Firma?‘ – das ist ungefähr das gleiche und wiederholt dabei Ihre Frage. Was hilft IT? Was ist die Alternative? Dass man es mit Block und Papier macht? Weber: Lassen Sie mich anders fragen: Wie hat sich denn die Rolle der IT im Unternehmen für die Controller im Zeitablauf entwickelt? Streibich: Schon mit der Internationalisierung der 90er-Jahre sowie der Globalisierung der letzten 10 Jahre entstand der Bedarf nach mehr Flexibilität der firmenübergreifenden IT. Die große Herausforderung dabei ist es, unternehmensweite Prozesse zu digitalisieren und die in Applikationen und Prozessen festgefrorenen Daten herauszulösen. Diese zu beobach tende Digitalisierung hat meiner Meinung nach die Rolle der IT für das Controlling bereits nachhaltig verändert und wird auch in Zukunft noch einen hohen Einflussfaktor darstellen. Es sind schließlich die Zahlen, Daten und KPIs, die Controller für das Management auswerten, aufbereiten und darstellen. Weber: Inwieweit können denn gerade Controller bei der Gestaltung von diesen unterschiedlichen Datenmodellen ihre eigene Anforderungsexpertise einbringen? Streibich: Controller kümmern sich nicht rein um die Kontrolle der Datenbasis zur 102
Sicherung der Konsistenz, sondern sie sind insbesondere auch für die Datenaufbereitung zuständig, damit die Finanzdaten oder operative Daten richtig mess- und darstellbar sind. Die Messbarkeit ist nur möglich, wenn Daten in digitaler Form vorliegen. Deshalb digitalisiert man eine Firma. Die Darstellung der Daten erfolgt heute in Realtime-Analytics, worauf ich gleich noch zu sprechen kommen werde, damit die Daten für das Management schneller verfügbar sind. Der Controller übernimmt hier die Rolle des Mittlers zwischen den Geschäftsbereichen. Bei unserer System entwicklung nehmen die Controller selbst keine herausgehobene Stellung ein. Es sei denn, es geht speziell um das Thema Reporting bzw. Realtime-Analytics.
Realtime-Analytics Weber: Die Digitalisierung eröffnet demnach neue Möglichkeiten. Werden die Daten denn künftig alleine durch das System aufbereitet und bereitgestellt oder wird dabei auch weiterhin der Controller involviert sein? Streibich: Die Controller sind natürlich weiterhin verantwortlich dafür, dass die Daten richtig aufbereitet vorliegen. Man muss sich das so vorstellen: Bei einer Industrieanlage braucht man Messpunkte, um den Druck, die Temperatur oder die Durchschnittsgeschwindigkeit zu messen. Ähnlich benötigt man innerhalb von Unternehmensprozessen Messstellen, um die Prozesse messbar zu machen und diese Messergebnisse auch so effizient wie möglich aufzubereiten. Die Digitalisierung macht Manipulation schwieriger. Durch Realtime-Analytics hat man wiederum die Möglichkeit, dass man in einer noch
nie da gewesenen Präzision, Geschwindigkeit und Verlässlichkeit Daten analysieren und aufbereiten kann. Spittler: Was genau ist unter RealtimeAnalytics zu verstehen? Streibich: Realtime-Analytics heißt zunächst einmal, dass die Daten in einer korrekten Form digitalisiert werden. Das hört sich trivial an, ist aber ein riesiges Thema. Denn in der bisherigen IT hatte jede Abteilung nicht nur ihre eigene Anwendung,
Software AG ist weltweit führend im Bereich Business Process Excellence und kann eine Vielzahl von Innovationen vorweisen. Das Portfolio besteht aus Produkten, Lösungen und Services für das Management von Geschäftsprozessen (BPM), die sich durch eine hohe Benutzerfreundlichkeit bei niedriger Total-Cost-of-Ownership auszeichnen und die vollständige Lieferkette abdecken. Mit den Marken ARIS, webMethods, Adabas, Natural, Centra Site und IDS Scheer Consulting ist die Software AG branchenführend. Sie bietet Software und Services für den Entwurf von Prozess-Strategien sowie das Design, die Implementierung und die Überwachung von Prozessen; SOA-basierte Integration und Datenmanagement; prozessgesteuerte SAP-Implementierung sowie strategische Prozessberatung und Dienstleistungen. 2011 erzielte die Software AG einen Umsatz von 1,1 Milliarden Euro. Mit mehr als 5.500 Mitarbeitern beliefert sie rund 10.000 Kunden in 70 Ländern weltweit. Die Software AG hat ihren Hauptsitz in Deutschland.
ZfCM | Controlling & Management
56. Jg. 2012, H.2
PRAXIS | ARTIKEL
Vita
Karl-Heinz Streibich Jahrgang 1952, ist seit Oktober 2003 Vorstandsvorsitzender der Software AG und zudem für die Bereiche strategisches Marketing, Revision, Recht und Unternehmenskommunikation zuständig. Er begann seine berufliche Laufbahn 1981 bei der Dow Chemical Company in Rheinmünster. 1984 wechselte er zu ITT Industries in London. 1987 übernahm er die Leitung des Geschäftsbereichs PC-Systeme für ITT-SEL AG (heute Alcatel/SEL AG) in Deutschland. 1989 kam er zur Daimler Benz AG, wo er verschiedene Führungspositionen inne hatte. 1996 wurde er in die Geschäftsführung der debis Systemhaus GmbH berufen. Als Vorsitzender der Geschäftsführung debis Systemhaus verantwortete er von 2000 bis 2003 die Fusion der debis Systemhaus GmbH mit der T-Systems GmbH. Karl-Heinz Streibich ist Diplom-Ingenieur für Nachrichtentechnik. Er ist Absolvent der Fachhochschule Offenburg.
sondern auch eigene Stammdaten. Realtime-Analytics setzt damit eine Managementoptimierung bzw. eine Vereinheitlichung der Datenmodelle im Unternehmen voraus. Erst so lässt es sich vermeiden, dass man nicht im Glauben gelassen wird, man habe 1,2 Millionen Kunden, aber in Wirklichkeit hat das Unternehmen gerade einmal 800.000, weil Fritz Mayer einmal mit ‚ei‘, dann mit ‚ey‘, und ein anderes Mal mit ‚ai’ geschrieben wurde. Prozesse werden also digitalisiert, um die Verlässlichkeit der Daten zu steigern. Ist das geschehen, dann braucht man nur noch die „Messstellen“. Denn am Ende sind folgende Fragen relevant: Wie hoch ist die Durchlaufzeit für einen Auftrag? Wie hoch ist die Fehlerrate? Wie hoch ist die Retour? usw. Realtime-Daten sind heutzutage beinahe schon Alltag, zumindest in einigen Branchen. Der nächste Schritt geht hin zu Predictive Analytics, also Hochrechnungen, um der Frage nachzugehen, wie sich etwas weiterentwickelt. ZfCM | Controlling & Management
Spittler: Wie viele Unternehmen sind denn schon so weit? Streibich: Die Branchen, deren Wettbewerbsfähigkeit vom Informationswert abhängt, haben als erstes auf Realtime-Analytics umgestellt. Ganz vorne dabei waren die Finanzdienstleister. In anderen Branchen glaubt man, noch Zeit zu haben. Generell stellen Branchen mit hohen Umsätzen am schnellsten um. Schauen Sie sich beispielsweise Apple an. In der Vergangenheit hat noch nie eine Firma ihren Absatz und damit auch ihre Produktion von Null auf 47 Millionen in einem Quartal hochfahren können. Und bei Apple setzen wir unsere Software ein. Weber: Das heißt, viele Industrien schlafen an dieser Stelle noch? Streibich: Schlafen würde ich nicht sagen. Die Firmen unterscheidet das Bewusstsein für die Dringlichkeit, ein differenzierter Qualitätsgrad und unterschiedliche Wettbewerbsintensität. Es ist nicht jede Firma gleich und Sie können nicht sagen, ‚jede Firma, die nicht erfolgreich ist, schläft‘. In unserer globalen Wirtschaft ticken Branchen und Märkte unterschiedlich. Weber: Heißt das, jeder Manager muss sich heute mit dem Thema Realtime-Analytics auseinandersetzen? Streibich: Ja unbedingt. Ein Manager, der glaubt, heutzutage auf hochwertige Daten verzichten zu können, unterliegt einem Irrglauben. Das ist etwa so, als ginge man davon aus, es sei nicht notwendig, dass man ein Telefon hat, sondern das Medium Brief reiche aus. Am Extrembeispiel einer Bank, in der man täglich mit minütlich bzw. sekündlich aktualisierten Daten arbeitet, wird der Wettbewerbsvorteil von präzisen und aktuellen Daten am deutlichsten. Weber: Wie machen Sie es denn selbst? Streibich: Wir verwenden in unserem Unternehmen seit drei Jahren das Programm Software G 2.0. Damit können wir jegliche Abläufe digitalisieren und auf Realtime-Analytics umstellen. Diejenigen Daten, die ich auf täglicher Basis brauche, sind für mich verfügbar. Spittler: Wenn wir Sie richtig verstanden haben, zielt Realtime-Analytics mehr auf die Qualität der Daten und die Schnelligkeit ihrer Verfügbarkeit ab, weniger darauf, wer sie nachher verwendet. Wie ver-
56. Jg. 2012, H.2
ändert sich denn das Steuerungsverhalten von Managern? Streibich: Als unser Unternehmen gegründet wurde, gab es die Vision: ‚Das ganze Controlling muss man auch unter der Woche darstellen können. Es reicht nicht, nur am Jahresende oder am Monatsende eine Bilanz oder irgendeine Zusammenstellung der Ergebnisse verfügbar zu machen.‘ Heute hat sich diese Vision mehr als bewahrheitet. Es besteht einfach die Notwendigkeit bereinigter Daten und der Bedarf nach verschiedenen Messstellen. Die Aktualität und Qualität der Daten, die den Managern dank Realtime-Analytics zur Verfügung stehen, ermöglichen die notwendige Kontinuität in der Steuerung. Die Manager nutzen diese verbesserte Datenbasis, sodass es mittlerweile selbst im Einzelhandelsbereich undenkbar ist, noch rein auf monatlicher Basis zu steuern.
Künftige Beziehung Controlling – Management Spittler: Die zunehmende Digitalisierung sowie die Umstellung auf Realtime-Analytics haben die Datenverfügbarkeit deutlich beschleunigt. Inwieweit hat sich die Zusammenarbeit mit den Controllern verändert? Streibich: Es werden andere Fragen aufgeworfen als früher. Außerdem erfolgt der Umstellungsprozess auf Realtime-Analytics in enger Zusammenarbeit mit den Controllern. Ich würde sogar wagen zu behaupten, dass über Realtime-Analytics für das Controlling ein wichtiger Mehrwert generiert wird. Es liegt deshalb mitunter besonders an den Controllern, das Unternehmen zu einem Realtime-Unternehmen zu machen. Spittler: Hat sich dadurch in der Einstellung der Controller etwas verändert? Streibich: Jede Veränderung bringt Unsicherheit und Fehlerraten mit sich. Deshalb sind Veränderungen immer eine Herausforderung. Von der Kultur her sind kaufmännische Bereiche auf Stabilität und Wiederholbarkeit der Dinge ausgelegt. Im Finanzbereich, der geprägt ist vom Begriff des ehrbaren Kaufmannes, gilt das ganz besonders. Und nicht zuletzt entstammt das Controlling ja auch dem Finanzbereich. So waren es am Ende die normalen Anpassungsthemen, die man überall hat, bei denen sich die Geschwindigkeit dramatisch erhöht. Die Erstreaktion auf die 103
PRAXIS | ARTIKEL
Erhöhung der Geschwindigkeit war eher kritischer Natur. Erst wenn die Mitarbeiter die Tools richtig nutzen, kommt deren Effizienz zum Tragen. Spittler: Waren Sie dabei die treibende Kraft? Streibich: Der Finanzbereich war der Partner, mit dem wir das gemacht haben.
Ausblick Realtime-Vernetzung Weber: Unsere Erfahrung aus der Zusammenarbeit mit unseren Partnerunternehmen zeigt, dass das Vorantreiben der Vernetzung momentan eines der zentralen Themen ist. Der Handlungsdruck nimmt hier erheblich zu. Streibich: Ich erinnere mich an die Zeit als ich ein kleiner Junge war und mein Nachbar, ein Handwerker, jeweils einen Brief an seine Lieferanten gesendet hat, wenn er Material brauchte. Aber das war unidirektional. Das war kein echter Dialog. Heute ist der Informationsaustausch zwischen Vertragspartnern durch die Globalisierung zum Dialog geworden und dabei spielt das Internet eine bedeutende Rolle. Jede industrielle Phase hat ihr eigenes Kommunikationsmedium. Grob gesagt gab es in der ersten industriellen Phase den Brief, in der zweiten das Telefon und nun in der dritten das Internet. Das
Internet ermöglicht und bewirkt Realtime-Vernetzung. Die Geschwindigkeit der Kommunikation und Vernetzung ist enorm und bewirkt schließlich zwei Dinge: Es wird leichter, zu skalieren und es können Innovationsnetzwerke zwischen Konsumenten und Firmen oder zwischen Firmen aufgebaut werden. Ich bin jetzt seit 35 Jahren in der ITBranche tätig. Es war immer spannend, aber jetzt ist es besonders spannend. Jetzt sind wir in der Phase der Realtime-Vernetzung. Es wäre doch vor 30 bis 50 Jahren undenkbar gewesen, dass eine Firma wie Apple solche enorm hohen Skalierungen ausweisen kann. Der Erfolg von Apple ist in dem Zusammenfügen von zwei Dingen begründet: Zum einen, dass man eine reife Technik hat, die als Anwenderkonzept innovativ ist. Und zum anderen die Kombination mit skalierbaren Produktionen, wie sie heute in China möglich sind. Nur deshalb funktionieren die Produkte als Massenware. Weber: Also sind sowohl Skalierbarkeit als auch Vernetzung ausgesprochen wichtig. Streibich: Beides ist wichtig und begründet die Erfolgsgeschichte Apple. Es ist zwar nichts Neues, dass ein innovatives Produkt auch einen guten Absatz findet. Aber die Kombination von Technologie
und Skalierbarkeit in einer globalisierten Welt ist der ausschlaggebende Faktor. Sowohl das Innovationsnetzwerk, das Produktionsnetzwerk als auch das Logistiknetzwerk werden als interaktive Netzwerke benötigt. Sie werden am Ende sehen, dass Apple die erste Firma sein wird, die einen Börsenwert von einer Billionen US-Dollar ausweist. Weber: Das ist ein guter Business Case. Jedoch lehrt uns die Erfahrung auch, dass solche Monopolsituationen nicht lange Bestand haben. Es werden sicher keine Einzelfälle bleiben. Vielmehr werden vergleichbare Konzepte folgen, auch wenn es noch eine Zeit lang dauern wird. Streibich: Apple ist ja kein außergewöhnliches Monopol. Jede Marke ist ein Monopol. IBM gibt es nur bei IBM, Mercedes nur bei Mercedes und Apple nur bei Apple. Man hat extrem konsequent ein eigenständiges Konzept auf globalisiertem Maßstab durchgesetzt. Aber letztlich wurde nichts anderes gemacht, als konsequent das Thema der Realtime-Vernetzung über alle Prozessstufen hinweg zu vollziehen. Weber: Herr Streibich, wir danken Ihnen ganz herzlich für dieses Interview. Das Interview führten
Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber und Sabine Spittler
Steuern und Controlling praxisnah verknüpft springer-gabler.de
DOI: 10.1365/s12176-012-0126-y
Steuercontrolling und Reporting
Konzernsteuerquote und deren Bedeutung für das Steuermanagement 2010. 158 S. Br. € (D) 39,90 ISBN 978-3-8349-1280-0
Einfach bestellen:
[email protected] Telefon +49 (0)6221 / 3 45 – 4301
Änderungen vorbehalten. Erhältlich im Buchhandel oder beim Verlag.
Robert Risse