Aus einer bayr. Kriegslazarettabteihmg.
Ein primlires Sarkom der Prostata. Von
Dr-. ltermann Sehiippler. Baeh~) leitet seine Veriiffentlichung ~iber Prostatasarkome mit dell Worten ein: ,,in der klinischen und anatomischen Wfirdigung der malignen Prostata-Tumoren haben unsere Kenntnisse iiber das Sarkom nicht gleichen Schritt gehalten mit denen des Carcinoms". Was B a c h im Jahre 1905 geschrieben hat, darf auch heute noch als giiltig bezeichnet werden. Die Sarkomfiille der Prostata stellen immer noch relative Seltenheiten dar. Auch die hierfiber gemachten statistischen Zusammenstellungen ergeben die Wahrheit dieses Satzes. Selbst wenn man hierbei die Beobachtungen eines T h o m p s o n 2) und \Vyss 3) ganz ausser acht li41tt und als veraltet bezcichnet, so sprechen doch die Zusammenstellungen und Ausfiihrungen yon Barth4), GrittzerS)~ S o c i n und B u r k h a r d t 6 ) , OberndorferT), Asehoff8), N o b i l i n g 9) u. a. m. fiir das verhi~ltnism~l]ig seltene Vorkommen dieser Art biisartiger Geschwiilste bei der Vorsteherdriise des Menschen. 1) Bach~ G.~ Ein rasch wachsendes Rundzellensarkom der Prostata. Inaug.Diss. Miinchen 1905. 2) T h o m p s o n 7 The diseases of the prostat G their pathology and treatment. London 1861. 3) Wyss, Die heterologen Geschwfilste der Prostate. Virchows Archiv. 35. Bd. 1866. 4) Barth~ Ueber Prostatasarkom. Archiv f. klin. Chirurgie. 1891. 5) G r [itz e r ~ Zur Statistik der Prostatasarkome. Inaug.-Diss. Wiirzburg 1895. 6) Socin und B u r k h a r d t , Die Verletzungen und Krankheiten der Prostata. Deutsche Chirurgie. 53. Bd. 7) Oberndorfer~ S.~ Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomic der m~nnliehen Geschlechtsorgan G in Lubarsch-Ostertag. Erg. d. allg. Pathologie u. path. Anatomie des Menschen u. d. Tiere. Bericht iiber das Jahr 1903. 8) Aschot'f, L.~ Pathologisehe Anatomie lI. Bd. Jena 1913. 9) N o b i l i n g , H., Statistik der biisartigen Geschwiilste. [naug.-Diss. Mtinchon 1911.
"246
H. S c h S p p l e r , Ein prim~res Sarkom dor Prostata
Ein neuer, dureh seine ungewStmliche GrSl~e und seine Aetiologie bemerkenswerter Fall konnte von mir beobachtet werden. Am 19. 7.16 ging dem Kriegslazarett der Fiis. O.K. zur Beobachtung auf akute Nierenentz~indung und akuten Darmkatarrh zu. nachdem er sieh am 15.7.16 bei der Truppe krank gemeldet hatte. Bei der A u f n a h m e gab er an, seit 8 Tagen Sehmerzen in der Blasengegend mid sehr harten und angehaltenen Stuhl zu haben. Beim Harnlassen habe er starke Leibschmerzen, auch bemerke er seit 2 Tageu Blut im Harn. Er fiihle sich auIJerordentlich matt. Geschlechtliche Infektion friiherer Zeit wird verneint, ebenso eine Erkrankung vor dem Diensteintritt. Vor etwa einem Monat s e i er yon e i n e m G e r i i t e w a g e n a b g e r u t s e h t und mit der D a m m g e g e n d auf einen h a r t e n G e g e n s t a n d g e f a l l e n , so dal.~ er eine z e i t l a n g o h n m i i c h t i g g e w e s e n sei. Seit d i e s e r Zeit habe er die S c h m e r z e n in der B l a s e n g e g e n d , die i m m e r m e h r zug e n o m m e n haben. Der A u f n a h m e b e f u u d sagt: Grol.~er hagerer .Mann, mit mitNgem Enliihrungszustand, belegter Zunge. GeringerAppetit. Herz: normal. Puls: 72, regelmiiBig. Blutdruck: 125 mm. Lungen: o.B. Leib weich, beiderseits iiber den Leistengegenden stark druckempfindlich. Nach Stuhl Abgang yon blol~em Sehleim. KSrpergewicht: 621/s kg. Urin yon braungelber Farbe: nach liingerem Stehen leichte Wolkenbildung. E. @. Spuren yon Blur. Mikroskopischer Befund des Urins: M/il3ige Zahl yon roten BlutkSrpel'ehen, teilweise deformiert, vermehrte Zahl yon wei[.ien BlutkSrperchen, keine Zylinder. Krankheitsbezeichnung: akuter Darmkatarrh. Prostatitis mit beginnender AbszeBbildung? Behandhmg: Bolus alba. Diiit. Heisse Leibwickel. Der V e r l a u f der E r k r a n k u n g hot nun mit einer leichten Fiebersteigermlg auf 38,2 (am 23. 7. 16), einer geringen Albuminurie zunachst keine Besonderheiten. Am 25.7. 16 lindet sieh der Eintrag: der in den Mastdarm eingeftihrte Finger l}il~t vorne einen grol3en fast das ganze Lumen ausfiillenden Tumor erkennen. In ChlorMhernarkose punktiert. Es entleert sich Blur und zerfallenes Prostatagewebe und einige Tropfen einer jauchigen Fliissigkeit. Einfiihrung eines Tampol~s in den After. 3mal tiigl. lleisse Sitzbader. Die am 12.8. vorgenommene Operation ergab die UnmOglichkeit der operativen Entfernung ties Tumors. Bei der seit Anfang August bereits eingetretenen rasch zunehmenden Kachexie des Kranken trat am 12.8. 16 Abends 81/2 Uhr der Exitus unter den Zeichen der zunehmenden Herzschwliche ein. Die O b d u k t i o n ergab: Lungen, Herz~ Leber, Milz ohne besonderen Befund. In der Bauchhghle fand sich ein fast his zur NabelhOhle reichender, mlregelmiigig knollenfSrmig aussehender, grauroter Tumor, tier aus dem
H. Sohtippler, Ein prim~ires Sarkom dor Prostata.
247
kleinen Beeken herausragl, die Blase umspannt, so dab yon ihr nur die vordere Wand unbedeekt bleibt. Die Gesehwulst ftillt das kleine Becken fast vollkommen aus, driickt den Darm daselbst glatt zusammen, und kann ran' mit demselben, der Blase und der yon der Symphyse abgelSsten HarnrShre aus dem kleinen Becken herausgeholt werden. Die Geschwulst ist weich, reit]t beim IIerausnehmen leicht ein und zeigt in ihrem oberen Teil eine grol]e, etwa kindskopfgrol.~e Zerfallsh0hle, die nlit hirnartigen Gesehwustteilen, geronnenem und flfissigem Blut ausgefiillt erseheint. Der untere Tell tier Geschwulst, der yon der Prostata deutlich seinen Ursprung nimmt, ist fast gleichmiil3ig weieh und grauweiI./ auf den Sehnittfliiehen. Die Prostata selbst ist in der Gesehwulstmasse kaum mehr zu erkennen. Die Gesehwulst hat einen Litngsdurehmesser yon ungefiihr 21 em und eine grSgte Breite yon 15 era. Die Zerfallshiihle hat eine L~tnge yon etwa 12 em und eine grSl~te Breite yon 9 era. Die HarnrShre hatte eine dunkelblaurote Sehleimhaut. In der Harnblase fanden sieh 150 eem eines blutig-dunkelgelbea Harris. Die Wand der Ilarnblase ging hinten in den Tumor iiber und war nur oben yon gehSriger Besehaffenheit und Dieke. Die Sehleimhaut war graurot. yon vielen Blutpunkten durehsetzt, gequollen und teilweise graugran verf~irbt mid versehorft. Die Sehleimhaut der Ureteren rot, mit vielen Blutpunkten durehsetzt. Die Nierenbeeken beiderseits zeigen eine gerStete Sehleimhaut, sind erweitert und mit einer trtiben graugelben Fl~ssigkeit angeftillt. Die Nierenoberflitehe ist glatt: blaBrot, ebenso die Sehnittfliiehe. M a r k - u n d Rindenzeiehnung ist erhalten. Die Rinde quillt etwas iiber die Sehnittll~iehe. Der abgestriehene Gewebssaft ist trtibe. Die a n a t o m i s e h e Diagnose wurde gestellt a u f : primii, r e s Sarkom tlerProstata. Nekrotisier-endeZystitis. Pyelitis aseend. Triibe Sehwellung der Nieren. Die h i s t o 1 o g i s e h e U n t e r s u e h u n g des Tumors ergab nachstehenden Befund : Die arts versehiedenen Stellen der Gesehwulst entnommenen Sttieke wurden in Paraflin eingebettet, die Sehnitte mit Hiimatoxylin-Eosin und nach van Gieson geffirbt. Sehnittdieke 1 0 - - 1 5 I~. Man findet ein grolialveol~tres strafles Stroma. bestehend aus sehr kernarmen langfaserigen Bindegewebsziigen. In die Alveolen eingelagert sieht man zahllose regellos und dieht aneinander gedr~ngte ganz kleine Zellen von zumeisl rundlieher Form. Viele yon diesen Zellen sind ganz kurzspindelig und lassen bei Betraehtung mit stiirkster VergrSlterung kleine faserige Fortsiitze erkemmn, die ihrerseits mit sehr feinenFasern zusammenh/tngen. Letztere verlaufen zwisehen den Zellen ,)der zwisehen Gruppen yon solehen, und man sieht wiederum
248
H. S c h S p p l e r , Ein primEros Sarkom der Prostata.
eine Verbindung dieses ganz feinen Netzwerkes mit der innenfl~iche der gro~en Bindegewebsalveolen. Es handelt sich demnach bestimmt um Zellen, welche der Bindegewebsreihe augehSren, aber nur eine sehr geringeDifferenzierung aufweisen. In den grSl]eren Alveolen sind die zentralen Partieen der Zellansammlungen zmneist nekrotisch geworden und nut (lie Peripherie lal3t noch gut farbbare Kerne erkennen. Diese sind ebenfalls sehr klein, dunkel granuliert mit wenig differenziertem Chromatin. Nach dem histologischen Befunde ist es unzweifelhaft, dal~ der Tumor als ein yon der Prostata ausgehendes ldeinzelliges Sarkom anzusprechen ist. Wit haben es also mit einem jener auch heute noch verhMtnismaBig seltenen FMle eines Prostatasarkoms zu tun, yon denen A s c h o f f 0 im Jahre 1913 schreiben konnte: ,;Von den Geschwfilsten der Bindegewebsreihe sind die selten vorkommenden Sarkome . . . . . zu nennen", und iiber die K a u fm a n n 2) sich dahin ausspricht: ,,Sarkome der Prostata, schon bei kleinen Kindern beobachtet, sind viel seltener, ihre GrSl]e ist relativ bedeutender als (lie der Carcinome und erreicht selbst ausnahmsweise die eines Kindskopfes". Dem Wachstum nach hat mein Fall viel Aehnlichkeit mit den yon B a c h und P a v e r s 3) publizierten Fallen. Doch ist die GrS~e des Tumors eine ungewShnliche und habe ich in der mir zur Verfiigung stehendcn Literatur einen gleiclien Fall nicht finden k6nnen. Es besteht wohl heute die keinem Arzt mehr unbekannte Tatsache, dal~ von Militfirpersonen, die an Geschwiilsten erkrankt sind. letztere auf Verletzungen oder Erkrankungen, die dutch den Dienst hervorgerufen wurden, zur(ickgeffihrt werden. Der Zusammenhang zwischen Trauma und Eutstehung der Geschw{ilste spielt seit V i r c h o w s Zeiten immer noch eine viel umstrittene Rolle. und die Meinungen der Autoren gehen wie in jenen Tagen immer noch ziemlich auseinander. Doch mehren sich in letzter Zeit immer mehr die Ansichten der einzehlen Forscher, die die Entstehung der Geschwfilste auf traumatischer Basis gelten lasseu oder auch auerkemmn. Es sei mir nut gestattethierauf d i e N a m e n v o n B o r s t ~); R i b b e r is), v.Hansemalnl6), 1) A s c h o f f , L., Pathologische Anatomio. II. Bd. Jena 1913. 2,) K au fm a n n,. E., Lehrbuch der spez. pathologischen Anatomic. Berlin !907. 3) P a v e r s , A. Ch., Primary sarcoma of tho Prostata. Annalos of Surgory. Jan. 1908. 4) Borst, Ueber Wesen und Entstohung dor Gosehwiilste. Wiirzburger Abhandlungen. 1906. 5) R i b b e r t , In wieweit kSnnen Neubildungen auftraumatische Einfifissc zurfickgefiihrt worden? herztliche Sachverst.-Ztg. 1898. 6) v. H a n s e m a n n , Beeinflul~t der Kricg dio Entstehung von Goschwfiisten? Zeitschr. f. Krobsforschung. 15. Bd. H. 3.
H. S c h S p p l e r , Ein primares Sarkom der Prostata.
249
L O w e n t h a l l ) , Deilmann-~)~ Bueh3), O b e r n d o r f e r 4 ) , ThiemS), T h e i l haber6), LSwensteinT), S c h S p p l e r s) u . a . m , hinzuweisen. Ftir das Sarkom sprechen in dieser speziellen ~ttiologischen Hinsicht die Arbeiten yon L S w e n s t e i n g ) , L a n d g r a f 1~ und E i c h e l U ) . Gerade letzterer vermag zur Illustration der traumatischen Entstehung der Sarkome aus dem Gebiete des Milit~trsanitiitswesens recht anschauliche Beispiele zu bringen. Auch in meinem Falle halte ich es fiir gr56tenteils wahrscheinlich, das yon dem Verletzten angegebene Trauma als auslSsendes Moment ftir die Entstehung des Sarkolns anzunehmen. Die Vorgeschichte des F(iseliers. dcr vor seinem Diensteintritt hie krank war, die Art der Verletzung~ der nun sich entwickelnde Krankheitsprozess, dessert Verlauf nach Ort und Zcit, das Alles spricht doch sehr zu Gunsten der Annahme der Entstehung des Sarkoms auf traumatischer Basis. Durch die gewil3 heft|go Verletzung mag es zu Zerreil.~ungen im Prostatagebiet gekommen sein, zur Absprengung yon Bindegewebskeimen und zur Entwicklung der Geschwulst. Welche Nebenumstlinde dabei noch im Spiele sein mSge m entzieht sich wohl zurzeit unserer Beurteilung. Chemisch-vitalistische Veritnderungen im Zelleib und Zellkern mSgen hier eine Rolle spielen, sowie Spannungsdifferenzen, chemisch-elektrische Vorgitnge, Umstellungen in der Ionengruppierung u. a. m. in der Zelle, Voi'g/inge und Erscheinungen, die sich heute noch unserer Forschung und LSsung entziehen. 1) LSwenthal~ C, Ueber die traumatische Entstehung der Geschwiilste. lnaug.-Diss. Miinchen 1894. 2) D e i l m a n n , J., Ueber den Zusammenhang von Sarkom und Trauma. lnaug.-Diss, ttalle 1903. 3) Buch~ E., Ueber posttraumatische Sarkomatose im jugendlichen Alter. lnaug.-Diss. Mfinchen 1906. 4) Oberndorfer~ S., Tumor und Trauma. Aerztliche Sachverst.-Ztg. Nr. 2. 1907. 5) T h i e m , Geschwiilste und Unfall mit besonderer Beriicksichtigung der Krehsgewebe. Monatschr. f. Unfallheilk. u. lnvalidenvers. 19. Jahrg. 1912. 6) T h e i l h a b e r , Der Zusammenhang yon stumpfen Traumen mit der Entstehung yon Carcinomen u. Sarkomen. Deutsch. Zeitschr. f. Chirurgio. Bd. 110. 1911. 7) L S w e n s t e i n , Zur Frage der posttraumatischen Krebse. Beitr. z. klin. Chirurgie. Bd. 74. 1911. 8) S c h S p p l o r , It., Einmaliges Trauma und Care|nora. Zeitschr. f. Krebsforschung. 16. Bd. Berlin 1911. 9) L S w o n s t e i n , Der 5tiologische Zusammenhang zwischen Trauma und Sarkom. Beitr. f. klin. Chirurgie. Bd. 48. 10) L a n d g r a f , 34Sarkom-Erkrankungen. Deutsche milit~r~irztl. Zeitg. 1891. ll) Eichel~ Ueber das Auftroten yon Sarkomen usw. VerSffentl. a. d. Gehiete des Milit~irsanit~itswesens. It. 39. Berlin 1908.