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Akustik
Neue Modulwaage im Akustikwindkanal von BMW Potenziale für die Innengeräuschoptimierung Das Windgeräusch spielt eine entscheidende Rolle beim Innengeräuschkomfort. Bis jetzt wird durch Feinschliffmaßnahmen das Windgeräusch so optimiert, dass keine subjektiv wahrnehmbaren Störgeräusche auf die Insassen wirken. Um in der Konzeptgestaltung eines Fahrzeugs die entscheidenden Komponenten auszulegen, ist der erweiterte Einsatz von neuen Versuchs- und Simulationsmethoden erforderlich. Für den Akustikwindkanal der BMW Group wurde dazu in Zusammenarbeit mit Horiba ATS eine Modulwaage entwickelt und installiert, die für die Lösung von aeroakustischen Aufgaben völlig neue Möglichkeiten eröffnet.
1 Einleitung Die Windgeräuschoptimierung in Prüfständen wird zumeist als zusätzliche Aufgabe für die aerodynamischen Windkanäle gesehen und belegt nur einen prozentual kleinen Anteil der Kapazitäten. Die Windkanäle wurden entweder mit einer Akustik-Performance geplant oder nachgerüstet. Der Akustikwindkanal der BMW Group wurde speziell für diese Aufgabenstellung gebaut und laufend speziell für aeroakustische Aufgabenstellungen angepasst. Im Rahmen umfangreicher Modernisierungsmaßnahmen wurde die Akustik-Performance für den tieffrequenten Bereich erweitert [1], wurden neue laseroptische Messverfahren realisiert und eine Robotertraversierung installiert, Bild 1. Mit dem Einbau der neuen Modulwaage, die erstmals neue Möglichkeiten für Strömungs- und Akustikanalysen vor allem im Unterbodenbereich eröffnet, wurde die Modernisierung in 2006 abgeschlossen.
2 Neue Möglichkeiten bei der Windgeräuschoptimierung Während der letzten Dekaden wurde die akustische und schwingungstechnische Qualität von Fahrzeugen wesentlich verbessert. Die Absenkung von störenden Geräuschpegeln alleine genügt jedoch nicht für die Kundenakzeptanz eines Fahrzeugs. Für den unteren Geschwindigkeitsbereich ist die Abstimmung zwischen Antriebsgeräusch und Wind/Rollgeräusch erforderlich, um dem Fahrzeug eine charaktervolle sportliche Ausprägung zu geben[2], ab mittleren Geschwindigkeiten von zirka 80 km/h bis zu hohen Geschwindigkeiten ist das Windgeräusch die bestimmende Größe für einen guten Innengeräuschkomfort. Windgeräusche entstehen infolge von Wirbelbildung bei abgelöster Strömung unter Grenzschichteinflüssen. Sie dominieren im Innengeräusch von Fahrzeugen bereits ab zirka 80 bis 100 km/h, Bild 2. Nach dem Entstehungsmechanismus können tieffrequente Windgeräusche bis 400 Hz und hochfrequente Windgeräusche bis zirka 10 kHz unterschieden werden, Bild 3. Tieffrequente Windgeräusche entstehen unter anderem durch Strömungsablösungen mit hoher Energie an der Karosserie und am Unterboden. So können zum Beispiel abgehende Wirbel das gesamte Blechfeld der Bodengruppe zum Schwingen bringen. Werden dadurch die Eigenmoden des Innenraums bei 40 bis 80 Hz angeregt, kann sehr unangenehmes Hochgeschwindigkeitswummern die Folge sein. Speziell Randwirbel an Spoilern und Unterbodenabdeckun-
gen sind hier aeroakustische Störquellen. Die physikalischen Wechselwirkungen zwischen Strömungsablösung und Geräuschentstehung sind bis jetzt nicht geklärt. Vor allem am Fahrzeugunterboden, wo die größten Optimierungspotenziale liegen, war bis jetzt eine genauere Analyse der aeroakustischen Effekte kaum möglich. Mit der Entwicklung der neuen Modulwaagentechnik sollten sowohl die Möglichkeiten der aerodynamischen Bewertung als auch die Messung von Luftschall- und Schwingungsphänomenen ermöglicht werden. Nicht nur die aeroakustische Geräuschentstehung, sondern auch die resultierende Übertragung der Geräusche in den Fahrzeuginnenraum unterliegt komplexen Wechselwirkungen zwischen Luft- und Körperschall, Bild 4. Um für den Kunden die wirklich relevanten Quellen und Bauteile zu optimieren, ist die Korrelationsbetrachtung zwischen den gemessenen akustischen Größen in Echtzeit, als auch der Strömungsanregung erforderlich. Diese Bedingung musste sowohl von den Hardwarekomponenten der Modulwaage als auch von der Vernetzung unterschiedlichster Messsysteme umgesetzt werden. Die kundenrelevante Beurteilung des Windgeräuschs bei Windkanalmessungen setzt bis jetzt einen hohen Reifegrad der Fahrzeugprototypen voraus. In Relation zu den entsprechenden Werkzeuglaufzeiten von Dichtungs-, Interieur- und Exterieurbauteilen sind die Änderungsprozesse für Windgeräusch-Feinschliffmaßnahmen beherrschbar. Für konzeptionelle Entscheidungen müssen die Akustikaussagen in einer wesentlich früheren Entwicklungsphase getroffen werden. Dies kann nur durch Versuchsaussagen in einem frühen Prototypenstand und die Einbindung von numerischen Simulationstechniken erreicht werden. Gelingt es, die Ge-
Die Autoren
Dipl.-Ing. Albert Kaltenhauser ist verantwortlich für Akustikkonzepte bei der BMW Group in München.
Siegfried Kolb ist verantwortlich für Messtechnik- und Prüfstandskonzepte bei der Gesamtfahrzeugakustik der BMW Group in München.
Dipl.-Ing. Frank Ullrich ist verantwortlich für Aeroakustik und den Akustikwindkanal der BMW Group in München.
Dipl.-Ing. Lubomir Polansky ist verantwortlich für den Bereich Windkanalwaagen bei Horiba ATS GmbH Darmstadt.
Bild 1: Modernisierter Akustikwindkanal der BMW Group Figure 1: Modernized BMW group wind tunnel ATZ 12I2006 Jahrgang 108
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Bild 2: Wind- und Rollgeräusch bei einem typischen Mittelklasse-Fahrzeug Figure 2: Wind and tire noise for a typical mid-class vehicle
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Bild 3: Windgeräuschpotenziale Figure 3: Wind noise potentials
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räuschquelle als Ablösung in der Strömung zu erkennen, können erste Versuchsaussagen bereits in der Designphase an Tonmodellen gemacht werden. Dazu ist das Verständnis der Wechselwirkung zwischen Strömung und Geräuschentstehung Voraussetzung, welches nur durch eine kombinierte Betrachtung der aerodynamischen und akustischen Effekte am Fahrzeug erreicht werden kann. Durch den „akustischen Eingriff“ in die Strömung ergeben sich auch Rückwirkungen auf die Aerodynamik und umgekehrt. Mögliche Zielkonflikte können nur durch eine gleichzeitige Betrachtung beider Disziplinen gelöst
werden. Deswegen muss ein moderner Akustikwindkanal sowohl präzise Kraftmessungen als auch akustische und schwingungstechnische Analysen beherrschen. Aufbauend auf den weiterentwickelten Stand von Strömungssimulationsmethoden (CFD) wurden die letzten Jahre wesentliche Fortschritte bei der aeroakustischen Simulation (CAA) erzielt. Der standardisierte Einsatz für das Gesamtfahrzeug in den frühen Fahrzeugentwicklungsprozess war bis jetzt nicht möglich, da die Validierung und Aufbereitung der Modelle in Windkanalmessungen nicht umgesetzt werden konnte. Mit
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Bild 4: Akustische Wechselwirkungen am Fahrzeugunterboden Figure 4: Acoustic interaction under the vehicle underbody
den technischen Möglichkeiten und Messmethoden in der neuen Modulwaage werden der Validierungsprozess und der Reifegrad von aeroakustischen Simulationsmethoden deutlich verbessert.
3 Neue Anforderungen an Mess- und Prüftechnik mit flexiblem, modularem Konzept Kostenintensive Prüfstände, wie sie ein 1:1Akustikwindkanal darstellt, müssen durch Ihre Grundkonzeption der Mess- und Prüf-
technik flexibel und modular aufgebaut werden, damit man den wechselnden Anforderung schnell gerecht werden kann. Als Grundkonzept entstand das „NetzwerkAkustik-Windkanal“, Bild 5, in dem alle relevanten Mess- und Prüfgeräte an das gleiche Bussystem angeschlossen sind, so dass die benötigten Messwerte dem Messwerterfassungssystem für die Weiterverarbeitung jederzeit zur Verfügung stehen. Ein wichtiges Auslegungskriterium für die Vernetzung war die Unabhängigkeit der einzelnen Messund Prüfsysteme zu erhalten. Dies bedeutet,
Bild 5: Links: Netzwerk-Akustik-Windkanal; rechts: Korrelation der Messsignale Figure 5: Left: networked acoustic wind tunnel; right: correlation of the measurement signals 1030
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dass jede einzelne Komponente auch als Stand-alone-System betrieben werden kann. Mit dem Netzwerk-Akustikwindkanal können alle steuerungstechnischen Anlagen des Prüfstands mit allen aerodynamischen und akustischen Messungen kombiniert und synchronisiert werden. Damit wird die Korrelation zwischen aerodynamischen Kraft- und Strömungsmessungen mit allen Luftschall- und Körperschallphänomenen ermöglicht, um die für den Kunden relevanten Geräuschmechanismen gezielt verbessern zu können, Bild 5 rechts. Da die Umströmung der Fahrzeugaußenhaut eine Applikation von Sensoren verhindert, sind konventionelle Strömungs-/Druck und Schwingungsmessungen im Windkanal nur eingeschränkt möglich. Speziell an schwer zugänglichen Bereichen des Fahrzeugs, wie Unterboden und Radhäuser, bieten laseroptische Messverfahren die einzige Möglichkeit, die aeroakustischen Phänomene zu entschlüsseln. Für alle Schwingungsphänomene hat sich die Laser-Scanning-Vibrometrie bewährt, für die Beschreibung des Strömungsfelds wird vermehrt das PIV- Verfahren ( Particle Image Velocimetry ) eingesetzt. In Verbindung mit dem neu installierten variablen Glasmodul wurde die Voraussetzung geschaffen, in die genaue Analyse des Unterbodenbereichs vorzudringen. Die Modularität wurde ebenfalls bei der Konzeptionierung der neuen Modulwaage im Akustikwindkanal, die seit Februar 2006 in Betrieb ist, konsequent weitergeführt, Bild 6. Hier wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, den Waagenboden mit drei unterschiedlichen Messmodulen zu bestücken, wobei die vier Einzelwaagen in der Waage verbleiben (1-Glasmodul für la-
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4 Modulwaage Aufgrund der in den letzten Jahren gewachsenen Fahrzeugpalette und den hohen Windkanalbetriebskosten wird eine erhöhte Flexibilität und Produktivität der Messsysteme von den Windkanalbetreibern gefordert, damit die Betriebskosten niedrig gehalten und die Anzahl der Messungen erhöht werden kann. Um diesen Forderungen auch in der Zukunft gerecht zu werden, hat die BMW Group in Zusammenarbeit mit der Firma Horiba ATS ein neues Windkanalwaagenkonzept entwickelt, das einerseits hochpräzise Kraftmessungen am Fahrzeug bei stationärer Anströmung ermöglicht und andererseits durch seinen modularen Aufbau den Einsatz unterschiedlichster neuer Messtechniken für die Analyse des Strömungs- und Akustikfeldes im Unterbodenbereich ermöglicht Bild 7. Die Modulwaage umfasst folgende Einzelsysteme: – Windkanalwaage mit Drehscheibe zur Messung der am Fahrzeug wirkenden Kräfte – Beta-Drehmechanismus zur seitlichen Anströmung der Fahrzeuge – integrierte Fahrzeughubbühne – Kraftfahrzeugmodul für aerodynamische Kraftmessungen von Kraftfahrzeugen und Motorräder – Glasmodul für Akustik und Strömungsfeldmessungen mit integrierter Fahrzeughubbühne – Reservemodul (neue Messsysteme, Modell waage, Laufband) – Modulregalsystem – Anpassung der Windkanal-Leitrechnersoftware.
Bild 6: Prinzip der Modulwaage Figure 6: Principle of the modular balance
4.1 Windkanalwaage
Bild 7: Modulwaage Figure 7: Modular balance
seroptische Unterbodenmessungen, 2-Waagenmodul für aerodynamische Fahrzeugund Motorradmessungen, das dritte Modul wird als „Reserve“ für zukünftige Messaufgaben wie zum Beispiel Laufband oder neue Messsysteme vorgehalten). Der Wechsel der Module und die Bereitstellung für 1032
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die jeweilige Messaufgabe dürfen maximal zehn Minuten in Anspruch nehmen. Dadurch wurde die Effizienz des Prüfstands nochmals gesteigert; zukünftige neue Techniken können ohne Verlust von teuren Down-Time-Ausfällen integriert werden.
Die Windkanalwaage besteht aus vier Einzelwaagen, die für sich betrachtet vollwertige Sechskomponentenwaagen sind. Durch Zusammenfassen der Wägezellensignale werden die benötigten Kräfte berechnet. Damit die Wägezellensignale mit höchster Präzision und Auflösung digitalisiert werden, sind Präzisionsverstärker der Firma HBM eingesetzt worden. Es werden die vier Einzelradauftriebe, der Gesamtwiderstand des Fahrzeugs sowie die Seitenkräfte an der Vorder- sowie der Hinterachse ermittelt. Jede Einzelwaage wurde für folgende Messbereiche ausgelegt. – Widerstand Fx + 1250 N – Seitenkraft Fy +/- 2000 N – Auftrieb Fz +/- 2500 N. Für alle Kräfte der vier Einzelwaagen wurde die geforderte Genauigkeit von 0,05 % v. E. weit übertroffen, so dass Unterschiede bis 1/5000 Cx aufgelöst werden. Selbstverständ-
Schwingungen sehen
Bild 8: Fahrzeughubbühne Figure 8: Vehicle lift platform
lich lassen sich alle vier Einzelwaagen in Radstandsrichtung sowie in Spurrichtung elektromechanisch verstellen, so dass alle BMW-Fahrzeugtypen auf der neuen Modulwaage vermessen werden können. Neben den Fahrzeugen müssen auch Motorräder aerodynamisch untersucht werden. Um dies zu ermöglichen, können zwei Einzelwaagen in die X-Mittelachse der Windkanalwaage gefahren werden. Auch hier ist es möglich, den Radstand der beiden Einzelwaagen entsprechend des zu untersuchenden Motorrads elektromechanisch einzustellen. Zur Erhöhung der Betriebssicherheit wurde in jede Einzelwaage ein elektromechanisches Prüfgewicht integriert, damit jederzeit die Messfunktion jeder Einzelwaage überprüft werden kann, um somit kostspielige Wiederholungsmessungen zu vermeiden. Die gesamte Modulwaage kann um +/180° mit einer Positioniergenauigkeit von +/-0,05° gedreht werden. In die Modulwaage ist in Radstandsrichtung ein Laserverfahrsystem integriert, das es ermöglicht, das Lasersystem im gesamten Unterbodenbereich des Fahrzeugs stufenlos zu verfahren und auf 1/10 mm genau zu positionieren. Der obere Abschluss der Modulwaage wird durch die Drehscheibe gebildet. Die Drehscheibe ist auch Teil des Messstreckenbodens. Die Drehscheibe hat ein Gesamtdurchmesser von 6490 mm. Sie ist mechanisch an die Windkanalwaage gekoppelt, so dass ein gleichzeitiges Drehen und Positionieren der Windkanalwaage und Drehscheibe gewährleistet ist. In die Drehscheibe wird das benötigte Modul gelagert. Ein in die Drehscheibe und den Messstreckenboden integriertes Schienensystem ermöglicht es, die Module mit nur einer Person zu wech-
seln. Die zu wechselnden Module werden mittels Hubspindeln angehoben, anschließend auf den Schienen abgesetzt und können nun verfahren werden. Die Module werden elektromotorisch angetrieben. Auch diese Arbeiten können von einer Person durchgeführt werden.
4.2 Fahrzeughubbühne Damit im Unterbodenbereich der Kraftfahrzeuge Modifikationen schnell durchgeführt werden können, ohne dass dazu das Fahrzeug aus der Messstrecke gefahren werden muss und somit eine Neupositionierung des Fahrzeugs auf der Modulwaage ist jede Einzelwaage mit einer Fahrzeughubbühne ausgerüstet, Bild 8. Die einzelnen Hubbühnen werden synchron verfahren, damit eine Veränderung der Fahrzeugeinfederung vermieden wird. Der Gesamthub der Hubbühne beträgt 600 mm. Diese Hubhöhe plus der normale Bodenabstand eines Fahrzeugs ist ausreichend, um Modifikationen im Unterbodenbereich ausführen zu können.
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4.3 Kraftfahrzeugmodul für aerodynamische Kraftmessungen Da die vier Einzelwaagen in dem spezifizierten Radstand- und Spurweitenweitenbereich stufenlos verfahren werden können, war es erforderlich, ein in das Modul integriertes Abdecksystem zu entwickeln, das ebenfalls stufenlos verstellt werden kann, die Belastung der spezifizierte Radlast von 10 kN aushält sowie weder bei aeroakustischen noch bei aerodynamischen Messungen die Messungen beeinflusst. Es gelang ein Abdecksystem zu entwickeln, das den Anforderungen gerecht wird und darüber hinaus wie die gesamte Windkanalwaage
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Akustik
Bild 9: Modulwaage mit Regalsystem Figure 9: Modular balance with storage system
4.4 Glasmodul mit integrierter Fahrzeughubbühne Das Glasmodul wird unter anderem für laseroptische Messverfahren wie zur schwingungstechnischen Analyse von Unterbodenteilen des Fahrzeugs sowie für Messungen des Strömungsfelds benötigt. Für diese Messungen ist eine Kraftmessung nicht erforderlich, und die Einzelwaagen werden deshalb, um den Sichtbereich des Fahrzeugunterbodens nicht zu versperren, in eine Parkposition gefahren. In Verbindung mit der beschriebenen Laserverfahreinheit und dem Glasmodul kann der gesamte Unterboden des Fahrzeugs strömungstechnisch sowie schwingungstechnisch untersucht werden. Das Glasmodul ist zu diesem Zwecke mit Sichtscheiben ausgestattet. Die Scheiben haben eine maximale Größe von 1000 mm x 1890 mm. Es sind insgesamt acht Scheiben in das Modul integriert, wobei vier Scheiben gegen hydraulische Hubbühnen ausgetauscht werden können. Mit den Hubbühnen kann das Fahrzeug angehoben werden, damit Modifikationen am Unterboden durchgeführt werden können. Die Scheiben bestehen aus Spezialglas, damit die Messungen nicht beeinflusst werden. Sie müssen auch wie das Abdecksystem des Kraftfahrzeugmoduls eine Tragkraft von 10 kN haben. Das Glasmodul kann auch für Verschmutzungsmessungen verwendet werden. Das Modul ist gegen die Drehscheibe mit einer Dichtung versehen, um ein Verschmutzen der Modulwaage zu verhindern. Wie bereits erwähnt, kann das Modul während eines Modulwechsels auf einem Schienensystem elektromotorisch verfahren werden. Das Glasmodul ist wie auch die anderen Module 5000 mm lang und 3000 mm breit. Das Gewicht des Moduls beträgt zirka 8000 kg. 1034
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Bild 10: Windgeräuschanregung am Kraftstoffbehälter, gemessen durch den Glasboden im Akustikwindkanal Figure 10: Wind noise excitation at the fuel tank, measured through the glass floor in the acoustic wind tunnel
4.5 Modulregalsystem Um einen schnellen Modulwechsel durch eine Person realisieren zu können, war es notwendig, ein Modulaufbewahrungssystem zu entwickeln, das es ermöglicht, alle drei Module sicher zu lagern und die Module auf einfachem Wege ohne Hebemittel transportieren zu können. Wie bereits beschrieben, wurde in die Drehscheibe und in den Messstreckenboden ein Schienensystem integriert, das einen Transport der Module von der Modulwaage zum Regalsystem und zurück auf einfache
Art und Weise gestattet. Das Regalsystem ist hinter der Modulwaage und vor dem Diffusor angeordnet, Bild 9. Der obere Abschluss des Regalssystems bildet eine Abdeckplatte, die gleichzeitig, im eingefahrenen Zustand des Regalsystems, den Messstreckenboden bildet.
4.6 Anpassung WindkanalLeitrechnersoftware Infolge der neuen Waagenmesstechnik sowie der vielen zusätzlichen Funktionen war es erforderlich, die Leitrechnersoftware an-
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zupassen und zu erweitern. Alle nicht sicherheitsrelevanten Funktionen der Modulwaage können vom Leitrechner aus gesteuert werden. Die Messzyklen können aufgabenspezifisch parametrisiert werden. Automatische Programmabläufe können definiert und zur späteren Wiederholung gespeichert werden. Die Überarbeitung der Leitrechnersoftware erfolgte im Auftrag von Horiba durch Siemens. Alle sicherheitsrelevanten Funktionen werden direkt vor Ort über eine Handbedieneinheit ausgeführt.
5 Neue Möglichkeiten für die aeroakustische Simulation und Validierung
Bild 11: Oben: Hitzdrahtmessung am Unterboden (Geschwindigkeitsverteilung); unten: Mikrofonmessung am Unterboden (Schalldruckverteilung) Figure 11: Top: CTA measurement at the underbody (velocity distribution); bottom: microphone measurement at the underbody (pressure distribution)
Bild 12: Simulation des Schallfelds im Unterbodenbereich bei 180 km/h mit Modifikationen Figure 12: Simulated pressure field in the underbody region at 180 km/h with modifications 1036
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Die Aeroakustik als Grenzgebiet zwischen der Strömungsmechanik und der Akustik erfordert das Wissen aus beiden Disziplinen und dementsprechende Messverfahren beziehungsweise Messmöglichkeiten. Innerhalb der Fahrzeugentwicklung stehen zur Bewältigung der Windgeräuschproblematik verschiedene Versuchseinrichtungen mit unterschiedlichsten Methoden bereit. Neben dem Fahrversuch mit mobilen Messsystemen wird ein großer Teil der Entwicklungsarbeit in akustischen Windkanälen [3] geleistet. Idealerweise kann hier der gesamte Übertragungsweg durch die verschiedenen Messverfahren analysiert werden, Bild 4. Das Fahrzeug steht auch bei aeroakustischen Untersuchungen auf einer modernen Windkanalwaage, da viele akustische Maßnahmen gleichzeitig auf ihren aerodynamischen Einfluss überprüft werden müssen. Bei der schwingungstechnischen Analyse des Unterbodens wird dazu auf das Glasmodul gewechselt und dominante Bereiche mit dem Laservibrometer abgescannt. Das Referenzsignal für die Phasenzuordnung der einzelnen Messpunkte kann durch einen Körperschallaufnehmer oder durch einen Referenzlaser realisiert werden. Bei dem in Bild 10 gezeigten Beispiel war die Schwingform eines Kraftstoffbehälters Ursache für eine dominante Windgeräuscheinleitung in den Heckbereich des Fahrzeugs. Durch eine entsprechende Umgestaltung des Kraftstoffbehälters und die Abstimmung der Isolation im Bereich der Sitzmulde konnte dieses Geräusch beseitigt werden. Für die Lokalisierung von turbulenzreichen Gebieten und eventuellen Strömungsursachen für Windgeräusche ist das Verständnis der Strömungsvorgänge eine unabdingbare Grundlage. Mit entsprechenden Feldmessverfahren können mit Hilfe von Hitzdrahtmesstechnik (CTA = Constant Temperature Anemometrie) und Mikrofon-„InFlow“-Messungen Strömungs- und Schallfeldereignisse korreliert werden, Bild 11.
Bild 13: Vergleich zwischen Berechnung und Messung des Schalldruckfelds am Unterboden bei 250 Hz Figure 13: Comparison between calculation and measurement of the pressure field on the underbody at 250 Hz
Die Betrachtung der Aeroakustik über numerische Simulation öffnet für die Zukunft ein vergleichbares Anwendungsgebiet, wie es vor gut einem Jahrzehnt bei der Aerodynamik entstanden ist. Die aeroakustischen Berechnungsverfahren (CAA) sind allerdings keine trivialen Erweiterungen oder Anwendungen von kompressiblen CFD-Codes, die üblicherweise für stationäre Strömungen entwickelt wurden. Da mittlerweile auch CFD-Codes für instationäre Strömungsbetrachtungen existieren und die „Fluidschall-Akustik“ nichts anderes als eine Beschreibung instationärer Strömungsvorgänge ist, wird sich die Berechnung als ein wichtiges Werkzeug in der frühen Entwicklungsphase etablieren. Der Erfolg hängt dabei in hohem Maße von den Möglichkeiten zur Validierung der Berechnungen ab und kann durch den Akustikwindkanal mit der neuen Modulwaage in idealer Weise unterstützt werden. Bild 12 zeigt eine Simulation im Vergleich zur Messung am Beispiel eines Fahrzeugunterbodens. Es wurden drei verschiedene Unterbodenmodifikationen simuliert und mit gemessenen Daten verglichen. Die Messungen wurden in der Mitte zwischen Fahrbahn und Unterboden in einem vorher festgelegten Raster durchgeführt. Die Simulationsebene wurde aus Gründen der Validierung in die gleiche Ebene gelegt. Das Ergebnis in Bild 13 zeigt bei 250 Hz und v=180 km/h vergleichbare Strukturen und lokale Verteilungen des Schalldrucks bei Simulation und Messung.
6 Ausblick Bei gestiegenem Komfortanspruch wird die charakteristische Sound-Gestaltung bei Fahrzeugen an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig können die verschärften Anforderungen an Verbrauch und Emission nur durch die verstärkte Integration von Leichtbaukomponenten [4] erfüllt werden. Für die akustische Auslegung von Fahrzeugen können die daraus entstehenden Zielkonflikte nur gelöst werden, wenn für konzeptionelle Entscheidungen zuverlässige Versuchs- oder Simulationsergebnisse vorliegen. Mit der neuen Modulwaage und den erweiterten Möglichkeiten im Akustikwindkanal der BMW Group kann dazu ein wesentlicher Beitrag bei zukünftigen Entwicklungen geleistet werden.
Literaturhinweise [1] Zeller, P.; Zeitler, A.: Future approaches for vehicle acoustics and community noise. 3rd Styrian Noise, Vibration & Harshness Congress, June 2-3 2005, Graz, Austria [2] Hucho, W.-H.: Aerodynamik des Automobils. 5. Auflage 2005, Wiesbaden, Vieweg Verlag [3] Kaltenhauser, A.: Aeroakustik-Chance oder Risiko für den Leichtbau? Tagung Fahrzeugakustik im HdT. 8.-9. Februar 2005, Essen
For an English version of this article, see ATZ worldwide. For information on subscriptions, just call us or send an E-mail or fax.
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