Schwerpunkt Somnologie 2015 · 19:80–87 DOI 10.1007/s11818-015-0002-z Online publiziert: 9. Juni 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
T. C. Wetter1 · G. Klösch2 · T. Crönlein1 1
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Regensburg am Bezirksklinikum, Regensburg, Deutschland 2 Univ. Klinik für Neurologie, Schlaflabor, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich
Prävention chronischer Insomnien Für psychische Erkrankungen im Allgemeinen und Insomnien im Speziellen gibt es große präventive und gesundheitsfördernde Potenziale. Der Nutzen präventiver Maßnahmen ist beträchtlich, sowohl im Hinblick auf die Lebensqualität der Betroffenen als auch hinsichtlich sozioökonomischer Aspekte. Umfangreiche Metaanalysen zur Prävention psychischer Störungen wie z. B. von Angststörungen, Depressionen, schizophrenen Erkrankungen oder auch Essstörungen belegen den Erfolg vorsorgender Maßnahmen [32]. Die Schlafmedizin als relativ junge Disziplin hat hier erheblichen Nachholbedarf: Prävention und Gesundheitsförderung sind Wissenszweige, die in der Schlafforschung noch wenig Beachtung finden. Darüber hinaus liegen bislang keine wissenschaftlich fundierten Untersuchungen vor, die nachweisen konnten, dass spezifische Präventionsprogramme das Auftreten chronischer Insomnien verhindern können. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass Maßnahmen zur Prävention chronischer Schlafstörungen selten Bestandteil der Versorgung im Bereich der Schlafmedizin, der Psychiatrie oder auch der Psychosomatik sind.
4–7 % der Bevölkerung bedeutet sie eine ernsthafte oder dauerhafte Belastung [13, 29]. Ursächlich für insomnische Beschwerden kommen, abgesehen von ungünstigen äußeren Bedingungen, vielfältige körperliche Erkrankungen (insbesondere auch Schmerzsyndrome), Medikamente oder spezifische Schlafstörungen (z. B. das Restless-Legs-Syndrom) in Betracht. Die Insomnie kann auch als eigenständiges Störungsbild (primäre Insomnie) vorliegen. Die diagnostischen Kriterien für eine Insomnie nach ICSD-3 (Chronic Insomnia Disorder) und DSM-5 bzw. für eine nichtorganische Insomnie nach ICD-10 sind in allen Klassifikationssystemen relativ ähnlich angegeben. Gemeinsame Kriterien sind das Vorliegen einer Ein- bzw. Durchschlafstörung oder eines nicht erholsamen Schlafs, negative Auswirkungen auf die Tagesbefindlichkeit sowie eine Häufigkeit der insomnischen Beschwerden von mindestens 3 Nächten in der Woche für die Dauer von mindestens einem Monat (ICD10) bzw. 3 Monaten (ICSD-3, DSM-5). Gleichzeitig bestehende psychische Störungen und medizinische Krankheitsfaktoren müssen ausgeschlossen sein (ICD10) bzw. bieten keine angemessene Erklärung für die vorherrschenden insomnischen Beschwerden (ICSD-3, DSM-5).
Chronische Insomnie
D Aufrechterhaltende Einstellungen
Beeinträchtigungen des Schlafs gehören zu den am häufigsten geäußerten Beschwerden überhaupt. Die Prävalenz der Insomnie liegt in den Industriestaaten je nach Klassifikationssystem und verwendeten Erhebungsinstrumenten zwischen ca. 20 und 30 % [23], und für etwa
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und Gewohnheiten begünstigen die Entwicklung einer chronischen Insomnie.
Ätiopathogenetisch spielen prädisponierende Faktoren, auslösende Ereignisse sowie aufrechterhaltende Einstellungen und Gewohnheiten eine entscheidende
Rolle in der Entwicklung einer Insomnie ([3, 31]; . Abb. 1). Der Beitrag der prädisponierenden Faktoren bleibt im Verlauf der Insomnie konstant, wohingegen sich der Einfluss von maladaptiven Verhaltensweisen erhöht und damit wesentlich zur Aufrechterhaltung der Insomnie beiträgt. Aus diesem Grund hat sich die kognitive Verhaltenstherapie bei der chronischen Form der Insomnie, die sich auf die begünstigenden Faktoren fokussiert, als effektiv erwiesen [22].
Risikofaktoren der Insomnie InderEntwicklung derInsomnie und den daraus abgeleiteten Ansätzen zur Prävention kommt der individuellen Belastung durch unabänderliche und beeinflussbare Risikofaktoren eine wichtige Bedeutung zu.
Unabänderliche Risikofaktoren Geschlecht Epidemiologische Studien zeigen, dass Frauen über nahezu die gesamte Lebensspanne signifikant häufiger über insomnische Beschwerden berichten als Männer [23]. Dafür verantwortlich gemacht werden, neben biologischen Faktoren, eine bei Frauen insgesamt höhere Exposition für belastende Lebensereignisse, ihre Doppelbelastung durch Familie und Beruf und/oder auch unterschiedliche Copingstrategien [18].
Alter Ob Alter ein unabhängiger Risikofaktor für Schlafstörungen ist, wird kontrovers diskutiert. Frühere Studien scheinen ei-
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Schwerpunkt
Prädisponierende Faktorn • Genetik • Hyperarousal • Depression • Grübelneigung
nie darstellt [9]. Stress und belastende Faktoren scheinen insbesondere dann ein signifikantes Risiko zu sein, wenn diese Lebensereignisse auf der Grundlage von ängstlichen Persönlichkeitsmerkmalen auftreten [34].
Schichtarbeit
Auslösende Faktoren • Akuter Stress • Ängste • Erkrankungen • Medikamente
Schichtarbeit führt zu einem aufgezwungenen Schlaf-Wach-Rhythmus, der häufig dem endogenen zirkadianen Rhythmus entgegengerichtet ist. Dauerhafte Schichtarbeit insbesondere mit wechselnden Schichten kann das Risiko für eine chronische Insomnie erhöhen [33].
Psychische Komorbiditäten Aufrechterhaltende Faktoren • Dysfunktionales Denken • Schlafstörendes Verhalten • Nächtliches Grübeln • Tagschlaf
Abb. 1 8 Faktoren in der Entwicklung einer chronischen Insomnie
ne Zunahme der Prävalenz der Insomnie mit zunehmendem Alter zu belegen. Möglicherweise wird dieser Zusammenhang aber überschätzt, da neuere Studien nach Berücksichtigung von somatischen Komorbiditäten das Alter nicht mehr als Risikofaktor betrachten [25].
Persönlichkeit
Beeinflussbare Risikofaktoren
Somatische Komorbiditäten
Hyperarousal Die derzeit gültigen Insomnie-Modelle gehen davon aus, dass eine zentralnervöse Überaktivierung, die kognitive, emotionale und neurobiologische Funktionen mit einschließt, ein wesentliches Element für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Insomnie darstellt [28].
Belastende Ereignisse und transiente Insomnie Klinische Erfahrung und prospektive Untersuchungen legen nahe, dass eine wiederholt auftretende transiente Insomnie im Sinne eines „KindlingPhänomens“ einen Risikofaktor in der Entwicklung einer chronischen Insom-
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Schlafstörungen sind eng mit psychiatrischen Erkrankungen und insbesondere mit Depressionen assoziiert. Bei etwa 40 bis 50 % der Patienten mit einer Depression lassen sich auch genügend Symptome finden, die eine zusätzliche Diagnose der Insomnie nach DSM-IV rechtfertigen [24]. Longitudinale Studien zeigen auch, dass die chronische Insomnie ein bedeutender Risikofaktor für die Entwicklung depressiver Störungen ist [1].
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Insomniepatienten ähneln sich in bestimmten Persönlichkeitseigenschaften. Hierzu gehören in erster Linie die Neigung zum Perfektionismus [35], aber auch Introversion und ein erhöhtes Maß an Ängstlichkeit [16].
Schwerwiegende körperliche Erkrankungen oder anhaltende Schmerzen sind ebenfalls Risikofaktoren für eine chronische Insomnie. In retrospektiven, aber auch prospektiven Studien wurden statistische, möglicherweise auch kausale Zusammenhänge zwischen einer kurzen Schlafdauer bzw. schlechter Schlafqualität und Übergewicht, Diabetesrisiko und dem metabolischen Syndrom gefunden [30]. Auf der anderen Seite fand sich in einer aktuellen Studie bei Patienten mit einer chronischen primären Insomnie kein erhöhter Body-Mass-Index [7].
Prävention und Gesundheitsförderung Prävention hat das Ziel, eine gesundheitliche Schädigung durch gezielte Maßnahmen zu verhindern oder weniger wahrscheinlich zu machen. Nach dem Salutogenese-Modell ist dabei Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess zu verstehen. Gesundheitsförderung setzt zusätzlich oder alternativ vor allem bei der Stärkung der salutogenen Ressourcen und Potenziale an. Dies bezieht sich zum einen auf den einzelnen Menschen (höheres Maß an informierter und kompetenter Selbstbestimmtheit), steht aber auch in einem gesellschaftlichen Kontext. Eine vergleichende Darstellung beider Konzepte findet sich in . Tab. 1.
Empowerment Eng mit dem Begriff der Prävention verbunden sind auch alle Maßnahmen zu sehen, die den Betroffenen in die Lage versetzten, sich auch aktiv mit seinem „Problem“ auseinanderzusetzen und kompetentes, d. h. ziel- und lösungsorientiertes Handeln zu ermöglichen. Das Anbieten von Information soll demnach immer zwei Aspekte berücksichtigen: objektive Informationen über die Risiken und Auswirkungen von gestörtem Schlaf und Vermittlung von Handlungsstrategien und Anleitungen, wie persönliche Ressourcen genutzt und eingesetzt werden können, um die individuelle Gesundheit zu erhalten bzw. wiederherzustellen (z. B. das Erstellen von Maßnahmen zur Schlafhygiene und deren individuelle Anpassung). Prävention kann nach verschiedenen Aspekten differenziert werden: Traditionelle Definitionenbeziehensichaufeinen zeitlichen Aspekt im Krankheitsverlauf [4] (. Tab. 2), andere Einteilungen beziehen sich auf unterschiedliche Zielgruppen [14] (. Tab. 3). Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit ist eine Einteilung nach den Konzepten der Verhaltens- und Verhältnisprävention.
Zusammenfassung · Abstract
Verhaltensorientierte Prävention der Insomnie
Somnologie 2015 · 19:80–87 DOI 10.1007/s11818-015-0002-z © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
Verhaltensorientierte Prävention setzt am Individuum (bzw. bei kleinen Gruppen) an und soll den Einzelnen in die Lage versetzen, sein Verhalten so zu modifizieren, dass gesundheitsförderliche Veränderungen resultieren. Diese Maßnahmen bestehen im Wesentlichen aus drei Elementen: (1) Psychoedukation, (2) Korrektur dysfunktionaler Einstellungen und (3) Verhaltensänderungen.
T. C. Wetter · G. Klösch · T. Crönlein
Patientenschulungen In Deutschland werden in aktuell zwei Projekten Patienten bezüglich Schlafhygiene geschult sowie grundlegende Aspekte des Schlafes vermittelt. Mithilfe dieser Präventionsmaßnahmen, die an ein bis zwei Tagen in Seminarform vermittelt und teilweise durch Krankenkassen mitfinanziert werden, lernen Betroffene, dysfunktionales Schlafverhalten abzubauen und falsche Ansichten zu korrigieren [36, 37]. Neben einer wissenschaftlich fundierten, allgemeinverständlichen Information des Betroffenen sind genaue Anweisungen und die Vermittlung von Entspannungsstrategien wesentliche Elemente, die zu konkreten Verhaltensänderungen führen sollen [39]. Auch wenn prospektive Studien hierzu fehlen, erscheint es nachvollziehbar, dass die Beachtung dieser Strategien präventiv wirksam sein kann.
Diagnostik und abgestufte Therapieprogramme Eine erhebliche Reduktion des Risikos, eine chronische Insomnie zu entwickeln, kann auch durch eine frühzeitige (differenzial-)diagnostische Einordnung und störungsspezifische Therapie erreicht werden. Studien zeigen beispielsweise, dass die Überschneidungen von insomnischen Beschwerden und schlafbezogenen Atmungsstörungen groß sind [17] und so ein Schlafapnoe-Syndrom bei Frauen leicht übersehen werden kann [6]. . Abbildung 2 zeigt anhand eines Algorithmus, wie im ärztlichen Kontakt eine Früherkennung von Schlafstörungen erfolgen kann [20]. Dieses
Prävention chronischer Insomnien Zusammenfassung Ein- und Durchschlafstörungen gehören zu den häufigsten schlafbezogenen Beschwerden, dennoch finden Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung chronischer Insomnien noch wenig Beachtung. Prävention kann generell nach dem zeitlichen Aspekt im Krankheitsverlauf oder nach der Zielgruppe differenziert werden. Neuere Konzepte unterscheiden zwischen verhaltensund verhältnisorientierter Prävention der Insomnie. Die verhaltensorientierte Prävention umfasst im Wesentlichen Elemente der Psychoedukation sowie Maßnahmen zur Korrektur dysfunktionaler Einstellungen. Dabei soll der Einzelne in die Lage versetzt werden, sein Verhalten so zu modifizieren, dass daraus gesundheitsförderliche bzw. schlafverbessernde Veränderungen resultieren. Es ist anzunehmen, wenn auch letztlich nicht wissenschaftlich belegt, dass die Anwendung schlafhygienischer Empfehlungen sowie eine frühzeitige Behandlung von Insomnien
durch Anwendung kognitiver verhaltenstherapeutischer Techniken zur Prävention einer Chronifizierung beitragen. Ziel der verhältnisorientierten Prävention ist der Abbau von Risikofaktoren nicht auf individueller, sondern auf struktureller Ebene und schließt beispielsweise Gesundheitsförderungsprogramme mit ein. Handlungsempfehlungen zur Prävention chronischer Insomnien umfassen unter anderem eine individuelle Informationsvermittlung zur Schlafhygiene, die Implementierung der Themen Schlaf und Schlafstörungen in Ausbildungszweigen des Gesundheits- und Erziehungssystems und den Ausbau schlafmedizinischer Zentren. Darüber hinaus sollten schlafmedizinische Experten in die Planung von Arbeitsabläufen im Schichtsystem einbezogen werden. Schlüsselwörter Insomnie · Prävention · Gesundheitsförderung · Verhaltenstherapie · Schichtarbeit
Prevention of chronic insomnia Abstract Although insomnia is the most common sleep–wake-related complaint, measures for prevention and health promotion do not yet play an important role. Prevention in general may be differentiated according to the time course of the disease or the target group. More recent concepts comprise behaviorand relation-oriented insomnia prevention measures. Behavior-oriented prevention includes elements of sleep education and the correction of dysfunctional attitudes to enable the individual to modify their behavior in order to obtain better sleep. Although not scientifically proven, it is assumed that the application of sleep hygiene recommendations and the use of cognitive behavioral techniques at an early stage of insomnia are helpful in preventing transition
Verfahren zur Diagnostik und Therapie von Schlafstörungen geht schrittweise vor und berücksichtigt Maßnahmen der Prävention, der Intervention und des Verhaltenstraining. Vor dem Hintergrund einer differenzialdiagnostischen Abklärung sowie der unterschiedlichen Schweregrade einer
to the chronic form. The aim of the relationoriented prevention is the reduction of risk factors, not at an individual level, but at a structural level, including health promotion programs for better sleep. Recommendations for the prevention of chronic insomnia include sleep hygiene knowledge on an individual basis, the implementation of the issues “sleep” and “sleep disorders” in the health and educational system, the development of sleep medicine centers, and the consultation of sleep experts in the planning of shift work routines. Keywords Insomnia · Prevention · Health promotion · Behavior therapy · Shift work
Insomnie in Bezug auf Komorbiditäten und Therapieresistenz schlägt Espie ein abgestuftes Therapieprogramm für Schlafstörungen vor [12]. Während transiente und unkomplizierte Insomnien durch edukative Maßnahmen und Selbsthilfeprogramme ausreichend behandelt werden können, erfordern schwere und Somnologie 2 · 2015
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Schwerpunkt Tab. 1
Prävention und Gesundheitsförderung im Vergleich (modifiziert nach [2])
Prävention
Gesundheitsförderung
Definition von Gesundheit
Abwesenheit von Krankheit
Ziel
Abbau von Risikofaktoren auf individueller Ebene (Verhaltensprävention) und auf struktureller Ebene (Verhältnisprävention) Patient als zu behandelndes Objekt Belehrung, Kontrolle, Verhaltenstraining Experten
Vollständiges körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden Aufbau von Schutzfaktoren durch Förderung einer gesunden Lebensweise und gesundheitsförderlicher Lebenswelten Patient als mündiges, selbstbestimmtes Subjekt Information, Beratung, Unterstützung Experten und Betroffene
Menschenbild Methode Verantwortung Tab. 2
Einteilung der Prävention nach zeitlichem Verlauf
Primärprävention Zeitpunkt Ziele
Adressaten
Tab. 3
Sekundärprävention
Vor Eintritt der Erkrankung Verringerung der Inzidenz von Erkrankungen
Im Frühstadium der Erkrankung Verringerung der Prävalenz durch Früherkennung, zeitnahe Interventionen, Verminderung von Risikofaktoren für einen chronischen Verlauf Gesunde bzw. Personen Patienten mit akuten ohne Symptomatik Erkrankungen
Definition
Betrifft die gesamte Bevölkerung, unabhängig vom individuellen Risiko Beispiele für Vermittlung von Maßnahmen Schlafhygiene in Institutionen des Gesundheits- und Erziehungssystems
Patienten mit chronischer Beeinträchtigung
Selektive Prävention
Indizierte Prävention
Betrifft Personen, die ein erhöhtes Risiko tragen (psychologisch, biologisch, sozial) Informationsvermittlung und Risikofaktorenanalyse bei Personen unter Arbeitsbedingungen mit hohem Anteil von Schlafstörungen
Betrifft Personen mit individuellem, diagnostizierbarem Risiko Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionsstrategien
chronische Insomnien umfassendere Therapieangebote. Ein Beispiel hierfür ist ein stationäres verhaltenstherapeutisches Gruppenprogramm, das in Regensburg am Schlafmedizinischen Zentrum der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie entwickelt und evaluiert wurde [5]. Es wurde für Patienten mit einer Somnologie 2 · 2015
Schwere und chronische »Insomnien erfordern umfassende Therapieangebote Katamnestische Untersuchungen zeigen, dass neben einer deutlichen Verbesserung der Insomnie die Einnahme von Hypnotika auch 6 Monate nach Ende der stationären Therapie geringer ist als zu Beginn der Behandlung [8]. Es ist anzunehmen, wenn auch letztlich nicht wissenschaftlich belegt, dass der frühzeitige Einsatz der kognitiven Verhaltenstherapie zur Vermeidung einer Chronifizierung von Schlafstörungen beitragen und damit auch beachtliche ökonomische Synergien zur Folge haben kann [11].
Verhältnisorientierte Prävention der Insomnie
Einteilung der Präventionsmaßnahmen nach Zielgruppen
Universelle Prävention
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Tertiärprävention Nach Manifestation der Erkrankung Verhinderung von Folgeschäden, Rückfallprophylaxe, Rehabilitation
den. Durch das geschlossene Gruppensetting können zusätzlich gruppendynamische Aspekte wie Lernen am Modell genutzt werden.
schwer ausgeprägten, therapieresistenten Insomnie konzipiert. Die Patienten durchlaufen ein standardisiertes Programm, in dem eine Bettzeitenrestriktion, eine Stimuluskontrolle, Bewegungs- und Lichttherapie, Entspannungsverfahren und eine umfassende Psychoedukation durchgeführt wer-
Diese Form der Prävention bezieht sich auf den gesellschaftlichen Kontext und schließt soziale, ökologische oder ökonomische Faktoren mit ein. Ziel ist der Abbau von Risikofaktoren nicht auf individueller, sondern auf struktureller Ebene. Hierzu gehören Gesundheitsförderungsprogramme wie beispielsweise Maßnahmen zur Senkung einer übermäßigen Arbeitsbelastung durch eine stärkere Berücksichtigung psychologischer und sozialer Aspekte im arbeitsorganisatorischen Bereich. Dies gilt sowohl für das Berufsleben als auch für die Ausbildungszeit in Schule und Studium.
Risikoreduktion durch bessere Arbeitsbedingungen Ein zentrales Thema in diesem Zusammenhang ist die Schichtarbeit, die in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen hat. Die Frage, ob Schichtarbeit an sich für den Schlaf problematisch ist, kann beim derzeitigen Stand der Wissenschaft nicht abschließend beantwortet werden. Metaanalysen kommen zum Schluss, dass auf Grund der Heterogeni-
Patient mit nicht erholsamem Schlaf und/oder Schlafstörung
1 Erhebliche Beeinträchtigung durch Ein- und/oder Durchschlafstörungen und/oder Tagesschläfrigkeit?
0
2 ja
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Adäquater Umgang mit Schlaf?
ja
Angepasst an zirkadianen Rhythmus? nein
nein
ja
4 Einnahme von schlafstörenden bzw. Wachheit beieinträchtigenden Substanzen? nein
11
nein
Information Prävention Verhaltenstraining
5
ja
Spezifische Beratung und/oder Behandlung
7
8
9
Klinisch diagnostizierbare primäre schlafmedizinische Erkrankung? nein
ja
Diagnose und Behandlung der Grunderkrankung
6
Symptom einer sekun. dären Schlafstörung durch psychische und/oder organische Erkrankung? nein
ja
Umsetzung Abstinenz Entwöhnung
10
Spezifisch schlafmedizinische Diagnostik und/oder Therapie
tät der untersuchten Schichtsysteme keine eindeutigen Aussagen möglich sind [10]. Dennoch scheint Schichtarbeit ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Insomnie zu sein [33], vor allem wenn die individuelle Vulnerabilität (wie z. B. der Chronotyp oder die Eigenschaft eines habituellen Kurz- oder Langschläfers) mit Berücksichtigung findet. Erschwerend kommt hinzu, dass Schichtarbeiter aufgrund ihrer sozialen Bindungen gleichsam zwei miteinander „konkurrierenden“ chronobiologischen Rhythmen unterliegen und somit einem erhöhten Maß an Stress ausgesetzt sind.
verursacht »StressSchichtarbeit durch konkurrierende chronobiologische Rhythmen Präventive Maßnahmen haben hier eine besondere Bedeutung, und neben chrono- und schlafhygienischen Empfehlungen sollten auch psychologische Aspekte der Kontakt- und Freizeitgestaltung mit berücksichtigt werden. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die Gestaltung von Pausen, die gestaffelt werden sollten nach dem Schwierigkeitsgrad der Tätigkeiten und der geforderten Wachheit (Fluglotsen, Lokführer, etc.), sowie die Planung der Schichtsysteme in Bezug auf die Rota-
tionsrichtung oder die Länge der Schichten unter schlafmedizinischen Aspekten [27].
Screening- und Selbsthilfeprogramme Eine weitere Maßnahme, um die verhältnisorientierte Insomnie-Prävention zu stärken, ist die Implementierung von Screeningprogrammen in Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen. Hierbei kommt jedoch erschwerend hinzu, dass viele Patienten mit Schlafstörungen keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen oder inadäquat medikamentös eingestellt sind. Ein umfassendes Angebot an Selbsthilfeprogrammen mit dem Schwerpunkt auf Edukation wäre hier besonders hilfreich [21]. So wünschenswert auch mediale Unterstützung beim Transportieren von Basiswissen zu Schlaf- und Schlafstörungen ist, so kontraproduktiv können allzu griffige und verkürzte Darstellungen wie beispielsweise „Schlafmangel macht krank“ sein. Komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse werden so zu schlichten Botschaften reduziert und tragen eher zu einer ängstlichen Besorgnis um den eigenen Schlaf bei, als dass sie informieren. Hilfreich ist daher ein Kommunikationskonzept, das Grundkenntnisse über Schlaf und
Abb. 2 9 Klinischer Algorithmus nichterholsamer Schlaf/Schlafstörungen (aus [20]).
schlafhygienisches Verhalten allgemein verständlich vermittelt (siehe dazu auch [15]). Neben der Information und Aufklärung Betroffener ist die Fort- und Weiterbildung an Schulen und in Betrieben, insbesondere aber auch in der Ausbildung von Ärzten, Psychotherapeuten, Hebammen und Erziehern ein wesentlicher Bereich der Prävention.
Gesellschaftspolitische Aspekte Präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen auf dem Gebiet der Schlafmedizin können auch in der Entwicklung gesundheitspolitischer Programme liegen, womit auch die Frage nach der Wertigkeit des Schlafes per se für die Gesellschaft berührt wird. Dessen Bedeutung kann in einer Leistungsgesellschaft unter rein ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet und Schlaf primär als Garant für humane Ressourcen gesehen werden. Obwohl viele Bereiche der Produktion mittlerweile maschinell funktionieren, müssen Maschinen überwacht werden. Die Folgen von Schlafstörungen gerade auf diesem Gebiet können, bedingt durch Unfälle aufgrund erhöhter Müdigkeit, für den Einzelnen katastrophal sein. Insomniepatienten haben ein ca. 3bis 5fach erhöhtes Risiko für Unfälle im Allgemeinen und ein etwa 2fach erhöhtes Somnologie 2 · 2015
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Schwerpunkt Risiko für Verkehrsunfälle [38]. Letztlich können alle Formen von Schlafstörungen, die zu einem Schlafmangel führen, in der Konsequenz zu Tagesschläfrigkeit und Einschlafen am Steuer führen. Der wirtschaftliche Schaden kann nur geschätzt werden [19].
Schlafstörungen erhöhen das »Unfallrisiko EinanderergesellschaftsbezogenerAspekt des Schlafes ist der Bezug zu Ruhe und Erholung. Wird Schlaf lediglich als Regenerationsraum gesehen, in dem Wachheit und damit Leistungsfähigkeit wiederherstellt werden kann, oder auch als grundsätzlicher Seinsmodus gleichberechtigt zum Wachsein? Dieses Thema findet in neueren Konzepten der Achtsamkeit Beachtung [26], die nicht zuletzt aufgrund zunehmender Burnout-Phänomene bei den Beschäftigten entstanden sind. Konkret bietet das Thema Schlaf auf der gesellschaftspolitischen Ebene also die Möglichkeit, Gesundheit auch in Bezug auf Lebensqualität zu definieren und Ruheräume zeitlicher und faktischer Art (z. B. in Form von Schlafkammern auf Flughäfen oder Pausenräumen in Betrieben) zu schaffen. Wenn Schlaf auf dieser gesellschaftlichen Ebene mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung gewinnt, fällt es leichter, Projekte zur Prävention und Gesundheitsförderung von Schlafstörungen durchzusetzen.
beeinträchtigter Tagesbefindlichkeit; abgestufte Diagnostik und Therapie 4 Individuelle Informationsvermittlung über Schlafhygiene und Risikoanalyse bei Beschäftigten mit hohem Anteil von Schlafstörungen (z. B. Schichtarbeit, Transportwesen); Sensibilisierung von Vertretern von Industrie und Wirtschaft für das Problem (awareness) 4 Einbezug schlafmedizinischer Expertise in die Planung von Arbeitsabläufen, die den Tag-Nacht-Rhythmus betreffen, sowie von Infrastrukturprojekten, die die Schlafqualität beeinträchtigen könnten (z. B. Fluglärm)
Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. T. C. Wetter, M.A. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Regensburg am Bezirksklinikum Universitätsstraße 84, 93053 Regensburg, Deutschland
[email protected] G. Klösch, M.Sc. Univ. Klinik für Neurologie, Schlaflabor, Medizinische Universität Wien Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien, Österreich
[email protected] Dr. phil. T. Crönlein Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Regensburg am Bezirksklinikum Universitätsstraße 84, 93053 Regensburg, Deutschland
[email protected]
Fazit für die Praxis Handlungsempfehlungen: 4 Implementierung der Themen Schlaf, Schlafmangel und Schlafstörungen in der Schule und in der Ausbildung im Gesundheits- und Erziehungssystem 4 Ausbildung von Schlafberatern/ Alertnessmanagern für die Bereiche Aufklärung, Prävention und Empowerment 4 Ausbau schlafmedizinischer Zentren bzgl. medizinischer und psychologischer Versorgung und umfassender Ausbildung 4 Frühzeitige differenzialdiagnostische Abklärung bei Schlafstörungen mit
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Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. T.C. Wetter, T. Crönlein und G. Klösch geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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J. Bauer
Selbststeuerung Die Wiederentdeckung des freien Willens München: Karl Blessing Verlag 2015, 240 S., (ISBN 978-3-89667-539-2), Geb., 19.99 EUR Der Freiburger Mediziner, Neurobiologe und Sachbuch-Autor Joachim Bauer hat erneut zur Feder gegriffen. Sein neues, im Frühjahr 2015 erschienenes Buch ’Selbststeuerung. Die Wiederentdeckung des freien Willens‘ ist ein großer Wurf. Es macht in einer auch für Laien verständlichen und trotzdem wissenschaftlich fundierten Weise deutlich, dass der Mensch, anders als eine Reihe von Hirnforschern behauptet haben, nicht total determiniert und die menschliche Willensfreiheit keineswegs eine Illusion ist. Unter Bezugnahme auf eine solide Datenlage und gestützt auf die aktuellste Literatur, lässt Joachim Bauer in seinem Buch überzeugend deutlich werden, dass der Mensch sehr wohl das entwickeln kann, was man gemeinhin einen freien Willen nennt. Langjähriger Streitpunkt der zunächst von Benjamin Libet und einige Jahre später auch von einigen deutschen Kollegen losgetretenen Diskussion um den freien Willen ist die Interpretation des von Hans Helmut Kornhuber und mir entdeckten Bereitschaftspotentials (Kornhuber & Deecke: Hirnpotentialänderungen bei Willkürbewegungen und passiven Bewegungen des Menschen: Bereitschaftspotential und reafferente Potentiale. Pflügers Arch. 284:1-17, 1965). Darf von der Tatsache, dass Libets Versuchspersonen ihren subjektiven Entschluss, eine vorher verabredete Bewegung auszuführen, auf einen Zeitpunkt nach Einsetzen des Bereitschaftspotentials datierten, auf die Nicht-Existenz eines freien Willens geschlossen werden? Kornhuber und ich haben diese Frage klar verneint (Kornhuber & Deecke: Wille und Gehirn. Edition Sirius, Aisthesis Verlag Bielefeld, 2009, ISBN 978-3-89528-628-5). Ort der Willensbildung ist der Präfrontale Cortex, der die
Ausführung der hier getroffenen Entscheidungen an nachgeordnete Zentren delegiert. Dieser Position schließt sich, hervorragend begründet, auch Joachim Bauers Buch an. Einen freien Willen zu haben, kann nicht bedeuten, sich von den biologischen Grundlagen und sozialen Bedingtheiten lösen zu können, denen der Mensch unterworfen ist. Bauers Buch verdeutlicht, auch insoweit Kornhubers und meiner Position folgend (Kornhuber & Deecke: The will and its brain: An appraisal of reasoned free will. University Press of America, Lanham, Maryland, USA, 2012, ISBN 978-0-7618-5862-1) dass wir daher nicht über einen absoluten, sondern relativen freien Willen verfügen – einen Willen in Freiheitsgraden. Dieser ist uns nicht in die Wiege gelegt. Die Fähigkeit, sich selbst zu steuern, muss entwickelt werden. Bauer benennt die Voraussetzungen, aber auch die vielfältigen Gefährdungen gelingender Selbststeuerung. Das außerordentlich gut lesbare Buch schließt mit zwei Kapiteln, welche die Bedeutung der Selbststeuerung für die Bewahrung oder Wiedererlangung der medizinischen Gesundheit eindrucksvoll verdeutlichen. L. Deecke (Wien)
Somnologie 2 · 2015
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