Standort (2015) 39:166–180 DOI 10.1007/s00548-015-0388-7
Ta g u n g e n u n d V e r a n s ta lt u n g e n
Auf dem Weg zu Stuttgart 21 Auswirkungen der Bauarbeiten auf den Regional- und S- sowie den Stadtbahnverkehr Der Hauptbahnhof in Stuttgart befindet sich mitten in einem umfassenden Umbau. Dort, wo früher noch Gleise im Kopfbahnhof lagen, auf denen Züge hielten, ist mittlerweile ein Loch. Die Regional- und Fernzüge halten derweil einige hundert Meter außerhalb und es ist ein neuer Querbahnsteig entstanden, über den die Fahrgäste zu den Bahnen gelangen. Der Hintergrund: Unter dem früheren Gleisvorfeld entsteht derzeit und noch in den nächsten Jahren unter dem Namen Stuttgart 21 ein Tiefbahnhof quer zum heutigen Verlauf der Gleise (Abb. 1). Das Regionalforum Württemberg des Deutschen Verbands für Angewandte Geographie bot zu diesem Thema einen Fachrundgang an, um zu zeigen, wie sich der Umbau auf die Passagiere auswirkt. Der Verkehrsplaner und Bahnexperte Gerhard Schnaitmann von der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) zeigte den Geographinnen und Geographen den Hauptbahnhof unter diesen Aspekten (Abb. 2). Kurz nach 18 Uhr ging Schnaitmann zuerst zum Gleis zwei, von welchem der Regionalexpress nach Tübingen stündlich zur Minute 22 abfahren soll. Der Zug stand bereit. Doch er fuhr an diesem Abend nicht pünktlich los. „Wenn jetzt die S-Bahn nach Kirchheim (Teck) um 18.27 Uhr vor dem Regionalexpress in Richtung Tübingen fährt, bedeutet das, dass der Zug bis Wendlingen hinter der S-Bahn her fährt“, sprach Schnaitmann ein Problem an. So würde sich der RE weiter verspäten, weil die S-Bahn die
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Online publiziert: 23. August 2015
Vorortbahnhöfe Stuttgarts bedient, an denen der Regionalzug sonst vorbei fährt. Schnaitmann deutete auf das Gleisvorfeld. „Dadurch, dass die Züge nun weiter draußen halten als vorher, kann das Gleisvorfeld nur noch eingeschränkt genutzt werden“, sagte er. Denn die Bahnsteige der ICE-Gleise fünf bis zehn seien wegen der Zuglänge der Fernzüge weit ins Vorfeld gebaut. „Auf dem Gleis zehn fahren nur die ICE-Züge nach Berlin und Dortmund ab. Wenn aber ein ICE auf dem Gleis steht, bedeutet das, dass das Gleis neun nicht genutzt werden kann. Das ist dann durch den ICE blockiert“, sagte Schnaitmann. Über eine Durchsage wurde angekündigt, dass der Regionalzug von Ulm nach Stuttgart von Gleis zwölf auf Gleis drei verlegt wird und mit sieben Minuten Verspätung abfahren wird. „Wenn der auf das Gleis einfährt, kann der Regionalexpress nach Tübingen nicht mehr raus, weil dann das Ausfahrtgleis blockiert ist.“ Doch dazu kam es dann nicht mehr, weil der Zug nach Tübingen doch noch früher abfuhr. Schnaitmann sprach gleich noch ein weiteres Problem an. „Bei den Arbeiten zum Ausschachten fallen ja Erdmassen an. Ursprünglich war geplant, dass diese mit Lastwagen über eine spezielle Fahrstraße parallel zum Gleis eins zum Nordbahnhof abtransportiert werden.“ Doch die Planer hätten nicht bedacht, dass dort ein Grünstreifen parallel zum Gleis verläuft. Darauf könne man keine Straße bauen. „Die Bahn könnte gedacht haben, dass sie eine Sondergenehmigung bekommt. Doch seit die Grünen in Baden-Württemberg und Fritz Kuhn von den Grünen Oberbürgermeister ist, ist das nicht mehr so einfach.“ Als Alternative müsse man Masten für die Oberleitung ver-
setzen. „Aber das kostet Zeit.“ Als Konsequenz würden die Erdmassen nun vorerst alle über das öffentliche Straßennetz abtransportiert. Auch die Auswirkungen des Baus auf die S-Bahn, deren Züge alle die insgesamt zweigleisige Stammstrecke unter der Stadt nutzen, sprach der Bahnexperte an: „Die S-Bahn-Rampe in Richtung der S-Bahn-Station Hauptbahnhof ist vorerst noch zweigleisig, so dass sich die Bahnen dort aufstauen können.“ Durch den Umbau werde die Rampe aber eingleisig, was bedeutet, dass die S-Bahnen dann keinen einen räumlichen Puffer mehr hätten, um in der richtigen Reihenfolge in die Station einfahren zu können. Zudem ist von den beiden aufsteigenden S-BahnRampen in Richtung Stuttgart-Bad Cannstatt, also in der Gegenrichtung, bereits eine entfallen. „Dadurch wird der S-Bahn-Verkehr erschwert.“ Das gelte auch für die neuen Fahrzeuge der Baureihe 430. „Früher hat der Zugführer die S-Bahn der Baureihe 420 abgefertigt, „zurücktreten!“ durchgesagt und ist losgefahren. Nun gehen die Türen mit lautem Piepsen zu. Das dauert einige Sekunden länger.“ Und diese Zeit summiere sich bei einem 2,5-Minuten-Takt auf der Stammstrecke und führe zu Verspätungen. Die Bahn habe darauf jedoch reagiert und setze nun mehr Langzüge ein. „Da geht das Ein- und Aussteigen schneller.“ Doch bei Langzügen gebe es auch ein Problem, berichtete Schnaitmann auf dem Tiefbahnsteig. Durch den Wegfall eines leistungsfähigen Treppenhauses zu den beiden S-Bahnsteigen und den Ausbau eines bestehenden, sei die Bahnsteigbreite eingeschränkt. „Wenn dann ein langer S-Bahnzug hält, kommt es an dieser Stelle zu einem Fahrgaststau.“, monierte Schnaitmann. Auch mit den Anschlüssen an die S-Bahn, die jetzt schon unter dem
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Abb. 1 Hier wird gebaut. Durch Fenster in den Gängen zum mit Holz verkleideten Querbahnsteig, lässt sich der Fortschritt der Arbeiten gut verfolgen. (Foto: Malte Klein)
Abb. 2 Gerhard Schnaitmann berichtet Interessierten des DVAG-Regionalforums Württemberg in der S-Bahn-Station Hauptbahnhof, wie sich der Verkehr in der Region während der Bauarbeiten verändert. (Foto: Malte Klein)
Hauptbahnhof hält, sei es so eine Sache: „Früher gab es noch mehr Treppenaufgänge, so dass man von den Fernzügen gut die Anschlüsse auf den Tiefgleisen an die S-Bahn erreicht hat.“ Nun müssten die Fahrgäste längere Wege gehen (Abb. 3). „Sie brau-
chen nun 13 Minuten von den Zügen bis zu den S-Bahnen.“ Dadurch sei es schwieriger, Anschluss-S-Bahnen zu Orten wie Leonberg und Marbach zu erreichen, die eben nur an das S-BahnNetz, aber nicht an das Regionalzugnetz angeschlossen sind.
Der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs habe im Übrigen auch Auswirkungen auf den Stadtbahnverkehr zu den einzelnen Stadtbezirken. „Es hieß zwar immer, dass alle Stadtbahnhaltestellen bedient werden. Doch durch die mit dem Bau des Tiefbahn-
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Abb. 3 Kein Zugang mehr zu den S-Bahnen. Über diesen Tunnel konnten die Reisenden früher die Station Hauptbahnhof (tief) erreichen. Während der Bauarbeiten zum Projekt Stuttgart 21 ist dieser geschlossen worden. (Foto: Malte Klein)
hofs verbundenen Umbauten an der Haltestelle Staatsgalerie fahren dann länger keine Züge mehr von dort zum Hauptbahnhof“, sagte Schnaitmann. Eine einfache Alternative könne sein, die Strecke zwischen den Stationen zu Fuß zurückzulegen.
Malte Klein/Stuttgart
Der Tribut von Katar und aktuelle Dynamiken in Südasien Fünfte Jahrestagung des AK Südasien der DGfG „Tausende Tote auf WM-Baustellen: Der Tribut von Katar“ lautete im vergangenen Jahr eine Schlagzeile des Handelsblatts, Spiegel Online titelte im letzten Dezember „Arbeiter auf WM-Baustellen: Die Katastrophe von Katar“. Die Situation auf den Baustellen für die Fußball-WM 2022 wirft ein Schlaglicht auf ein Migrationssystem, das sich in den letzten Jahrzehnten – bisher unbemerkt von der Weltöf-
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fentlichkeit – entwickelt hat. Mehrere Millionen südasiatische Arbeitskräfte pendeln regelmäßig zwischen den Golfstaaten und ihren Heimatländern. Ihre Rücküberweisungen stellen für die Herkunftsländer eine wichtige Devisenquelle dar und werden oftmals als wichtiger Anschub für die Regionalentwicklung betrachtet. Für ihre Arbeit zu den Hintergründen, Lebensumständen und Migrationspfaden nepalesischer Arbeiter nach Katar wurde Hannah Waitzinger, Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Geographie der Universität Münster, mit dem Forschungspreis Südasien des Arbeitskreises Südasien in der DGfG ausgezeichnet. Die Preisverleihung fand im Rahmen der Jahrestagung des AK Südasien am 23. und 24. Januar 2015 an der Georg-August-Universität Göttingen die statt (Abb. 4). Die Laudatio hielt Markus Keck, der die diesjährige Tagung organisiert hatte. Er stellte heraus, dass es sich um eine analytisch tiefe und theoretisch ausgesprochen fundierte Arbeit handelt, die einen Beitrag zu aktuellen Debatten leistet. Ausgewählt worden
war die Arbeit durch eine Jury aus vier Professorinnen und Professoren. Als Teil der Auszeichnung erhielt Hannah Waitzinger ein Jahresabonnement der Geographischen Rundschau. In Ihrem spannenden Vortrag stellte Hannah Waitzinger wesentliche Ergebnisse ihrer Masterarbeit mit dem Titel „Nepalese labor migrants in the Middle East – The constructions and practices of transnational migration between exploitation and economic opportunity“ vor. Aktuelle Entwicklungen in Südasien wurden in 15 weiteren Fachvorträgen dargestellt. Nach einer einleitenden Keynote von Prof. Christoph Dittrich befassten sich die weiteren Vorträge mit Dynamiken in ländlichen Räumen (so die Überschrift zweier Sitzungen) und den Herausforderungen, die sich durch den derzeit stattfindenden rapiden Urbanisierungsprozess ergeben (ebenfalls die Überschrift zweier Sitzungen). Ein weiteres Sitzungsthema waren die Veränderungsprozesse, die durch Multilokalität, Translokalität und Translokale Migration ausgelöst werden – mit vielen inhaltlich-konzeptionellen Ver-
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Abb. 4 Hannah Waitzinger (Münster) erhält von Markus Keck den Forschungspreis Südasien für ihre Arbeit zur Situation von nepalesischen Wanderarbeitern. (Foto: AK Südasien)
bindungen zu der ausgezeichneten Arbeit von Hannah Waitzinger. Bei der jährlichen Mitgliederversammlung des AK konnte das Sprecherteam die Bilanz eines erfolgreichen Jahres ziehen: Seit der letzten Jahrestagung erschienen gleich zwei Themenhefte zu Südasien (in der Zeitschrift Asien) bzw. Indien (Geographische Rundschau) deren Autoren sich nur aus Mitgliedern des Arbeitskreises zusammensetzen. Weitere gemeinsame Themenhefte (im Internationalen Asienforum und in Transcultural Studies) sind geplant und die Veröffentlichungsreihe des Arbeitskreises „Geographien Südasiens“ wird 2015 erstmals mit mehr als einem Band pro Jahr erscheinen. Bei den jährlichen Wahlen des Sprecherkreises wurden Carsten Butsch (Köln), Martin Franz (Osnabrück), Markus Keck (Göttingen), Mareike Kroll (Köln) und Julia
Poerting (Heidelberg) als Sprecher bestätigt. Die nächste Jahrestagung findet am 22. und 23. Januar 2016 in Osnabrück statt. Nähere Informationen unter www.geographien-suedasiens.de (Abb. 5).
Carsten Butsch/Köln Martin Franz/Osnabrück
Rundgang durch Hamburg-St. Georg Veränderungen rund um den Steindamm Der Steindamm im Hamburger Stadtteil St. Georg hat sich in den vergangenen zehn Jahren stark verändert. Noch heute meiden viele Hamburger den Steindamm, oder sie nutzen ihn allenfalls als Transitstrecke auf dem
täglichen Weg von zu Hause in die Innenstadt. Dass sich die Straße in einem tiefgreifenden Wandel befindet, fällt nur denjenigen auf, die genauer hinsehen. Genauer hingesehen haben die Teilnehmer der Feierabendexkursion, die Wolfgang Schüler über den Steindamm führte. Der Quartiersmanager, der im Auftrag der dortigen Interessengemeinschaft tätig ist, zeigte, wie sich der Steindamm verändert (Abb. 6). So ist beispielsweise ein Lebensmittel-Discounter an die Stelle eines Sex-Shops getreten. Leerstehende Gebäude sind durch moderne Bürohäuser ersetzt worden. Bemerkenswert ist der Wandel der Einzelhandels- und Gastronomiebetriebe, die von Migranten geführt werden. Viele der jungen Männer, die die Betriebe von ihren Vätern übernommen haben, investieren in die Betriebe. Die Cafés, Restaurants und Läden werden modernisiert und sprechen heute ein viel breiteres Publikum an als noch vor wenigen Jahren. Wolfgang Schüler wies auch auf bestehende Probleme hin: So sei die Straßenprostitution zwar verboten, im hauptbahnhofnahen Teil des Steindamms und in einigen Nebenstraßen aber sehr präsent. Einige Händler würden leere Gemüsekisten und andere Verpackungen auf den Bürgersteig stellen, so dass der Müll dann vom Wind durch die ganze Straße getrieben werde. Der Quartiersmanager konnte den Exkursionsteilnehmern aber auch die neu eröffneten Hotels und Hostels am Steindamm zeigen, die die Frequenz in der Straße deutlich erhöht haben. Er zeigte auch die neuen Gebäude der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), die St. Georg zu einem Hochschulstandort machen, was vielen Hamburgern nicht bewusst ist.
Heiner Schote/Hamburg
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Abb. 5 Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 5. Jahrestagung des AK Südasien. (Foto: AK Südasien)
Abb. 6 Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Exkursion durch St. Georg mit den Hamburger Regionalsprechern Andreas Obersteg und Jan Kotonski (2. Reihe, 1. und 2. von li.) sowie Quartiersmanager Wolfgang Schüler (hintere Reihe, mit Hut). (Foto: Heiner Schote)
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Stromaufwärts tut sich was DVAG-Feierabendexkursion des Regionalforums Hamburg Das Regionalforum Hamburg lud am 20. Mai 2015 zu einer Feierabendexkursion mit dem Fahrrad durch den Hamburger Osten ein. Thema war das am 8. Juli 2014 vom Ersten Bürgermeister und der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt sowie dem Bezirksamt Mitte vorgestellte Konzept „Stromaufwärts an Elbe und Bille – Wohnen und urbane Produktion in Hamburg-Ost“. Start war um 18.30 Uhr an den Deichtorhallen, wo Regionalsprecher Jan Kontonski die sieben weiteren Teilnehmer begrüßte und in einer kurzen Einleitung das Abendprogramm vorstellte. Anschließend ging es mit den Rädern entlang der Elbe bis zum ersten Stopp in Rothenburgsort am Brandshof, der direkt an die HafenCity-Entwicklung anschließt. Das Konzept sieht dort die Entwicklung von „Wohnen und Arbeiten am Elbufer“ vor, im Zuge dessen die vorhandenen Industrieimmobilien revitalisiert werden und neue innenstadtnahe Wohn- und Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Weiter ging es in Richtung Elbpark Entenwerder, wo ebenfalls neue Wohnungen unter dem Motto „Wohnen am Wasser“ entstehen, um einen zukünftigen Verdrängungsprozess zu verhindern. Der nächste Halt war am Billebogen, besser bekannt als ehemaliger Huckepackbahnhof. Dieser Bereich ist die größte zusammenhängende freie Gewerbefläche im Stadtgebiet. Die Planung sieht hier vorrangig eine Gewerbeentwickung mit mehrgeschossigen Immobilien vor, in denen kleinteilige und hochwertig ausgestattete Flächen angemietet werden können (u. a. Opernfundus). Weiter ging es zum letzten Stopp am Billebecken, wo das Thema „Wohnen am Wasser“
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wieder aufgegriffen wurde. Aktuell ist dieser Bereich noch von Gewerbe und Schrebergärten geprägt und soll künftig zusätzlich neue Wohnbebauung erhalten. Zum Schluss rundete die wohlverdiente Einkehr in das Restaurant Factory am S-Bahnhof Hasselbrook die gelungene Exkursion ab. Sie bildete den Auftakt für weitere Veranstaltungen zu „Wohnen und Gewerbe“ im Rahmen von „Stromaufwärts“ die im Herbst 2015 folgen werden. Luisa Linek/Hamburg
„Essen – die Einkaufsstadt“ einmal anders gesehen Urbanistischer Stadtspaziergang durch die Ruhrgebietsmetropole Anlässlich der Vorstandssitzung des DVAG im Mai 2015 fand in Essen in der Metropole Ruhr vor der Sitzung ein „Urbanistischer Stadtspaziergang“ statt. Offen für jede Interessierte und jeden Interessierten fanden sich rund 20 Personen am Essener Hauptbahnhof ein und wurden von dem Dipl.Geographen Friedrich Schulte-Derne (Universität Duisburg-Essen) fachkundig durch die Stadt geführt. Essen – Kulturhauptstadt 2010 – ist mit rund 573.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt in NRW und besitzt im Ruhrgebiet nach Dortmund den zweitstärksten Einzelhandelsmarkt. Die beiden Top-Lagen der Stadt – Limbecker Straße und Kettwiger Straße – gehören zu den 25 am stärksten frequentierten Einzelhandelslagen in Deutschland. Immerhin existiert der Werbe-Slogan „Essen – Die Einkaufsstadt“ bereits seit den 1920er Jahren des letzten Jahrhunderts. Aber direkt neben den Top-Lagen der Haupteinkaufsstraßen – nur 100 bis 300 Meter weit entfernt – gibt es problematische Standorte, an denen die Käuferströme achtlos vorüber gehen. Wie Fried-
rich Schulte-Derne vor Ort erläuterte, haben die bisherigen Versuche zur Aufwertung bei diesen Standorten nur zur sehr begrenzten positiven Effekten geführt. Im Laufe des Rundganges war es beeindruckend, zu sehen, wie sich die alte Stadtstruktur – entstanden an der ehemaligen Handelsstraße Hellweg – noch im heutigen Stadtbild widerspiegelt (Abb. 7). Die Keimzelle der Stadt befindet sich mitten im Zentrum, geprägt durch die Straßen (im Form eines T), aber auch durch den Burgplatz mit dem Dom oder Münster. Darüber hinaus wurde dargestellt, wie sich der Rückgang der Schwerindustrie – Krupp und Essen gehörten ja bekanntlich über viele Jahrzehnte zusammen – in der künftigen Stadtentwicklung niederschlägt. Die ehemaligen durch Stahlherstellung und -verarbeitung geprägten Standorte sind heute attraktiv für Neuansiedlungen und prägen zwischenzeitlich das Stadtbild im Westen der Stadt Essen. Auch die Universität Duisburg-Essen mit ihrem großen, direkt an der Innenstadt gelegenen Campus kommt heute viel mehr zur Geltung als in den letzten Jahren. Immerhin wurde sie ja bereits im Jahre 1972 gegründet, fiel aber im Stadtbild, abgetrennt durch eine Bahnlinie, die zwischenzeitlich aufgegeben wurde, kaum auf. Die vielfältigen Informationen, die unterwegs gegeben wurden, waren sogar für die Ortskundigen manchmal neu. Die eigene Heimat- oder Studienstadt wurde plötzlich unter einem ganz anderen Gesichtspunkt gesehen. Der „Urbanistische Stadtrundgang“ kam deshalb bei allen sehr gut an. Wie Dr. Maike Dziomba vom Vorstand des DVAG erläuterte, sollen auch zukünftig im Rahmen von Vorstandssitzungen Stadtspaziergänge angeboten werden, um in Kooperation mit den Aktiven vor Ort aktuelle stadtgeographische Themen der jeweiligen Stadt behandeln. Aufgrund der positiven Erfahrungen kann eine Teilnahme nur empfohlen werden.
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Abb. 7 Friedrich SchulteDerne erläutert, wie sich die Entwicklung der heutigen Einkaufsstadt Essen aus der historischen Stadtstruktur ableiten lässt. (Foto: privat)
Dieter Briese/Gladbeck
An der Hase wächst die Verkaufsfläche Der Einzelhandelsstandort Osnabrück Anfang Juni, bei bestem Shoppingwetter luden Falk Hassenpflug (IHK Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim) und Heiner Schote (Handelskammer Hamburg) zu einer Stadtexkursion in die rund 160.000 Einwohner zählende Friedensstadt Osnabrück ein, um über die aktuelle Innenstadtentwicklung zu informieren. Zunächst wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Räumlichkeiten der IHK am Neuen Graben begrüßt, wo Falk Hassenpflug die laufenden Projekte in der Osnabrücker Innenstadt vorstellte und den Teilnehmern einen Überblick über aktuelle und künftige Herausforderungen des Einzelhandels vor Ort gab. Osnabrück hat aktuell mehr als 300.000 Quadrat-
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meter Verkaufsfläche, rund ein Drittel davon befindet sich in der Innenstadt. Aber damit nicht genug: So sind zum einen die Auswirkungen von Factory Outlet Centern im Umland zu spüren und gleichzeitig ist in Osnabrück selbst durch die Neugestaltung des zentral gelegenen Neumarkts und der dortigen Shoppingcenterentwicklung zurzeit einiges im Umbruch. In einem an den Vortrag anschließenden Stadtspaziergang wurden die Teilnehmer zunächst durch die Kamp-Promenade, einem bestehenden und offen gestalteten Shoppingcenter, zum Neumarkt geführt. Die Baustelle auf dem nahegelegenen Neumarkt lässt nur mit viel Fantasie erahnen, wie es dort in Zukunft aussehen wird. An dieser Stelle soll in den kommenden drei Jahren ein weiteres Shoppingcenter mit rund 16.500 Quadratmetern Verkaufsfläche entstehen. Gleichzeitig soll durch die Neugestaltung ein Brückenschlag von der A-Lage „Große Straße“ zur gegenüberliegenden Johannisstraße gelingen, die aktuell weniger in der Gunst der Konsumenten liegt. Die Centerentwicklung der
mfi am Neumarkt soll 2017 fertiggestellt sein, konkrete Informationen über Ankermieter sind aber noch nicht verfügbar. Weiter ging der Spaziergang in einem Bogen durch die Innenstadt in Richtung Nikolaiort. Auch eines der größten norddeutschen Modehäuser mit kleiner Markthalle, Lengermann + Trieschmann (L + T), inmitten der 1 A-Lage charakterisierte den Weg dorthin. Wie all diese Projekte die Passanten-Frequenzen beeinflussen, soll ein neues Monitoring-Projekt der IHK und weiterer Partner über ein Lasersystem an fünf Orten der Innenstadt in den kommenden drei Jahren ermitteln. Daneben stellte Falk Hassenpflug zahlreiche inhabergeführte Geschäfte vor, die in Osnabrück in besonderer Fülle auffallen, und informierte die Zuhörer über weitere Projekte in der Innenstadt. Im Ergebnis scheint das Flächenwachstum noch nicht am Ende. Seinen Ausklang fand der Spaziergang im Ratskeller mit einem zünftigen Abendessen, bei dem die Planungen weiter diskutiert wurden.
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Abb. 8 Aufmerksam lauscht das Publikum den Ausführungen der Referenten zum Thema, Big Spatial Data‘. (Foto: Simon Reichenwallner)
Luisa Linek/Hamburg
‚Big Spatial Data‘ Praxisforum des DVAGRegionalforums ErlangenNürnberg Glaubwürdige Schätzungen gehen davon aus, dass zu Beginn der 1990er Jahre nur drei Prozent aller Informationen digital verfügbar waren – bis Ende der 2000er Jahre waren es bereits deutlich mehr als 90 Prozent. Große und wachsende Anteile dieser Informationen sind georeferenziert, d. h. sie beziehen Sachinformationen auf eine räumliche Information. Nicht zuletzt durch die Verbreitung von Positionierungs- und Navigationssystemen sowie der mobilen Verfügbarkeit des Internets entstehen in den letzten Jahren viele neue Dienstleistungen, welche die wachsende Quantität und Qualität von Geodaten nutzen. Da ist es konsequent, dass sich das Praxisforum am geographischen Institut der Universität Erlangen-Nürnberg im Sommersemester 2015 dem
Thema ‚Big Spatial Data‘ widmete – schließlich eröffnen sich hier auch neue Arbeitsfelder für Geographen (Abb. 8). Dipl.-Geogr. Markus Neufeld, Sprecher des Regionalforums Erlangen-Nürnberg, hatte erneut drei Geographen eingeladen, bei einer kurzweiligen Podiumsdiskussion über ihre Arbeit mit ‚big spatial data‘ zu berichten – und die Gäste hatten in der Tat viel zu erzählen …. Konstantin Böhm, Ende 40, Gründer und Geschäftsführer der Ancud IT-Beratung GmbH, hat tatsächlich vor Jahren einmal Geographie studiert – und das merkt man ihm auch heute noch an. Leidenschaftlich erzählt er davon, was heutzutage alles möglich ist und welche Wettbewerbsvorteile Geographinnen und Geographen mitbringen beim Umgang mit den ungeheuren Datenmengen: räumliches Denken, vernetztes Denken – und ein über den Tellerrand blickendes Denken. „Das können die Informatiker nicht so gut wie wir Geographen“, weiß Böhm, selbst Chef von mehr als 50 Mitarbeitern, zu berichten. Zur Zeit seines Studiums habe es gerade die ersten Rechner an der Universi-
tät gegeben, Satellitenbilder waren kaum erschwinglich. Heutzutage gibt es nicht nur bessere Hard- und Software, sondern auch besseren Zugang zu Daten – auch zu ‚Big Data‘. Das mache es spannend und eröffne viele neue Möglichkeiten. Böhm ist gut vernetzt, er hat gerade ein ‚Big Data Lab‘ ins Leben gerufen – und spontan Geschäftspartner aus Belgien zum Praxisforum mitgebracht, die ein Smart-City-Projekt aus Gent vorstellten: Anhand von Tweets werden Verkehrsbehinderungen in der Stadt erfasst, ausgewertet und visualisiert. Das ist Big Spatial Data in Reinform. Bei ESRI Deutschland in Wiesbaden arbeitet Thomas Großmann, Product Specialist Location Analytics. Er weiß zu berichten, dass Big Data gerade sehr en vogue ist. Allerdings stecke die Entwicklung diesbezüglich bei ESRI derzeit noch in den Kinderschuhen. „Wir richten uns natürlich nach der Nachfrage unserer Kunden – und die wächst derzeit.“ Großmann selbst hat schon lange ein Fable für große Datenmengen, er sattelte auf sein Geographie-Studium noch einen GIS-Master drauf und war schließlich bei einem Landesamt für Geo-
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Abb. 9 Die Referenten des Praxisforums zu, Big Spatial Data‘: Konstantin Böhm, Thomas Großmann, Dr. Hendrik Wagenseil (vlnr). (Foto: Simon Reichenwallner)
daten tätig. Der öffentliche Dienst in dieser Form sei aber auf Dauer nichts für ihn gewesen. „In der freien Wirtschaft merke ich, dass Dinge auch einfach mal verworfen werden, wenn man die Sackgassen abgelaufen ist. In der Verwaltung hingegen hält man oft krampfhaft an den etablierten Abläufen fest.“ Der dritte Podiumsgast, Dr. Hendrik Wagenseil von der GfK Geomarketing GmbH, brachte ein paar Karten aus einem aktuellen Projekt mit: Darin werden die Nutzer von Mobiltelefonen lokalisiert und anschließend auf einer Karte verortet. „Da muss man mit dem Datenschutz freilich aufpassen“ betont Wagenseil, „aber wenn die Nutzer einverstanden sind und die Daten anonymisiert werden, ist das in der Regel kein Problem.“ Bei einem Nutzer war noch ein deutliches Bewegungsprofil erkennbar; dieses verschwand, als die Daten ‚big‘ wurden – gleichzeitig wurden deutliche räumliche Muster sichtbar. Wagenseil ist Teamleiter Geostatistics und hat nach seiner Promotion in der physischen Geographie nahtlos den Einstieg ins Berufsleben geschafft. Im Bereich des Geomarketings verknüpft er nun Fragen von Big Spatial Data mit der
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klassischen Marktforschung. Statistik-Kenntnisse sind da zweifelsohne sehr gefragt: „Eine gute Ausbildung im Bereich der quantitativen Methoden ist bei uns zwingend – qualitative Marktforschung gibt es nicht …“ Hier sind sich die Referenten – übrigens alle drei ausgebildete physische Geographen – einig: Eine Affinität zu Zahlen und zur IT bzw. GIS sind von Vorteil, wenn man mit Big Spatial Data unterwegs ist. Und an dieser Stelle wird auch die Diskussion im Plenum lebhaft. Warum liegt in der Kulturgeographie der Schwerpunkt häufig so sehr auf den qualitativen Methoden? Ändert sich das (wieder)? Wäre nicht grundsätzlich eine breite und fundierte Methodenausbildung wichtig und richtig? (Abb. 9). Big Spatial Data – nicht überall, wo Big Data draufsteht, ist auch Big Data drin. Aber die wachsenden Datenmengen und die häufige Verknüpfung räumlicher Information mit diesen Daten lassen Big Spatial Data zu einem spannenden Berufsfeld für Geographen werden. Und auch hier sind sich die Experten sicher: dieses Thema hat Zukunft!. Nach dem Praxisforum bot sich bei Gegrilltem und Getränken noch die
Möglichkeit zum Kennenlernen der Referenten, wovon insbesondere die zahlreichen Studierenden unter den ca. 75 Besuchern Gebrauch machten. Vielen Dank an die Fachschaftsinitiative Geographie für die Bewirtung! Stimmen zum Praxisforum ‚Big Spatial Data‘: Jana Regenfuß, Nürnberg: „Ich fand das Praxisforum wie immer sehr informativ… Es lohnt sich offensichtlich, wenn Geographen fundierte Kenntnisse in Statistik haben!“ Christian Bittner, Erlangen: „Ich promoviere zum Thema `Web 2.0-Kartographie in Israel/Palästina´. Dabei liegt ein Schwerpunkt meiner Forschungen auf der Analyse sehr großer Geodatenbanken. Das Praxisforum war für mich sehr motivierend, denn es wurde deutlich, wie gefragt diese Methoden auch außerhalb der Wissenschaft mittlerweile geworden sind.“ Praxisforum ‚Geographie‘: Nützliches für den Berufseinstieg Das Praxisforum findet jedes Semester mit wechselnden thematischen Schwerpunkten am Institut für Geo-
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Abb. 10 Kurzumtriebsplantage mit schnellwachsenden Baumarten führen in Brandenburg noch ein Nischendasein. (Foto: Volkerding)
graphie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) statt. Organisiert wird es vom DVAGRegionalforum Erlangen-Nürnberg in Kooperation mit der Alumniarbeit der Fränkischen Geographischen Gesellschaft mit freundlicher Unterstützung der Fachschaftsinitiative Geographie. Die Podiumsdiskussion mit berufstätigen Geographen dient der Berufsorientierung von Geographie-Studenten und gewährt dabei Einblicke in Berufseinstieg, Karriereplanung und Praxisalltag.
Markus Neufeld/Erlangen
Weltweiter Hunger nach Rohstoffen Konsequenzen für Brandenburg Im Rahmen der langjährigen Kooperation zwischen der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und dem DVAG-Regionalforum Berlin/Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern widmete sich die 21. gemeinsame Tagung am 12./13. Juni 2015 in Cott-
bus der „Rohstofffrage“. Prof. Dr. Jürgen Oßenbrügge, Geographisches Institut der Universität Hamburg, ging in seinem Referat auf die globale Dimension von Ressourcen ein und zeichnete ein janusköpfiges Bild rohstoffreicher Regionen. So können Ressourcen für die Förderländer durchaus zum Entwicklungsproblem, ja zum Ressourcenfluch in Form kriegerischer Auseinandersetzungen und wirtschaftlicher Monostrukturen werden. Auf der anderen Seite seien allein im informellen Bergbau Afrikas südlich der Sahara rund acht Millionen Menschen tätig. Prof. Oßenbrügge sah Ansätze zur Konfliktlösung in einer Zertifizierung des Rohstoffabbaus, in einer Erhöhung der weltweiten Recyclingquote und eine stärkeren Nutzung der jeweils regional vorhandenen Ressourcen. Die Rohstoffstrategie Deutschlands erläuterte Dr. Thorsten Brandenburg von der Deutschen Rohstoffagentur (DERA). Deutschland ist neben China und den USA der größte Rohstoffimporteur weltweit. Probleme des Zugangs zu (Hightech-)Rohstoffen, der Vertragssicherheit beim Rohstoffbezug und steigender bzw.
volatiler Preise sollen vor allem durch langfristige Lieferverträge und die Substitution knapper Rohstoffe gelöst werden. Auf die Rohstoffsituation Brandenburgs ging Dr. Klaus Freytag, Präsident des Landesamtes für Bergbau, Geologie und Rohstoffe Brandenburg (LGBR), ein. Trotz eines bereits vollzogenen Strukturwandels und eines enormen Arbeitskräfteabbaus im Braunkohlen-Bergbau von ehemals ca. 80.000 auf nunmehr 8.000 Beschäftigte spiele die Braunkohle für die Lausitz, aber auch für die Energieversorgung Deutschlands, immer noch eine herausgehobene Rolle. Vor dem Hintergrund der klima- und energiepolitischen Ziele der Bundesregierung sei ein weiterer Strukturwandel notwendig, dessen Tempo aber diskussionswürdig. Angelika Seidemann, Abteilungsleiterin Geologie im LGBR, behandelte in ihrem Beitrag das Thema Fracking, insbesondere in Verbindung mit der Erdöl- und Erdgasgewinnung. In Deutschland werde konventionelles Fracking in tiefen Gesteinsschichten von bis zu 5.000 Meter seit über 40 Jahren weitestgehend ohne Gefahren
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Abb. 11 Deutlich sichtbar: Die Spree ist „verockert“. (Foto: Volkerding)
für das oberflächennahe Grundwasser angewandt. Im Land Brandenburg seien die für das jetzt diskutierte unkonventionelle Fracking in geringerer Gesteinstiefe erforderlichen Schiefergaspotenziale ohnehin nicht vorhanden und der Koalitionsvertrag der Landesregierung lehne den Einsatz von Fracking-Technologien mit umweltgefährdenden Stoffen ab. Die zahlreichen Karten, Veröffentlichungen und Fachinformationssysteme des LGBR zu Fragen der Geologie und Rohstoffe sind unter www.lgbr.brandenburg.de erschließbar. Die Holzproduktion auf landwirtschaftlichen Flächen mittels Kurzumtriebsplantagen (KUP) (Abb. 10) war das Thema von Nora Koim, Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Die Region Berlin-Brandenburg sei hier mit einer Anbaufläche von ca. 2.000 ha im Jahr 2013 führend in Deutschland, Holz führe jedoch im Vergleich zu anderen nachwachsenden Rohstoffen noch ein Nischendasein. Schnellwachsende und ausschlagfähige Baumarten wie Pappel, Weide oder Erle ermöglichten in Abhängigkeit von Standort, Niederschlag und
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Pflege die Energieholzgewinnung nach meist zwei bis vier Jahren – bei jährlichen Erträge von 6 bis 20 t Trockenmasse je Hektar. Im Vergleich zu einjährigen Ackerkulturen böten KUP viele Vorteile, wie etwa eine bessere CO2-Bilanz, keine Düngung, Bodenschutz (Erosion), mehr Biodiversität, Nutzung ertragsarmer Standorte. Der erste Konferenztag endete mit einem Referat von Dr. Angelika Mettke, BTU Cottbus-Senftenberg, zum Thema „Urban Mining – Die Stadt als Rohstoff- und Produktquelle“, bei dem die Wiederverwendung von Baustoffen bzw. ganzen Bauteilen im Mittelpunkt stand. Die hohe Qualität der großformatigen Bauelemente des industriellen Wohnungsbaus der DDR – beispielsweise im Hinblick auf die Betondruckfestigkeit – ermögliche es, diese nach der Demontage für Wohn- und Mehrzweckbauten, aber auch für den Landschafts- und Deichbau wiederzuverwenden. Dies spare Primärrohstoffe und mindere Abfall. Aufwendige Genehmigungsverfahren, das anders gelagerte Interesse der Baustoffindustrie sowie ein Mehraufwand bei Planung und Logistik würden
diese Form des Urban Mining aber noch stark einschränken. Die von DVAG-Mitglied Heinz Rothe durchgeführte Ganztagesexkursion fand in einem für die Region entscheidenden Jahr der Energiewende statt. Gerade in einer Region, die so stark vom Abbau und Veredelung der Braunkohle geprägt war (und ist), sind die entstandenen Strukturprobleme nicht überwunden. Während es über die Stilllegung, Gefahrenabwehr in bergbaulichen Anlagen, Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Sanierung des Wasserhaushalts sowie die Sanierung und Sicherung ökologischer Altlasten weitgehend gesicherte Kenntnisse gibt, existieren für den großflächigen Grundwasseranstieg keine sofort anwendbaren Forschungsergebnisse, so auch für die gravierenden Probleme der „Verockerung“ der Spree und anderer Flüsse und Fließe (Abb. 11). Beim Ortstermin an der wiedereröffneten Grubenwasserreinigungsanlage Vetschau stellte Sven Radigk von der für die Bergbausanierung zuständigen Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft LMBV das Problem
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Abb. 12 Sven Radigk (LMBV) stellt an der Grubenwasserreinigungsanlage Vetschau Lösungsansätze für das Verockerungsproblem vor. (Foto: Volkerding)
der Verockerung vor – und hatte gleich auch Lösungsansätze dafür parat: Der hohe Eisengehalt entstehe durch die Lösung von Pyrit an den Ufern der Restlochseen durch das ansteigende Grubenwasser. Zur Reinigung werde das saure eisenhaltige Grubenwasser mit Kalk versetzt, Eisenhydroxidschlamm falle aus und setze sich in den Becken ab. Die Verockerung sei dabei nicht als gesundheitsgefährdend für den Menschen einzuschätzen. Diese Aussagen stießen allerdings bei den Exkursionsteilnehmern zum Teil auf Skepsis (Abb. 12). Eine im Gegensatz dazu kleinteilige nachhaltige Ressourcensicherung durch alternative Lebens- und Wirtschaftsformen wurde bei dem Besuch des „Hummelhofs“ der Familie Hildebrand im Burger Spreewald vorgestellt. Auch bei Kenntnis der Besonderheiten der Spreewald-Landschaft mit ihren zahlreichen Fließen und parkähnlichen Strukturen überraschten die von Frank Hildebrand anschaulich erläuterten Methoden einer ökologischen Trinkwasseraufbereitung, der Brennstoffbereitstellung für Heizung und Warmwasser über
Baum-/Hecken- Systeme oder der Abwasserbeseitigung über Wurzelraumkläranlagen sowie die Funktionsweisen von Solaranlagen und solarer Mobilität. Der Tagebau Welzow-Süd ist einerseits noch auf Jahre hinaus in Betrieb und bietet entsprechend interessante Blicke auf den Kohleabbau mit den großen Förderbrücken und den riesigen Flächen aus aufgeschüttetem Abraum. Andererseits wandelt sich der Tagebau bereits heute zum Rekultivierungs- und Freizeitraum. Vom renovierten Bahnhof Welzow aus bietet „excursio“ unterschiedlichste Touren durch das Gebiet an. Die DVAG-FES-Exkursion sah dabei sowohl den aktiven Tagebau als auch die Rekultivierungsbereiche, darunter als Höhepunkt ein sechs Hektar großen Weinberg – ein optimistisch stimmender Ausblick auf die zukünftige postfossile Ersatzlandschaft in der Niederlausitz (Abb. 13, Abb. 14). Hannes Volkerding/Berlin Christof Ellger/Berlin Dorlies Maly/Berlin
Online-Handel ist Wandel Tagung des AK Geographische Handelsforschung Der Umsatz des Online-Handels wächst und damit scheinen sich die Spielregeln für den gesamten Handel zu ändern. Diese Veränderungen stellen nicht nur den Handel vor große Herausforderungen, sondern auch in Stadtplanung und Wirtschaftsförderung muss umgedacht werden. Die aktuellen Entwicklungen, ihre bisherigen und zukünftigen Auswirkungen auf den Handel und die Innenstädte sowie Strategien im Umgang mit diesen Trends waren Themen der Tagung „Online-Handel ist Wandel“ des Arbeitskreises Geographische Handelsforschung im Verband der Geographen an Deutschen Hochschulen (VGDH). Ausgerichtet wurde die Tagung von Prof. Martin Franz vom Institut für Geographie der Universität Osnabrück zusammen mit Falk Hassenpflug von der Industrie- und Handelskammer Osnabrück - Emsland - Grafschaft Bentheim am 19. und 20.
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Abb. 13 Im Tagebau WelzowSüd wird noch auf Jahre hin Braunkohle gefördert. (Foto: Volkerding)
Abb. 14 Höhepunkt der Exkursion: Die postfossile Ersatzlandschaft eines sechs Hektar großen Weinbergs eröffnet positive Zukunftsszenarien. (Foto: Volkerding)
Juni in Osnabrück. Die Veranstaltung mit mehr als achtzig Teilnehmerinnen und Teilnehmern brachte die Mitglieder des Arbeitskreises mit Akteuren aus dem Einzelhandel im Osnabrücker
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Land zusammen (Abb. 5). Zu Beginn der Tagung gewährten Falk Hassenpflug und Katrin Petersen (Osnabrück – Marketing und Tourismus GmbH) auf zwei Exkursionen in die Osna-
brücker Innenstadt einen Blick hinter die Kulissen des Online-Handels und -Marketings des Osnabrücker Einzelhandels.
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Abb. 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Online-Tagung des AK Handelsforschung. (Foto: Tobias König)
Intensiv diskutiert wurde unter anderem, welchen Einfluss der Online-Handel auf den stationären Einzelhandel und die Entwicklung von Einkaufsstraßen haben wird. So stellte Halina Gebert von der Unternehmens- und Kommunalberatung Dr. Lademann & Partner heraus, dass schon jetzt 21 der 74 Mittelzentren in Niedersachsen effektiv einen Kaufkraftabfluss verzeichnen und dass dies durch den Online-Handel verstärkt würde: „Die Mittelzentren werden die Verlierer der Veränderungen sein. Einzige Gewinner werden die Innenstädte der starken Oberzentren sein.“ Auch mögliche Strategien in Reaktion auf die Veränderungen wurden diskutiert. Markus Eck und Prof. Cordula Neiberger von der Universität Aachen zeigten, dass zwar viele lokale Einzelhändler bereits mit eigenem Auftritt und teilweise auch eigenen Online-Shops reagieren, den
meisten Unternehmen aber noch eine wirkliche Strategie fehle. Dass nicht jedes Unternehmen zu einer erfolgreichen Online-Strategie in der Lage ist, betonte Klaus Mensing von der Firma Convent Mensing: „Der Onlinehandel wirkt grundsätzlich als Trendverstärker des Strukturwandels: Wer sein Geschäft schon ‚offline‘ nicht gut aufgestellt hat, der wird auch durch ‚online‘ wenig Chancen haben.“ Auch bei den Kommunen stellt sich nur langsam ein Umdenken ein; von ersten positiven Ansätzen berichtete Klaus Mensing. Umstritten waren die Entwicklungen im Lebensmitteleinzelhandel und ihre Folgen. Während es in diesem Segment in Deutschland lange wenig Wachstum gab, scheint der Trend sich nun deutlich zu beschleunigen, nachdem auch etablierte Einzelhandelsketten wie Rewe sich zunehmend engagieren. „Die aktuellen Ent-
wicklungen sprechen dafür, dass Online-Lebensmittelhandel erhebliche Umsatzzuwächse erzielen wird. Die Art der Nutzung der bestehenden Filialsysteme ändert sich. Zunehmend übernehmen Filialen auch die Funktion von Distributionszentren für den Onlinehandel, das heißt, die bestellten Waren werden direkt aus den Filialen an den Konsumenten geliefert. Für den stationären Handel ist abzuwarten, ob es hierdurch zur Schließung von Filialen oder zur Verkleinerung der Flächen kommen wird“, führte dazu Prof. Martin Franz aus. Er sieht aber auch positive Aspekte im OnlineLebensmittelhandel: „Gerade im ländlichen Raum kann der Online-Handel mit Lebensmitteln dafür sorgen, dass Menschen, für die der nächste Supermarkt zu weit weg ist oder die nicht mobil sind, sich wieder vernünftig versorgen können.“
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Abb. 16 Prof. Jürgen Rauh (Würzburg) verleiht die Preise für studentische Abschlussarbeiten zur Handelsforschung 2015 an Christoffer Priessnitz (l), Sandra Wiebel (r) und Sascha Denning (m). (Foto: Martin Franz)
Auf der anschließenden Mitgliederversammlung wurde Alexandra Appel (Würzburg) als sechstes Mitglied in den Sprecherkreis gewählt. Höhepunkt der Mitgliederversammlung war die Verleihung des „Preises für studentische Abschlussarbeiten zur Handelsforschung 2015“ durch Prof. Jürgen Rauh (Würzburg). Christoffer Priessnitz erhielt die Auszeichnung für seine Diplomarbeit zum Thema „Shopping-Center im Zeitalter von Digitalien. Eine Untersuchung zu
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den Auswirkungen des zunehmenden E-Commerce auf den stationären Einzelhandel am Beispiel eines Einkaufscenters“, Sandra Wiebel für ihre Masterarbeit mit dem Titel „Ansbach: Einzelhandel im Spannungsfeld von Altstadt und Brücken-Center“ und Sascha Denning für seine Masterarbeit zum Thema „Räumliche Auswirkungen der Markt- und Standortanforderungen von Filialisten des deutschen Lebensmitteleinzelhandels – am Bei-
spiel der Stadt Mülheim an der Ruhr“ (Abb. 16). Die nächste Jahrestagung des AKs wird von Prof. Peter Dannenberg organisiert und findet in Köln statt. Nähere Informationen: www. geographie.hu-berlin.de/de/abteilungen/wirtschaftsgeographie/ AK-Einzelhandelsforschung
Inka Gersch/Osnabrück